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Gudrun Sonnenberg

Fokus Januar 2024: Service Learning – Wie sollen Schüler heute lernen und was?

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Große Leistungsunterschiede, abgehängte Schülerinnen und Schüler, elternhausabhängige Erfolge: Die Bildung in Deutschland kommt aus ihrer Schieflage nicht heraus. Die jüngste PISA-Studie, im Dezember 2023 veröffentlicht, hat das erneut bestätigt. Für bessere Lernerfolge braucht es jedoch nicht nur mehr Ressourcen, sondern auch andere Konzepte. Service Learning verbindet Bildungs- und Demokratieförderung und gibt Antwort auf die Frage, wie eine zukunftsfähige Bildung aussehen kann. Im Programm sozialgenial der Stiftung Aktive Bürgerschaft erproben bereits mehr als 1000 Schulen Service Learning in der Praxis. Im Fokus berichten Praktiker aus den Projekten, wie Service Learning wirkt, wie es funktioniert und wie es noch mehr bringen könnte.

Lesen Sie dazu diese Fokusbeiträge:

Drei Schulen, drei Fächer, eine Methode

In Service-Learning-Projekten engagieren sich Schülerinnen und Schüler für die Gemeinschaft und wenden dabei an, was sie im Fachunterricht der Schule gelernt haben. Drei Beispiele zeigen, wie das praktisch umgesetzt wird und wie die Projekte in den Schulalltag eingebunden werden können.
WWW.AKTIVE-BUERGERSCHAFT.DE/DREI-SCHULEN-DREI-FAECHER-EINE-METHODE/

„Mehr eigene Projekte, mehr Selbstwirksamkeit, andere Erfahrungen“

Lehrkräfte und Schulsozialarbeiterinnen, die sozialgenial-Projekte umsetzen, erleben motiviertere Schülerinnen und Schüler, die von Selbstwirksamkeit profitieren und Erfahrungen machen, die der normale Unterricht nicht ermöglicht. Doch das bestehende System der Wissensvermittlung lässt wenig Freiheit für solche Projekte. Drei Lehrkräfte und Sozialarbeiterinnen berichten, wo sie den Raum für sozialgenial finden und warum sich das für sie lohnt.
WWW.AKTIVE-BUERGERSCHAFT.DE/MEHR-EIGENE-PROJEKTE-MEHR-SELBSTWIRKSAMKEIT-ANDERE-ERFAHRUNGEN/

„Wir prüfen zu viel“

Die PISA-Studie förderte Ende 2023 bedrückend schlechte Leistungen der deutschen Schülerinnen und Schüler sowie große Unterschiede zutage. Birgit Wenninghoff, Leiterin der Mathilde Anneke Gesamtschule in Münster, wünscht sich flexiblere Prüfungskonzepte und mehr Zeit für individuellen Unterricht und neue Formate.

www.aktive-buergerschaft.de/wir-pruefen-zu-viel

Auszubildende mit Teamfähigkeit und Sozialkompetenz gesucht – und bei sozialgenial gefunden

Technik verstehen, gut kommunizieren und einsatzbereit sein: Das ist eine dringend gesuchte Kombination bei der „Auf den Punkt Veranstaltungstechnik GmbH“ in Soest. Umso erfreuter war Geschäftsführer Hubertus Neuhaus, als ihn im März 2023 bei einer sozialgenial-Veranstaltung ein junger Mann ansprach und sein Interesse an einem Ausbildungsplatz als Veranstaltungstechniker bekundete.
www.aktive-buergerschaft.de/auszubildende-mit-teamfaehigkeit-und-sozialkompetenz-gesucht-und-bei-sozialgenial-gefunden/

Mehr zum Thema

Alles über sozialgenial:
www.sozialgenial.de
sozialgenial-Projektbeispiele und Zahlen:
www.sozialgenial.de/praxisbeispiele
Geschichten aus den Projekten, Erfahrungen, Hintergrund zum Programm: bürgerAktiv Magazin 2023/24 der Stiftung Aktive Bürgerschaft
www.aktive-buergerschaft.de/wp-content/uploads/2023/09/buergerAktivMagazin2023.pdf

 

Drei Schulen, drei Fächer, eine Methode

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Service Learning verbindet Bildung mit Engagement: Schülerinnen und Schüler engagieren sich für die Gemeinschaft und wenden dabei an, was sie im Fachunterricht der Schule gelernt haben. Drei Beispiele zeigen, wie es geht und wie die Projekte in den Schulunterricht eingebunden werden können.

„Die Welt belohnt uns nicht mehr allein für das, was wir wissen – Google weiß ja schon alles –, sondern für das, was wir mit dem, was wir wissen, tun können.“ So beschreibt Andreas Schleicher, Bildungsdirektor bei der OECD und „Vater der PISA-Studie“ die Herausforderung zu entscheiden, was und wie junge Menschen heute lernen müssen. Nur wer gelernt hat, sein Wissen in unterschiedlichen Situationen zur Problemlösung anzuwenden, wer weiß, dass er sein Lebensumfeld mitgestalten kann und wer Verständnis und Empathie für seine Mitmenschen und ihre individuellen Lebensweisen entwickelt, kann gute Lösungen für die komplexen Probleme unserer Zeit finden.

Service Learning ist ein didaktisches Konzept, das Bildungs- und Demokratieförderung verbindet und eine Antwort sein kann auf die Frage, wie eine zukunftsfähige Bildung aussehen kann.

