Was heisst Bürgergesellschaft? Begriffe wie Bürgergesellschaft und Zivilgesellschaft, Gemeinnützigkeit und Gemeinwohl, Dritter Sektor, Genossenschaften, Ehrenamt und Bürgerengagement, Corporate Citizenship und Corporate Social Responsibility und einige andere mehr haben seit vielen Jahren Konjunktur. Oft werden sie synonym verwendet, doch beinhalten sie unterschiedliche Ideen und Konzepte. Was wir heute als bürgerschaftliches Engagement und gemeinnützige Organisationen bezeichnen, hat verschiedene und oft lange Traditionen. Bürgerengagement ist ein Spiegel der jeweiligen Zeit, nicht selten auch Motor gesellschaftlicher Veränderungen.
Lesetipps Bürgergesellschaft
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Bürgergesellschaft im Spiegel der Zeit
- Wohltätigkeit und Seelenheil
Neben Adligen und kirchlichen Würdenträgern, gründen freie Bürger im 15. Jahrhundert Anstalts- und Spitalstiftungen, die Krankenhäuser und andere soziale Einrichtungen betreiben. Dabei ist dies keinesfalls neu. Stiftungen und Vereinswesen gab es schon in der Antike.
- Privates Engagement für das Gemeinwohl
Das Bürgertum ist im 16. und 17. Jahrhundert die dominierende Stiftergruppe. Vielfach entstehen Förderstiftungen, die Almosen und Stipendien vergeben und den Kampf gegen Armut unterstützen und sich für eine bessere Bildung und gesellschaftlichen Fortschritt einsetzen.
- Neuer Assoziationsgeist
Das gehobene Bürgertum und der Adel finden im 18. Jahrhundert in Lesegesellschaften, Assoziationen, Logen und patriotischen Gesellschaften zusammen und tragen aktiv zur Überwindung der alten ständischen Gesellschaft bei. Auch das Verbot der Vereine durch die Karlsbader Beschlüsse hält ihren Siegeszug nur vorübergehend auf: Arbeiter, Handwerker und Kleinbürger pflegen eine neue demokratisch-nationale Gesinnung in Burschenschaften, Turn- und Gesangsvereinen.
- Alternativbewegung
Während traditionelle Milieus ihre Mobilisierungs- und Bindungskraft für ehrenamtliches Engagement schrittweise verloren haben, gewinnt ab den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts ein neues bürgerschaftliches Engagement an Bedeutung: Bürgerinitiativen, Öko-Gruppen und Frauenprojekte, Umwelt- und Friedensbewegung machten sich auf, frischen Wind in die Politik zu bringen. Unter dem Begriff Soziokultur entstehen häufig in ehemaligen Industrieanlagen alternative Kulturangebote neben Stadttheater, Museum und Konzertsaal.
- Soziale Frage
Die bürgerliche Mittelschicht engagiert sich bei der Bewältigung der tiefgreifenden sozialen Veränderungen durch die Industrialisierung im 19. Jahrhundert. Karitative Vereine wie die heutigen Wohlfahrtsverbände Diakonie und Caritas werden gegründet, ebenso wirtschaftliche Selbsthilfevereine und Genossenschaften nach dem Vorbild von Hermann Schulze-Delitzsch und Friedrich Wilhelm Raiffeisen. In Konsum- und Arbeitervereinen organisieren Sozialdemokraten und Gewerkschafter die Versorgung der Arbeiter mit Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens. Verantwortungsvolle Unternehmer gründen Kindergärten und Schulen für ihre Belegschaftsangehörigen. Stiftungen zur Förderung von Wissenschaft und Forschung entstehen.
- Auf dem Weg in die Bürgergesellschaft?
Um die Jahrtausendwende erlebt das bürgerschaftliche Engagement von Menschen und Unternehmen eine erneute Konjunktur. Die Grenzen des Sozialstaates führen zur Diskussion über mehr Eigenverantwortung. Das Stiftungswesen erlebt einen neuen Gründungsboom, die Vereinsdichte hat sich in den letzten 20 Jahren verdoppelt. Freiwilligenagenturen und Bürgerstiftungen entstehen vielerorts und erleichtern den Zugang zu bürgerschaftlichem Engagement. Doch was bedeutet das eigentlich? Ist Bürgergesellschaft die Blaupause für mehr individuelle Freiheit und gesellschaftliche Solidarität oder nur eine Floskel für Sozialstaatsabbau? Soll der Staat das Stiften und Spenden fördern, und wann wird aus der Förderung eine Einmischung? Wie viel Staat ist nötig?Was heisst Bürgergesellschaft? Diese Frage bleibt aktuell und wichtig. Eine letzte Antwort gibt es noch nicht.
Was heisst Bürgergesellschaft / Zivilgesellschaft?
