von Rudolf Speth
Der Streit um das Gemeinnützigkeitsrecht geht weiter: Den Globalisierungskritikern von Attac wurde die Gemeinnützigkeit entzogen, weil sie sich zu politischen Themen wie der Einführung der Vermögenssteuer äußern; dem elitären Golfclub Wannsee in Berlin wird vorgeworfen, die Gemeinnützigkeit als Deckmantel zu nutzen, um Steuern zu sparen und ein Elitenetzwerk zu pflegen.
Der Streit um das Gemeinnützigkeitsrecht ist ein politischer. Wer es schafft, das eigene Anliegen in die Auflistung der gemeinnützigen Zwecke im Paragraf 52 der Abgabenordnung zu platzieren, der kann daraus materielle und ideelle Vorteile ziehen. Er kann Steuern sparen und Spendenquittungen ausstellen und bekommt darüber hinaus den Nimbus, wertvolle Beiträge zum Gemeinwohl – was immer das auch ist – zu liefern. Sein Ansehen steigt, auch wenn manchmal völlig unklar ist, was denn das Gemeinnützige an der bevorteilten Aktivität sein soll.
Das Gemeinnützigkeitsrecht muss reformiert werden – manche fordern gar, es ganz abzuschaffen, doch soweit wird es nicht kommen. Viel zu viele Interessen sind damit verbunden. Und: Der Staat verlöre damit ein Machtinstrument. Die örtlichen Finanzämter können nämlich das Privileg der Gemeinnützigkeit verteilen und auch mit dem Entzug – wie in den Fällen Attac und Greenpeace – drohen. Zudem kostet es den Staat nicht sehr viel: es sind gerade einmal schätzungsweise 0,35 Prozent des gesamten Steueraufkommens, die mit dem Spendenprivileg dem Staat verloren gehen. Da gibt es weit größere Brocken bei den Verlusten der Staatseinnahmen. Doch wie können die Widersprüche im Gemeinnützigkeitsrecht aufgelöst werden? Der hessische Finanzminister Thomas Schäfer schlägt vor, Organisationen wie Attac in einen gemeinnützigen und in einen politischen Bereich aufzuteilen. Doch dieser Vorschlag hilft nicht weiter. Denn: Der mögliche Verlust der Gemeinnützigkeit wird damit zwar gemildert, doch die Grundkonstellation bleibt bestehen. Der Vorschlag setzt, wie manch anderer, an der falschen Stelle an.
Die Staatszentrierung ist das Problem
Das größte Problem des Gemeinnützigkeitsrechts ist, dass es einer Staatszentrierung im Denken und Handeln der zivilgesellschaftlichen Akteure Vorschub leistet. Denn der Staat definiert, was das Gemeinwohl ist und wer das Privileg der Gemeinnützigkeit verliehen bekommt. Geleitet wird diese Sicht von der Überzeugung, dass es staatliche Pflichtaufgaben gibt, die ausnahmsweise auch von Privaten erledigt werden können. Dafür bekommen diese die Gemeinnützigkeit verliehen. Ihr Handeln ist damit immer auf den Staat bezogen.
Dieses Gemeinnützigkeitsrecht passt nicht mehr so recht in eine Zeit, in der die Zivilgesellschaft stärker geworden ist und sich auch nicht mehr primär am Staat ausrichtet. Wer gemeinnützig handelt, übernimmt längst nicht mehr nur Aufgaben des Staates. Es sind Beiträge, die das Wohlergehen der Gesellschaft verbessern sollen. Das materielle und ideelle Privileg sollte daher nicht mehr einfach von den örtlichen Finanzämtern mit Rückendeckung der Abgabenordnung verliehen werden.
Was kann getan werden? Zwei Dinge sind notwendig: Wenn die Gemeinnützigkeit aus verschiedenen Gründen nicht abgeschafft werden kann oder soll, dann darf die Entscheidung, wer dieses Privileg verliehen bekommt, nicht bei den Finanzämtern bleiben. Es soll eine Kommission eingesetzt werden, die in Streitfällen entscheidet und einen jährlichen Bericht erstellt. Zum zweiten soll das Problem der Intransparenz bei den gemeinnützigen Organisationen behoben werden. Möglich ist dies mit einer Datenbank, in der alle diese Organisationen verzeichnet sind.
Nicht gelöst werden kann die Unschärfe, die im Begriff der Selbstlosigkeit liegt, denn gemeinnützige Organisationen müssen selbstlos tätig sein. Politisches Engagement ist häufig nicht altruistisch, sondern von Interessen geprägt. Dies ist auch nicht verwerflich, denn Demokratie lebt vom Streit und der Artikulation von Interessen. Nur sollte klar sein, dass manche Interessen sich auch gerne den Mantel des Gemeinwohls überwerfen.
Kommentar von Dr. Rudolf Speth für bürgerAktiv – Nachrichtendienst Bürgergesellschaft, Ausgabe 169 – Juli 2016 vom 29.07.2016