von Rudolf Speth
Wo findet Engagementpolitik statt? Derzeit vor allem in den Ländern, ist die Antwort, die wir im vergangenen Jahr auf diese Frage bekommen haben. Hier gibt es die interessantesten Entwicklungen.
Grundsätzlich ist Engagementförderung zwar auf allen politischen Ebenen anzutreffen. Auf Bundesebene wird seit mehr als 15 Jahren mit mehr oder weniger Erfolg versucht, bessere Bedingungen für Engagierte und zivilgesellschaftliche Organisationen zu schaffen. Doch vielfach hegt der Bund auch eigene Interessen ‒ wie beim Bundesfreiwilligendienst ‒ die gegen die Länder und andere engagementpolitische Organisationen durchgesetzt werden. Engagementpolitik – ein noch junges Politikfeld zeichnet sich daher durch eine große Konkurrenz zwischen den einzelnen politischen Ebenen aus. Länder und Kommunen sind die eigentlichen Orte der Engagementpolitik. Sie haben für diesen Bereich die einschlägigeren Kompetenzen und können von den Erfahrungen vor Ort profitieren. Engagementpolitik aus einem Berliner Ministerium gestaltet sich fast zwangsläufig fern von der örtlichen Wirklichkeit und kann den örtlichen und regionalen Besonderheiten kaum angemessen Rechnung tragen. Es gibt aber auch Konkurrenz bzw. Wettbewerb zwischen den 16 Bundesländern.
Gefragt ist Demokratiepolitik
Deutlich zeigte sich dabei im vergangenen Jahr: Es geht nicht nur um Engagementförderung, sondern um umfassendere Beteiligungsmöglichkeiten, nämlich um mehr Demokratie. Dabei hat vor allem Baden-Württemberg die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Das Land war schon immer Vorreiter in Sachen Engagement- und Beteiligungspolitik und hat diese Position mit der grünroten Regierung noch einmal ausgebaut. 2014 wurde mit einem Gesetz die Mitbestimmung über Bürgerbegehren und Bürgerentscheide auf kommunaler Ebene verbessert. Bereits davor hat Baden-Württemberg viel unternommen, um die „Politik des Gehörtwerdens“ auf den Weg zu bringen.
Themen für die neuen Formen der Bürgerbeteiligung im „Ländle“ gibt es genug:
Energiepolitik, Klimaschutz, Verkehrsinfrastruktur und andere technische Großprojekte. Mit Runden Tischen, Online-Beteiligungsverfahren, Beteiligungsportalen, Veranstaltungen mit Regierungsmitgliedern und vielen anderen Formaten wird das Gespräch mit Bürgerinnen und Bürgern gesucht und dabei auch ihre Lösungskompetenzen in Anspruch genommen. Engagementpolitik ist damit in Baden-Württemberg vor allem auch Demokratiepolitik. Sie nimmt die politische Seite des Engagements Ernst und stellt damit weniger die soziale und Dienstleistungsseite des Engagements in den Mittelpunkt. Baden-Württembergs Engagementpolitik ist damit zugleich auch ein Experiment, denn es geht um die Frage, wie sich die Krise der repräsentativen Demokratie durch andere, unkonventionelle Formen der politischen Partizipation lösen lässt. Das Land ist mit diesem Ansatz führend in der Demokratiepolitik und manches andere Bundesland hat sich hier schon etwas abgeschaut.
Es ist für 2015 zu erwarten, dass die neuen demokratiepolitischen Formen sich weiter verbreiten und die bereits bestehenden Möglichkeiten noch stärker genutzt werden. Gerade die Energiewende bringt es mit sich, dass die Bürgerinnen und Bürger vor Ort stärker beteiligt werden. Die neuen Anlagen der Energieerzeugung und des Energietransports (Stromtrassen) greifen massiv in die regionale Umwelt ein. Doch auch die ganz normalen kommunalen Entscheidungsprozesse sollen transparenter werden. Baden-Württemberg hat dafür gesorgt, dass Tagesordnung, Sitzungsunterlagen und Beschlüsse früher und auch im Internet veröffentlicht werden. Hamburg stellt, sein Transparenzgesetz vollziehend, seit Oktober 2014 die Dokumente aus der Verwaltung auf ein öffentlich zugängliches Internetportal.
Die Länder und Kommunen sind tatsächlich auf dem Weg, mehr Demokratie zu wagen. Jetzt liegt es an den Bürgerinnen und Bürgern, daraus etwas zu machen. Wir sind gespannt.
Jahresausblick von Dr. Rudolf Speth für bürgerAktiv – Nachrichtendienst Bürgergesellschaft, Sonderausgabe – Januar 2015 vom 13.01.2015