Was kannst du gut, was anderen nützt? Unter diesem Motto entwickeln Schülerinnen und Schüler im Unterricht Engagementprojekte, die eng mit Inhalten aus dem Lehrplan verknüpft sind. Sie engagieren sich in sozialen Einrichtungen, für Klimaschutz und Demokratie, für Integration und vieles mehr. Dabei arbeiten sie mit außerschulischen Partnern wie Vereinen, Stadtteilinitiativen oder gemeinnützigen Organisationen zusammen, können fachliches Wissen aus dem Unterricht in der Praxis anwenden, um an der Lösung realer gesellschaftlicher Probleme mitzuwirken, und stärken Schlüsselkompetenzen wie Kommunikations- und Teamfähigkeit, kritisches Denken und soziales Verantwortungsbewusstsein.

Service-Learning-Projekte dienen zum einen dazu, Lernziele zu erreichen und die fachlichen, sozialen und persönlichen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler zu fördern. Sie lernen hier praxisnah und anwendungsorientiert und können einen konkreten Bezug der schulischen Inhalte zu ihrer eigenen Lebenswelt herstellen.

Zum anderen werden junge Menschen schon früh in ihrem Leben ermutigt, sich für ihr unmittelbares Lebensumfeld zu engagieren, sich mit realen gesellschaftlichen Problemen zu beschäftigen und an ihrer Lösung mitzuwirken und Verantwortung für sich und andere zu übernehmen. Die Frage „Was kannst du gut?“ zielt darauf ab, sich ihre individuellen Stärken, Interessen und Neigungen bewusst zu machen und diese in die Projekte einzubringen. So erleben sie ganz direkt, dass sie mit ihren Kompetenzen einen wirkungsvollen Beitrag in der Gesellschaft leisten können.

Mit ihrem Programm sozialgenial fördert die Stiftung Aktive Bürgerschaft Service Learning an Schulen, damit junge Menschen fürs Leben lernen und frühzeitig und herkunftsunabhängig an ehrenamtliches Engagement herangeführt werden. Wie Lehrkräfte und Schulsozialarbeiter ihren Unterricht mit Service Learning gestalten und was die Schülerinnen und Schüler in ihren Projekten lernen, zeigen Beispiele aus drei sozialgenial-Mitgliedschulen.

 

Religion: Lebenserfahrung im „Café Kränzchen“

Ein Café – ausgerechnet auf einem Friedhof? Gerade da, denn ein Friedhof sollte kein trauriger Ort sein, so dachten Schülerinnen und Schüler der Hannah-Arendt-Gesamtschule in Soest. Ihre Idee im Religionsunterricht: einen Raum für Begegnungen und Gespräche zu schaffen, ein Café auf dem Osthofenfriedhof.

Die Idee der Schüler passte wunderbar zu den Plänen der Soesterin Martina Brennecke, die ein Friedhofscafé eröffnen wollte. Das „Café Kränzchen“ ist ihr Projekt, und sie kann dabei auf die Mithilfe der Jugendlichen zählen.

Über die Stadt Soest kam der Kontakt zwischen ihr und den Schülern zustande, die Eröffnung des Café Kränzchen im April 2022 wurde von den Schülern tatkräftig unterstützt. Sie machten mit selbst entworfenen Flyern Werbung, besorgten Blumen für die Tischdeko und schenkten Café aus, vor allem aber schafften sie eine Gelegenheit für Gespräche mit den Besucherinnen und Besuchern des Friedhofs. Beide Seiten profitieren, findet Nils, einer der Schüler: „Die älteren Leute erzählen viel aus ihrem Leben, das höre ich mir gerne an, denn von ihren Erfahrungen können wir Jungen profitieren. Im Gegenzug können wir ihnen aber auch mit unserer Erfahrung zum Beispiel im Umgang mit Handys helfen.“

Alle zwei Wochen hat das Café nun mittwochs von 15 bis 17 Uhr geöffnet. „Durch die Kontakte mit den älteren Menschen lernen wir unfassbar viel fürs Leben“, berichtet die Schülerin Lucy. „Wir kommen mit den unterschiedlichsten Menschen ins Gespräch, die wir in der Schule nie treffen würden. Man lernt dabei super viel über den Umgang miteinander: Wertschätzendes Verhalten, ohne Vorbehalte jemandem gegenübertreten und dass Äußerlichkeiten nicht immer alles sind.“

Das Projekt geht weiter, für einen reibungslosen Übergang an den nachfolgenden Jahrgang ist gesorgt: Die Schule hat den Religionsunterricht mittwochs in die Randstunden gelegt. Jetzt liegen der Religionsunterricht und die Café-Öffnungszeiten parallel und die Schüler sind alle zwei Wochen statt in der Schule im Café.

 

BWL: „Rheine Rockt“ – ein Festival organisieren

„Rheine Rockt“ ist ein eintägiges Musikfestival, umsonst und draußen, mit lokalen Newcomer-Bands und seit der Erstausgabe 2016 aus dem lokalen Veranstaltungskalender nicht mehr wegzudenken. Wer hat’s erfunden? Schülerinnen und Schüler der Kaufmännischen Schulen Rheine.

