Kommentar: Bekannte Trends und gestiegene Engagementzahlen – der neue Freiwilligensurvey

von Gisela Jakob

Soeben ist der 4. Freiwilligensurvey erschienen. Auf mehr als 600 Seiten präsentiert er personenbezogene Daten zum freiwilligen Engagement. Die Fortsetzung der Beobachtung vermittelt damit wertvolle Informationen zur quantitativen Entwicklung des Engagements in den letzten 15 Jahren.

Zunächst überrascht der Freiwilligensurvey 2014 mit deutlich gestiegenen Engagementzahlen. Demnach ist das freiwillige Engagement in den letzten fünf Jahren von knapp 36 Prozent auf 43,6 Prozent gestiegen. Dies entspricht einer Steigerung der Engagementquote in den letzten 15 Jahren um fast 10 Prozent.

Auf den ersten Blick ist dies eine erfreuliche Entwicklung, die aber auch überrascht, weil es keine eindeutigen Erklärungen für diese Steigerungsraten gibt. Die Autorinnen und Autoren selbst weisen auf die Bildungsexpansion, die stärkere Erwerbsbeteiligung der Frauen und die größere öffentliche Aufmerksamkeit für das Engagement hin. Dem widersprechen allerdings gesellschaftliche Trends wie gestiegene Anforderungen und zeitliche Beanspruchungen für Frauen und Männer in der Arbeitswelt oder die fortschreitende Säkularisierung, die Engagement begrenzen. Zumindest ein Teil der deutlich höheren Engagementquote scheint dem forschungsmethodischen Vorgehen bei der Prüfung der Aussagen am Ende der Interviews geschuldet zu sein. In der Befragung 2014 wurden deutlich weniger Tätigkeiten als Nicht-Engagement gewertet als in der Befragung 2009, so dass in der neuen Erhebung mehr einmalige und sporadische Engagements erfasst sind.

Bildung entscheidet

Die Daten des 4. Freiwilligensurveys bestätigen Entwicklungen und Strukturen, die sich bereits in den vorherigen Erhebungen abgezeichnet haben: Nach wie vor sind Frauen seltener engagiert als Männer, wobei die Frauen etwas aufgeholt haben. In Leitungsfunktionen sind Frauen deutlich unterrepräsentiert. Das Engagementverhalten wird vom Bildungsstatus und der sozioökonomischen Situation entscheidend geprägt. Die Engagementquote steigt mit zunehmendem Bildungsabschluss, während Menschen mit keinem oder niedrigen Bildungsabschlüssen deutlich seltener Zugänge finden. Auch die Differenzen zwischen dem Engagement in Ost- und Westdeutschland und im Stadt-Land-Vergleich sind nach wie vor vorhanden und werden von der neuen Erhebung bestätigt.

Junge Leute zwischen 14 und 19 Jahren sind die mit über 50 Prozent am stärksten engagierte Altersgruppe. Schade allerdings, dass der 4. Freiwilligensurvey das Engagement der jüngsten Altersgruppe nicht im Zusammenhang mit den Schulformen untersucht hat. Aus engagement- und bildungspolitischer Perspektive wäre es interessant zu wissen, ob die 2009 ermittelten unterschiedlichen Engagementquoten von Schülerinnen und Schülern in Ganztags- und Halbtagsschulen und in gymnasialen G8- und G9-Zweigen nach wie vor gelten.

Kontaktstellen werden wichtiger

Engagierte verwenden heute weniger Zeit auf ihre freiwillige Tätigkeit als vor 15 Jahren. Knapp 60 Prozent sind bis zu zwei Stunden pro Woche engagiert. Die Zahl der aus eigener Initiative aktiv gewordenen Engagierten ist in den letzten Jahren stetig gestiegen. Ein deutlich höherer Anteil von Engagierten hat mittlerweile den Zugang über lokale Kontakt- und Anlaufstellen gefunden, was auf deren stärkere Verbreitung und zugenommene Bedeutung verweist.

Erstmals und lange überfällig ermittelt der Freiwilligensurvey repräsentative Daten zum freiwilligen Engagement von Migrantinnen und Migranten, weil auch fremdsprachige Interviews geführt wurden. Menschen mit einer Migrationsgeschichte, die in Deutschland geboren sind und über die deutsche Staatsbürgerschaft verfügen, sind ähnlich stark engagiert wie die bundesdeutsche Bevölkerung insgesamt. Das Engagement der Zugewanderten ohne deutsche Staatsbürgerschaft fällt dagegen deutlich niedriger aus.

Interessant sind noch die Informationen zur Monetarisierung des Engagements. Mit den vorliegenden Daten lässt sich keine Zunahme von Geldzahlungen im Engagement nachweisen. Dies schließt aber nicht aus, dass es in bestimmten Bereichen wie der Pflege einen Trend zur Monetarisierung gibt, der die Verantwortlichen vor Ort herausfordert.

Der Freiwilligensurvey erweist sich erneut als ein wichtiges Instrument für eine langfristige Beobachtung des Engagementfeldes dar und sollte unbedingt fortgeführt werden. Es wäre aber schön, wenn zumindest erste Ergebnisse beim nächsten Mal schneller präsentiert werden und nicht erst, wie jetzt, zwei Jahre nach der Erhebung, wenn – nach dem zivilgesellschaftlichen Aufbruch zur Unterstützung geflüchteter Menschen in den letzten Monaten – einige Ergebnisse bereits von der Realität eingeholt worden sind.

Kommentar von Prof. Dr. Gisela Jakob für bürgerAktiv – Nachrichtendienst Bürgergesellschaft, Ausgabe 166 – April 2016 vom 29.04.2016

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