Beiträge Von :

Gudrun Sonnenberg

„Wir können das Hauptamt nicht ersetzen“

1024 576 Stiftung Aktive Bürgerschaft

Wenn an der Unterstützung für Integration gespart wird, trifft es nicht nur die zugewanderten Menschen, sondern auch die Engagierten, die sich seit Jahren für gute Integration einsetzen und mit den Behörden zusammenarbeiten. Ein Vor-Ort-Beispiel dafür findet sich im baden-württembergischen Wiesloch, wo die Bürgerstiftung vielen Geflüchteten hilft. Hier wird jetzt das behördliche Integrationsmanagement zusammengestrichen. Wie fatal sich das auch auf die Ehrenamtlichen auswirkt, erläutert Monika Gessat vom Vorstand der Bürgerstiftung Wiesloch im Interview mit bürgerAktiv.

Frau Gessat, die Bürgerstiftung Wiesloch engagiert sich für geflüchtete Menschen. Wie sieht diese Unterstützung aus?

Die Bürgerstiftung hilft vielfältig. Unsere Ehrenamtlichen sammeln Spenden, organisieren Begegnungen der Geflüchteten mit den Bürgerinnen und Bürgern, stehen Familien und Einzelpersonen individuell zur Seite. Sie gehen begleitend in Sprachlernklassen, organisieren einen Kurs für Mütter mit Kleinkindbetreuung und eine „Sprachklinik“ und bieten Lernunterstützung für Schülerinnen und Schülern vor Abschlussprüfungen.
Außerdem geben wir Überbrückungsdarlehen, wenn sich die Bearbeitung von Anträgen auf Bürgergeld, Wohngeld oder Kindergeld hinzieht. Hier arbeiten wir eng mit den Integrationsdiensten zusammen: Feststellung des Bedarfs und der Höhe des Darlehens, Festlegen der Rückzahlungsraten, Nachfragen bei den Ämtern, wann mit der Nachzahlung zu rechnen ist, Mahnungen aussprechen.

Jetzt protestiert die Bürgerstiftung dagegen, dass das Land und die Kommune am Integrationsmanagement sparen wollen. Welche Einschränkungen stehen bei Ihnen vor Ort bevor?

Bisher gibt es ein kommunales Integrationsmanagementbüro mitten in der Stadt, finanziert überwiegend vom Land. Zum 1. Januar 2025 überträgt die Kommune das Integrationsmanagement an den Landkreis. Gleichzeitig wird das Land die Mittel für das Integrationsmanagement ab 2025 kürzen. Die danach noch zur Verfügung stehenden Mittel werden voraussichtlich nicht einmal mehr für eine volle Stelle ausreichen. Das bedeutet eine Kürzung der Beratungskapazität um mindestens zwei Drittel.
Damit fällt ein bestens funktionierendes und hoch professionelles Beratungssystem weg. Die Integrationsmanagerinnen erfahren im Kontakt, was die Menschen brauchen, stimmen die einzelnen Integrationsschritte aufeinander ab und organisieren gegebenenfalls Unterstützungsmaßnahmen. Ohne solch fachkundige Beratung können neu angekommene Menschen in finanzielle Notlagen geraten, wissen nicht, wo sie sich Rat holen können, und verpassen Fristen. Wir befürchten, dass die zuständigen Stellen etwa im Ausländeramt oder Jobcenter die zusätzliche Arbeit aufgrund fehlender personeller Ressourcen und Kompetenzen nicht werden leisten können.

„Die Einsparungen sind frustrierend und entmutigend“

Was bedeuten die geplanten Sparmaßnahmen für die Arbeit der Ehrenamtlichen bei der Bürgerstiftung?

Die Geflüchteten werden verstärkt mit ihren Fragen an Ehrenamtliche herantreten, doch die wären mit der korrekten Beratung hoffnungslos überfordert. Wir kennen das aus der Zeit nach 2015, da mutierten wir innerhalb weniger Wochen zu Sozialberaterinnen und Sozialberatern – mehr recht als schlecht gerüstet mit Kenntnissen, die im Schnellkurs beim Landesflüchtlingsrat erworben werden mussten. Falsche Beratungen waren unausweichlich und mussten später von den Hauptamtlichen wieder ausgebügelt werden. Wir haben die Etablierung des hauptamtlichen Migrationsmanagements als riesige Entlastung des Ehrenamtes wahrgenommen.
Bisher erfahren wir über die Integrationsmanagerinnen sehr zeitnah über alle Bedarfe bei Lernunterstützung, Sachspenden, Bedarf für Begleitung zum Arzt oder Behörden usw. Über sie haben wir einen direkten Draht zu den Geflüchteten, weil sie die Ersten sind, bei denen die Menschen nach der Aufnahme durch die Kommune vorstellig werden. So können wir bei finanziellen Engpässen innerhalb weniger Tage weiterhelfen und wir haben durch die gute Kooperation auch eine sehr zuverlässige „Rückzahlungsquote“. Wenn es keine Beratung mehr gibt, wer eröffnet den Geflüchteten die Option des Darlehens?
Für uns sind die Einsparungen frustrierend und entmutigend. Wir befürchten, dass manche Ehrenamtliche sich zurückziehen.

Haben Sie den Eindruck, dass Ihre Kritik gehört wird?

Nein, was wir bisher erreicht haben, ist entmutigend. Unsere Gesprächsanfragen bei den Landtagsabgeordneten waren nicht erfolgreich. Realistisch betrachtet sind die politischen Entscheidungen gefallen, es wird nach dem 1. Januar 2025 einen kompletten Systemwechsel gehen. Bis die neuen Strukturen aufgebaut sind und arbeitsfähig sind, wird es dauern.

Versuchen Sie, die Einsparungen noch zu verhindern?

Wir sind mit Mitgliedern des Kreistags im Gespräch. Da geht es um den Versuch, das Beratungssystem überhaupt noch vor dem Jahreswechsel neu aufzustellen und Beratungslücken wegen des Wechsels in der Zuständigkeit zu verhindern. Außerdem geht es darum, die ortsnahe Beratung zu behalten sowie das hoch engagierte und bestens eingearbeitete Personal vor Ort zu halten, das die Geflüchteten sehr genau kennt und weiß, was deren Probleme sind.
Beides ist fast aussichtslos, da Entscheidungen für Stellenbesetzungen erst im Herbst fallen bzw. diese noch gar nicht ausgeschrieben sind; und wir können es angesichts der unsicheren Lage den Integrationsmanagerinnen nicht verdenken, dass sie sich bereits nach anderen Stellen umschauen.

„Wir hätten uns Gespräche im Vorfeld gewünscht“

Hätten die Sparmaßnahmen im Vorfeld verhindert werden können? Was hätten Sie sich gewünscht?

