Kommentar: Berechtigte Kritik an den Tafeln

von Gisela Jakob

Dass Wohlfahrtsverbände und Nichtregierungsorganisationen erneut die Tafeln kritisieren, ist nachvollziehbar. Denn wie die Tafeln sich entwickeln, hinterlässt in der Tat einen ambivalenten Eindruck.

Einerseits hat sich hier ein Netz an unmittelbaren Hilfestrukturen herausgebildet, das von zahlreichen freiwillig engagierten Bürgerinnen und Bürgern getragen wird. Kaum ein Thema hat in den letzten Jahren so viele Engagierte mobilisiert wie die Unterversorgung von Menschen mit Lebensmitteln. Das Engagement ist Ausdruck einer Hilfsbereitschaft und Sensibilität für die Notlagen von Menschen in Armut. Ein großer Teil der Tafel-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind übrigens Personen, deren Unterrepräsentanz im Engagement in der Fachdebatte immer beklagt wird: Menschen, die selbst mit einem niedrigen Erwerbseinkommen auskommen müssen oder bereits Erfahrungen mit staatlichen Transferleistungen haben.

Andererseits hat dieses Engagement Nebenwirkungen, in deren Folge sich Armut verfestigt. Mit ihrem flächendeckenden Angebot sind die Tafeln daran beteiligt, eine neue gesellschaftspolitische Agenda des Umgangs mit Armut zu etablieren. Statt die finanzielle und rechtliche Situation von Erwerbslosen und Menschen mit niedrigen Einkommen zu verbessern, wird ein System der Almosenvergabe geschaffen, das Hilfen vom Wohlwollen der Helfer abhängig macht und soziale Bürgerrechte in Frage stellt. Die Leistungen der Tafeln eröffnen für die Nutzerinnen und Nutzer keine Perspektiven, aus der Armut herauszukommen. Stefan Selke, Soziologieprofessor an der Hochschule Furtwangen, macht in seinem Buch „Schamland“ darauf aufmerksam, dass in den Tafeln eine Struktur der „Beschämung“ und Herabsetzung ihrer Nutzerinnen und Nutzer angelegt ist. Dies lässt sich auch durch euphemistische Formulierungen wie die Kennzeichnung der Nutzer als „Kunden“ oder die Entwicklung der Tafeln als „soziale Bewegung“ nicht aufheben.

In den letzten Jahren hat es im Kontext einer kritischen Öffentlichkeit immer wieder Forderungen gegeben, dass sich die Tafeln über die unmittelbaren Hilfen hinausgehend in die politischen Debatten um Armut und Unterversorgung einmischen müssten. Dies ist ihnen selbst allerdings bislang nicht gelungen. Umso wichtiger sind deshalb die aktuellen Initiativen einiger Wohlfahrtsverbände und Organisationen, in denen die Tafeln auf den Prüfstand gestellt werden. Damit nehmen die Verbände ihre wichtige Rolle als zivilgesellschaftliche Akteure wahr, die auf gesellschaftliche Probleme hinweisen und sich für die Belange von Bevölkerungsgruppen einsetzen, die kaum über Zugänge zur Öffentlichkeit und Einfluss auf die Politik verfügen. Der Preis für den eröffneten Diskurs sind Konflikte in den eigenen Reihen und möglicherweise auch mit staatlichen Akteuren.

Kommentar von Prof. Dr. Gisela Jakob für bürgerAktiv – Nachrichtendienst Bürgergesellschaft, Ausgabe 133 – April 2013 vom 30.04.2013

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