So schlimm die Corona-Pandemie auch ist, vielerorts hat sie eine Welle der Hilfsbereitschaft hervorgebracht. Als Anlaufstelle für Engagierte und Plattform für bürgerschaftliches Engagement haben Bürgerstiftungen daran einen ganz wesentlichen Anteil.
Wir stellen vier Projekte vor, die beispielhaft zeigen, wie sie in der Krise wirken.
Wir sind ein bisschen mehr zusammengerückt
Um älteren Menschen den Weg in den Supermarkt zu ersparen, hat die Bürgerstiftung Gronau einen Einkaufsservice für Senioren koordiniert. Stephanie Klaas berichtet, wie es zu dem Projekt kam und was inzwischen daraus geworden ist:
Stephanie Klaas ist seit 2016 im Vorstand der Bürgerstiftung Gronau. Dort ist sie für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig.
Als die Idee bei uns aufkam, haben wir zunächst bei der Stadt und verschiedenen anderen Gruppen gefragt, ob die so etwas schon anbieten, aber da gab es nichts. Also war klar: Wir machen das! Wir haben dann mit einem Facebook-Post Leute gesucht, die bereit wären, für andere einkaufen zu gehen. Denn die musste man ja erstmal zusammen bekommen. Und gleich haben sich 50-60 freiwillige Helfer gemeldet.
Als wir diese erste Hürde genommen hatten, haben wir Plakate in Supermärkten und Apotheken ausgehängt mit dem Aufruf, sich zu melden, wenn Hilfe beim Einkaufen benötigt wird. Die Plakate haben wir netterweise von einem Sponsor umsonst bekommen. Am Anfang klingelte das Telefon den ganzen Tag, später haben wir dann einen Telefondienst eingerichtet, weil ich das einfach nicht mehr alleine leisten konnte.
Damit die Sicherheitsregeln bei dem Projekt auch eingehalten werden, haben wir alle Teilnehmer über Hygienemaßnahmen informiert und erklärt, dass die Einkaufstüten vor die Tür gestellt werden müssen. Und wir haben blaue Sicherheitswesten bedrucken lassen für die Helferinnen und Helfer mit unserem Hashtag „Wir alle zählen“. Zuletzt mussten wir dann nur noch den Kontakt zwischen Senior und Helfer herstellen, wobei wir darauf geachtet haben, dass die nicht zu weit voneinander entfernt wohnen.
Eine Zeitlang haben wir so 45 Haushalte versorgt und es gab eigentlich immer mehr Helfer als Hilfesuchende. Manchmal waren es auch Familien mit kleinen Kindern, die unser Angebot in Anspruch genommen haben, oder Menschen, die mit Risikopatienten zusammenleben.
In Gronau sind wir dadurch ein bisschen mehr zusammengerückt, es gab viele nette Begegnungen und auch der Bekanntsheitsgrad der Bürgerstiftung ist nochmal gestiegen. Wir überlegen jetzt, auch über Corona hinaus eine Senioreninitiative zu gründen, wo man nicht nur für den anderen einkauft, sondern sich auch besucht.
Wie die Bürgerstiftung Gronau koordinieren viele Bürgerstiftungen in der Corona-Krise die Hilfe aus der Bevölkerung. Als Plattform bündeln sie vor Ort die privaten Hilfsangebote Einzelner, die so eine besondere Wirkung entfalten können. Auch jenseits der Corona-Krise arbeiten viele Bürgerstiftungen als Plattform für bürgerschaftliches Engagement. 45 Prozent geben an, auf diese Weise zu wirken.
Das Echo war riesig
Kulturschaffende, Selbstständige und Studierende hatten im Frühjahr besonders mit den ökonomischen Folgen der Corona-Krise zu kämpfen. Um ihnen zu helfen, hat die Bürgerstiftung Tübingen einen Corona-Fördertopf aufgesetzt . Manfred Niewöhner berichtet:
Manfred Niewöhner ist seit 2017 Mitglied im Vorstand der Bürgerstiftung Tübingen.
Wir sind bei diesem Projekt zu dritt, ein Vorstandskollege, ein Stiftungsmitglied und ich. Einer von uns hatte die Idee dazu. Er hat viel Kontakt zur Gastro- und Kuturszene und hat gesehen, dass durch Corona ganz viele Beschäftigungsmöglichkeiten weggefallen sind. Es war aber auch klar, dass wir diesen Soforthilfetopf trennen von der sonstigen Stiftungsarbeit, weil wir schnell und flexibel sein wollten, der Stiftungsrat sich aber zum Beispiel nur zwei Mal im Jahr trifft.