Wir hätten uns Gespräche mit der Verwaltung und dem Gemeinderat vor der Entscheidung gewünscht, und dass man sich mit unserer Sicht vor Ort und aus dem Ehrenamt vertraut gemacht hätte.

Denken Sie grundsätzlich darüber nach, sich aus der Zusammenarbeit mit Behörden zurückzuziehen, um solchen Enttäuschungen vorzubeugen?

Man könnte zu so einem Schluss kommen – wenn sich die Verwaltung zurückzieht, warum soll ich mich dann engagieren oder gar eigentlich öffentliche Aufgaben übernehmen?
Aber wir haben die Geflüchteten im Blick, die ja unsere Hilfe brauchen. Es sind traumatisierte Menschen darunter. Wir wollen weiter für sie da sein im Rahmen unserer Möglichkeiten. Wer sich nicht positiv angenommen fühlt, wer das Gefühl hat, hier unerwünscht zu sein oder hilflos gegen die Bürokratie anrennt, hat weniger Antrieb, sich in die aufnehmende Gesellschaft einzufinden, und wird sich eher Gruppen zuwenden, die nicht das Zusammenleben, sondern das Absondern fördern. Dann bilden sich noch mehr Parallelgesellschaften oder Menschen rutschen aus wirtschaftlicher Not in kriminelle Milieus ab. Das wird die Akzeptanz von Migration, die ohnehin in den letzten Monaten immer stärker unter Druck gekommen ist, weiter gefährden.

„Wir werden unsere Unterstützung fortsetzen“

Wie wird es in der Bürgerstiftung weitergehen mit dem ehrenamtlichen Engagement für Geflüchtete?

Wir werden unsere bisherige Unterstützung fortsetzen. Bei einigen Angeboten werden wir uns neue Wege und Verfahrensabläufe überlegen müssen. Da sehe ich uns aufgrund langjähriger Erfahrung der Bürgerstiftung mit unseren Kompetenzen und unserer Verankerung in der Bürgerschaft gut aufgestellt.
Die Qualität der hauptamtlichen Beratung werden wir allerdings nicht ersetzen können und wir werden unsere Ehrenamtlichen dazu auch in keiner Weise ermutigen.

Interview: Gudrun Sonnenberg

Monika Gessat ist Mitglied des Vorstands der Bürgerstiftung Wiesloch. Ihre Arbeitsschwerpunkte in der Bürgerstiftung sind das Netzwerk Asyl sowie Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit.

Interview mit Monika Gessat für bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte, Ausgabe 258 – August 2024 vom 29.08.2024

 

Fokus Juli 2024: Engagementpolitik – Was geht noch?

1024 683 Stiftung Aktive Bürgerschaft

Eine neue Engagementstrategie, Entlastungen von bürokratischen Vorschriften und ein moderneres Gemeinnützigkeitsrecht: Dies und mehr schrieben im Herbst 2021 die Parteien der Ampelkoalition in ihren Koalitionsvertrag (bürgerAktiv berichtete). Sie griffen damit viele Anliegen aus der Zivilgesellschaft auf. So hatte zwei Jahre zuvor das Bürokratie-Barometer Bürgerstiftungen der Stiftung Aktive Bürgerschaft zutage gefördert, dass Funktionsträger in Bürgerstiftungen bis zu zwei Drittel ihrer Zeit mit der Bewältigung bürokratischer Aufgaben verbringen mussten. Im Gemeinnützigkeitsrecht wurde seit langem die Überarbeitung der Zwecke im Katalog der Abgabenordnung gefordert, nachdem Organisationen wie dem globalisierungskritischen Netzwerk Attac wegen politischer Tätigkeit die Gemeinnützigkeit entzogen wurde.

Knapp drei Jahre später sind einige Vorhaben umgesetzt – beispielsweise die ebenfalls im Koalitionsvertrag angekündigte Strategie für gemeinwohlorientierte Unternehmen – , andere, wie die Nationale Engagementstrategie, lassen auf sich warten oder müssen, wie das Demokratiefördergesetz, als gescheitert angesehen werden. Gut ein Jahr hat die Koalition noch Zeit. Was ist noch zu erwarten, und was brauchen die Menschen, die sich vor Ort engagieren, tatsächlich?

Lesen Sie im Fokus „Engagementpolitik: Was geht noch?“ folgende Beiträge:

Neue Rahmenbedingungen für die Zivilgesellschaft: Wo stehen wir?

Die Grundzüge des deutschen Gemeinnützigkeitsrechts stammen aus dem frühen 20. Jahrhundert – einer Zeit, die gemeinhin als Obrigkeitsstaat bezeichnet wird. Viele Einzelheiten wurden 1941 (!) in einer Gemeinnützigkeitsverordnung festgelegt und gelten bis heute. Kein Wunder, dass seit über 35 Jahren gefordert wird, dieses Recht an moderne Vorstellungen von einem freiheitlichen Gemeinwesen anzupassen – bisher ohne nennenswerten Erfolg, stellt Rupert Graf Strachwitz von der Maecenata Stiftung fest.
Zum Gastbeitrag

Was kann die Engagementpolitik gut, was den Engagierten nützt?

Was kannst du gut, was anderen nützt: Das fragen Schülerinnen und Schüler im Programm sozialgenial der Stiftung Aktive Bürgerschaft, wenn sie in der Schule ihre Engagementprojekte entwickeln. Die Frage sollte man auch andernorts stellen, nämlich in der Engagementpolitik, findet Stefan Nährlich, Geschäftsführer der Stiftung Aktive Bürgerschaft.
Zum Beitrag

„Exklusive Zeit für Projekte bekommen“

sozialgenial-Projekte zu organisieren, erfordert eine mühselige Suche nach Kapazitäten im Schulalltag und Freiräumen im Stundenplan. Barbara Schmiedek, didaktische Leiterin der Städtischen Gesamtschule am Michaelsberg in Siegburg, hat Vorschläge, wie die Politik Engagementprojekte in Schulen erleichtern könnte.
Zum Interview

„Vorgaben für die Zusammenarbeit mit Gemeinnützigen machen“

Theophil Graband, Vorstandsvorsitzender der Bürgerstiftung Nürnberg, würde gerne mehr mit Wissenschaftlern und Studierenden zusammenarbeiten und wünscht sich entsprechende Verpflichtungen für Hochschulen. Denn Non-Profit-Organisationen können mit Auftraggebern aus der Wirtschaft nicht mithalten.
Zum Interview

„Mehr Anreize für das Ehrenamt bieten“

Stiftungen und andere gemeinnützige Organisationen haben oft Schwierigkeiten, Mitstreiter im Ehrenamt für ihre Gremien zu finden: Diese Beobachtung macht im Stiftungsmanagement Hans-Dieter Meisberger, bei der DZ PRIVATBANK Abteilungsdirektor und Leiter Stiftungen, Öffentliche Einrichtungen und Non-Profit-Organisationen. Die Politik sollte deshalb mit besseren Angeboten Engagierte stärker motivieren, meint er.
Zum Interview

Mehr zum Thema:

Bürokratie-Barometer Bürgerstiftungen
ZU den UMFRAGEergebnissen

Stellungnahme der Aktiven Bürgerschaft zum Demokratiefördergesetz
Zur Stellungnahme

Stellungnahme der Aktiven Bürgerschaft zum Thema „Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) bzw. Bürokratieabbau im Ehrenamt“
Zur Stellungnahme

 

Neue Rahmenbedingungen für die Zivilgesellschaft: Wo stehen wir?