„Think big!“ war die Ansage von Lehrer Claus Schrichten, als er vor einigen Jahren vor seinen Schülerinnen und Schülern stand und die Marschrichtung für das Schuljahr vorgab. Projekte sollten sie sich überlegen, in denen sie sich sozial engagieren konnten. Einige Schülerinnen hatten daraufhin die Idee, ein Rockfestival zu veranstalten, um Spenden für soziale Zwecke zu generieren. „Rheine Rockt“ war geboren. Es war gleich in der Erstausgabe ein Erfolg und wird seitdem in jedem Jahr im SozialGenial-Kurs am Beruflichen Gymnasium der Kaufmännischen Schulen Rheine organisiert. In dem Wahlpflichtkurs können und sollen die Schülerinnen und Schüler sich für andere engagieren und dabei ihr BWL-Wissen speziell zum Projektmanagement anwenden. Inzwischen ist der Kurs so beliebt, dass unter den Interessenten ausgelost werden muss, wer teilnehmen darf.

Bei der Organisation von „Rheine Rockt“ können die Schülerinnen und Schüler ihre fachlichen Kompetenzen aus den Fächern BWL, Mathematik und Deutsch in der Praxis anwenden. Der Aufgabenkatalog, den sie abarbeiten, steht dem eines professionellen Veranstalters in nichts nach: Sie kalkulieren Budgets und Preise, treffen Absprachen mit der Stadt, werben Sponsorengelder ein, verhandeln Angebote und beauftragen Dienstleister für Bühne, Licht und Ton, Sanitäranlagen, Sicherheit und Ordnung, buchen die Bands, machen Pressearbeit und Werbung, koordinieren die Abläufe am Tag der Veranstaltung.

Zum Schluss wird abgerechnet und dann bleibt – wenn die Kalkulation aufgegangen ist – ein ordentlicher Gewinn aus dem Getränkeverkauf übrig. 2023 konnten die Schülerinnen und Schüler 2500 Euro an roterkeil.net spenden, eine regionale Institution, die sich gegen Kindesmissbrauch und Kinderprostitution einsetzt. Ebenso besteht eine Kooperation mit dem Kinderschutzbund Rheine e.V., der über das Thema „Gewalt gegen Kinder“ vor Ort in der Schule aufklärt.

2023 konnte erstmals eine Betroffene gewonnen werden, die bei dem von den Schülerinnen und Schülern organisierten Event live auf der Bühne über ihre Erlebnisse sprach. Der Auftritt bewirkte, dass sich drei weitere Betroffene aus der Zuschauerschaft meldeten und über „Rheine Rockt“ Erstkontakt zu den benannten Hilfsorganisationen aufbauten. Die Betroffene informierte im Nachgang auch in der Schule über die schwerwiegenden Folgen von sexualisierter Gewalt gegen Kinder.

Die Planungen für „Rheine Rockt“ 2024 laufen bereits auf Hochtouren.

 

Wahlpflicht: Belastungen erkennen und bewältigen

Die Corona-Pandemie war eine anstrengende Zeit und hat besonders bei Kindern und Jugendlichen Spuren hinterlassen. Schülerinnen und Schüler der Jahrgänge 9 und 10 der Heinrich-Heine-Gesamtschule Dreieich (Hessen) wollten in ihrem sozialgenial-Projekt herausfinden, wie ihre Mitschüler diese Zeit erlebt haben, was sie besonders belastet hat und wie sie mit den Belastungen umgegangen sind. Ebenso wichtig war ihnen, mehr Verständnis und Empathie seitens der Lehrkräfte zu gewinnen.

Angesiedelt war das Projekt im Wahlpflichtkurs „Service Learning – Lernen durch Engagement“, in dem sich die Schüler mit Problemen und Herausforderungen in ihrem Umfeld beschäftigen und sich für Verbesserungen einsetzen. Neben der Engagementerfahrung soll der Kurs soziale und methodische Kompetenzen vermitteln.

Die Kursteilnehmer entwickelten einen passgenauen Fragebogen, um zu erfahren, welche Probleme ihren Mitschülerinnen und Mitschülern auf dem Herzen lagen. Um Schulöffentlichkeit herzustellen, konnten sie zudem bei der Aktion „Briefewand“ ihre persönlichen Geschichten anonym einreichen. Die Beiträge wurden thematisch sortiert ausgestellt: So erkannten die Schülerinnen und Schüler, dass sie nicht allein waren mit ihrem Kummer, zudem wurden Lösungsstrategien gezeigt und über Hilfsangebote und Ansprechpartner informiert.

Das Projekt endete mit einem Aktionstag, an dem vier Workshops zu den Themen „Umgang mit Traumata“, „Prüfungsangst“, „Stressmanagement“ und „Gesund und fit durch den Schulalltag“ angeboten wurden.

Die engagierten Schülerinnen und Schüler erfuhren auch durch das Feedback der Schulgemeinde, dass sie etwas bewegen konnten: „Sie übernehmen Verantwortung, sehen, was für eine Wirkung sie haben in der Gesellschaft, das ist eine ganz wichtige Erfahrung“, bilanzierte Kursleiterin und Schulsozialarbeiterin Nicole Bondaug.

Weil die Schülerinnen und Schüler mit ihrem Projekt einen Nerv getroffen hatten, führten sie die Workshops zu Stressmanagement und Prüfungsangst im folgenden Schuljahr gleich noch einmal durch.

