Kommentar: Mit Überraschungen rechnen

von Holger Backhaus-Maul

Was ist von Wirtschaft und Unternehmen in puncto Engagement im Jahr 2015 zu erwarten? Anhaltspunkte hierfür bietet das soeben vergangene Jahr.

Eigentlich waren die Rahmenbedingungen für die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch Unternehmen selten besser als in dieser Zeit. Der außenorientierten deutschen Wirtschaft geht es im europäischen Vergleich insgesamt gut. Die Wirtschafts- und Finanzkrise der vergangenen Jahre scheint bereits aus dem kollektiven Kurzzeitgedächtnis der Deutschen getilgt zu sein. Doch das Eis, auf dem wir uns bewegen, ist dünner als viele glauben. Unterhalb der allgemeinen Zufriedenheit finden tiefgreifende Umverteilungen innerhalb Europas und weitreichende Entwertungen von Sparvermögen, Erwerbseinkommen und zukünftigen Renten statt.

Einige Banken haben die EU und ihre jeweiligen Nationalstaaten „erpresst“ und ihre privatwirtschaftlichen Risiken vergesellschaftet. Im Gegenzug hat die Europäische Zentralbank im vergangenen Jahr den Euro „verramscht“, so dass europäische Staaten en passant und ohne die Anstrengungen grundlegender Reformen ihre Schulden reduzieren konnten. Solide wirtschaftende Banken, denen erhöhte Risikoabsicherungen auferlegt wurden, fragen sich zu Recht, wie man zukünftig mit „billigem“ Geld überhaupt noch „gutes“ Geld verdienen kann. Zeitgleich kam Deutschlands führenden Energieunternehmen ihr Geschäftsmodell abhanden. Im Umstrukturierungsprozess versuchen auch sie nun – analog zur Strategie einiger Groß- und Landesbanken – die Risiken ihres untergegangenen Geschäftsmodells dem Staat zu überantworten beziehungsweise sie zu vergesellschaften.

Still geworden

Um das gesellschaftliche Engagement von Unternehmen ist es, wie immer nach einer kurzen Phase medialer Aufmerksamkeit und politischer Belobigung, ruhig geworden. Nunmehr stellt sich die Frage, was aus den Absichtsbekundungen innerhalb von Branchen und Unternehmen eigentlich umgesetzt wurde? Nichts Genaues weiß man nicht, denn leider zeigen sich Wirtschaft und Unternehmen gegenüber einer empirischen Erforschung des Themas äußerst verschlossen.

Es bleibt folglich nur der Blick auf die öffentliche Diskussion über Corporate Social Responsibility (CSR) in Deutschland, in deren Fokus auch 2014 wieder die Textilbranche stand. Die Branchenführer reagierten auf politische Erwartungen des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und öffentliche Diskussionen über Ausbeutung und ökologische Schädigungen mit bemerkenswerter Zurückhaltung, während mittelständische deutsche Unternehmen, wie Hess, Trigema und Vaude, seit Jahren die Machbarkeit von CSR in der Textilbranche demonstrieren. Und wie sieht es mit der Corporate Social Responsibility in der Lebensmittelbranche aus? Die Zahl der Biolandwirtschaftsbetriebe in Deutschland stagniert oder sinkt vielerorts und bei leicht steigender Inlandsnachfrage wird der Biolebensmittelhandel einfach weiter globalisiert.

Weitgehend verantwortungsarm

Das lenkt den Blick auf die Konsumenten. Die Mehrzahl von ihnen konsumiert weitgehend verantwortungsarm, sich selbst und anderen gegenüber. Billigkleidung bei Primark und Co. und billige Sättigungswaren, die den Begriff Lebensmittel nicht verdienen, erfreuen sich einer ungebrochenen „Beliebtheit“. Zeitgleich geben Konsumenten immer mehr Informationen über sich gedankenlos preis; personenbezogene Informationen, die zur erstklassigen Handelsware werden, während Konsumenten sich freiwillig zu schlichten Informationsträgern erniedrigen.

Eine frohe Botschaft könnte es da sein, dass einige namhafte deutsche Unternehmen entschieden haben, dass ihre Stiftungen in der Engagementförderung miteinander kooperieren sollen. Die engagementfördernden Stiftungen sollen mit ihren Instrumenten und Verfahren in die Zivilgesellschaft einwirken. Leider ist es nicht gewollt, die Ressourcen von Unternehmensstiftungen der Zivilgesellschaft in Eigenverantwortung zu übertragen. Dabei würde die latent unterfinanzierte und strukturschwache deutsche Zivilgesellschaft diese Ressourcen und die Eigenverantwortung über den Mitteleinsatz dringend benötigen.

Mit Blick auf das Jahr 2015 scheinen die Bundesbürger letztlich zu hoffen, dass es so gemütlich weiter geht wie bisher. Aber unter globalisierten wirtschaftlichen Bedingungen sollte eher die Gewissheit Oberhand gewinnen, dass nichts so bleiben wird wie es war, und dass wir mit Überraschungen werden rechnen können – positiven und eben auch negativen. Dabei wird die Frage, ob und inwiefern sich Wirtschaft und deutsche Unternehmen gesellschaftlich engagieren, zukünftig stärker mit der essentiellen Auseinandersetzung darüber verknüpft sein, inwiefern sich ein europäisches Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell, mit Demokratie und Meinungsfreiheit sowie Rechts- und Sozialstaatlichkeit, global gegenüber konkurrierenden Wirtschafts- und Gesellschaftsmodellen behaupten kann.

Jahresausblick von Holger Backhaus-Maul für bürgerAktiv – Nachrichtendienst Bürgergesellschaft, Sonderausgabe – Januar 2015 vom 13.01.2015

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