977 652 Stiftung Aktive Bürgerschaft

Die Grundzüge des deutschen Gemeinnützigkeitsrechts stammen aus dem frühen 20. Jahrhundert – einer Zeit, die gemeinhin als Obrigkeitsstaat bezeichnet wird. Viele Einzelheiten wurden 1941 (!) in einer Gemeinnützigkeitsverordnung festgelegt und gelten bis heute. Kein Wunder, dass seit über 35 Jahren gefordert wird, dieses Recht an moderne Vorstellungen von einem freiheitlichen Gemeinwesen anzupassen – bisher ohne nennenswerten Erfolg.

Von Rupert Graf Strachwitz

Veränderungen waren immer nur Klientelpolitik oder dem Wunsch der jeweils Regierenden geschuldet, durch ein kleines Trostpflaster zu dokumentieren, man habe etwas für die Zivilgesellschaft – oder wie manche Parteien heute noch sagen, für die Vereine vor Ort, die Ehrenamtlichen – getan, oder für die Stiftungen, als man sich der Illusion hingab, diese könnten und würden in wesentlichem Umfang Staatsaufgaben finanzieren.

Kein Wunder also, dass man gespannt war, was die jetzige Bundesregierung aus ihren Ankündigungen machen werde, „mit der Zivilgesellschaft“ (der Begriff taucht im Koalitionsvertrag rund 20-mal auf) das Gemeinnützigkeitsrecht zu reformieren, eine neue Engagementstrategie des Bundes zu entwickeln und das in der letzten Bundesregierung gescheiterte Demokratiefördergesetz zu verabschieden.

Zivilgesellschaft ist mehr als die Summe der Vereine

Zugegeben: Es kam die „Zeitenwende“! Sicherheit vor Agression, Inklusion von Migrantinnen und Migranten, gesellschaftlicher Zusammenhalt, Resilienz unserer Demokratie haben Priorität; das ist verständlich. Trotzdem ist nicht verständlich, warum aus den Vorhaben für die Zivilgesellschaft bisher gar nichts geworden ist, weil nur eine starke, unabhängige Zivilgesellschaft den Zusammenhalt sichert und weil sie die beste Bundesgenossin des Staates im Kampf um die Resilienz unserer Demokratie ist. Sie ist eben nicht nur die Summe der Vereine „vor Ort“, sondern hat ein politisches Mandat und ist eine politische Kraft. Klar ist zwar auch, dass sie sehr heterogen und nicht immer nur „gut“ ist. Aber viele Erfahrungen in Deutschland und anderswo zeigen uns, wie wichtig sie ist. Wäre das nicht so, würden die autoritären Systeme dieser Welt nicht so viel Mühe darauf verwenden, sie zu unterdrücken und würde sie nicht immer wieder Heldinnen und Helden hervorbringen, die uns zeigen, was Freiheit, Herrschaft des Rechts und Demokratie bedeuten. Und immer gilt: Wenn Not am Mann ist, sind Bürgerin und Bürger zur Stelle. Deswegen dürfen Versuche der Verzwergung durch das Parteiensystem und die Staatsverwaltung, die der Angst vor einem Machtverlust entspringen, nicht hingenommen werden! Diffamierungen von der Art, Zivilgesellschaft sei ein „grünes Projekt“ (so innerhalb der Regierungskoalition), ist entgegenzutreten, gleich welcher Richtung im demokratischen Spektrum man zuneigt.

Demokratiefördergesetz: Entwurf ruht

Wo stehen wir heute? Zum Demokratiefördergesetz gibt es einen Entwurf. Das „mit der Zivilgesellschaft“ war nicht mehr als ein Feigenblatt. Der Entwurf ist unausgereift; würde er Gesetz, trüge dieses zur Demokratieentwicklung nichts bei, sondern würde nur – bestenfalls – einigen üblichen Verdächtigen mehr staatliche Fördermittel bescheren und sie in eine noch größere Abhängigkeit vom Staat treiben. Der Entwurf ruht seit längerem irgendwo im Bundestag und dürfte in dieser Legislaturperiode kaum wieder auftauchen.

An der neuen Engagementstrategie arbeiten angeblich interministerielle Arbeitsgruppen. Das „mit der Zivilgesellschaft“ beschränkt sich auf klassische Verbändeanhörungen; inhaltlich scheint eine neue Definition von bürgerschaftlichem (oder zivilgesellschaftlichem) Engagement eine wichtige Rolle zu spielen. Die Frage, ob es wirklich Aufgabe von Ministerien ist, Engagement zu definieren, stellen Politik und Verwaltung nicht.

Gemeinnützigkeitsrecht: Reform kommt wieder nicht

Die dringend notwendige grundlegende Reform des Gemeinnützigkeitsrechts (genau: der §§ 51-68 der Abgabenordnung) kommt, so viel steht fest, in dieser Legislaturperiode wieder nicht. Kein Wunder, wenn die Ministerin, deren Haus sich mal selbst das Engagementministerium nannte, kein Interesse hat und der Bundesfinanzminister, in dessen Zuständigkeit das Steuerrecht fällt, von einer so tiefen Abneigung gegen die Zivilgesellschaft erfüllt ist, dass seine Partei die liberale Tradition eines Ralf Dahrendorf, der einst den ordnungs- und demokratiepolitischen Rahmen der Zivilgesellschaft formulierte, bedenkenlos über Bord geworfen hat. Dabei kostet diese Reform kein Geld! Sie macht nur Politik moderner und lebendiger und wehrt autoritäre Angriffe von links, rechts und aus der Mitte ab.

