von Rudolf Speth
Jüngst ist der Zweite Engagementbericht der Bundesregierung veröffentlicht worden. Bei einer solchen Publikation merken alle auf, die sich in dem Bereich des bürgerschaftlichen Engagements bewegen, Forscher wie Praktiker. Geschrieben ist der Bericht von einer Sachverständigengruppe, bestellt wurde er von der Bundesregierung, die ihn, wie es sich für solche Berichte gehört, auch kommentiert hat. Mit seinen rund 600 Seiten ist er ein dickes Dokument der Politikberatung. So hoffen es wenigstens die Sachverständigen. Ob er tatsächlich bei der künftigen Engagementpolitik der Bundesregierung berücksichtigt wird, bleibt abzuwarten.
Zu lesen ist der Bericht in jedem Fall als ein Dokument der Beobachtung der Gesellschaft durch Experten, die sich schon lange mit dem bürgerschaftlichen Engagement und der Zivilgesellschaft beschäftigen. In dem Bericht haben sie ihre Beobachtungen von Entwicklungstrends verdichtet. Viele dieser Beobachtungen sind nachvollziehbar und werden die Diskussion langfristig beeinflussen. Da ist an erster Stelle ein Begriff zu nennen, der zunächst ganz unscheinbar daherkommt: Der Engagementbericht spricht von einer Vielfalt des Engagements. Die Gesellschaft sei vielfältiger geworden und mit ihr auch das Engagement.
Schon länger gibt es Formen des informellen Engagements, die vielfach ohne Organisationen auskommen und in Nachbarschaften ausgeübt werden. Es gibt auch das Engagement von Migrantinnen und Migranten, über das wir immer noch zu wenig wissen. Stattdessen prägen zunehmende Konflikte die öffentliche Wahrnehmung in der Zivilgesellschaft. Politischen und sozialen Protest gibt es nicht mehr nur auf der linken Seite; die wachsende gesellschaftliche Ungleichheit zeigt sich auch im Engagement. Nach den Sachverständigen ist es vor allem das stille Engagement, das keinen Bezug zum öffentlichen Raum hat, das stärker beachtet werden soll.
Offenbar fehlt die konzeptionelle Kraft
Aus all dem haben die Sachverständigen den Schluss gezogen, von einer Vielfalt des Engagements zu sprechen. Die verschiedenen Formen, Gegenstände, Bereiche und Ziele des Engagements lassen sie nun einfach nebeneinander stehen. Es fehlt offenbar die konzeptionelle Kraft, die übergreifende Gemeinsamkeit zu entdecken. Die Sachverständigen haben sich auch entschieden, nur noch von Engagement zu sprechen und das davor stehende Adjektiv „bürgerschaftlich“ weg zu lassen. Und nicht jedes Engagement sei politisch, sagen sie. Eigentlich wissen wir das schon lange, doch erst jetzt wird uns klar, dass eine politische Überhöhung des Engagements angesichts der Vielfalt der Motive, Formen, Zielrichtungen und Bereiche keinen Erkenntnisgewinn mehr verspricht.
Vielfalt ist aber auch ein Kennzeichen des Berichts selbst. Dies kann auch gar nicht anders sein, wenn zehn Experten einen gemeinsamen Text verfassen. In dem Bericht finden sich beinahe alle Themen, die in der Engagementpolitik diskutiert werden. Dafür muss er allerdings von vorne bis hinten gelesen werden. Man holt sich eben das, was man gerade braucht und findet Trost bei der Einsicht der Experten: auch sie haben im Angesicht der Fülle der Phänomene nur eine Antwort – Vielfalt.
Kommentar von Dr. Rudolf Speth für bürgerAktiv – Nachrichtendienst Bürgergesellschaft, Ausgabe 177 – April 2017 vom 28.04.2017