Sonja Beckmann, Caroline Deilmann, Stiftung Aktive Bürgerschaft

 

„Mehr eigene Projekte, mehr Selbstwirksamkeit, andere Erfahrungen“

1024 430 Stiftung Aktive Bürgerschaft

Lehrkräfte und Schulsozialarbeiterinnen, die sozialgenial-Projekte umsetzen, erleben motiviertere Schülerinnen und Schüler, die von Selbstwirksamkeit profitieren und Erfahrungen machen, die der normale Unterricht nicht ermöglicht. Doch das bestehende System der Wissensvermittlung lässt wenig Freiheit für solche Projekte. Drei Lehrkräfte und Sozialarbeiterinnen berichten, wo sie den Raum für sozialgenial finden und warum sich das für sie lohnt.

 

„Wegkommen von starren Lehrplänen“

Eike Garlichs ist Lehrer für Wirtschaftswissenschaften und Sport an den Kaufmännischen Schulen Rheine. Mit seinem Kollegen Claus Schrichten leitet er die zwei sozialgenial-Kurse am Beruflichen Gymnasium.

Was ist für Sie das Besondere am Service Learning, wo liegt für Sie der Mehrwert gegenüber anderen Unterrichtskonzepten?

Der größte Mehrwert besteht darin, dass die Schülerinnen und Schüler Projekte umsetzen können, die sie wirklich interessieren – irrelevant, ob es aktuell im Lehrplan steht oder nicht. Dadurch sind sie intrinsisch motiviert. Das geht über den normalen Fachunterricht hinaus und führt dazu, dass sie sich sozial engagieren und etwas für sich und die Gesellschaft tun.

Sie nutzen den Wahlpflichtbereich, um Service Learning umzusetzen. Was hindert Sie daran, Service Learning direkt im Fachunterricht umzusetzen?

An unserer Schule werden im Wahlpflichtbereich für die Engagementprojekte keine Noten vergeben. Die Schülerinnen und Schüler wissen: Das ist etwas für mich selbst und die Gesellschaft. Ich gestalte das Projekt so, wie ich es gern möchte. Das ist ein ganz entscheidender Punkt und deshalb finde ich es sinnvoll, Service Learning im Wahlpflichtbereich anzubieten. Der Fachunterricht hingegen ist zeitlich sehr eng getaktet, sodass sozialgenial nicht ausreichend Raum gegeben werden könnte.

Wie müsste sich Schule verändern, damit Service Learning zur Selbstverständlichkeit wird?

Eine Idee könnte sein, das starre Festhalten an Lehr- und Stundenplänen ein wenig zu lockern. Es wäre zu visionär und revolutionär gedacht, dieses in seiner Gesamtheit ganz aufzulösen, aber wenn die Schülerinnen und Schüler beispielsweise einen Tag in der Woche hätten, an dem sie Projekte umsetzten könnten, zu denen sie Lust haben – mit leichten Impulsen von uns Lehrkräften in Richtung Service Learning –, könnte ich mir vorstellen, dass es selbstverständlicher wird. Unsere Schule macht da schon viel und unsere Schülerinnen und Schüler sind sehr aktiv. Daher sind soziale Projekte im Leitbild unserer Schule als Beispiel für soziales Handeln verankert und viele Lehrkräfte unterstützen das.

 

„Das Beste ist, dass alle profitieren“

Nicole Bondaug ist Schulsozialarbeiterin an der Heinrich-Heine-Gesamtschule in Dreieich-Sprendlingen in Hessen. Zusätzlich unterrichtet sie den Kurs „Service Learning – Lernen durch Engagement“.

Was ist für Sie das Besondere am Service Learning, wo liegt für Sie der Mehrwert gegenüber anderen Unterrichtskonzepten?

Für mich ist das Beste am Service Learning, dass alle davon profitieren: Schülerinnen, Schüler und auch die außerschulischen Partner, für die die Projekte gemacht sind. Es ist eine Bereicherung für alle. Sich zu engagieren macht selbstsicher: Die Schülerinnen und Schüler lernen sich sehr gut kennen und bewältigen Herausforderungen, die sie im schulischen Alltag nicht haben. Natürlich sind gute Noten auch ein Lob und eine Anerkennung für das Lernen, aber beim Service Learning geht es um die menschliche Ebene, das konkrete Feedback, etwas Sinnvolles für die Gesellschaft zu tun und wertgeschätzt zu werden, das ist was ganz anderes. Die außerschulischen Partner profitieren von sozialgenial, weil die Schülerinnen und Schüler Themen recherchieren, für die es einen Bedarf gibt. Deshalb freuen sie sich über das Engagement. Auch die Schulleitung findet das toll, weil es den Ruf der Schule noch mal verbessert.

Sie nutzen den Wahlpflichtbereich, um Service Learning umzusetzen. Was hindert Sie daran, Service Learning direkt im Fachunterricht umzusetzen?

Mich persönlich hindert mein Beruf daran, ich bin Sozialpädagogin. Für mich ist Service Learning ideal, denn es vereint soziale Arbeit und Beziehungsarbeit. Es gibt aber auch Kollegen, die das im Fachunterricht machen, zum Beispiel im Religionsunterricht. Die Frage ist, ob der Lehrplan da noch Raum lässt.

Wie müsste sich Schule verändern, damit Service Learning zur Selbstverständlichkeit wird?

Es müsste weniger um Wissensvermittlung, sondern eher um Erfahrungslernen und Selbstwirksamkeit gehen, das sollte eine viel größere Rolle spielen im schulischen Konzept. Reformen sind nötig, die Digitalisierung und die aktuellen Entwicklungen in der Welt stellen gewaltige Herausforderungen dar, für die wir andere Konzepte brauchen. Es wäre wichtig, dass mehr Wert auf Demokratiebildung gelegt wird und dass mehr Schülerinnen und Schüler Erfahrungen im bürgerschaftlichen Engagement sammeln.