Der am 10. Juli 2024 als Jahressteuergesetz II vorgelegte Referentenentwurf, der am 24. Juli mit dem Titel Steuerfortentwicklungsgesetz als Regierungsentwurf verabschiedet wurde und nun dem Parlament zugeleitet wird, enthält nur ein paar minimale Änderungen des bestehenden. Steuerbegünstigten Körperschaften soll gestattet werden, „außerhalb ihrer Satzungszwecke gelegentlich zu tagespolitischen Themen Stellung“ zu nehmen. Aber das politische Mandat bleibt ihnen versagt. Und die Abschaffung des Gebots der zeitnahen Mittelverwendung, die kein Verband oder Experte je gefordert hat, ist der völlig falsche Ansatz. Was wir brauchen, ist eine neue Ordnungspolitik für die Zivilgesellschaft. Dafür wäre nicht der Finanzminister, sondern der Bundeskanzler zuständig. Aber von ihm und überhaupt von dieser Bundesregierung dürfen wir da leider nichts erwarten.

Dr. Rupert Graf Strachwitz ist Vorstand und Senior Strategic Advisor der von ihm gegründeten Maecenata Stiftung, eines unabhängigen Think Tanks zu den Themen Zivilgesellschaft, Bürgerengagement, Philanthropie und Stiftungswesen.

Der Beitrag ist Teil des Fokus Engagementpolitik: Was geht noch? der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte der Stiftung Aktive Bürgerschaft. Zum Fokus Engagementpolitik: Was geht noch?

Was kann die Engagementpolitik gut, was den Engagierten nützt?

1024 576 Stiftung Aktive Bürgerschaft

Was kannst du gut, was anderen nützt: Das fragen Schülerinnen und Schüler im Programm sozialgenial der Stiftung Aktive Bürgerschaft, wenn sie in der Schule ihre Engagementprojekte entwickeln. Die Frage sollte man auch andernorts stellen, nämlich in der Engagementpolitik, findet Stefan Nährlich, Geschäftsführer der Stiftung Aktive Bürgerschaft.

Von Stefan Nährlich

In der Stiftung Aktive Bürgerschaft setzen wir uns dafür ein, die Rahmenbedingungen für bürgerschaftliches Engagement zu verbessern, insbesondere für Service Learning an Schulen und Bürgerstiftungen, die wir in unseren Programmbereichen explizit unterstützen. Wir sprechen mit Abgeordneten und Mitarbeitenden in Ministerien, erheben Zahlen und Fakten, beteiligen uns an Anhörungen und Diskussionen. Die zentrale Frage ist immer: Was würde unseren Partnern vor Ort helfen?

Was Schulen helfen würde

Unter dem Motto „Was kannst du gut, was anderen nützt?“ entwickeln Lehrkräfte mit ihren Schülerinnen und Schülern in unserem Service-Learning-Programm sozialgenial konkrete Engagementprojekte und verbinden sie mit dem Schulunterricht. Die Lehr- und Lernmethode Service Learning dient einerseits der Bildungsförderung und ist andererseits ein Instrument für Engagement- und Demokratieförderung.
Die Stiftung Aktive Bürgerschaft hat ihre Unterstützung für Lehrkräfte so entwickelt, dass sozialgenial leicht skaliert und in allen weiterführenden Schulen eingesetzt werden kann. In der aktuellen Legislaturperiode haben wir mit finanzieller Unterstützung der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt und den Genossenschaftsbanken sozialgenial in zwei neue Bundesländer gebracht und in zwei Jahren bisher über 70 neue sozialgenial-Mitgliedsschulen gewonnen.

Wir beobachten: Wenn Schulen sich in unseren Webinaren informiert, aber noch keine sozialgenial-Projekte entwickelt und umgesetzt haben, ist dies in den meisten Fällen daran gescheitert, dass zu wenig Lehrkräfte und zu wenig freie Unterrichtsstunden zur Verfügung standen. Wir schlussfolgern: Eine bessere personelle Ausstattung der Schulen und mehr zeitliche Ressourcen wären hier die beste staatliche Engagementförderung mit der gleichzeitig größten und nachhaltigen Wirkung.

Was Bürgerstiftungen helfen würde

Im Programmbereich Bürgerstiftungen ist es unser Hauptziel, die Bürgerstiftungen beim weiteren Kapitalaufbau und Wachstum zu unterstützen, das ist eines der wesentlichen Merkmale dieser Stiftungsform und wichtig, um sich unabhängig und eigenständig zu engagieren. Damit die Bürgerstiftungen optimal wirken können, sind in den Satzungen möglichst breite Stiftungszwecke nötig, um die verschiedenen Vorhaben ihrer Stifterinnen und Stifter umsetzen zu können.

Seit einigen Jahren verhalten sich jedoch viele Stiftungsaufsichtsbehörden bei Satzungsgenehmigungen oder Änderungsanträgen restriktiv und wollen weitere Zwecke nur genehmigen, wenn zuvor das Stiftungskapital erhöht wird. Die Diskussionen verlaufen wie die Geschichte vom Huhn und dem Ei: Die Bürgerstiftungen sagen, sie wollten zuerst die Zwecke, dann komme das Geld. Die Stiftungsaufsicht will es andersherum. Seit Jahren argumentieren wir in Gesprächen und Anhörungen für eine stiftungsfreundliche Anwendung der Gesetze, stoßen aber oft auf dogmatische Ablehnung.

Was die Engagementpolitik tut

Womöglich spielen solche Diskussionen im Stiftungsbereich aber bald keine Rolle mehr. Denn nun hat die Bundesregierung ihr zweites Jahressteuergesetz vorgelegt, umbenannt in Steuerfortentwicklungsgesetz, in dem die Pflicht zur zeitnahen Mittelverwendung entfällt. Vermögen ließe sich dann in jeder gemeinnützigen Rechtsform bilden. Auch in denen, die keiner Stiftungsaufsicht unterliegen. Keine Stiftungsaufsicht hieße in dem Fall auch, keine Genehmigungspflicht, was die Vielfalt der Zwecke angeht.

Begründet wird das Vorhaben mit Bürokratieabbau. Die Bedenken, dass künftig einige auf die Idee kommen könnten, lediglich steuerbegünstigt Geld zu sammeln, aber nicht mehr für die Förderung der Allgemeinheit auszugeben, werden lapidar abgetan: „Es ist davon auszugehen, dass es im eigenen Interesse der jeweiligen steuerbegünstigten Körperschaften liegt, ihre Mittel weiterhin regelmäßig zeitnah für steuerbegünstigte Zwecke zu verwenden“, hieß es in dem vorausgehenden Referentenentwurf des Bundesfinanzministeriums.

Auch wenn der Satz in diesem Fall vielleicht unpassend erscheint, so ist er als Leitlinie grundsätzlich richtig. Ich wünsche mir für unsere Partner jedenfalls eine Engagementpolitik, die in erster Linie zivilgesellschaftliches Handeln ermöglicht, anstatt es kleinteilig zu regulieren, und die zuerst auf die Eigenverantwortung der handelnden Männer und Frauen in den Vorständen und Aufsichtsorganen gemeinnütziger Organisationen setzt.

