Kommentar: Engagementforschung braucht langen Atem

von Rudolf Speth

Die Projektgruppe Zivilengagement am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) löst sich zum Ende des Jahres 2014 auf. Das ist für die Forschung zum großen und vielgestaltigen Bereich der Zivilgesellschaft, des bürgerschaftlichen Engagements und zu den Dritte-Sektor-Organisationen ein tiefer Einschnitt.

Dieser hat zwar eine biografische Dimension – Eckhard Priller, Leiter der Projektgruppe, hat das Rentenalter erreicht. Er hat mit einer Reihe von Untersuchungen, deren Ergebnisse sich in zahlreichen Publikationen finden, die Forschung in den verschiedenen zivilgesellschaftlichen Facetten bis hin zum Spendenverhalten vorangebracht.

Doch die Auflösung der Projektgruppe hat zwei weitere Dimensionen, die über das individuelle Forscherleben Eckhard Prillers und der anderen Mitglieder der Projektgruppe hinausgeht: Sie betrifft das WZB und wirft zugleich ein Schlaglicht auf die Situation der Forschung zur Zivilgesellschaft in Deutschland.

Die Projektgruppe bestand seit 2008. Mit dem „Bericht zur Lage und zu den Perspektiven des bürgerschaftlichen Engagements in Deutschland“ für die Bundesregierung stellte sie 2009 ihr erstes wichtiges Arbeitsergebnis vor. Damit verbanden sich Hoffnungen, dass das WZB seine Kompetenz in der Forschung zur Zivilgesellschaft ausbauen könnte. Schließlich es gab bereits wissenschaftliche Einheiten, die sich mit Protestforschung beschäftigten, mit dem Zusammenhang von Demokratie und Zivilgesellschaft und der Rolle der Zivilgesellschaft in den Transformationsprozessen in vielen Ländern nach dem Zusammenbruch des Kommunismus und der sogenannten vierten Demokratisierungswelle.

Die Projektgruppe Zivilengagement hat gerade mit ihrer empirischen Ausrichtung der Zivilgesellschaftsforschung am WZB Impulse verschafft, die über die Einrichtung hinaus wirkten. Damit ist gleichzeitig eine dritte Dimension benannt, die mit dem Ende der Projektgruppe verbunden ist: Ihre Auflösung lenkt den Fokus auf die Forschungslandschaft zur Zivilgesellschaft in Deutschland. Der Aufbruch, den die Enquete-Kommission zum bürgerschaftlichen Engagement unter Rot-Grün einläutete, hat auf der Ebene der wissenschaftlichen Forschung wenig nachhaltigen Ertrag erbracht. Es gab mehr Publikationen, Studiengänge haben sich etabliert und es wurden einige kleine Forschungseinheiten geschaffen. Doch auf der Ebene der Universitäten und der außeruniversitären Forschungseinrichtungen konnte sich die Zivilgesellschaftsforschung nicht richtig etablieren. Es gibt kaum spezielle Professuren dafür, und es fehlen größere Forschungseinheiten mit dem erforderlichen Potential und langen Atem. Das Ende der Projektgruppe passt in diese Landschaft: Es geht ein Zyklus zu Ende, ohne dass klar ist, wie die Grundlinien der künftigen Engagementpolitik und Zivilgesellschaftsforschung aussehen. Damit manifestiert sich Stagnation, denn ohne wissenschaftliche Expertise und empirische Daten ist eine ernsthafte Engagementpolitik kaum machbar.

Kommentar von Dr. Rudolf Speth für bürgerAktiv – Nachrichtendienst Bürgergesellschaft, Ausgabe 149 – September 2014 vom 30.09.2014

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