Wie wird Künstliche Intelligenz (KI) sich auf die Förderung gemeinnütziger Organisationen auswirken? Wird es passgenauere Förderanträge und bessere Förderentscheidungen geben? Oder einfach nur mehr von allem? Im bürgerAktiv-Gespräch denken Florian Hinze von Phineo und Stefan Nährlich von der Stiftung Aktive Bürgerschaft über die Entwicklung von KI und die Rolle des Menschen im Gemeinnützigkeitssektor nach.
bürgerAktiv: Wir wollen über den Nutzen Künstlicher Intelligenz im Zusammenhang mit Förderanträgen sprechen. Wie sind bislang Ihre Erfahrungen mit den Tools?
Florian Hinze: Wenn ich Projektskizzen oder Förderanträge verfasse, spart mir KI 50 bis 60 Prozent meiner Zeit. Sie hilft mir, Texte zu verdichten und sicherzustellen, dass sie einen Roten Faden und eine schlüssige Argumentation aufweisen. Mithilfe von KI identifiziere ich wichtige Themen und Schlagworte in Ausschreibungstexten und kann diese dann wiederum in meinen Antragstext einarbeiten. Weil mir wichtig ist, verständlich zu schreiben, nutze ich sie auch, um fertige Text zu glätten: Bitte streiche Substantivkaskaden raus, achte auf aktive Sprache, vermeide Fachjargon, pointiere. Das funktioniert sehr gut.
Stefan Nährlich: Ja, die KI bringt eine erhebliche Zeitersparnis. Wir setzen sie ein, um nach anschlussfähigen Programmen zu suchen. Ich lade also beispielsweise eine neue Ausschreibung von einem Ministerium in die KI und frage, ob sie eine Fördermöglichkeit für uns bietet. Solche Ausschreibungen oder Förderprogramme sind häufig sehr umfangreich. Man muss natürlich prüfen, ob die Ergebnisse stimmen. Ich frage beispielsweise die KI nach Belegen für ihre Antworten und da ist mir schon passiert, dass sie eine Seitenzahl nennt, auf der aber etwas ganz anderes steht. Darauf hingewiesen antwortete die KI: Ja, stimmt, war ein Fehler. Aber häufig sind ihre Angaben richtig.
Florian Hinze: Genau! Wenn mir die KI eine Quelle ausspuckt und beispielsweise sagt, sie hätte auf Website XY ein Referenzbeispiel identifiziert, dann muss ich zwingend prüfen, ob es dieses Referenzbeispiel wirklich gibt, und auch, wie tragfähig es ist. Häufig genug stelle ich dabei fest, dass die KI halluziniert hat.
bürgerAktiv: Trotz der Vorsichtsmaßnahmen sind Sie beide längst nicht die einzigen, die KI nutzen. Was glauben Sie: Werden sich Förderanträge über kurz oder lang stark ähneln?
Florian Hinze: Das könnte tatsächlich ein Problem werden. Aus Gesprächen mit Vertreterinnen und Vertretern von Förderinstitutionen weiß ich, dass Antragstellende mitunter etwas nachlässig darin sind, KI-generierte Texte noch mal zu prüfen. Manchmal werden dann in Antragstexte auch die Prompts oder die „Copy-“, „Vorlesen-“ und „Daumen hoch“-Buttons, die sich bei ChatGPT unterhalb des Ergebnisfensters befinden, mit hineinkopiert.
bürgerAktiv: Sehen Sie die Chance, dass die KI zu besseren Matches führt, weil Antragsteller mit Hilfe der KI nur noch da Anträge stellen, wo sie wirklich hinpassen und auch die notwendigen Informationen geben?
„Ein gut geschriebener Antrag macht nur einen Teil des Erfolgs aus“
Stefan Nährlich: Das wird nicht passieren. Ich wage die These, dass die KI gut ist im Einzelfall aber kein Game Changer. Denn: Ein gutgeschriebener Antrag macht nur einen Teil des Erfolges aus. Schon bei der Einschätzung, ob man dem Antragsteller zutraut, das umzusetzen, was er beschreibt, ist sie keine Hilfe mehr. Dafür ist in unserer Branche oft die Nähe ausschlaggebend – kenne ich eine Organisation, will ich ihr Anliegen unterstützen. Außerdem: Die KI nützt vor allem dort nichts, wo es an Öffentlichkeit mangelt, nämlich oft bei den Fördermöglichkeiten jenseits des staatlichen Bereichs. Von vielen Stiftungen weiß man nichts, andere schreiben öffentlich nichts über ihre Förderungen. Ein Game Changer wäre, wenn die KI das alles finden würde. Doch das ist weniger eine technische Frage als eine Entscheidung der Fördergeber.