 

„Den Stundenplan entsprechend gestalten“

Sarah Menne unterrichtet Englisch und evangelische Religionslehre an der Hannah-Arendt-Gesamtschule in Soest. Ihre Schülerinnen und Schüler engagieren sich direkt aus dem Fachunterricht heraus.

Was ist für Sie das Besondere am Service Learning, wo liegt für Sie der Mehrwert gegenüber anderen Unterrichtskonzepten?

Die Hannah-Arendt-Gesamtschule Soest setzt auf Projektarbeit. In sozialgenial-Projekten können die Schülerinnen und Schüler theoretisch erworbene Fähigkeiten lebensnah umsetzen. So gewinnt das Erlernte Bedeutung für die eigene Lebenswelt. Zu einer reformpädagogisch orientierten Gesamtschule zählt das Lernen mit Kopf, Herz und Hand. Diesen Leitsatz unterstützt Service Learning auf ganzer Linie. In einem Verbund engagierter Kolleginnen und Kollegen führen wir bei sozialgenial die Schülerinnen und Schüler herkunftsunabhängig an soziales Engagement heran und begleiten sie dabei.

Sie setzen Service Learning im Fachunterricht um, wie gelingt es Ihnen, die dafür nötigen zeitlichen Freiräume zu finden?

Möglich ist dies durch die Unterstützung derer, die den Stundenplan gestalten: Mein Kurs, der evangelische Religionsunterricht, findet nachmittags statt, sodass sich die Schülerinnen und Schüler in der Unterrichtszeit bei außerschulischen Partnern wie dem Café Kränzchen engagieren können. Hervorheben möchte ich die Unterstützung der Schulleitung, die die Lernenden und Fachlehrerinnen produktiv und aufrichtig bei den organisatorischen Herausforderungen berät.

Wie müsste sich Schule verändern, damit Service Learning zur Selbstverständlichkeit wird?

Das System Schule sollte Schülerinnen und Schüler bestmöglich dabei unterstützen, autonom ihre Wege zu gehen. Aber nicht nur das Verfolgen eigener (schulischer) Ziele sollte Berücksichtigung finden, sondern auch das Wahrnehmen sozialer Pflichten – und das so früh wie möglich. Ich bin sehr dankbar und stolz, dass unserer Schulgemeinschaft dies gelingt, indem durch das Service Learning im Fachunterricht Projekten wie dem Café Kränzchen in Soest Raum und Zeit gegeben wird.

Interviews: Sonja Beckmann, Stiftung Aktive Bürgerschaft

„Wir prüfen zu viel“

1024 847 Stiftung Aktive Bürgerschaft

Die Pisa-Studie förderte Ende 2023 bedrückend schlechte Leistungen der deutschen Schülerinnen und Schüler sowie große Unterschiede zutage. Birgit Wenninghoff, Leiterin der Mathilde Anneke Gesamtschule in Münster, wünscht sich flexiblere Prüfungskonzepte und mehr Zeit für individuellen Unterricht und neue Formate.

Finden Sie Ihre Schule in den schlechten Pisa-Ergebnissen wieder?

Die PISA-Ergebnisse haben mich nicht überrascht. Aus meiner Sicht sind diese Entwicklungen eine Folge der Selektion in unserem Schulsystem, das die Schülerinnen und Schüler nach der Grundschule in unterschiedliche Schultypen sortiert. Wenn etwa Schülerinnen und Schüler mit Sprachschwierigkeiten unter sich bleiben, kommen sie natürlich nicht so gut weiter. Bei uns auf der Gesamtschule können alle Schüler gemeinsam lernen und profitieren voneinander.

Woran liegen die Mängel? Zu wenig Ressourcen, falsch qualifizierte Lehrkräfte, fehlende Konzepte?

Neben mehr gut qualifiziertem Personal fehlen uns vor allem Freiräume. Das Problem ist unsere Prüfungskultur! Wir prüfen zu viel. Vor allem in der Oberstufe, in der alles auf das Abitur hinausläuft. Es bleibt keine Zeit, um das zu tun, worauf es ankommt, nämlich individuelle Rückstände aufzuholen. Wenn jemand in Englisch eine Fünf schreibt, arbeite ich doch sinnvollerweise mit diesem Schüler den Lernstoff nach, anstatt ihn mitsamt seinen Lücken in die nächste Prüfung zu schicken. Aber für solche auf die Individuen bezogenen Ansätze ist wenig Raum.

Wie geht es besser?

Wir müssen uns fragen, ob unsere Konzepte noch zeitgemäß sind. Wir brauchen alternative Formate und müssen kreativer und problemlösungsorientierter arbeiten. Die OECD hat für zukunftsfähige Bildung vier Kompetenzen definiert, die Schülerinnen und Schüler erwerben sollten: Kreativität, Kommunikationsfähigkeit, Teamfähigkeit und Kritisches Denken. Diese Ziele werden bei uns im Service Learning adressiert. Die Kinder engagieren sich in sozialgenial-Projekten in der 7. und in der 11. Jahrgangsstufe. Sie müssen mit Einrichtungen außerhalb der Schule kommunizieren, müssen Entscheidungen treffen und machen viele neue Erfahrungen. Sie erleben, dass es Spaß macht, sich für andere einzusetzen.

