Je größer ihr Kapital ist, desto nachhaltiger und unabhängiger kann eine Bürgerstiftung mitgestalten. Warum wachsen dann nicht alle Bürgerstiftungen? Die Aktive Bürgerschaft hat nachgefragt. Jonas Rugenstein und Stefan Nährlich erläutern die Ergebnisse.
Mit einer großartigen Kampagne zeigen im Dezember 2024 die Bürgerstiftungen im Norden, was in ihnen steckt. Gemeinsam mit dem Norddeutschen Rundfunk sammeln sie unter der Überschrift „Hand in Hand für Norddeutschland“ Spenden für Projekte, die Menschen zusammenbringen und aus der Einsamkeit holen. Gleichzeitig ist die Kampagne auch eine schöne Werbung für Bürgerstiftungen. Denn dass es Bürgerstiftungen gibt, was sie vielerorts leisten und dass man sich selbst in einer von 426 Bürgerstiftungen in Deutschland engagieren kann, wissen viele Menschen noch nicht. Auch die Bürgerstiftungen sind noch nicht alle darauf vorbereitet, wenn Menschen mitmachen wollen, vor allem bei größeren Zustiftungen.
Damit Stifterin oder Stifter und Bürgerstiftung zusammenkommen, braucht es mehr als das Wissen voneinander. Wichtig ist, dass sie die Zustiftung so gestalten, dass diese für beide Seiten gleichermaßen vorteilhaft ist. Die ideale Lösung ist oftmals der Stiftungsfonds, eine namens- oder zweckgebundene Zustiftung auf Grundlage eines privatrechtlichen Vertrags. Die Stiftenden kommen so schneller und unbürokratischer zu ihrer Stiftung, als wenn sie eine rechtlich selbstständige Stiftung gründen. Beim Stiftungsfonds haben sie die Möglichkeit, nachträglich beispielsweise die Stiftungszwecke zu ändern, und können dennoch steuerliche Vorteile in Anspruch nehmen. Die Bürgerstiftung hat mit der Verwaltung von Stiftungsfonds wenig Aufwand und kann damit erfolgreich das zentrale Merkmal einer Bürgerstiftung erfüllen, kontinuierlich das Stiftungskapital aufzubauen. Für beide Seiten wie auch für die Zielgruppen des Engagements vorteilhaft: Weniger Verwaltungsaufwand bedeutet, dass mehr Mittel in die Zweckverwirklichung fließen.
Wachstumsstarke Bürgerstiftungen setzen auf Stiftungsfonds
Wie der „Report Bürgerstiftungen“, die Datenerhebung der Stiftung Aktive Bürgerschaft unter allen Bürgerstiftungen, zeigt, gelingt den Bürgerstiftungen in Deutschland insgesamt das stetige finanzielle Wachstum. Zum 31. Dezember 2022 betrug das Stiftungskapital der heute 426 Bürgerstiftungen zusammen mehr als eine halbe Milliarde Euro. Das durchschnittliche Stiftungskapital einer Bürgerstiftung belief sich im Jahr 2022 auf 1,3 Millionen Euro, im Jahr 2011 lag es noch bei rund 600.000 Euro. Lediglich zehn Prozent des Gesamtkapitals aller Bürgerstiftungen wurden bereits mit der Gründung der Bürgerstiftungen gestiftet. Der weitaus größte Teil wurde im Laufe der Jahre nach der Gründung einer Bürgerstiftung von Privatpersonen und Unternehmen zugestiftet.
Analysiert man das Wachstum des Stiftungskapitals genauer, fällt jedoch auf, dass nur ein Drittel der 426 Bürgerstiftungen das Wachstum prägt. Und zwar diejenigen, die gezielt Angebote für zweckgebundene Zustiftungen in Form von Treuhandstiftungen oder Stiftungsfonds machen. Diesen gut 35 Prozent der Bürgerstiftungen in Deutschland flossen in den letzten Jahren über 90 Prozent aller jährlichen Zustiftungen zu. Dieser Trend ist seit über zehn Jahren stabil und zeigt, dass nicht alle Bürgerstiftungen es schaffen, finanziell zu wachsen und den weiteren Kapitalaufbau voranzutreiben.