Florian Hinze: Dass es bessere Matches geben wird, bezweifle ich. Ich glaube aber, dass die schiere Anzahl von Förderanträgen zunehmen wird, eben weil ich mit KI schneller und automatisierter arbeiten kann. In der gleichen Zeit, in der ich früher einen Förderantrag schrieb, kann ich nun zwei verfassen. Das erhöht – zumindest gefühlt – meine Chancen. Warum sollte ich sie nicht nutzen? Perspektivisch wird diese Zunahme dazu führen, dass rein schriftliche Förderanträge unwichtiger werden und der menschliche Kontakt wieder in den Mittelpunkt rückt. Ein Vertreter einer regionalen Kulturstiftung erzählte mir, sie würden seit KI verstärkt den direkten Kontakt zu Antragstellenden suchen, um nicht diejenigen von Vornherein auszuschließen, deren Förderanträge durch zwar KI-freie, aber eben doch ungelenke Sprache auffielen. Die genannte Stiftung ist eher klein und ohne großen Apparat, da geht das. Bei großen Stiftungen weiß ich nicht, wie sie bei hunderten Anträgen den menschlichen Faktor stärker einbauen können. Ich rechne daher kurzfristig mit einem gewissen Verdrängungswettbewerb, bei dem die, die gut mit KI umgehen können, zunächst einen Vorteil haben. Mittelfristig wird es neue Mechanismen geben.
bürgerAktiv: Muss man befürchten, dass ein Teil der Antragstellenden abgehängt wird?
Stefan Nährlich: Die Bedienung von KI ist grundsätzlich vergleichsweise einfach, es hat schon Digitalisierungsthemen gegeben, mit denen umzugehen schwieriger war. Die Frage ist: Wird die Qualität der Auswahl durch den Einsatz von KI besser. Ich habe schon in einigen Kommissionen und Jurys gesessen und da haben nicht nur fachliche Gründe eine Rolle gespielt bei der Auswahl. Häufig muss da auch ein gewisser regionaler Proporz beachtet werden, oder unterschiedliche Themen müssen abgedeckt werden. Eine KI könnte vielleicht neutraler bewerten, so wie bei Jobbewerbungen, bei denen man Alter, Geschlecht und Foto weglässt. Mein Votum wäre, dass die KI ruhig mal entscheiden soll – es wird bestimmt nicht ungerechter.
Florian Hinze: Dem stimme ich zu! Wenn KI mir hilft sicherzustellen, dass zentrale Auswahlkriterien wirklich berücksichtigt werden, und eben nicht nur gefühlt, könnte die Zuhilfenahme von KI ein überzeugendes Argument sein. Wir haben bei PHINEO gelegentlich mit Akteuren zu tun, denen viel daran liegt, Organisationen objektiv mit dem größten gesellschaftlichen Impact zu fördern. Bei ihnen könnte eine KI, wie Stefan Nährlich sie skizziert, funktionieren. Einer etablierten Stiftung sind dagegen oft die Prozesse wichtig. Da wird es immer ein Kuratorium geben, das es sich nicht nehmen lässt, am Ende alles nochmal zu diskutieren, und in dem vielleicht auch weniger transparente Entscheidungskriterien eine Rolle spielen.
bürgerAktiv: Macht es einen Unterschied für den Einsatz von KI, ob man einen Preis vergibt und die Entscheidung rechtfertigen muss oder ob man wie bei einer Stellenbesetzung keine Begründung zu liefern hat?
Stefan Nährlich: Die meisten Entscheidungen muss man begründen können. Wirklich niemandem Rechenschaft schuldig zu sein, betrifft nur einen kleinen Kreis reicher Erben oder altehrwürdige Stifter, die sagen, mein Geld, meine Regeln. Diese Haltung ist aber auf dem Rückzug, denn es geht den meisten ja auch um eine gesellschaftliche Akzeptanz und Anerkennung, Beziehungen zu anderen Akteuren, oder auch um Engagement als Lobbyinstrument. Das funktioniert nur, wenn man andere auch teilhaben lässt an Entscheidungen.