Welche Rolle kann das Service Learning für das Lernen insgesamt spielen?

In den sozialgenial-Projekten findet viel informelles Lernen statt. Das ist wichtig. Die Projekte zu ermöglichen steht und fällt mit dem Engagement der Lehrkräfte, die aus den genannten Gründen zuweilen ziemlich kreativ sein müssen, um die nötigen Freiräume zu finden. Insgesamt bräuchten Lehrerinnen und Lehrer vor allem mehr Zeit. Offiziell vier Stunden pro Woche nur für Konzeption: Das wäre mein Traum!

Interview: Gudrun Sonnenberg, Stiftung Aktive Bürgerschaft

 

Auszubildende mit Teamfähigkeit und Sozialkompetenz gesucht – und bei sozialgenial gefunden

1024 768 Stiftung Aktive Bürgerschaft

Technik verstehen, gut kommunizieren und einsatzbereit sein: Das ist eine dringend gesuchte Kombination bei der „Auf den Punkt Veranstaltungstechnik GmbH“ in Soest. Umso erfreuter war Geschäftsführer Hubertus Neuhaus, als ihn im März 2023 bei einer sozialgenial-Veranstaltung ein junger Mann ansprach und sein Interesse an einem Ausbildungsplatz als Veranstaltungstechniker bekundete.

Denn der Schüler, der kurz vor dem Abitur stand, war nicht nur technikaffin, sondern konnte auch sein Anliegen in wohlgesetzten Worten mitteilen. Und nicht zuletzt hat er den Mut, mich anzusprechen, dachte Neuhaus.

Die Begegnung fand bei einer Veranstaltung der Volksbank Hellweg und der Stiftung Aktive Bürgerschaft statt. Unter dem Titel „Fürs Leben lernen mit sozialgenial“ hatten sie Schulen, die am Service-Learning-Programm sozialgenial der Aktiven Bürgerschaft teilnehmen, eingeladen, ihre Projekte vorzustellen. Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Schulsozialarbeiter sowie Vertreter aus Wirtschaft und Politik vernetzten sich und tauschten sich in Podiumsdiskussionen über die Erfahrungen mit dem Programm aus. Neuhaus steuerte in so einer Runde seine Perspektive als Arbeitgeber bei und berichtete, wie wichtig es ist, teamfähigen Nachwuchs zu finden.

Lauritz hatte gut zugehört

Lauritz Lichtwark, Schüler an der Hannah-Arendt-Gesamtschule und sozialgenial-Teilnehmer, hatte gut zugehört und war, direkt als Neuhaus vom Podium herunterstieg, auf ihn zugetreten. Neuhaus freut sich bis heute. Er sagt: „Von der Ansprache, die heute bei jungen Auszubildenden schon meist nicht in ganzen Sätzen formuliert werden kann, war ich bei ihm schon positiv überrascht und sagte sofort zu. Die in meinem Statement auf der Bühne beschriebene Sozialkompetenz war auf den ersten Blick auf jeden Fall schon einmal gegeben!“

Es sei zwar einfach, Interessenten zu finden für Veranstaltungstechnik, so Neuhaus. Die Branche suggeriere Ruhm und Party. Aber die Arbeitszeiten seien unregelmäßig und in der Realität müsse man zupacken können: „Wer bei null Grad und Regen die Hände in die Taschen steckt, wenn die Kollegen die Bühne vom Weihnachtsmarkt abbauen, ist fehl am Platz.“ So manche interessierten Jugendlichen stellen das im Praktikum fest. Anderen fehle das Gespür für Kunden, die beispielsweise nicht alle mit dem Wissen geboren sind, wie man in ein Mikro spricht. Man muss auch vernünftige E-Mails schreiben und Zentimeter in Meter umrechnen können.

„Lauritz hat die richtige Kombination von Kompetenzen. Ich habe tatsächlich noch nie so viel positive Rückmeldung von Kollegen, Geschäftspartnern und Kunden über einen Auszubildenden bekommen. Inzwischen ist er gar nicht mehr aus dem Team wegzudenken und hat sich super integriert“, sagt Neuhaus. „Das Programm sozialgenial scheint also genau an der richtigen Stelle anzusetzen oder ist zumindest ein guter Indikator für junge Menschen mit ausgeprägten sozialen Kompetenzen und verstärkt diese noch mal. Ich habe auch schon einigen Unternehmerkollegen von meinen Erfahrungen berichten können, denn es sorgt ja schon für Aufsehen, wenn man noch relativ knapp vor Ausbildungsstart einen so guten Azubi verpflichten kann.“

Gudrun Sonnenberg, Stiftung Aktive Bürgerschaft

Umfrage: Ehrenamt soll Vergünstigungen bekommen

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Ein Drittel von rund 1000 Befragten sind der Meinung, dass das Ehrenamt in Deutschland staatlich stärker unterstützt werden soll, etwa durch zusätzliche Rentenpunkte oder ein kostenloses Nahverkehrsticket. Auch sollten Unternehmen engagierte Mitarbeiter unterstützen durch flexible Arbeitszeitregelungen oder Freistellungen. Die Befragung war im Dezember 2023 von dem Meinungsforschungsinstitut Forsa im Auftrag des Redaktionsnetzwerks Deutschland durchgeführt worden. 95 Prozent gaben an, ehrenamtliches Engagement als wichtig für den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu erachten.