Dr. Stefan Nährlich ist Geschäftsführer und Mitglied des Vorstands der Stiftung Aktive Bürgerschaft.

Der Beitrag ist Teil des Fokus Engagementpolitik: Was geht noch? der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte der Stiftung Aktive Bürgerschaft. Zum Fokus Engagementpolitik: Was geht noch?

„Exklusive Zeit für Projekte bekommen“

1024 672 Stiftung Aktive Bürgerschaft

sozialgenial-Projekte brauchen Kapazitäten im Schulalltag und Freiräume im Stundenplan. Barbara Schmiedek, didaktische Leiterin der Städtischen Gesamtschule am Michaelsberg in Siegburg, hat Vorschläge, wie die Politik die Organisation der Engagementprojekte in Schulen erleichtern könnte. Im Interview erläutert sie, was sie sich vorstellt.

Was macht Ihnen in der Administration von den Engagement-Projekten am meisten Arbeit?

Bei der Durchführung von sozialgenial-Projekten besteht immer die erste Aufgabe darin, eine Umsetzungsmöglichkeit in der Stundentafel zu finden: Woher kommt die Doppelstunde, an welches Fach wird das Projekt inhaltlich angeknüpft, welche Lehrerinnen oder Lehrer betreuen das Projekt, haben die am besten geeigneten Lehrkräfte noch Kapazitäten oder sind sie durch das Unterrichten ihrer Fächer bereits ausgelastet, sodass ein eine andere Kollegin oder ein anderer Kollege eingesetzt werden muss, ist das dann für das Projekt sinnvoll, und so weiter.
Sind diese Herausforderungen geschafft, gibt es gerade zu Beginn viel organisatorische Arbeit: Elternbriefe müssen, passend zum Kurs und Jahrgang, zunächst geschrieben und dann unterschrieben wieder eingesammelt werden, Kollegen, die neu im Projekt sind, bedürfen einer längeren und motivierenden Einweisung, die zu Beginn stattfindenden Projekttage müssen vorbereitet, Listen mit möglichen Kooperationspartnern ebenso wie Material, Verträge, Anwesenheitslisten, Tagebuchseiten aktualisiert werden.
Organisatorisch wichtig ist dabei zudem, dass das sozialgenial-Projekt nachmittags in Randstunden liegen muss, was eine zusätzliche Herausforderung für den ohnehin mit fest gesetzten Stunden überfrachteten Plan und die Kolleginnen und Kollegen, die ihn erstellen, darstellen kann.

Wie gehen Sie mit den Herausforderungen um?

Wir planen das sozialgenial-Projekt mit einem vierköpfigen Team aus Kolleginnen, die alle freiwillig und mit Begeisterung dabei sind. Es ist wichtig, dass nicht eine Lehrkraft/Schulsozialarbeiterin alles allein planen und organisieren muss. Hilfreich gegen Stress und Überforderung ist, regelmäßig mit den Mitarbeitenden aus den gemeinnützigen Einrichtungen zu sprechen, in denen die Schülerinnen und Schüler sich engagieren. Sehr oft wird dann deutlich, wie viel Unterstützung durch die Schüler in der Einrichtung ankommt und wie wichtig das für die Einrichtung ist. Es ist schön zu sehen, dass sich der Extra-Einsatz mit aller dahintersteckenden Arbeit lohnt. Das Gefühl von Selbstwirksamkeit, das wir mit dem Projekt bei den Schülerinnen und Schülern stärken möchten, ist auch für die Lehrkräfte und Schulsozialarbeiterinnen nicht zu unterschätzen.
Um Belastungen entgegenzuwirken, sind auch kleine organisatorische Dinge hilfreich: beispielsweise das Team, welches das sozialgenial-Projekt plant und organisiert, für die Zeit der Treffen von Vertretungen auszunehmen und es in den Hochphasen, etwa während der Projekttage zu Schuljahresbeginn, stundenweise aus dem Unterricht auszuplanen.

Was wünschen Sie sich von der Politik?

Natürlich wäre es schön und viel einfacher, wenn es in der vorgeschriebenen Stundentafel feste Zeiten für Engagement-Projekte gäbe, vielleicht unter dem weiten Begriff „Demokratie-Lernen“, der Raum für verschiedene Projekte bietet. Das würde uns ersparen, erst Lücken für das Projekt suchen zu müssen. Ich denke, dass es aktuell ein wichtiges Zeichen wäre, zu beschließen, dass Schulen exklusive Zeit für Demokratie-Projekte verschiedener Art bekommen, die durchgeführt werden müssen – nicht wie im Moment „können“, was häufig mit Extra-Einsatz einzelner Kolleginnen oder Kollegen verbunden ist. Mein großer Wunsch ist, die Stundentafel zu modernisieren und flexibler zu gestalten. Natürlich gibt es Lücken und Freiräume, dennoch engen die Vorgaben immer wieder ein und je mehr Themen von Bedeutung anliegen, etwa durch aktuelle Tagespolitik, neue wissenschaftliche Erkenntnisse zum Klimawandel oder den Ausbruch von Kriegen, desto mehr „freie“ Zeit wäre nötig.
Für vieles wäre außerdem ein leichter zugängliches finanzielles Budget hilfreich, ähnlich dem, das es durch das „Aufholen nach Corona“-Paket gab, das die Übernahme von Fahrtkosten, Anschaffungen oder die Durchführung einer Feier am Projektende ermöglichen würde. Es wäre ein Zeichen der Wertschätzung und es würde Schülerinnen und Schülern und Lehrkräften die Suche nach Sponsoren ersparen. Durch einen offiziell größeren Stellenwert von Engagement-Projekten, eine Verankerung in der Stundentafel und mehr Freiheiten im Umgang mit Vorgaben wären solche Projekte einfacher und würden vermutlich häufiger durchgeführt.

Interview: Gudrun Sonnenberg

Der Text ist Teil des Fokus Engagementpolitik: Was geht noch? der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte der Stiftung Aktive Bürgerschaft. Zum Fokus Engagementpolitik: Was geht noch?

„Vorgaben für die Zusammenarbeit mit Gemeinnützigen machen“

1024 609 Stiftung Aktive Bürgerschaft

Theophil Graband, Vorstandsvorsitzender der Bürgerstiftung Nürnberg, würde gerne mehr mit Wissenschaftlern und Studierenden zusammenarbeiten und wünscht sich entsprechende Verpflichtungen für Hochschulen. Denn Non-Profit-Organisationen können mit Auftraggebern aus der Wirtschaft nicht mithalten, sagt er im Interview.

Was macht Ihnen in der Administration der Bürgerstiftung am meisten Arbeit?

