Kommentar: Gerd Müller allein am Ball?

von Holger Backhaus-Maul

Die Älteren verbinden mit seinem Namen einen überaus erfolgreichen deutschen Fußballspieler bayerischer Herkunft, während die Jüngeren allenfalls mit den Schultern zucken: Gerd Müller, der seit Dezember 2013 amtierende Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, ist den meisten Bürgern schlicht unbekannt.

Schade eigentlich. Denn hinter dem deutschen Allerweltsnamen deutet sich ein Stück politische Avantgarde an – und zwar am Rande der ersten Reihe der CSU. Verdeckt von Horst Seehofer, Ilse Aigner, Alexander Dobrindt und Markus Söder experimentiert Minister Müller mit bemerkenswert anderen Politikinhalten und -formen. Wo bislang vielfach schöne Worte und Bilder die Sicht vernebelten, sucht er die politische Auseinandersetzung und bringt dabei wichtige Akteure ins Spiel, nämlich die Unternehmen.

So reiste er im Sommer nicht wie seinesgleichen zur Fußballweltmeisterschaft nach Brasilien, sondern suchte in Deutschland die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Sportartikelhersteller Adidas. Wohlgemerkt über fair hergestellte und gehandelte Fußbälle.

Und vor rund einem halben Jahr lud er die gesamte deutsche Textilbranche ein, um gemeinsam eine Verständigung über notwendige und sinnvolle Sozial- und Ökologiestandards in der Lieferkette und die entsprechenden Entwicklungsschritte zu erzielen. Minister Müller rief und alle kamen. Selbst die Großen der Branche wie Adidas, Aldi, C&A, H&M, KiK, Lidl, Otto, Puma und Tchibo. Auch die Unternehmensverbände, der DGB und Non-Profit-Organisationen, wie Oxfam und Greenpeace, beteiligten sich. Nach einer vorbereitenden Phase des Gedankenaustauschs sollte es jetzt zu einer „lockeren“ Vereinbarung, einem ersten Aktionsplan zur Umsetzung von Standards kommen.

Doch stattdessen begannen die hinreichend bekannten politischen Spiele und Rituale. Unter den Augen der Öffentlichkeit verließen die wirtschaftlichen und politischen Marktführer das Spielfeld. Was der einen Seite zu weitgehend war, war der Gegenseite zu unbestimmt. Und während ein namhaftes Unternehmen fundamental behauptete, die vorgelegten Sozial- und Ökologiestandards seien nicht praktikabel, erwiderte ein mittelständisches Unternehmen durchaus selbstbewusst, diese Standards seien bei ihnen mittlerweile Routine. Fundis und Realos im Unternehmensgewand? Der Kreis der Entscheidungswilligen schmolz jedenfalls. Es blieben Unternehmen wie Hessnatur, Trigema, Antje Dewitz von Vaude und – bemerkenswert – der neue Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Reiner Hoffmann. Chapeau!

Was aber vor allem bleibt, ist ein interessanter und vielversprechender neuer Politikansatz: Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung bedeutet demnach nicht mehr nur, Mittel der Entwicklungshilfe in der Ferne zu verteilen, sondern Minister Müller setzt bei Unternehmen in Deutschland an. Die neue deutsche „Entwicklungshilfe” wird direkt bei Unternehmen geleistet, deren wirtschaftspolitische Entscheidungen andernorts existenzielle Folgen für Mensch und Natur haben.

Den Einwand der unternehmerischen „Aussteiger“, die Einhaltung der vereinbarten Sozial- und Ökologiestandards sei nicht möglich, kontert Minister Müller mit der Feststellung, dass in diesen Fällen wohl dringend „eine Sitzung des Managements“ nötig sei. Und weiter: „Kinderarbeit, Zwangsarbeit und Tod durch Chemikalien – das ist nicht verhandelbar. Und 15 Cent pro Stunde und sofortige Kündigung bei Schwangerschaft sind menschenunwürdig.“ So also klingt die CSU in der für sie noch neuen Rolle als Avantgarde! Es bleibt abzuwarten, ob Gerd Müller beim Solo am Ball bleibt oder ob er Mitspieler/innen finden wird.

Kommentar von Holger Backhaus-Maul für bürgerAktiv – Nachrichtendienst Bürgergesellschaft, Ausgabe 150 – Oktober 2014 vom 31.10.2014

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