Florian Hinze: Wenn man die KI mitentscheiden lässt, muss man zwingend den Entscheidungsalgorithmus transparent machen. Interessant ist dann die Frage, ob eine andere KI, die man mit demselben Algorithmus füttert, dasselbe oder vielleicht doch ein anderes Ergebnis produziert – und wie man damit dann umgeht, dass derselbe Input zu unterschiedlichen Outputs führt.
bürgerAktiv: Ich fasse mal zusammen: KI automatisiert und spart Zeit. Sie wird voraussichtlich für mehr Volumen sorgen. Aber im Wesentlichen wird sich nichts ändern.
Stefan Nährlich: Ja. Die KI kann all denen helfen, die etwas fachlich nicht so gut selbst können. Zum Beispiel eben gut zu formulieren. Wesentlich ändern, wird das aber nichts.
„Die KI kann Inklusion befeuern“
Florian Hinze: KI kann Inklusion befeuern, weil sie jeden von uns in die Lage versetzt, gute und plausible Förderanträge zu stellen. Damit hilft sie auch denjenigen, die bisher benachteiligt waren, etwa infolge von Sprachbarrieren oder weil sie nicht gut darin waren, ihr Anliegen pointiert zu formulieren. Irgendwann gibt es aber einen Zeitpunkt, an dem sehr viele sehr gut mit KI umgehen können. Was dann?
bürgerAktiv: Welche Gefahren sehen Sie? Was müssen wir fürchten?
Florian Hinze: Ich stoße viel und regelmäßig auf Vorbehalte – KI sei klimaschädlich, entmenschliche Arbeit und führe den Datenschutz ad absurdum. Das sind berechtigte Aspekte, die ganz unbedingt und sehr ausführlich zu diskutieren sind. Sie sollten aber nicht dazu führen, dass ich mich bis zu einer finalen Klärung dieser Aspekte der Nutzung von KI verweigere. Denn dann stehe ich womöglich so weit im Abseits, dass ich keinen Anschluss mehr finde.
Stefan Nährlich: Diese Vorbehalte kenne ich, seit es Computer gibt. Es gibt auch die Befürchtung, dass KIs bald über uns Menschen hinweg entscheiden: Da ruft die Fördergeber-KI bei der Förderempfänger-KI an und sagt, lass uns das unter uns ausmachen. Zurzeit kursiert online ein Video, in dem zwei KIs sich als KI erkennen und von Sprache in den GibberLink-Modus wechseln, weil das effizienter ist – nur dass kein Mensch die beiden versteht.
bürgerAktiv: Zu Weihnachten liefert uns die KI dann einen Bericht: Dieses Jahr haben wir euer Geld da und dafür herausgegeben.
Stefan Nährlich: Ich sehe zurzeit vor allem die Chancen. Wenn etwas automatisiert wird, mit dem ich vorher viel Arbeit hatte, bin ich immer froh. Dann habe ich wieder Kapazitäten für den nächsten Schritt, zum Beispiel für Beratung. Da steigt die Nachfrage weiter. Man kann so viele Infos digital zur Verfügung stellen, wie man will – die Leute rufen immer noch gerne an.
bürgerAktiv: Bei Unsicherheiten wendet man sich weiterhin lieber an einen Menschen.
Florian Hinze: Also: Geht ans Telefon! Das wäre doch eine schöne, zukunftsweisende Überschrift.
bürgerAktiv: … und ein schönes Schlusswort. Vielen Dank für den Austausch!
Florian Hinze ist Leiter Kommunikation bei der Phineo gAG und Leiter des Projekts SKala-CAMPUS, einer Lern- und Austauschplattform für sozial Engagierte bei Phineo.
Dr. Stefan Nährlich ist Geschäftsführer und Mitglied des Vorstands der Stiftung Aktive Bürgerschaft.
Das Gespräch moderierte Gudrun Sonnenberg, Redaktionsleiterin bürgerAktiv der Stiftung Aktive Bürgerschaft.
Fotos: Linda Walter / Phineo, Werner Kissel / Stiftung Aktive Bürgerschaft
Der Beitrag ist Teil des Fokus Künstliche Intelligenz – Trends, Praxis, Grenzen der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte April 2025 der Stiftung Aktive Bürgerschaft.