Bürgerstiftungen und soziale Innovation

ufig wird derzeit über soziale Innovation gesprochen. Warum eigentlich fällt in diesem Zusammenhang nie der Begriff der Bürgerstiftung?

Von Stefan Nährlich (Stiftung Aktive Bürgerschaft)

In den letzten Jahren und sicherlich auch auf dem Deutschen Stiftungstag im Mai 2023 wird viel über soziale Innovationen gesprochen. Dazu gehören auch neue Kooperationen, Skalierbarkeit und Wachstumsfinanzierung. Selten fällt bei den Diskussionen über diese Faktoren der Blick auf die Bürgerstiftungen. Dabei sind sie ein Paradebeispiel für soziale Innovation. Und sowohl ihr Modell als auch ihre Entwicklung zeigen, wie eine soziale Innovation funktionieren kann.

Ihre Entwicklung begann in Deutschland vor 25 Jahren. Damals betrug das gemeinsame Stiftungskapital der ersten zwei bis drei Bürgerstiftungen kaum 1 Million Euro. Heute sind es über 500 Millionen Euro und in den nächsten 25 Jahren werden es – wenn die Entwicklung sich fortsetzt – rund 4 Milliarden Euro sein. Statt einer Handvoll Bürgerstiftungen wie Ende der 1990er Jahre gibt es Bürgerstiftungen heute in mehr als 420 Städten und Regionen.

Was sind die Gründe für diese in unseren Augen Erfolgsgeschichte?

Innovation: Die Bürgerstiftungen sind eine Lösung für ein Stiftungsproblem. Zwar hat die Stiftung Vorteile, denn sie kann als einzige gemeinnützige Rechtsform Kapital bilden, was sie finanziell unabhängig macht. Sie hat aber auch eine strukturelle Schwäche: ihre enge Zweckbindung und einen nach Jahrzehnten oft nicht mehr zeitgemäß umsetzbaren Stifterwillen. Für den amerikanischen Bankier und Rechtsanwalt Frederick Goff war diese „dead hand of the past“ im Jahr 1914 der Anlass zur Entwicklung und Gründung der weltweit ersten Bürgerstiftung – Community Foundation – in den USA. Goff legte den Grundstein für die Verbindung von Vereins- und Stiftungselementen in einer neuen Organisationsform, die weltweit in unterschiedlichen Varianten Nachahmer fand. In der Bürgerstiftung sichert eine Vielzahl von Stiftungszwecken die Flexibilität für die Zukunft. Unabhängige, engagierte und kompetente Bürgerinnen und Bürger in den Gremien und Projekten sorgen für eine zeitgemäße und wirkungsvolle Mittelverwendung. Die große Zahl notleidender Stiftungen, für die der Gesetzgeber mit der bald in Kraft tretenden Stiftungsrechtsreform die Zulegung zu anderen Stiftungen erleichtert hat, zeigt, dass das Problem der „dead hand of the past“ immer noch relevant ist.

Kooperation: Als die ersten Bürgerstiftungen ab 1996/97 in Deutschland entstanden, wurden sie mitunter als die arme Verwandtschaft der „richtigen“ Stiftungen betrachtet, bei der eine einzige Person hinreichend vermögend ist, um alleine das Kapital für die Gründung einer Stiftung aufzubringen. Tatsächlich jedoch erwiesen sich die Bürgerstiftungen als erfolgreich darin, weiteres Stiftungskapital nach ihrer Gründung zu gewinnen. Mehr als 80 Prozent des aktuellen Kapitals der deutschen Bürgerstiftungen sind nach der Gründung hinzugekommen, ebenso wie fast 200 Millionen Euro Spenden und ungezählte Stunden ehrenamtlichen Engagements von sogenannten Zeitstiftern. Während eine große Zahl der traditionellen Stiftungen inzwischen bei Fachkreisen als notleidend gilt und aus eigener Kraft nicht mehr in der Lage ist, die Stiftungszwecke zu erfüllen, haben sich die Bürgerstiftungen aufgrund ihres kooperativen Ansatzes als echte und erfolgreiche Mitmach-Stiftungen erwiesen.

Skalierbarkeit: Inzwischen gibt es Bürgerstiftungen in mehreren hundert Orten in Deutschland. Zu dieser Expansion haben bundesweite Support-Institutionen wie die Stiftung Aktive Bürgerschaft und das Bündnis der Bürgerstiftungen mit Informationen, Praxishilfen und mehr beigetragen. Allerdings zeigt die regionale Verteilung der heute 420 Bürgerstiftungen in Deutschland, dass die Skalierung von sich wohl wechselseitig beeinflussenden lokalen Faktoren abhängt und eine bundesweit gleichmäßige Verbreitung nicht gegeben ist. Dass Bürgerstiftungen vor allem in urbanen Räumen oder wohlhabenden Regionen entstanden sind, greift als Erklärungsansatz aber auch zu kurz. Eine allgemeingültige Erklärung, warum Bürgerstiftungen in manchen Orten entstanden sind und in anderen nicht, fehlt bislang.

Wachstumsfinanzierung: Bürgerstiftungen wachsen, wenn Personen oder Unternehmen aus ihrer Region selbst und wirkungsvoll, aber ohne großen Aufwand stiften wollen. Etwa 90 Prozent aller jährlichen Zustiftungen sind zweckgebundene Zustiftungen, die quasi eigene Stiftungen unter dem Dach von Bürgerstiftungen darstellen. Dabei haben sich Stiftungsfonds als die beste Möglichkeit erwiesen, solche Partnerstiftungen effektiv, aber auch effizient zu gründen und zu verwalten. Wie bei der Skalierung hat sich gezeigt, dass die Finanzierung zur Bewältigung des Wachstums von multiplen und örtlich unterschiedlichen Faktoren abhängig ist. So scheinen zwar hauptamtlich Beschäftigte ein Faktor zu sein. Allein die Tatsache, dass es sie gibt, führt jedoch noch nicht zu Wachstum. Sagen lässt sich dagegen, dass umgekehrt zu geringe Zeitressourcen in einer Bürgerstiftung wachstumshemmend sind.

Fazit: Bürgerstiftungen sind eine soziale Innovation. Sie haben in vielen Ländern der Welt über Jahrzehnte einen praxisrelevanten Nutzen versprochen und eingelöst. In Deutschland setzen die Bürgerstiftungen in Zeiten gesellschaftlicher Herausforderungen, von der Finanzkrise bis zur Corona-Pandemie, ihr Wachstum ungebremst fort. Support-Organisationen verstärken und begünstigen die Verbreitung sozialer Innovationen. Ihre Relevanz können soziale Innovationen nur in der Praxis und ihr nachhaltiges Funktionieren nur in Krisen unter Beweis stellen. Nicht jede gute Idee ist auch bereits eine soziale Innovation.

Kommentar von Dr. Stefan Nährlich für bürgerAktiv – Nachrichtendienst Bürgergesellschaft, Ausgabe 243 – April 2023 vom 27.04.2023

Kommentare und Analysen