Das Coronavirus bedroht zivilgesellschaftliche Organisationen: Veranstaltungen müssen abgesagt werden, Spendengelder und Fördermittel drohen auszubleiben. Und trotzdem kann diese Krise auch Positives bewirken
von Jörg Winterbauer
Shutdown. Stillstand. Pause.
Es ist winziger als ein Staubkorn und doch hat das Coronavirus es geschafft, fast das ganze Land lahmzulegen. Vor allem die Wirtschaft hat SARS–CoV–2 hart getroffen. Aber auch zivilgesellschaftliche Organisationen leiden: Veranstaltungen müssen abgesagt werden, Fördergelder und Spenden drohen wegzubrechen und Rücklagen gibt es oftmals nicht. Vor allem aber zwingt uns das Virus dazu, Distanz zu unseren Mitmenschen zu halten. Damit greift es das Herz der gemeinwohlorientierten Arbeit an: Menschen zusammenzubringen und gemeinsam mit vielen engagierten Ehrenamtlichen und Unterstützern etwas zu bewegen.
Doch in der Krise zeigt sich auch, dass mehr möglich ist, als wir in der Regel glauben. Das Virus zwingt uns, dazuzulernen und neue, kreative Lösungen zu finden. Es beschleunigt die Digitalisierung, auch zivilgesellschaftlicher Organisationen, und lässt uns neue Formen der Zusammenarbeit ausprobieren. Und allem Klopapier-Egoismus zum Trotz hat eine Welle der Hilfsbereitschaft und Empathie das Land ergriffen.
Benefiz-Konzerte und Balkonsingen
So organisiert etwa das Mannheimer Eventhaus „Capitol“ mit Unterstützung der Bürgerstiftung Mannheim und anderer Partner eine Konzertreihe unter dem Motto „Rockt zu Hause“. Mit den Erlösen sollen Künstler und Kulturbetriebe aus der Region unterstützt werden, die die Corona-Krise besonders hart trifft. Das Besondere dabei: Die Band spielt vor leeren Rängen, die Gäste müssen nicht die häusliche Isolation verlassen, sondern können per Live-Stream über die sozialen Medien dabei sein. Der Zuspruch bei den ersten drei Konzerten war gewaltig, berichtet Thorsten Riehle, der Geschäftsführer des Capitol, rund 23.000 Euro seien dabei zusammengekommen (Stand 28. März). Vor allem aber brachten die Konzerte den Mannheimern etwas Freude nach Hause und schufen ein Gemeinschaftsgefühl in Zeiten des Social Distancing.
Der Einsamkeit und Enge der Wohnung etwas entgegensetzen wollte auch die Bürgerstiftung Jena, die nach italienischem Vorbild ein Balkonsingen veranstaltete.
Außerdem hat die Bürgerstiftung eine Hotline eingerichtet und koordiniert freiwillige Helferinnen und Helfer, die zum Beispiel für Menschen einkaufen gehen, die zu einer Risikogruppe gehören. Die zahlreichen Hilfsbereiten mit den Hilfebedürftigen zusammenzubringen, hat sich auch die Bürgerstiftung Barnim-Uckermark zur Aufgabe gemacht und ein entsprechendes Onlineangebot aufgebaut.
Hilfsbereite Sportler und Unternehmen
Hilfsbereit zeigten sich auch diverse Sportler, allen voran die beiden Bayern-Spieler Leon Goretzka und Joshua Kimmich, die kurzerhand die Aktion #WeKickCorona ins Leben riefen, selbst zusammen eine Millionen Euro spendeten und zahlreiche andere Sportprofis dazu animierten, Geld zu geben. So kamen bisher 3,5 Millionen Euro für den guten Zweck zusammen. Auf der eigens dafür eingerichteten Seite können sich soziale Einrichtungen um Gelder bewerben.
