von Rudolf Speth
Die Bundesregierung hat eine Kommission eingesetzt, die bis zum Ende der Legislaturperiode Vorschläge erarbeiten soll, wie das Ziel, gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland herzustellen, besser erreicht werden kann. Dabei sollen das Engagement der Bürgerinnen und Bürger und die vielen zivilgesellschaftlichen Organisationen helfen. Es darf allerdings bezweifelt werden, ob dies gelingt und ob Engagement die größer werdenden Unterschiede zwischen den Regionen verringern kann.
Das Politikziel der Angleichung der Lebensverhältnisse, das im Artikel 72 des Grundgesetzes niedergelegt ist, ist keineswegs neu und innovativ. Bis 1994 sprach das Grundgesetz noch von einheitlichen Lebensverhältnissen, die anzustreben sind. Nachdem die neuen Bundesländer hinzugekommen waren, begnügte man sich mit „gleichwertigen Lebensverhältnissen“ und hatte vor allem die Differenz zwischen Ost und West, aber immer auch die Zivilgesellschaft im Blick. Der jetzige Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Bundesländer hat an erster Stelle das Ziel formuliert, gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen. Er denkt dabei vor allem an die Zivilgesellschaft und hat das passende Programm dazu: „Zusammenhalt durch Teilhabe“, das nun auch für die westdeutschen Bundesländer geöffnet wurde.
Das Programm sollte die Demokratie stärken und Extremismus bekämpfen. Mit zivilgesellschaftlichen Organisationen sollten Menschen erreicht werden, die bis dato kaum ansprechbar waren.
Die neue Kommission will nun einen Schritt weiter gehen. Sie möchte, dass die Menschen sich dort wohl fühlen, wo sie leben, und dass sie auch dort bleiben. Sie will den Polarisierungstendenzen entgegenarbeiten.
Wir beobachten aber eine Auseinanderentwicklung auf vielen Ebenen: der Zuzug in die Städte bringt auf allen Seiten Probleme mit sich. Ländliche Regionen entvölkern sich, die Alten bleiben zurück, in der Daseinsvorsorge und Infrastruktur (Schulen, Gesundheit, Lebensmittel, Internet etc.) klaffen immer größere Lücken. Die wachsenden Städte dagegen kommen mit bezahlbaren Wohnungen, Kindergärten und Schulen nicht hinterher. Bestimmte Gebiete können sich nur noch Gutverdiener leisten.
Können nun die Zivilgesellschaft und das Engagement dazu beitragen, die sich vergrößernden sozialen und ökonomischen Unterschiede auszugleichen? Nur bedingt. Denn die demografischen und ökonomischen Entwicklungen vollziehen sich mit einer Macht, die kaum zivilgesellschaftlich eingehegt werden kann. Zudem stärkt zivilgesellschaftliches Engagement sozial starke Menschen, weil Netzwerkkontakte wichtiger werden. Abhilfe würde nur geschaffen, wenn zivilgesellschaftliche Organisationen gezielt soziale Ungleichheit bekämpften und sich der Ausgeschlossenen annähmen. In jüngster Zeit wurde aber deutlich, dass der Ausschluss kein primär ökonomischer, sondern ein kultureller ist. Und da werden aus sozialen und ökonomischen Differenzen dann Unterschiede um Lebensentwürfe, Werthaltungen und Vorstellungen, wie die Gesellschaft organisiert werden soll. Aber gerade hier könnte die Leistung zivilgesellschaftlicher Organisationen liegen: kulturelle Differenzen zu überbrücken.
Kommentar von Dr. Rudolf Speth für bürgerAktiv – Nachrichtendienst Bürgergesellschaft, Ausgabe 191 – Juli 2018 vom 31.07.2018