Für Tanja Knopp, Landesrotkreuzleiterin beim DRK-Landesverband Westfalen-Lippe e.V. zeigt die Flutkatastrophe wie ein Brennglas, wo es noch hapert im Katastrophenschutz. Im Interview mit bürgerAktiv erklärt sie, wie Bürgerinnen und Bürger sinnvoll helfen können, und wie die Konfrontation mit der Verzweiflung der Menschen, die alles verloren haben, die Helfenden vor Ort belastet, und was das DRK jetzt in den Einsatzgebieten tut.
Von Lena Guntenhöner (Stiftung Aktive Bürgerschaft)
Frau Knopp, Sie sind als Landesrotkreuzleiterin beim DRK-Landesverband Westfalen-Lippe für das Krisenmanagement verantwortlich. Wie ist die Lage bei Ihnen?
Zuallererst ging es darum, die Menschen zu evakuieren, in Notunterkünften unterzubringen und zu versorgen. Wir sind dann aber relativ schnell zu der Phase gekommen, Wiederaufbau zu leisten und die Leute zurück in ihre Häuser zu bringen. In Hagen haben wir einen Straßenzug, den es so richtig getroffen hat. Der sieht aus wie nach einem Erdbeben. Jetzt liegen da noch diese großen Schuttberge, die abgetragen werden müssen. Insgesamt hatten wir in Westfalen-Lippe aber nicht so viele betroffene Ortschaften. Die Kollegen vor Ort sind immer noch da, unsere Philosophie ist ja: Die Flut geht, das Rote Kreuz bleibt. Aber wir haben keine Einsatzkräfte aus anderen Regionen mehr, die koordiniert werden müssen.
Wie steht es um die schlimmer betroffenen Regionen?
Wir unterstützen Notunterkünfte in der Region Nordrhein. Und der ganz große Einsatzschwerpunkt, wo auch noch Ortschaften erschlossen werden müssen, ist Rheinland-Pfalz. Da haben wir zahlreiche Einheiten im Einsatz, die bei der Betreuung unterstützen und psychosoziale Unterstützung leisten. Ich habe dort mit der Landesbereitschaftsleiterin gesprochen, die berichtete, dass sie den Menschen erklären müssen, dass sie nie wieder in ihren Straßen wohnen werden. Da gibt es Abbruchkanten, da drüber stehen die Häuser und da drunter ist nichts mehr. Die Behörden haben schon signalisiert, dass man das nicht einfach so wieder aufbauen kann. Das ist für die Leute natürlich total schlimm.
Die Hilfe wird ja größtenteils von Ehrenamtlichen geleistet. Wie viele haben Sie derzeit im Einsatz?
Das kann man nicht ganz sauber differenzieren. Für Nordrhein-Westfalen haben wir vom Anbeginn der Flutkatastrophe bis jetzt 5.100 Kräfte im Einsatz gehabt. Da sind aber auch hauptamtliche Kollegen, z.B. aus dem Rettungsdienst dabei. Da aber der größte Teil unseres Einsatzes im Bereich der Betreuung geleistet wird durch Köche, Betreuer, psychosoziale Unterstützer, waren schon die meisten ehrenamtlich unterwegs. Die dankenswerterweise oftmals von ihren Arbeitgebern freigestellt wurden oder Urlaub genommen haben.
Hätte diese Flutkatastrophe irgendwie verhindert oder abgemildert werden können?
Ich bin jetzt auch kein Hochwasserexperte. Aber man hätte Menschen früher erreichen können. Wir haben die NINA-App und noch ein paar andere, setzt aber voraus, dass man sie kennt. Setzt auch voraus, dass man darauf reagiert. Ich habe sie auf dem Handy drauf und das Ding piept schon oft, dann guckt man und sieht: 200l Regen pro Quadratmeter. Was bedeutet das? Da steht ja nicht: Jetzt alle raus aus den Häusern! Gerade ältere Menschen sind sicherlich trotzdem noch darauf angewiesen, dass Verwandte sie anrufen. Auch im Radio wurde darüber ja berichtet, aber es hat die Menschen offenbar nicht ausreichend erreicht. Wir bräuchten ein viel offensiveres Warnsystem, was sicherlich alle technischen Medien nutzt, aber man braucht auch Lautsprecherdurchsagen, Sirenen und ähnliches.