Und auch einige Unternehmen leisten einen Beitrag im Kampf gegen die Pandemie und deren Folgen: So spendete etwa der Spirituosenhersteller Jägermeister 50.000 Liter Alkohol an das Klinikum Braunschweig, das daraus Infektionsmittel herstellt. VW und Daimler gaben hunderttausende Schutzmasken aus ihrem Bestand ab, die in den Krankenhäusern so dringend benötigt werden.
„Corona hat unser Land verändert“
Sawsan Chebli, Berliner Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement, sieht angesichts all dieser Hilfsbereitschaft auch etwas Positives an der Krise. In einem Gastbeitrag im „Tagesspiegel“ schreibt sie: „Corona hat unser Land verändert. Ich meine nicht den Stillstand und die plötzliche Ruhe auf den Straßen und Plätzen. Ich meine – nach all dem Hass, dem Rassismus und der Spalterei der letzten Zeit – das freundliche Gesicht, das unsere Gesellschaft angesichts der großen Herausforderung durch das Virus zeigt.“
Doch noch ist es möglicherweise etwas früh für eine positive Bilanz. Denn, was wir zurzeit erleben, ist wahrscheinlich erst der Anfang. Oder anders ausgedrückt: Wenn die Corona-Krise ein Marathon ist, sind wir jetzt wahrscheinlich irgendwo zwischen Kilometer zwei und fünf, jedenfalls im ersten Viertel. Einigen von uns könnte unterwegs die Puste ausgehen, trotz aller anfänglichen Solidarität.
Zivilgesellschaftliche Organisationen drohen wegzubrechen
Und so warnen zahlreiche Non-Profit-Organisationen davor, dass viele Stiftungen, Vereine und Verbände in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht sind, etwa weil Spenden von Unternehmen auszubleiben drohen und Veranstaltungen abgesagt werden müssen. „Wenn gewachsene Strukturen wegbrechen, lassen sie sich so schnell nicht wieder aufbauen“, schreibt der Deutsche Fundraising Verband. Phineo, eine Art Consulting-Organisation für bürgerschaftliches Engagement, fordert den Staat angesichts dieser Lage dazu auf, auch zivilgesellschaftliche Organisationen finanziell zu unterstützen. Fast 30 Organisationen haben den Appell unterzeichnet (Stand Dienstag, 31. März 2020). Und Dr. Stefan Nährlich, der Geschäftsführer der Stiftung Aktive Bürgerschaft, appelliert in einer Video-Botschaft an die Bundesregierung, einen Unterstützungsfonds für die Digitalisierung der Zivilgesellschaft einzurichten. Denn durch die digitale Zusammenarbeit aus dem Home-Office entstünden auch neue Kosten „für die Miete von Online-Diensten und Web-Anwendungen, für Software-Abonnements und auch für Schulungen und Weiterbildungen.“
Bleibt zu hoffen, dass die zivilgesellschaftlichen Organisationen nicht nur einigermaßen unbeschadet, sondern sogar gestärkt aus der Krise hervorgehen: mit einem gestärkten Selbstbewusstsein, mit neuen Fähigkeiten und Ideen für eine zunehmend digitalisierte Welt und vielleicht auch mit einem stärkeren Rückhalt in Politik und Gesellschaft. Denn gerade in der Krise könnte vielen bewusst werden, wie wichtig bürgerschaftliches Engagement ist.
Der Artikel von Sawsan Chebli im „Tagesspiegel“ macht dahingehend jedenfalls Hoffnung: „Wir sehen, wie sehr es auf wache und aktive Bürger, auf ein erfolgreiches Miteinander von Politik und Zivilgesellschaft ankommt. Engagement ist systemrelevant!“
Jörg Winterbauer ist Redaktionsleiter der Stiftung Aktive Bürgerschaft.
Das Bild zeigt Viruspartikel (gelb), die aus einer Zelle (blau/pink) austreten. Quelle: https://www.flickr.com/photos/niaid/49531042877
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