https://www.finanznachrichten.de/…

Informell Engagierte investieren viel Zeit

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Mehr Frauen als Männer, Menschen mit niedrigem Einkommen und Menschen, die nicht religiös gebunden sind, engagieren sich informell, also außerhalb von Organisationen wie Vereinen oder Stiftungen. Das ergibt eine Analyse der Daten des Freiwilligensurveys hinsichtlich informellen Engagements, die unter dem Titel „Informelles Engagement: Die neue Normalität?“ als Discussion Paper 9 im Dezember 2023 von Zivilgesellschaft in Zahlen (ZiviZ) im Stifterverband veröffentlicht wurde. 61 Prozent der informell Engagierten gaben demnach an, dass sie sich mit persönlichen Hilfestellungen engagieren. Auffallend sei, so die Studie, dass sie im Durchschnitt deutlich mehr Zeit aufwenden als Menschen, die sich in Organisationen engagieren – sie seien also keineswegs nur punktuell im Einsatz.

https://www.ziviz.de/publikationen/informelles_engagement

Wirtschaftswoche: Ehrenamt als Belastungsprobe – was darf der Arbeitgeber verbieten?

150 150 Stiftung Aktive Bürgerschaft

Schöffen, Feuerwehr, Katastrophenhelfer: Sie sind gesucht, aber nicht jeder Arbeitgeber freut sich über das Engagement seiner Beschäftigten, zumal, wenn es um Freistellung von der Arbeit geht. „Oft gibt es Ärger, weil viele Vorgesetzte, laut Experten, schlecht über Rechte und Pflichten beider Seite informiert sind“, berichtet Nina Jerzy in der Wirtschaftswoche vom 2. Januar 2024. Außerdem seien „selbst wohlmeinende Arbeitgeber“ mit der Bürokratie zuweilen überfordert. Unter dem Titel „Darf der Chef das Ehrenamt verbieten?“ hat sie zusammengetragen, welche Rechte die Ehrenamtlichen haben, wer für die Ausübung des Ehrenamts freigestellt wird und welche Rücksichten auf die Interessen des Arbeitgebers zu nehmen ist – soweit möglich, denn manche Regelungen sind in den Ländern unterschiedlich, der Föderalismus lässt grüßen.

https://www.wiwo.de/erfolg/beruf/engagement-darf-der-chef-das-ehrenamt-verbieten/29565710.html

NZZ: Ambivalenz bei der Heilsarmee

150 150 Stiftung Aktive Bürgerschaft

Einmal im Jahr tauchen sie auf, singen, sammeln und dann sind sie wieder weg: Die Mitglieder der Heilsarmee, die in der Adventszeit um Spenden werben. „Das Bild der Heilsarmee wird von den weihnachtlichen Sängerinnen geprägt, aber gleichzeitig wird die Heilsarmee auf das Singen reduziert“, schreibt Fabian Vogt in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) aus der Schweiz. Das ist zu wenig, um Mitglieder und Zuwendungen auf Dauer zu halten, deshalb soll sich das Image ändern. Doch während das Sozialwerk in der Schweiz reibungslos und professionell laufe, passten die militärischen Strukturen und die strenge Bibelauslegung nicht mehr in die Zeit: „Ausgerechnet die Dinge, welche die Heilsarmee erfolgreich gemacht haben“, schreibt Vogt. Die Sache ist schwierig, denn: „Auf der anderen Seite herrscht die Angst vor dem Verlust der eigenen Werte.“ Der Beitrag „Die Heilsarmee braucht ein neues Image“ erschien am 30. Dezember 2024.

https://www.nzz.ch/panorama/die-heilsarmee-braucht-ein-neues-image…

Ednannia-Hilfsfonds: „Wir wollen ein Leben in Würde leben!“

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Bombenangriffe, Zerstörungen, Verluste: In der Ukraine ist humanitäre Hilfe vor Ort weiterhin unabdingbar. Doch wie schaffen es die Menschen, sich nicht zermürben zu lassen? Die Bürgerstiftungen in der Ukraine bemühen sich darum, dass in den Städten und Gemeinden das soziale und öffentliche Leben weitergeht.

Die ukrainischen Bürgerstiftungen versuchen daher, sich über die Nothilfe hinaus auch wieder der Förderung des Zusammenlebens in den Kommunen zuzuwenden. „Auch wenn wir angegriffen werden, wollen wir, dass die Menschen ihr Leben leben können“, sagte im November 2023 Olga Nikolska, Programmleiterin bei der ukrainischen gemeinnützigen Organisation Ednannia, mit der die Aktive Bürgerschaft zusammenarbeitet. „Wir alle wollen ein Leben in Würde leben!“

Um den Bürgerstiftungen in der Ukraine gezielt und wirkungsvoll zu Hilfe zu kommen, hatte die Stiftung Aktive Bürgerschaft unmittelbar nach Beginn des Krieges im Frühjahr 2022 den Ednannia-Hilfsfonds eingerichtet. Unternehmen und Privatpersonen können seither an den Fonds spenden. Im November 2023 besuchte Olga Nikolska die Aktive Bürgerschaft in Berlin, um persönlich über die Verwendung der Gelder zu berichten. Bis dahin waren rund 200.000 Euro zusammengekommen. Ednannia verteilt die Hilfe Spenden vor Ort an die Bürgerstiftungen.

