Verbände und die Fridays-Schüler: Routine gegen radikale Forderungen

von Holger Backhaus-Maul

Gesellschaftliche Veränderungen gehen einher mit Konflikten und Auseinandersetzungen. Protest organisiert sich und politische Verbände werden gegründet – so stellt sich der normale Verlauf politischer Einflussnahme und demokratischer Konsensfindung in Deutschland dar. Ein treffendes Beispiel hierfür sind die deutschen Umweltverbände. Sie sind seit der Anti-Atomkraft-Bewegung der gesellschaftlich anerkannte und organisierte Ausdruck ökologischen Protestes. Als jüngstes und erfolgreiches Beispiel dieses verbandlich organisierten Protestes kann die Deutsche Umwelthilfe angeführt werden, deren Klagen auf Einhaltung von Stickstoffdioxid-Grenzwerten („Dieselfahrverbote“) in deutschen Großstädten Politik und Autoindustrie zum Handeln gezwungen haben.

Politische Verbände, die erfolgreich und etabliert sind, stehen zugleich aber auch vor der Herausforderung, gesellschaftliche Veränderungen wahrzunehmen und ihre soziale Bodenhaftung nicht zu verlieren. Keine leichten Aufgaben, wenn man etwa an Volksparteien, Gewerkschaften und Unternehmensverbände denkt. Am Beispiel von Umweltverbänden berichtete die Zeitung Die Welt jüngst auf der Grundlage einer eigenen Befragung von einer Entfremdung zwischen alten –etablierten –Umweltverbänden und neuer sozialer Umweltbewegung („Fridays for Future“). Zwar begrüßten die Umweltverbände die neue Umweltbewegung grundsätzlich. Aber auf die Frage nach ihrer Zustimmung zu den Kernforderungen der neuen Umweltbewegung Fridays for Future, erhielt Die Welt von den Verbänden nur Schweigen, Ausflüchte oder andere Varianten von Enthaltsamkeit. Und dabei greifen die Forderungen von Fridays for Future wissenschaftliche Erkenntnisse auf. Sie wollen unter Verweis auf den klimapolitischen Handlungsdruck erklärterweise viel schnell erreichen. Manch einem etablierten Verband sind diese Forderungen, auch wenn sie mit wissenschaftlichen Begründungen unterlegt sind, zu radikal.

Verschwenderischer Umgang mit Zeit

Die etablierten Umweltverbände sind geübt im Verhandeln und in der Kompromissfindung. Dieses erfordert aber Zeit, viel Zeit. Ein derart verschwenderischer Umgang mit Zeit in drängenden ökologischen Fragen trifft bei Fridays for Future auf Ablehnung. Die sachlich wohlbegründete Radikalität ihrer Forderungen unter Verweis auf den Klimawandel könnte aber ins Leere laufen. Denn angesichts der Trägheit demokratischer Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse stellt sich auch für die neue Umweltbewegung die Frage, wie organisiert sie sich und wie legitimiert sie ihre Forderungen und ihr Handeln? Ohne Organisationsbildung und politische Verbandsentwicklung könnte sich Fridays for Future in den medialen Welten von YouTube schlicht in „Rauschen“ (Luhmann) auflösen. Aber vielleicht entstehen in dieser Bewegung neben den von etablierten Verbänden ausgetretenen Pfaden neue Formen des Protestes, der politischen Einflussnahme und der Organisationsbildung, die nicht in tradierten Formen der Verbandsbildung versanden.

Kommentar von Dr. Holger Backhaus-Maul für bürgerAktiv – Nachrichtendienst Bürgergesellschaft, Ausgabe 201 – Juni 2019 vom 28.06.2019

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