Kommentar: Banken, Bürger und die Stiftungen

von Stefan Nährlich

Vor 100 Jahren, am 2. Januar 1914, wurde in Cleveland, Ohio, die erste Bürgerstiftung der Welt gegründet. Heute gibt es Community Foundations – Bürgerstiftungen – in mehr als 50 Ländern dieser Erde, auch in Deutschland. Wer sich mit ihnen beschäftigt, hört irgendwann die Geschichte von Frederick H. Goff, den Bankier und Rechtsanwalt aus Cleveland. Es ist die Geschichte eines Mannes, dessen Vision einer Stiftung von Bürgern für Bürger weltweit viele Nachahmer gefunden hat. Aber auch die Geschichte über den Mann, der als Präsident der Cleveland Trust Company der Meinung war, Stiftungen sollten nicht von Banken verwaltet werden.

Was Goff vor 100 Jahren umtrieb, war der Anspruch an eine bestmögliche Zweckerfüllung von Stiftungen, die er sich selbst außerstande sah einzulösen. Zu Goffs Zeiten finanzierte eine Stiftung beispielsweise Hufeisen für Pferde, die nächste vergab Stipendien, von denen Frauen und Minderheiten explizit ausgeschlossen waren. Andere Stiftungen hatten einen breiteren Stiftungszweck, wollten gute Nachbarschaft fördern und die positive Entwicklung der Stadt. Doch wo sollte man am besten ansetzen? Welche konkreten Projekte und Förderungen konnten dazu einen wirkungsvollen Beitrag leisten? Goff erkannte, dass er darauf weder eine kompetente Antwort geben konnte, noch auf Unterstützung von den Nachkommen der Stifter hoffen durfte. Diese zeigten nämlich zumeist wenig Interesse an den von ihren Eltern oder Großeltern gegründeten Stiftungen. Ein Phänomen, das heute in der Stiftungswelt als die „toten Hände der Vergangenheit“ bekannt ist – Stiftungen, deren Zwecke Jahrzehnte nach dem Tod des Stifters nicht mehr zeitgemäß sind. Was also tun? Goffs Antwort war es, eine Stiftung zu gründen, in der die Bürger selbst entscheiden, was gut ist für ihre Stadt.

Goffs Vision der Bürgerstiftung kann auch heute noch den Weg weisen. Dabei sind Banken elementar für eine gute Anlage des Stiftungsvermögens. Darauf sollten sie sich allerdings auch beschränken, denn für die Verwaltung der Stiftung und ihre bestmögliche Zweckerfüllung werden andere Experten gebraucht. Bürgerstiftungen können solche Kompetenzen bieten. Ihnen dabei zu helfen, diese zu entwickeln, liegt auch im Interesse der Banken. Sie ersparen sich Arbeit und Kosten und können sich auf das Vermögensmanagement konzentrieren. Wenn Banken und Bürgerstiftungen die Arbeit richtig teilen und dann gut zusammenarbeiten, profitieren alle, am meisten das Gemeinwohl. Das würde wohl auch Frederick H. Goff so sehen, hätte er die Erfolgsgeschichte seiner Idee noch miterleben können.

Kommentar von Dr. Stefan Nährlich für bürgerAktiv – Nachrichtendienst Bürgergesellschaft, Ausgabe 141 – Januar 2014 vom 31.01.2014

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