Der größte Aufwand ist der Jahresabschluss und die damit verbundene Wirtschaftsprüfung. Weniger Bürokratie an dieser Stelle wäre natürlich schön, aber überbordend schlimm finde ich sie nicht. Ich sehe durchaus ein, dass die Gemeinnützigkeit und die damit verbundene Steuerersparnis für die Bürgerstiftung eine Rechenschaftspflicht mit sich bringt und Prüfung erfordert.

Wie gehen Sie in der Bürgerstiftung mit dieser Art von Belastungen um?

Wir haben verschiedene Strategien. Einerseits haben wir den Jahresabschluss und die Buchhaltung an die deutsche Stiftungstreuhand ausgelagert, so dass wir uns dem Engagement widmen können. Andererseits versuchen wir, unsere Prozesse durch Digitalisierung zu verschlanken. Wir kommunizieren digital über Microsoft Teams, das erspart Zeit. Desgleichen werden Förderanträge an die Bürgerstiftung bei uns online eingereicht. Dann entscheidet über sie demokratisch unser Mitmach-Parlament. Da schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe: Wir realisieren im administrativen Prozess zugleich die Beteiligung unserer Engagierten.

Was wünschen Sie sich von der Politik?

Sie sollte grundsätzlich mehr Engagement ermöglichen. Für uns ist es ein Anliegen, mit Hochschulen zusammenzuarbeiten, insbesondere bei der Entwicklung neuer Engagementkonzepte. Es gibt schon kleine Erfolge, temporär gewinnen wir junge Leute, die bei uns mitmachen. Das könnte man mit Lehrplänen in Bachelor- und Masterstudiengängen verknüpfen und verstetigen. Darüber hinaus ist schwierig, dass wir bei den Hochschulen nicht mit den Budgets anderer Auftraggeber aus Industrie und Wirtschaft mithalten können. Wir wünschen uns, dass die Hochschulen von der Politik Vorgaben bekommen, in einem bestimmten Umfang auch mit Gemeinnützigen zusammenarbeiten zu müssen.

Interview: Gudrun Sonnenberg

Der Beitrag ist Teil des Fokus Engagementpolitik: Was geht noch? der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte der Stiftung Aktive Bürgerschaft. Zum Fokus Engagementpolitik: Was geht noch?

„Mehr Anreize für das Ehrenamt bieten“

1024 683 Stiftung Aktive Bürgerschaft

Stiftungen und andere gemeinnützige Organisationen haben Schwierigkeiten, Mitstreiter im Ehrenamt für ihre Gremien zu finden: Diese Beobachtung macht im Stiftungsmanagement Hans-Dieter Meisberger, bei der DZ PRIVATBANK Abteilungsdirektor und Leiter Stiftungen, Öffentliche Einrichtungen und Non-Profit-Organisationen. Die Politik sollte deshalb mit besseren Angeboten Engagierte stärker motivieren, meint er.

Was macht Ihnen in der Stiftungsbetreuung am meisten Arbeit?

Der Schwerpunkt im Stiftungsmanagement der DZ PRIVATBANK liegt in der Vermögensberatung und in der Konzeption einer für jede einzelnen Stiftung passende Anlagelösung. Viele Stiftungen werden ehrenamtlich geführt und die Verantwortlichen sind in der Regel keine Finanzprofis. Die Stiftungsgremien schätzen unsere Zusammenarbeit und Transparenz, wenn es um die Erstellung einer Anlagerichtlinie oder Konzeption einer Anlagelösung geht. Themen wie „ESG“, „Nachhaltige Kapitalanlagen“, „Risikomanagement“, „Sicherheit“ , „ordentliche Erträge“ bis hin zur Unterstützung in der Dokumentation in der „Rechnungslegung“ sind die alltäglichen Parameter in unserer Stiftungsberatung.

Mit welchen Strategien begegnen Sie den Anforderungen?

Die Strategien sind sehr unterschiedlich und sehr heterogen, daher schauen wir uns die individuellen Bedürfnisse genau an. Die Basis und die Grundlage ist immer eine „Anlagerichtlinie“ der jeweiligen Stiftung. Sobald hierin Klarheit besteht, ist die Anlagestrategie auch zielgerichtet definiert. Nach wie vor erreichen uns Anforderungen von einer konservativen (bis zu 30 Prozent Aktienanteil) bis hin zu einer ausgewogenen Anlagestrategie (max. 50Prozent Aktienanteil). Gerade Stiftungen, die auf „unbestimmte Zeit“ begründet wurden, sind als langfriste Anleger auf der Suche nach einer ausgewogenen Anlagestrategie. Darüber hinaus hat sich in den letzten Jahren das Thema „Nachhaltige Kapitalanlage“ verstärkt. Hier gibt es unterschiedliche Anforderungen, je nach Ursprung der Stiftung. Beispielsweise investieren kirchennahe Stiftungen nach einem anderen Leitfaden als kommunalnahe Stiftungen.

Was wünschen Sie sich von der Politik?

Wir leben in bewegten Zeiten. Von daher wünsche ich mir von der Politik (ob von der Bundesregierung oder der jeweiligen Landesregierungen) eine freundliche und besonnene Herangehensweise im Dritten Sektor zum Wohle der gemeinnützigen Stiftungen. In den letzten Jahren wurde durch unterschiedliche Reformen schon vieles positiv verändert. Die Gremien in den jeweiligen Stiftungen arbeiten aber weitestgehend ehrenamtlich und philanthropisch orientiert. Von daher würde ich mir noch eine weitere Stärkung der ehrenamtlichen Tätigkeiten und damit verbundenen Anreize wünschen. Wir sehen, dass immer mehr Stiftungen (ebenso wie Vereine) Schwierigkeiten haben, engagierte Mitstreiter zu finden, die ehrenamtlich für die gemeinnützige Körperschaft arbeiten möchten. Hier wünsche ich mir von der Politik, dass es mehr Anreize gäbe (zum Beispiel durch Ehrenamtskarten mit Vergünstigungen bei Eintritten in Kultureinrichtungen, Freizeiteinrichtungen, beim Reisen im Nahverkehr etc.). So könnte die Zivilgesellschaft insgesamt gestärkt werden. Zu diskutieren wäre ebenso ein verpflichtendes „Bürgergesellschaftsjahr“ für alle Schulabgänger zwischen 18 und 25 Jahren. Gemeinnützige Körperschaften und Wohlfahrtsverbände würden hiervon ebenso profitieren wie Einrichtungen und Verbände der Länder und des Bundes.

Interview: Gudrun Sonnenberg

Der Beitrag ist Teil des Fokus Engagementpolitik: Was geht noch? der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte der Stiftung Aktive Bürgerschaft. Zum Fokus Engagementpolitik: Was geht noch?

