Die Jugendforscherin Wibke Riekmann erklärt, was gemeinnützige Organisationen tun können, um junge Menschen zu gewinnen und welche Rolle die Digitalisierung dabei spielt. Fridays for Future zeige, unter welchen Bedingungen sie sich gerne engagieren.
Wibke Riekmann ist Professorin für Theorie und Praxis in der Sozialpädagogik an der MSH Medical School Hamburg. Ihr Arbeitsschwerpunkte liegen in der Kinder- und Jugendarbeit sowie der Grundbildung von Erwachsenen. Beim Dritten Engagementbericht der Bundesregierung mit dem Titel „Zukunft Zivilgesellschaft: Junges Engagement im digitalen Zeitalter“, der im Mai 2020 erschienen ist, war sie Mitglied der neunköpfigen Sachverständigenkommission. Ihr Fokus lag dabei auf der Frage, was Digitalisierung für Vereine und Verbände bedeutet. bürgerAktiv hat mit ihr über die Ergebnisse des Berichts gesprochen.
bürgerAktiv: Manchmal wird die Kritik geäußert, dass junge Leute heute lieber Artikel in sozialen Netzwerken teilen oder online eine Petition unterzeichnen, statt sich „wirklich“ zu engagieren. Ist da etwas dran?
Wibke Riekmann: Viele junge Leute leiten tatsächlich Beiträge weiter oder beteiligen sich in sozialen Netzwerken an Diskussionen. Das wird manchmal etwas abfällig als „Slacktivism“ oder „Clicktivism“ bezeichnet. Aber das ersetzt für sie nicht das Engagement, sondern ergänzt es nur. Engagierte junge Leute nutzen diese Formen auch, aber sie wissen, dass es damit alleine nicht getan ist. Wir haben bei unserer Befragung unter 1000 Jugendlichen auch herausgefunden, dass der größte Teil des Engagements immer noch in den traditionellen Organisationsformen stattfindet, nämlich in Vereinen und Verbänden.
bürgerAktiv: Was würden Sie Organisationen raten, denen es schwerfällt, junge Leute für ein Engagement zu begeistern?
Riekmann: Ich höre immer wieder diese Klage, dass junge Menschen nicht mehr für ein Engagement zu begeistern sind. Ich habe viele Studien aus den 70er und 80er Jahren gelesen und da steht genau das gleiche drin: Wir finden keinen Nachwuchs mehr, die jungen Menschen wollen sich nicht mehr engagieren.
bürgerAktiv: Also alles kein Problem?
Riekmann: Natürlich müssen Organisationen sich fragen, wie sie Menschen gewinnen können. Man sollte mal miteinander sprechen und fragen: Was würdest du dir denn wünschen und warum beteiligst du dich nicht? Was könnte man verbessern?
bürgerAktiv: Was sagen die jungen Leute, wenn man sie fragt?
Riekmann: Wir haben in Interviews herausgefunden, dass vor allem junge Menschen mit niedrigem Bildungsabschluss sagen: Nee, das kann ich doch nicht. Das ist nichts für mich.
bürgerAktiv: Kann die Digitalisierung helfen, diese soziale Ungleichheit im Engagement aufzuheben?
Riekmann: Die soziale Ungleichheit, die wir im Engagement beobachten, bildet sich auch im Digitalen ab: Menschen mit höherem Schulabschluss engagieren sich mehr. Die Hoffnung, dass das Digitale diese Lücke schließt, hat sich durch unseren Bericht leider nicht bestätigt.
bürgerAktiv: Welche Lösungsansätze gibt es dafür?
Riekmann: Es ist wichtig, junge Leute langsam an ein Engagement heranzuführen. Also wenn Sie sagen: ‚Wir haben nächste Woche Vorstandswahlen, willst du nicht mit in den Vorstand kommen?‘, dann funktioniert das in der Regel nicht.
bürgerAktiv: Ist Service Learning, also das Lernen über gesellschaftliches Engagement, in der Schule eine guter Weg dafür?
Riekmann: Natürlich ist die Schule einer der wichtigsten Orte, um junge Menschen an ein Engagement heranzuführen. Denn sonst wird es schwierig, bestimmte Bildungsschichten überhaupt zu erreichen. Bei Service Learning in der Schule kann aber die Schwierigkeit sein, dass es als Unterricht wahrgenommen wird. Für mich wäre immer das Ziel, dass das Engagement auch außerhalb der Schule selbst weitergeführt wird. Damit das gelingen kann, muss es freiwillig und selbstbestimmt sein. Wenn es benotet wird, wird das schwierig.
bürgerAktiv: Wie engagiert sind die jungen Leute heute? Hat das eher ab- oder zugenommen in den letzten Jahren?
Riekmann: Ich würde auf keinen Fall sagen, dass junge Menschen sich heute weniger engagieren als früher, denn das können wir empirisch wirklich nicht sehen. Wir sehen eher, dass sich junge Menschen engagieren wollen. Fridays for Future ist eines der besten Beispiele: Die wollen sich engagieren, wenn sie wirklich Einfluss bekommen, wenn Sie Spaß am Engagement haben und wenn sie ihre Themen mitbestimmen können. Die Organisationen müssen darauf reagieren und sie entsprechend einbinden.
bürgerAktiv: Bei Fridays for Future können sich die jungen Leute unkompliziert einbringen, während sie in Vereinen starre Strukturen abschrecken?
Riekmann: Ich glaube, man transportiert das immer wieder: Vereine sind starr. Aber das stimmt nicht. Bei Fridays for Future stellt sich mir die Frage: Wer spricht da eigentlich für wen, wenn das keine Formen von repräsentativ gewählten Vertretern sind? Ich glaube, dass der Verein als Organisationsform da große Chancen bietet. Und deswegen ist es so wichtig, dass wir Vereine lebendig organisieren und sehr viele machen das auch schon.
bürgerAktiv: Können Organisationen junge Menschen über das Digitale besser ansprechen?
Riekmann: Der digitale Zugang zum Engagement wird immer wichtiger. Das hat unsere Befragung auch ergeben. Ich glaube aber, dass man nicht denken sollte: Damit ich junge Menschen erreiche, muss ich mich digitalisieren. Sondern es ist eher die Frage, wie kann ich Digitalisierung dazu nutzen, um meine Organisation demokratischer zu gestalten, wie kann ich sie partizipatorischer aufstellen? Das zieht dann auch junge Menschen an.
bürgerAktiv: Wie steht es mit der Digitalisierung in den traditionellen Organisationen?
Riekmann: Die großen Player – also zum Beispiel große Stiftungen oder große Verbände – nutzen die Digitalisierung sehr proaktiv. Die haben zum Beispiel auch Stellen geschaffen, um ihre Organisation auch digital präsent zu machen. Bei den kleinen Organisationen ist es aber oft so, dass sie auch gerne mehr in dem Bereich machen würden, aber ihnen teilweise die Ressourcen dazu fehlen.