Gastkommentar: Wider den funktionalen Dilettantismus – NPO sind mehr als Lückenbüßer

von Georg von Schnurbein

In den klassischen Theorien zur Existenz von Nonprofit-Organisationen (NPO) dominieren zwei Sichtweisen: Staats- und Marktversagen. Der Staat versagt aufgrund seiner Ausrichtung an Mehrheiten bei Minderheiteninteressen, die dann von NPO abgedeckt werden. Der Markt versagt dort, wo Anbieter ihre Konsumenten übervorteilen können. Da NPO nicht gewinnstrebend sind, geniessen sie dafür bei Konsumenten ein höheres Vertrauen. Daneben gibt es auch noch den Ansatz des Funktionalen Dilettantismus. Danach überträgt der Staat dem Dritten Sektor gesellschaftliche Probleme, die er nicht lösen kann. Der Dritte Sektor sorgt für gesellschaftliche Stabilität, da vordergründig etwas gegen die gesellschaftlichen Probleme getan wird.

An diesen Theorien stört mich zunehmend das Rollenverständnis, das NPO dabei zukommt. Denn letztlich werden sie sowohl bei Staats- wie Marktversagen als Lückenbüßer dargestellt. In einer perfekten Welt bräuchte es keine NPO, weil ein perfekter Staat und ein perfekter Markt alle Kollektiv- und Individualgüter umfassend anbieten würden. Da es die perfekte Welt nicht gibt, braucht es leider NPO, die als Besenwagen hinter Staat und Markt hinterherfahren.

Im traditionellen Colloquium der NPO-Forschung 2018 in Fribourg/Schweiz wurde als Titel die Frage gestellt: Brauchen wir noch einen Dritten Sektor?

Aus der Perspektive der Lückenbüßer-Theorien muss die Antwort lauten: Ja natürlich, solange Staat und Markt es nicht besser machen. Damit nehmen NPO aber grundsätzlich immer Platz auf der Rückbank und überlassen Staat und Markt den Streit darum, wer das Steuer in der Hand hält.

Die richtige Frage

Die richtige Frage müsste daher lauten: «Wie sähe unsere Gesellschaft ohne Dritten Sektor aus?»

Wer würde die 17 Millionen Kilometer Fahrdienst leisten, die Freiwillige des Schweizerischen Roten Kreuzes jährlich abspulen? Wie wäre den hunderttausenden Flüchtlingen 2015 geholfen worden, wenn es nicht NPO gegeben hätte, die für Nahrung, Kleidung, Unterkünfte oder Vermittlung und Beratung sorgten?

Anstatt die gesellschaftliche Rolle von NPO in Abhängigkeit von Staat und Markt zu definieren, sollte man besser mit Kernkompetenzen der NPO argumentieren. Damit meine ich Institutionen, verstanden als Normen, Werte oder Vertrauen. Wenn es gelingt, die Rolle und Bedeutung von NPO auf dieser Grundlage zu definieren, dann kann dies unabhängig von Staat oder Markt geschehen. Mit einem solchen positiven Ansatz lässt sich letztlich auch erklären, warum NPO immer wieder in Konkurrenzsituationen mit Staat und Markt geraten, was nach den Versagenstheorien streng genommen nicht vorkommen sollte.

Welchen Mehrwert generieren NPO?

Wenn man Institutionenbildung durch NPO vertieft betrachten will, stellt sich die Frage, wo NPO aufgrund ihrer besonderen Eigenschaften einen Mehrwert generieren können, der sich aus Werten und Normen ableitet?

Ein Bespiel für eine institutionenbezogene Leistung ist, dass sie Innovation ermöglichen, insbesondere soziale Innovation. Der historische Rückblick zeigt: Viele gesellschaftspolitische Veränderungen wurden zunächst von NPO verbreitet. NPO bieten Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit, sich zu organisieren und zu artikulieren. Erst dadurch gewinnen neue Gesellschaftsideen ausreichend Kraft und Dynamik, um eine gesellschaftliche Veränderung anzustoßen. Themen wie Umweltschutz, Frauenrechte oder LGBT-Themen wären ohne den Zusammenschluss NPO nicht denkbar gewesen. Letztlich sind es aber nicht nur soziale Innovationen. Schließlich haben auch bei der Entwicklung und Organisation des Internet NPO eine wichtige Rolle gespielt, gerade weil sie bestimmte Normen wie Unabhängigkeit verkörpern.

Ein weiterer Bereich für eine veränderte Rolle von NPO ist der Informationsaustausch. Daten und Informationen sind wertvolle Ressourcen der Zukunft. Der aktuelle Skandal um Facebook und die Einflussnahme im US-Wahlkampf lässt nur ansatzweise erahnen, welche Dimensionen die Informationsnutzung in Zukunft nehmen wird. Gerade die Qualitätsmedien geraten aufgrund der technologischen Entwicklung und der Marktveränderungen zunehmend unter Druck und immer häufiger wird gefordert, dass Qualitätsmedien in NPO eingebracht werden sollen, um den Standard und die Unabhängigkeit wahren zu können. Die Idee ist letztlich gar nicht so neu, schließlich werden manche Zeitungen wie die FAZ in Deutschland oder The Guardian in England schon seit Jahrzehnten von Stiftungen geführt. Aber die Entwicklung wird sich wohl noch weiter fortsetzen. Hier entsteht gerade ein neuer Tätigkeitsbereich von NPO, der in einigen Jahrzehnten selbstverständlich als NPO-Leistung angesehen wird.

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Prof. Dr. Georg von Schnurbein ist Direktor des Center for Philanthropy Studies (CEPS) der Universität Basel.

Kommentar von Prof. Dr. Georg von Schnurbein für bürgerAktiv – Nachrichtendienst Bürgergesellschaft, Ausgabe 188 – April 2018 vom 27.04.2018

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