Fokus Mai 2024: Haltung zeigen – Unternehmen und Engagement

1024 683 Stiftung Aktive Bürgerschaft

„Es gibt heute mehr denn je die Notwendigkeit für unternehmerisches Engagement“: Das sagt Marcel Fratzscher, der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), mit Blick auf antidemokratische, rassistische und rechtsextreme Tendenzen. Im Interview mit bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte fordert er: „Mehr Unternehmen sollten hier ihre gesellschaftliche Verantwortung ernst nehmen.“

Zu denen, die ihre gesellschaftliche Verantwortung traditionell ernst nehmen, gehören die Genossenschaftsbanken, in deren Auftrag auch die Stiftung Aktive Bürgerschaft tätig ist. Ein dreistelliger Millionenbetrag geht jedes Jahr aus der Genossenschaftlichen FinanzGruppe an Vereine, in Bildung, Klima- und Umweltschutz, an Kinder und Jugendliche, Familien und ältere Menschen.

Lesen Sie im Fokus „Haltung zeigen – Unternehmen und Engagement“ diese Beiträge:

„Unternehmen müssen für die Demokratie geradestehen“

Mehr Unternehmen sollten Verantwortung übernehmen und sich gesellschaftlich engagieren, fordert Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) im Interview mit bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte. Pflichten wie die nichtmonetäre Berichterstattung seien „gut und schön“, wichtiger aber sei, demokratische Werte zu leben, sagt er.
Zum Interview

Genossenschaftsbanken: Regional engagiert, überregional spezialisiert

Die Mitglieder der Genossenschaftlichen FinanzGruppe – die Volksbanken und Raiffeisenbanken vor Ort und die überregionalen Unternehmen der Gruppe – verfolgen die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen und Klimaschutz in ihrer Unternehmenstätigkeit, aber auch in ihrem gesellschaftlichen Engagement.
Zum Beitrag

„Wir halten uns im Hintergrund“

Bildung und zukunftsträchtige Projekte zu fördern, das erledigen genossenschaftlich verfasste Unternehmen oft ohne großes Aufhebens. Wenn es allerdings darum geht, Haltung gegenüber antidemokratischen Tendenzen zu zeigen, wird man auch mal lauter. Wo überregionale Unternehmen der Genossenschaftlichen FinanzGruppe ihre gesellschaftliche Verantwortung sehen und wie sie ihr Engagement gestalten, zeigen drei Beispiele.
Zum Beitrag

Mehr zum Thema:

Die Stiftung Aktive Bürgerschaft arbeitet mit den Genossenschaftsbanken zusammen: Mit dem sozialgenial hilft-Förderfonds der Aktiven Bürgerschaft unterstützen Volksbanken Raiffeisenbanken Schulen in ihrem Geschäftsgebiet. Mit Stiftungsfonds unter dem Dach der Aktiven Bürgerschaft unterstützen sie Bürgerstiftungen.
Mehr zur Zusammenarbeit
Mehr zu sozialgenial hilft-Förderfonds
Mehr zu Stiftungsfonds bei der Aktiven Bürgerschaft

Der Urgedanke: Kurz nach der Jahrtausendwende, im Jahr 2002, rief der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) seine Mitglieder auf, die Gründung von Bürgerstiftungen zu initiieren, um nachhaltiges Engagement für die Region zu sichern. Haben sich die Erwartungen erfüllt? Nachfragen in Halle, Schwäbisch Hall und Waltrop.
Zur Story im bürgerAktiv Magazin 2022

„Unternehmen müssen für die Demokratie geradestehen“

1024 682 Stiftung Aktive Bürgerschaft

Mehr Unternehmen sollten Verantwortung übernehmen und sich gesellschaftlich engagieren, fordert Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), im Interview mit bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte. Pflichten wie die nichtmonetäre Berichterstattung seien „gut und schön“, wichtiger aber sei, demokratische Werte zu leben, sagt er.

Herr Fratzscher, was bringt es, wenn sich Unternehmen in Anzeigenkampagnen für die Demokratie in Deutschland stark machen?

Es bringt eine Menge. Unternehmen haben eine positive Reputation. Kundinnen und Kunden kaufen gerne bei ihnen ein oder legen ihr Geld bei einer Bank an, der sie vertrauen. Es ist wichtig, dass Unternehmen dieses Vertrauen nutzen, um Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen. Denn wenn wir keine Demokratie mehr haben, wird es viele Unternehmen und Arbeitsplätze nicht mehr geben, wir verlieren Wohlstand, Grundrechte und Meinungsfreiheit. Es gehört zur Aufgabe von Unternehmen, sich für die Dinge einzusetzen, die das Unternehmertum und die Unternehmen erst möglich machen.

Beobachten Sie Veränderungen beim gesellschaftlichen Engagement von Unternehmen?

Ich glaube nicht, dass die Unternehmen heute weniger aktiv sind als vor 20 oder 40 Jahren. Aber es gibt heute mehr denn je die Notwendigkeit für unternehmerisches Engagement. Die Demokratie ist gefährdet durch wachsenden Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus, durch gesellschaftliche Konflikte, soziale Spaltung und die großen Herausforderungen unserer Zeit. Deshalb würde ich mir wünschen, dass die Unternehmen hier einen Kurswechsel vornehmen, dass sie diese Verantwortung ernster nehmen und aktiver werden, als es bisher der Fall ist. Manche Unternehmen tun das, aber es sollten mehr sein.

Was für Aktivitäten stellen Sie sich vor?

Nehmen wir Fremdenfeindlichkeit und Rassismus: Ich hätte mir in den letzten ein bis zwei Jahren gewünscht, dass mehr Vorstände oder Vorstandsvorsitzende von Unternehmen an die Öffentlichkeit, aber auch auf ihre Beschäftigten zugehen und sagen: Wir müssen für bestimmte Werte in unserer Demokratie geradestehen. Respekt, Toleranz, Anerkennung, Schutz von Minderheiten sind nicht verhandelbar. Es geht dabei nicht um die AfD, sondern die Werte und Prinzipien, die für uns als Gesellschaft essenziell sind. Es gibt tolle Beispiele für Unternehmen, die dafür geradestehen und bei denen die Vorstandsvorsitzenden genau das tun. So eine Haltung und deutliche Kommunikation hätte ich mir aber von so ziemlich jedem Vorstand und jeder Unternehmensleitung gewünscht.

„Mit bürokratischen Hürden schaffen Sie keinen Mentalitätswandel“


Können die ESG-Kriterien – Umwelt, Soziales, Unternehmensführung – etwas in Ihrem Sinne bewirken?