Wir haben natürlich die gesamte Maßnahme mit dem Finanzamt abgestimmt. Das war uns wichtig, dass wir da sicher unterwegs sind. Das Finanzamt hat ausdrücklich gesagt, dass wir keine Organisationen oder Firmen unterstützen dürfen, sondern nur Einzelpersonen.
Zunächst haben wir das Vorhaben öffentlich gemacht und um Spenden geworben, zum Beispiel in der Presse und im Kollegenkreis. Das Echo war riesig. Wir haben erst einmal drei-vier große Beträge von Firmen und Personen bekommen, das war der Grundstock, mit dem wir schon mal loslegen konnten. Mittlerweile sind aber auch viele kleinere Spenden dazugekommen, insgesamt 110.000 Euro von über 400 Menschen, das ist für eine Stadt wie Tübingen wirklich ordentlich. Wir haben dann Plakate in Tübingen aufgehängt und auf unserer Homepage zwei Buttons angelegt, einen für die Spender und einen für die Antragsteller. Die Seiten, die sich öffnen, erklären dann alles Weitere.
Uns war wichtig, dass unser Angebot niedrigschwellig ist, man also als Antragsteller nicht erst einen 13-seitigen Fragebogen ausfüllen muss. Trotzdem muss natürlich ein Nachweis erbracht werden, der uns zeigt, dass wirklich Not da ist. Zu dritt entscheiden wir dann in 24 bis 48 Stunden über die Anträge, weit überwiegend positiv, konnten wir feststellen. Am Anfang kamen täglich mehrere Anträge rein, mittlerweile sind es weniger. Die Situation ist aber ja noch nicht vorbei und so lange machen wir weiter.
Die Bürgerstiftung Tübingen hat es mit ihrer Aktion sogar ins Programm des Lokalsenders RTF.1 geschafft:
So wie die Bürgerstiftung Tübingen arbeiten viele Bürgerstiftungen. Sie sind in der Corona-Krise Anlaufstellen sowohl für Privatpersonen, die sich mit Geld und Zeit für andere engagieren wollen, als auch für diejenigen, die Hilfe und Unterstützung suchen. 68 Prozent der Bürgerstiftungen sind auch jenseits der Corona-Krise eine Anlaufstelle für Helfende und Hilfesuchende.
Von 0 auf 100 in zwei Tagen
Das Tragen einer Schutzmaske gilt auch heute noch als Gebot der Stunde. Gerade zu Beginn der Pandemie war die Nachfrage danach so groß, dass der Markt sie kaum bedienen konnte. Die Bürgerstiftung Region Neumarkt hat deshalb eine Nähaktion für Stoffmasken koordiniert. Vera Finn berichtet:
Vera Finn ist seit der Gründung der Bürgerstiftung Region Neumarkt im Jahr 2006 dort aktiv. Aktuell ist sie 2. Vorsitzende des Vorstandes.
Ende März kam eine Frau auf uns zu, die früher schon einmal für ein Musical, das die Bürgerstiftung veranstaltet hatte, Kinderkostüme genäht hat. Sie ist Heilpraktikerin und hatte in der Corona-Zeit ein Behandlungsverbot. Und da sagte sie sich: Nein, einfach nur rumsitzen das kann ich nicht, ich muss etwas tun. Und so kam das Ganze ins Laufen, von 0 auf 100 in zwei Tagen.
Sie hat ein Schnittmuster erstellt, was einfach zu nähen ist und das wir auf unsere Homepage gestellt haben. Wir haben in der Zeitung, über Facebook und Instagram einen Aufruf gestartet, dass wir Näherinnen suchen, und um Stoffspenden gebeten. Gleichzeitig haben wir bei Seniorenheimen angefragt, ob sie Schutzmasken brauchen, denn mit denen wollten wir anfangen und schauen, wie es sich entwickelt. In der ganzen Zeit haben 20 Näherinnen etwa 3000 Schutzmasken für verschiedene Einrichtungen genäht: für Kindergärten, Behindertenwerkstätten oder die Raiffeisenbank Neumarkt. Wir sind überrannt worden mit Anfragen, auch weil es damals eine große Lücke in dem Bereich gab.
An zwei Samstagen im April standen wir außerdem zur Marktzeit vor dem Rathaus und haben Masken gegen Spende abgegeben. Innerhalb von einer halben Stunde waren 200 Masken weg. Wir hatten auch deshalb einen Vorteil, weil wir das Gummibandproblem lösen konnten, denn das war zu dem Zeitpunkt überall ausverkauft. Über Spenden haben wir trotzdem über einen Kilometer Gummiband auftreiben können. Unser Netzwerk hat uns da sehr geholfen. Das war auch der Grund, warum die Initiatorin überhaupt auf uns zugekommen ist: Sie konnte nähen und hat die Projektleitung übernommen und wir haben uns um das Material, den Vertrieb und die Öffentlichkeitsarbeit gekümmert.
