Kommentar: Der Wunsch zu helfen reicht nicht!

von Gisela Jakob

Unzählige Bürgerinnen und Bürger engagieren sich vor Ort mit Patenschaften, Sprachkursen, Begleitung bei Behördengängen und Arztbesuchen oder mit Geld- und Sachspenden für Flüchtlinge und Asylbewerber. Ohne dass die Kommunen oder staatliche Instanzen dazu aufgerufen hätten, ist eine Bewegung zur Unterstützung für Flüchtlinge entstanden, die vorher niemand erwartet hätte. Während staatliche Instanzen überfordert sind und Verantwortlichkeiten zwischen Bund und Ländern hin und her verschoben werden, versuchen bemerkenswert viele Bürgerinnen und Bürger mit den ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten Hilfe zu leisten. Sie setzen damit ein eindeutiges Zeichen gegen brennende Flüchtlingsunterkünfte und fremdenfeindliche Äußerungen, die es ja auch gibt.

Die spontane Hilfsbereitschaft hat aber auch eine Kehrseite, die sich beim genaueren Blick auf die Situation vor Ort offenbart: Konflikte zwischen professionellen Mitarbeitern und Ehrenamtlichen, Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Gruppen von Ehrenamtlichen und diverse Missverständnisse zwischen den freiwilligen Helfern und den Flüchtlingen.

Überforderte Bürger werden allein gelassen

Der Wunsch zu helfen, reicht oft nicht aus, um wirkliche Hilfe und Unterstützung bereit zu stellen. Die Bürgerinnen und Bürger sind mit individuellen Leidensgeschichten der geflüchteten Menschen und komplexen Problemlagen konfrontiert, die sie häufig überfordern. Hinzu kommen Eigenheiten mancher Engagierter, die den Anforderungen an eine kompetente Unterstützung widersprechen oder sogar neue Konflikte provozieren. Selbstbewusste Bürger wählen „ihre“ Familie aus, die sie begleiten und ignorieren dabei, dass es auch noch andere Flüchtlinge gibt, die Unterstützung brauchen. Fotos von Flüchtlingen, die in ihrem Herkunftsland politisch verfolgt werden, werden ins Internet gestellt. In den Fluren von Einrichtungen stapelt sich die gespendete Kleidung, weil es dafür gar keinen Bedarf mehr gibt. Die Liste gut gemeinter, aber letztendlich Schaden anrichtender Hilfe ließe sich fortsetzen.

Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Die große Hilfs- und Unterstützungsbereitschaft vieler Bürgerinnen und Bürger und ihr Beitrag zu einer Willkommenskultur ist etwas sehr Wertvolles, und ohne bürgerschaftliches Engagement und zivilgesellschaftliche Aktivitäten wird die Aufnahme und Integration der geflüchteten Menschen nicht gelingen. In der aktuellen Situation werden die engagierten Bürgerinnen und Bürger jedoch allein gelassen, überfordert und müssen als Lückenbüßer für fehlende professionelle Hilfen herhalten. Um Mängel bei der Unterbringung, aufenthalts- und asylrechtliche Fragen oder die Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu bewältigen, sind staatliche Instanzen in Kooperation mit zivilgesellschaftlichen Organisationen und auch Unternehmen gefragt. Bürgerschaftliches Engagement kann zur Bewältigung dieser Anforderungen beitragen, hat aber auch seine Grenzen.

Die aktuelle Situation zeigt außerdem, dass bürgerschaftliches Engagement einen organisatorischen Rahmen und eine professionelle Freiwilligenkoordinierung braucht. Um derart komplexe und verantwortungsvolle Aufgaben wie die Unterstützung von geflüchteten Menschen angemessen zu erfüllen, sind ein rudimentäres Wissen über deren Problemlagen, grundlegende Handlungskompetenzen und Orte zur Reflexion des eigenen Handelns notwendig. Eine professionelle Engagementförderung zeichnet sich durch fachlich ausgewiesene Ansprechpartner für die Engagierten, Möglichkeiten zur Qualifizierung und Orte für den Erfahrungsaustausch aus. Hier sind Einrichtungen der lokalen Engagementförderung wie Freiwilligenagenturen, Stiftungen und Bürgerstiftungen sowie auch Vereine und Verbände gefragt, um verlässliche Strukturen zur Koordinierung des Engagements und der professionellen Unterstützung zu schaffen. Dies erfordert die Kooperation und Abstimmung aller Beteiligten: staatlicher und kommunaler Instanzen ebenso wie zivilgesellschaftlicher Organisationen und engagierter Bürgerinnen und Bürger.

Kommentar von Prof. Dr. Gisela Jakob für bürgerAktiv – Nachrichtendienst Bürgergesellschaft, Ausgabe 159 – August 2015 vom 31.08.2015

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