Die meisten Unternehmen schimpfen über die ESG als Bürokratiemonster und über den Aufwand, das alles einzuführen. Mit bürokratischen Hürden und Papierkram schaffen Sie keinen Mentalitätswandel und kein Problembewusstsein bei Unternehmen und ihren Beschäftigten. Dazu braucht es mehr, als dass Unternehmen in ihrem tagtäglichen Verhalten sich gewisse Kriterien oder gewisse Grundlagen bewusst machen: Es braucht eine Kommunikation in die Gesellschaft wie auch in das eigene Unternehmen hinein. Das geht viel weiter als die ESG-Grundlinien. Es ist gut und schön, sich Regeln zu geben, aber wichtiger ist, Werte zu leben und für sie geradezustehen.

Wenn sich ein Unternehmen zum Beispiel dafür engagiert, dass Geflüchtete einen Ausbildungsplatz bekommen oder wenn es die Trikots für die Fußballmannschaft im Flüchtlingsheim spendet: Ist das sinnvoll oder eher albern?

Das würde ich für sinnvoll halten. Es steht in keiner ESG-Grundlinie, dass sie irgendwelche Trikots spenden müssen, sondern es sind eben diese Dinge, die ein Unternehmen macht, weil es davon überzeugt ist. Das meine ich damit, Werte zu leben. So etwas kann man nicht per Gesetz verordnen und auch nicht nur top-down verordnen. Es ist vielmehr die Aufgabe der Unternehmensführung, Dialoge anzustoßen und auch die eigenen Beschäftigten zu motivieren, aktiv zu werden, ihre Stimme zu erheben, sich einzubringen, Verantwortung zu übernehmen.

Bewirkt die nichtmonetäre Berichterstattung über die Nachhaltigkeit denn aus Ihrer Sicht nur Bürokratie oder ist da auch was Sinnvolles dran?

Ich würde mir mehr Realitätsnähe wünschen und ein besseres Verhältnis zwischen Aufwand und Nutzen. Prinzipiell finde ich eine Pflicht, sich über zentrale gesellschaftliche Anliegen ein Bewusstsein zu verschaffen, sinnvoll. Die Frage ist: Schimpfen die Leute nur über die Bürokratie, die damit verbunden ist, oder bekommen sie auch Denkanstöße?

Und letzteres ist nicht der Fall?

Wir haben im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) auch viele Berichtspflichten, auch wenn wir kein privates Unternehmen sind, sondern gemeinnützig. Natürlich fragen auch wir tagtäglich, ob das so sinnvoll ist. Andererseits ist das auch immer Benchmarking. Wir haben als DIW den Anspruch, führend zu sein, wollen progressiv sein und Dinge verbessern. So gesehen finde ich zwar manche Berichtspflichten ziemlich lästig und zu zeitintensiv. Aber andere sind gut, um zu sehen, wo wir stehen.

Interview: Gudrun Sonnenberg

Prof. Marcel Fratzscher, Ph. D., ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und Professor für Makroökonomie an der Humboldt Universität zu Berlin. Er ist unter anderem auch Mitglied des High-Level Advisory Board der Vereinten Nationen zu den Nachhaltigen Entwicklungszielen (SDGs) und Mitglied des Beirats des Bundeswirtschaftsministeriums. Foto: DIW Berlin/B. Dietl

Zur Seite von Marcel Fratzscher beim DIW

Der Beitrag ist Teil des Fokus Haltung zeigen – Unternehmen und Engagement der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte der Stiftung Aktive Bürgerschaft. Zum Fokus Haltung zeigen – Unternehmen und Engagement

Genossenschaftsbanken: Regional engagiert, überregional spezialisiert

150 150 Stiftung Aktive Bürgerschaft

Die Mitglieder der Genossenschaftlichen FinanzGruppe – die Volksbanken und Raiffeisenbanken vor Ort und die überregionalen Unternehmen der Gruppe – verfolgen die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen und Klimaschutz in ihrer Unternehmenstätigkeit, aber auch in ihrem gesellschaftlichen Engagement.

„Langfristige Auswirkungen seines Handelns bedenken, unternehmerische Verantwortung übernehmen und so zukünftige Leistungsfähigkeit sicherstellen“, so beschreibt beispielsweise die Zentralbank der Genossenschaftlichen FinanzGruppe, die DZ BANK, ihren Ansatz.

Regionales Engagement

Die rund 700 Volksbanken und Raiffeisenbanken in Deutschland arbeiten vor Ort und entsprechend ist auch ihr gesellschaftliches Engagement regional ausgerichtet: Sie fördern Sportvereine und Bildungsinitiativen, Schulen, Kindertagesstätten und Kirchengemeinden in ihrer Region, ihre Zielgruppen sind Kinder und Jugendliche, ältere Menschen, Familien und Lebensgemeinschaften. Wichtige Themenfelder sind Sport und Erholung, aber auch Kunst und Kultur, Soziales und Integration sowie Bildung und Forschung. 257 Genossenschaftsbanken engagieren sich bei 369 der 426 Bürgerstiftungen.

Stiftungen für die Umsetzung

Viele Genossenschaftsbanken haben Stiftungen errichtet, um ihre Engagementziele jenseits ihres Geschäftsbetriebs umzusetzen. Der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR), der jährlich einen Bericht über das gesellschaftliche Engagement der Genossenschaftlichen FinanzGruppe vorlegt, bezifferte im letzten Bericht vom September 2023 das Stiftungskapital in der Genossenschaftlichen FinanzGruppe für 2022 auf 380 Millionen Euro. Zusammen mit Spenden und Sponsorings unterstützen die Genossenschaftsbanken gesellschaftliches Engagement in Deutschland mit insgesamt 171 Millionen Euro. Davon kamen 95,2 Millionen Euro aus dem genossenschaftlichen Gewinnsparen.

Überregional thematische Schwerpunkte

Die überregional tätigen Unternehmen in der Genossenschaftlichen FinanzGruppe nutzen ihre Stiftungen teilweise, um bestimmte Themen voranzutreiben. So hat die DZ BANK ihre DZ BANK Stiftung errichtet, um mit einem sechsstelligen jährlichen Betrag Wissenschaft und Forschung im Finanz- und Genossenschaftswesen zu fördern. Die Teambank, die auf Konsumfinanzierung spezialisiert ist („easyCredit“), errichtete 2007 die operativ tätige Stiftung Deutschland im Plus, deren Zweck die Prävention vor Überschuldung von Privatpersonen ist. Die Stiftung der R+V Versicherung fokussiert auf Jugend und Bildung sowie auf die Förderung bürgerschaftlichen Engagements, und die Bausparkasse Schwäbisch Hall gibt mit ihrer Stiftung Impulse für wohnungspolitische Diskussionen.

Zum Engagementbericht

Der Beitrag ist Teil des Fokus Haltung zeigen – Unternehmen und Engagement der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte der Stiftung Aktive Bürgerschaft. Zum Fokus Haltung zeigen – Unternehmen und Engagement