Warum bieten wachstumsschwache Bürgerstiftungen keine Stiftungsfonds an?
Warum nutzen zwei Drittel der Bürgerstiftungen das Instrument des Stiftungsfonds noch nicht? Das hat die Aktive Bürgerschaft im Frühjahr 2024 alle 274 Bürgerstiftungen gefragt, die keine Stiftungsfonds anbieten. 101 Bürgerstiftungen haben an der Umfrage teilgenommen.
Der Hauptgrund lautet Unwissenheit. 45 Prozent, also knapp die Hälfte der Befragten, gaben an, nicht gewusst zu haben, dass Stiftungsfonds eine positive Wirkung auf die Gewinnung von Zustiftungen haben. Eine weitere Ursache ist, dass Bürgerstiftungen andere Prioritäten setzen. Für fast die Hälfte der Befragten (43 Prozent) hat die Gewinnung von Spenden Vorrang. Gut ein Drittel (36 Prozent) schätzt die Nachfrage vor Ort als zu gering ein. Aus ihrer Sicht lohnt sich die Einführung von Stiftungsfonds daher nicht. Fehlende zeitliche und fachliche Ressourcen sind ein weiteres Hindernis. So geben 44 Prozent der Bürgerstiftungen an, dass ihnen das Fachwissen für die Einführung von Stiftungsfonds fehlt, 38 Prozent der Bürgerstiftungen fehlt die Zeit, sich darum zu kümmern. Jede fünfte der befragten Bürgerstiftungen bietet zwar Stiftungsfonds an, hat aber noch keine Interessenten gefunden.
Das Fazit der Umfrage: Es fehlt vielen Bürgerstiftungen in erster Linie an ehrenamtlich Engagierten, meist Vorstandsmitgliedern, die sich nachhaltig um das Thema Stiftungsfonds und Stiftergewinnung kümmern, sowie das Wissen um die strategische Relevanz. Die Datenanalyse zeigt zudem, dass es Bürgerstiftungen auch in einkommensschwächeren und ländlichen Regionen gelingt, Zustiftungen in Form von Stiftungsfonds zu gewinnen. Bislang ausbleibendes Interesse spiegelt unserer Analyse nach keine generell fehlende Nachfrage wider.
Die Stiftung Aktive Bürgerschaft unterstützt die Bürgerstiftungsgremien daher mit gezielten Weiterbildungen, Beratungen und Praxishilfen beim Einsatz von Stiftungsfonds. Einerseits, weil der kontinuierliche Aufbau des Stiftungskapitals zum Wesen einer Bürgerstiftung gehört. Andererseits, um öffentliche Aufmerksamkeit von Spendenkampagnen wie aktuell in Norddeutschland für die Gewinnung von Zustiftungen nutzen zu können. Denn Spenden sind wichtig für die Arbeit von Bürgerstiftungen, aber erst die Erträge aus einem hohen Stiftungskapital ermöglichen ihnen eine nachhaltige und unabhängige gesellschaftliche Mitgestaltung.
Text: Jonas Rugenstein, Stefan Nährlich
Jonas Rugenstein ist stellvertretender Programm-Leiter Bürgerstiftungen der Stiftung Aktive Bürgerschaft.
Dr. Stefan Nährlich ist Geschäftsführer und Mitglied des Vorstands der Stiftung Aktive Bürgerschaft.
Der Beitrag ist im bürgerAktiv Magazin 2024/25 erschienen und Teil des Fokus Engagiert für die Zukunft – wie Bürgerstiftungen wachsen der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte September 2024 der Stiftung Aktive Bürgerschaft.