Mit seiner Betonung gesellschaftlicher Selbstorganisation und individueller Eigenverantwortung reflektiert der Begriff der Zivilgesellschaft, die verbreitete Skepsis gegenüber der Gängelung durch den Staat, der als Sozial- und Interventionsstaat an die Grenzen seiner Leistungskraft gestoßen ist, der zu viel reguliert und sich damit überfordert. Andererseits verspricht die Zivilgesellschaft, dem sich unbändig entfaltenden, weltweit siegreichen Kapitalismus etwas entgegenzusetzen. Der Begriff reflektiert damit eine Kapitalismuskritik neuer Art. Denn die auf Diskurs, Konflikt und Verständigung setzende Logik der Zivilgesellschaft verspricht andere Problemlösungen als die Logik des Marktes, die auf Wettbewerb, Tausch und shareholder value beruht.
Prof. Dr. Dr. Jürgen Kocka, Sozialhistoriker und von 2001-2007 Präsident des Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).
Was heisst Bürgergesellschaft? Eine weitere Antwort gibt die Dritte-Sektor-Forschung. Sie fragt, ob es eine spezielle Handlungslogik bürgerschaftlichen Engagements und gemeinnütziger Organisationen gibt, die sich von den Handlungslogiken des Marktes und Staates abgrenzt. Da Engagement hauptsächlich in und durch Organisationen stattfindet, ist die Frage nach den organisatorischen Unterschieden entscheidend.
“Dritte-Sektor-Organisationen zeichnen sich in Abgrenzung zur öffentlichen Verwaltung durch ein geringeres Maß an Amtlichkeit aus. Im Unterschied zu Firmen und Unternehmen besteht ihre Zielsetzung nicht in der Gewinnmaximierung, sondern sie unterliegen dem so genannten nondistribution constraint. Dies bedeutet, dass Gewinne zwar erwirtschaftet, aber nicht an Mitglieder oder Mitarbeiter ausgeschüttet, sondern wieder in die Organisation reinvestiert werden müssen. Und schließlich unterscheiden sich Dritte-Sektor-Organisationen aufgrund ihrer formalen Organisationsform auch von gemeinschaftlichen Gebilden wie etwa Clans und Familien, da Mitgliedschaft und Mitarbeit in Dritte-Sektor-Organisationen auf Freiwilligkeit und damit auf einer individuellen Entscheidung beruhen. Organisationen des Dritten Sektors zeichnen sich also durch eine eigene Handlungslogik, spezifische Funktionen und spezielle organisatorische Strukturen aus.”
Gemeinnützige Organisationen im gesellschaftlichen Wandel: Ergebnisse der Dritte-Sektor Forschung. Herausgegeben von Annette Zimmer und Eckhard Priller. Erschienen bei SpringerVS-Verlag, Wiesbaden 2007.
Was heisst Bürgergesellschaft für die Stiftung Aktive Bürgerschaft?
Unsere Vision: Die Aktive Bürgerschaft engagiert sich für eine gerechte und leistungsfähige Bürgergesellschaft.
Was heisst Bürgergesellschaft für die Stiftung Aktive Bürgerschaft? Unter Bürgergesellschaft verstehen wir eine Gesellschaft, die durch bürgerschaftliches Engagement gerechter und leistungsfähiger ist.
Gerecht, weil sie breiten Bevölkerungsschichten über die Institutionen der parlamentarischen Demokratie hinaus gesellschaftliche Mitgestaltung und Teilhabe bietet. Leistungsfähig, weil sie Ressourcen für das Gemeinwohl bereitstellt und Kräfte zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen freisetzt.
Bürgerschaftliches Engagement von Personen und Unternehmen ist weder Ersatz noch Ergänzung staatlicher Aufgaben. Privates Engagement für das Gemeinwohl soll staatlichem Handeln vorausgehen, um seine eigenständige Kraft zu entfalten. Die Bürgergesellschaft ist für uns ein weiterentwickelter Sozialstaat in der sozialen Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts.
Unsere Mission: Wir wollen bürgerschaftliches Engagement und gemeinnützige Organisationen nachhaltig stärken.
Dabei sind für uns vor allem die Eigenständigkeit und die Wirkungsfähigkeit bürgerschaftlichen Engagements und gemeinnütziger Organisationen von Bedeutung.
Wir tragen dazu bei, Engagementstrukturen auf- und ausbauen: Bürgerstiftungen ermöglichen es breiten Bevölkerungsschichten, Stifter zu werden. Sie können nachhaltig das Eigenkapital der Bürgergesellschaft stärken und fördern gemeinnützige Projekte und Organisationen vor Ort. Wir unterstützen bundesweit 400 Bürgerstiftungen bei Managementaufgaben, Projekten und der Gewinnung von Stiftern und Aktiven.
Wir tragen dazu bei, Engagementbereitschaft zu wecken und zu fördern: Service Learning in Schulen erreicht herkunftsunabhängig und frühzeitig junge Menschen und kann nachhaltig das Interesse und die Bereitschaft für Bürgerengagement wecken. Wir unterstützen landesweit in Nordrhein-Westfalen und Hessen in mehr als 600 weiterführenden Schulen Service-Learning-Projekte, die Bürgerengagement und Unterricht verbinden.
Mehr über unsere Arbeit erfahren Sie in unserem Magazin bürgerAktiv.