Von Katastrophenhilfe bis Jugendaustausch – was die Bürgerstiftungen tun

Die Bürgerstiftungen haben die Mittel aus dem Fonds vor Ort sowohl für humanitäre Hilfe und Wiederaufbau als auch zur Förderung des sozialen Zusammenhalts eingesetzt:

So konnte die Bürgerstiftung Cherson in der Region, die nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms überflutet wurde, mit den Spenden aus Deutschland einen Sattelauflieger anschaffen, um Hilfsgüter schnell an die richtigen Stellen zu transportieren. Auch konnte sie mit mehreren großen Transformatoren und hundert Erste-Hilfe-Sets für Menschen, die Stromleitungen reparierten, die Aufräumarbeiten und Wiederherstellung der Stromversorgung unterstützen. Darüber hinaus stellte sie 300 Bettenausstattungen für ein Krankenhaus zur Verfügung und 300 weitere für Flutopfer. Die Bürgerstiftung Cherson hatte in der Ukraine eine Spendenkampagne initiiert und die Aktive Bürgerschaft rief daraufhin in Deutschland gesondert zu Spenden für die Bürgerstiftung auf. Weiterhin sind noch Freiwillige vor Ort. Noch immer fallen 50 bis 100 Bomben am Tag auf Cherson.

In der stark zerstörten Stadt Charkiw hat sich die Bürgerstiftung Toloka um Ausrüstung für Einrichtungen der kritischen Infrastruktur sowie Küchen- und Bettenausstattung für Binnengeflüchtete gekümmert. Sie sorgte für Heizungen im Geburtszentrum wie auch in den kulturellen Einrichtungen und Schulen. Toloka wurde 2016 errichtet und hat sich vor dem Krieg auf Kulturförderung konzentriert.

In Vinnytsya unterstützt die Bürgerstiftung Podilska Hromada das regionale Kinderkrankenhaus und das regionale Rehabilitationszentrum für Kinder mit orthopädischen Hilfsmitteln, aber auch Medienkommunikation, um die Bevölkerung über die neuen Gesundheitsangebote zu informieren.

In der Region um Kiev beteiligte sich die Bürgerstiftung Vita-Poshtova an der Bereitstellung von Bombenschutzbunkern für die Bevölkerung.

In der Region Lviv förderte die Bürgerstiftung Ridnya die Selbstversorgung der örtlichen Bevölkerung. Viele Menschen, die über kleine Landparzellen verfügen, haben sich dort in einer Agrargenossenschaft zusammengeschlossen und können durch die Anschaffung eines kleinen Traktors für den gemeinsamen Ackerbau nun ihre Erträge steigern.

In Voznesensk versucht die Bürgerstiftung, die soziale Not in der Stadt mit Bildungsmaßnahmen vor allem für einheimische und geflüchtete Frauen zu verbessern. Aktuelle Vorhaben sind der Aufbau eines Erwachsenenbildungszentrums und eine dreimonatige Näherinnen-Grundausbildung. Die Bürgerstiftung hofft, dass lokale Unternehmen in die Finanzierung einsteigen, und will weitere handwerklich qualifizierende Angebote machen. Die Qualifizierungen sollen auch dazu beitragen, die Binnenvertriebenen zu integrieren und so die sozialen Spannungen in der Stadt zu reduzieren.

Auch die Bürgerstiftung Berezan setzt sich für die Verbesserung des Zusammenlebens ein. Die Hilfsgelder fließen in die Renovierung verschiedener Einrichtungen in der Stadt und der Region, die teils direkt von den russischen Angriffen getroffen worden war. Dazu gehören Sporthallen von Schulen ebenso wie die alten sowjetischen „Kulturpaläste“, die nach dem Zerfall der Sowjetunion zu wichtigen, aber baulich vernachlässigten Räumlichkeiten für die Zivilgesellschaft wurden. Unter dem Dach der Bürgerstiftung engagieren sich in einer sogenannten „Youth Bank“ junge Menschen. Sie organisierten im September 2023 einen polnisch-ukrainischen Jugendaustausch und verdienten mit einem Mülltrennungsprojekt Geld, das sie zu den Projekten für die Renovierung von Jugendeinrichtungen beisteuerten. „Sie waren so stolz!“, sagte Olga Nikolska.

Wie die ausländische Hilfe wirklich ankommt

Grundsätzlich legt Ednannia, wenn sie die Hilfsgelder aus dem Fonds an die Bürgerstiftungen zuweist, Wert darauf, dass die jeweilige Bürgerstiftung einen Teil des Projekts selbst finanziert. So wird sichergestellt, dass es vor Ort Interesse und Bedarf an der Hilfe gibt. „Manche ausländischen Hilfsorganisationen agieren leider ohne Ortskenntnis und ihre Hilfe geht manchmal am Bedarf vorbei. Das wollen wir vermeiden“, so Nikolska.

Doch im Inland Spenden zu sammeln wird immer schwieriger. Öffentliche, aber auch private Gelder fließen vor allem in die Landesverteidigung, Zuwendungen und Spenden an Kommunen und Nichtregierungsorganisationen bleiben aus. „Wir sind mehr denn je auf Hilfe aus dem Ausland angewiesen“, sagt Olga Nikolska. „Wir wünschen uns, dass Sie uns weiter unterstützen. Der Krieg ist noch nicht zu Ende.“

Text: Gudrun Sonnenberg

Mehr über den Ednannia-Hilfsfonds
Olga Nikolska im Video