Kommentar: Demokratiebildung – was Service Learning leistet

Intensiv ist in den vergangenen Monaten über Misserfolge der schulischen Bildung, Personal- und Ressourcenknappheit diskutiert worden. Über die notwendige Behebung der Mängel in der Ausstattung der Schulen und Bildungseinrichtungen hinaus sollte jedoch auch auf die Konzepte geschaut werden, welche an Schulen funktionieren und mit denen die junge Generation auf ihre Verantwortung für die Zukunft vorbereitet werden kann. Es geht dabei unter anderem um Demokratiebildung.

von Karl-Heinz Gerholz, Universität Bamberg

Schwierige Umstände zwischen Filterblasen und Echokammern

Filterblasen und Echokammern: Für die heutigen jungen Menschen im Bildungssystem sind sie Bestandteil ihres Alltags. Die Generation Z (Geburtsjahrgänge 1995–2010) und die Alpha-Generation (Geburtsjahrgänge nach 2010) sind von Kindheit an in einer digital vernetzten Welt aufgewachsen. Die Algorithmen der Social-Media-Plattformen werten ihr Nutzerverhalten aus (beispielsweise ihre Verweildauer auf Posts und ihre Likes) und personalisieren darüber die dargebotenen Informationen. Es entstehen Informationsblasen, die eine breit angelegte Wertebildung erschweren. Echokammern entstehen wiederum durch gruppendynamische Prozesse, indem Individuen mit Gleichgesinnten ihre Netzwerke bilden und sich in ihren gegenseitigen Ansichten und häufig auch politischen Wertevorstellungen bestärken. Positionen von außen – andere Perspektiven – finden somit gar keinen Zugang mehr.

Diese Orientierung in Filterblasen und Echokammern sind schwierige Voraussetzungen für eine demokratisch orientierte Wertebildung junger Menschen. In der Schule wird sie zur Herausforderung – und das in einer Zeit, in der die schulische Bildung ohnehin unter strukturellen Mängeln und Ressourcenknappheit leidet, wie Studien und Diskussionen in den vergangenen Monaten einmal mehr deutlich gemacht haben. Wie kann der Herausforderung bei Demokratiebildung begegnet werden?

Service Learning für eine aktive Wertebildung der heutigen Lernenden

Wenngleich aus empirischen Studien bekannt ist, dass die Wirkungen von Filterblasen und Echokammern nicht überschätzt werden sollten, braucht es dennoch moderne Lehr-Lernkonzepte an den Schulen, um eine aktive wie reflexive Wertebildung bei den heutigen Generationen von Schülerinnen und Schülern zu fördern. Die jungen Menschen müssen in der aktiven Auseinandersetzung um Wertevorstellungen und in einer demokratischen Gesellschaftsform gelebten Werte unterstützt werden und hier ihre eigene Position finden. Weniger das Lernobjekt – die Vermittlung von Werten – sollte im Vordergrund stehen. Es geht um Wertebildung und nicht um Werteerziehung. Hierfür braucht es aktive und handlungsorientierte Lehr-Lernformen, die den Schülerinnen und Schülern die innere Auseinandersetzung mit gelebten Werten in einer Demokratie ermöglichen. Dafür steht Service Learning.

Wie Service Learning hilft

Service Learning verbindet die Inhalte eines Lehrplanes mit realen Problemstellungen der Zivilgesellschaft. Die in einem Service-Learning-Projekt zu bearbeitende Problemstellung ist beim Service Learning curricular in die Unterrichtsarbeit eingebettet. Die Lernenden erarbeiten sich über den Service-Prozess Inhalte eines Unterrichtsfaches (z. B. Deutsch, Mathematik, Geschichte) und bringen diese bei der Problembearbeitung zur Anwendung. Somit werden beim Service Learning der fachlich-methodische Kompetenzentwicklungsprozess und die Persönlichkeitsentwicklung gleichermaßen gefördert. Beispiele dafür finden sich in der Projektdatenbank des Service-Learning-Programms „sozialgenial“ der Stiftung Aktive Bürgerschaft wie etwa ein „World Café“ am Berufskolleg Siegburg zu Mobilitätskonzepten oder das Erinnerungsprojekt „Erinnern, Verantwortung und Frieden“ am Hugo-Junkers-Gymnasium in Mönchengladbach.

Service Learning als Lehr-Lernform hilft den Schülerinnen und Schülern, Problemlösungsfähigkeiten zu entwickeln, was unter anderem auf den realen Charakter des Lehr-Lernformats zurückgeführt wird – Service Learning findet nicht nur im Klassenraum, sondern auch in der Realität, also in der Zivilgesellschaft, statt. Hierdurch erleben die Schülerinnen und Schüler eine Wirksamkeit ihres eigenen Handelns; Selbstwirksamkeit wird gestärkt. Auch leistet Service Learning einen Beitrag für die kognitive Entwicklung der Schülerinnen und Schüler: Es entsteht ein Wissenszuwachs, welcher höher als im herkömmlichen Unterricht sein kann. Darüber hinaus werden soziale Fähigkeiten wie Team- und Kooperationsfähigkeiten mit Service Learning gefördert. In der Regel arbeiten die Schülerinnen und Schüler in Gruppen an den zivilgesellschaftlichen Problemstellungen. Service Learning unterstützt eine Positionsbildung zu Werten in einer demokratischen Gesellschaft: Die Schülerinnen und Schüler setzen sich mit der Breite zivilgesellschaftlicher Werte – und auch deren Widersprüchen – auseinander, worüber sich das Selbstbild ändern und eine reflexive Positionsbildung stattfinden kann. Auch hat Service Learning Vorteile, wenn es um den Aufbau interdisziplinärer Fähigkeiten geht, indem Schülerinnen und Schüler lernen, Dinge aus anderen Perspektiven zu betrachten, und darüber zu anderen Einsichten kommen.

Von den virtuellen Welten in die zivilgesellschaftliche Realität

Service Learning leistet einen Beitrag, die heutige Generation von Schülerinnen und Schülern – die Generationen Z und Alpha – aus ihren virtuellen Welten herauszuholen und ihnen die Bandbreite von Werten in einer demokratisch verfassten Zivilgesellschaft durch die aktive Auseinandersetzung mit zivilgesellschaftlichen Problemstellungen aufzuzeigen. Idealerweise findet darüber eine reflexive Positionsbildung statt. Die Erfahrungen der letzten 20 Jahren mit dem Konzept bestätigen, dass es erfolgreich ist. Es sollte stärker in den Blick genommen werden, wenn über zukunftsträchtige Bildung diskutiert wird.

Prof. Dr. Karl-Heinz Gerholz ist Professor für Wirtschaftspädagogik an der Universität Bamberg.

Kommentar von Prof. Dr. Karl-Heinz Gerholz für bürgerAktiv – Nachrichtendienst Bürgergesellschaft, Ausgabe 244 – Mai 2023 vom 31.05.2023

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