Gibt es auch etwas, dass die Menschen selbst tun können?
Natürlich. Wie viele machen sich denn solche Gedanken: Was mache ich bei so einem Ereignis? Was nehme ich mit? Unsere Kollegen aus den Notunterkünften berichten, dass der eine mit seinem Kanarienvogel unterm Arm ankommt, der andere hat noch schnell die Katze geschnappt. Viele haben ihre Papiere nicht dabei und ihnen wird im Nachhinein klar, dass sie die auch nie wiederkriegen werden. Eine gepackte Tasche, wo die wichtigsten Sachen drin sind, wird immer so belächelt und selbst wir vom DRK sind ja manchmal auch nicht besser. Dabei kann sowas jeden treffen, es kann ja auch ein Wohnungsbrand sein.
Wie kann man den Betroffenen am besten helfen, mit Geld, Sachspenden oder Selbst-Anpacken?
Zu den unspezifischen Sachspenden sagen wir aktuell: Bitte hört auf damit! Das bindet vor Ort Einsatzkräfte, die diese Sachspenden unterbringen und sortieren müssen, und die Frage ist, ob man die wirklich passgenau zu den Leuten hinbekommt. Die Betroffenen sind oft einfach noch nicht so weit: Wer noch nicht in sein Haus zurück kann, der braucht auch gerade keinen Kühlschrank. Anders ist es mit konkreten passgenauen Sachspenden wie in den Gruppen auf Facebook, die sich sehr präzise mit bestimmten Dingen aushelfen.
Goldwert vor Ort sind Menschen, die anpacken. Aber auch da ist es sinnvoll über die Gruppen zu gehen oder über die Anlaufstellen der Städte für Helfende. Nicht einfach irgendwohin fahren und damit womöglich die Fahrwege blockieren, sondern im Internet recherchieren, zum Beispiel findet man beim BBK (Anmk. d. Red. Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe) eine Liste mit den Anlaufstellen.
Was für die Menschen natürlich auch ganz wichtig ist, damit sie zielgerichtet ins Leben zurückfinden können, sind die Geldspenden. Wir hören oft, egal ob Rotes Kreuz, Caritas oder sonst wer: Ihr wollt ja nur Geld! Wir wollen das ja nicht für uns, sondern es wird tatsächlich von den Menschen vor Ort gebraucht. In Nordrhein-Westfalen haben sich Hilfs- und Wohlfahrtsorganisationen mit dem Land zum Aktionsbündnis „NRW hilft“ zusammengetan und ein gemeinsames Spendenkonto eingerichtet. Da gibt es ein ganz einfaches Verfahren, wie die Mittel abgerufen werden können. Und gleichzeitig schauen wir aktiv mit den anderen Organisationen, wo es Menschen gibt, die dieses Angebot noch nicht entdeckt haben, aber großen Bedarf haben.
Hätten Sie sich als Helfer an manchen Stellen mehr Unterstützung gewünscht?
In Richtung Landes- und Bezirksregierungen müssen wir nochmal gucken, wie wir uns strukturell besser aufstellen. Außerdem haben wir gemerkt, wie stark wir von Internet und Telefon abhängig sind. Bei früheren Katastrophen waren immer nur einzelne Orte betroffen und es gab drumherum eine intakte Infrastruktur. Was aber machen wir, wenn das gesamte Handynetz und Internet zusammenbricht? Ein großes Problem war auch die Geländegängigkeit von Fahrzeugen, viele Gebäude waren mit normalen Autos gar nicht mehr anfahrbar. Hubschrauber kann man relativ schnell zusammenbringen, aber wir hatten zu wenig Boote. Wenn man etwas Positives an diesem Ereignis sehen will, dann hat es schon wie ein Brennglas viele Punkte aufgezeigt, denen wir uns jetzt lösungsorientiert widmen können.
Das Interview wurde geführt am 22. Juli 2021 für bürgerAktiv – Nachrichtendienst Bürgergesellschaft, Ausgabe 224 – Juli 2021 vom 29.07.2021