Für uns war es eine Win/Win-Situation, denn diese 20 Näherinnen, die wir vorher nicht kannten, stehen uns künftig als Ehrenamtliche zur Verfügung. Und es ist einfach schön, wenn man Leute in der Stadt sieht mit einer Maske von der Bürgerstiftung. In einer Großstadt wäre so eine Aktion nicht möglich gewesen, denke ich. Aber hier kennt man sich und die Leute haben sich untereinander kontaktiert. Da war so eine Solidarität, das tat richtig gut.
So wie die Bürgerstiftung Region Neumarkt bieten etliche Bürgerstiftungen ehrenamtlichen Initiativen aus der Bevölkerung ein organisatorisches und rechtliches Dach. Bürgerinnen und Bürger werden darin unterstützt, ihre eigenen Ideen zur Bearbeitung der Folgen der Pandemie umzusetzen. 31 Prozent der Bürgerstiftungen bieten auch jenseits der Corona-Krise ehrenamtlichen Initiativen ein organisatorisches oder rechtliches Dach, um wirkungsvoll arbeiten zu können.
Wie eine Konstante im unsicheren Fahrwasser
Bei vielen gemeinnützigen Initiativen wuchs im März die Unsicherheit: Wie kommen wir heil durch die Corona-Krise? Um ihre Förderpartner zu unterstützen, hat die Bürgerstiftung Hannover einen Corona-Sonderfonds eingerichtet. Rainer Bartlau berichtet:
Rainer Bartlau ist seit Anfang 2020 Geschäftsführer der Bürgerstiftung Hannover.
Wir selbst hatten als Bürgerstiftung keine wirtschaftlichen Sorgen durch die Corona-Pandemie. Deshalb kam relativ schnell der Gedanke auf, dass wir unsere Förderpartner in dieser schwierigen Zeit unterstützen wollen. Denn es war schnell klar, dass sie ihre Projekte nicht wie gewohnt fortführen können und zum Beispiel Zuschauereinnahmen oder Spenden wegfallen. Wir wollten einfach zeigen: Wir stehen zu unseren Förderzusagen und -partnern und machen weiter wie bisher.
So haben wir kurzfristig den Corona-Sondertopf aufgelegt, zunächst mit 10.000 Euro. Relativ bald wurde er auf 30.000 Euro aufgestockt. Der ganz große Ansturm ist ausgeblieben, was ja auch schön ist, weil es eben auch so ging oder man von anderer Seite Förderungen bekommen hat. Aber uns ging es nicht nur ums Geld, sondern auch um das Signal, dass wir für unsere Partner weiter da sind, wie eine Konstante im unsicheren Fahrwasser.
Wir haben auch den Aufruf des Bundesverbands Deutscher Stiftungen unterzeichnet, der sich dafür einsetzt, dass andere mit ihren Förderpartnern ähnlich umgehen wie wir. Wir finden, es gehört sich als eine größere Bürgerstiftung, da Flagge zu zeigen und voranzugehen.
Im zweiten Schritt haben wir den Fonds dann auch für Institutionen geöffnet, mit denen wir bisher noch nicht zusammengearbeitet hatten. Allerdings nicht für Einzelpersonen, das war eine strategische Entscheidung von unserer Seite. Denn das ist unheimlich aufwendig und die Bearbeitungskosten sind wesentlich höher als der Betrag, der nachher ausgezahlt wird. Inzwischen ist der Topf vollständig aufgebraucht.
So wie die Bürgerstiftung Hannover unterstützen auch andere Bürgerstiftungen während der Corona-Krise gemeinnützige Organisationen und Projekte. Nicht nur für eigenen Projekte und die Förderprojekte mildern sie die Folgen der Pandemie ab. Dabei vertreten sie die Anliegen des gemeinnützigen Engagements auch gegenüber der Öffentlichkeit und Politik. 35 Prozent der Bürgerstiftungen sind auch jenseits der Corona-Krise als Stimme des Gemeinwesens aktiv.
Sie wollen noch mehr Zahlen, Daten und Fakten dazu, was Bürgerstiftungen in der Pandemie leisten? Schauen Sie in das Faktenblatt zum Report Bürgerstiftungen. Auf unserer Seite Bürgerstiftungen in Zahlen haben wir zudem die Ergebnisse der Befragungen anderer Jahre zusammengestellt. Hier finden Sie zum Beispiel die wichtigsten Kennzahlen zum finanziellen Wachstum der Bürgerstiftungen, ihren Förderschwerpunkten und vieles mehr.