Kommentar: Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts?

von Rudolf Speth

Die Auffassung des regierungskritischen Netzwerks Attac und vieler anderer zivilgesellschaftlicher Gruppen hat vor dem Hessischen Finanzgericht gesiegt: Wenn sich eine Organisation politisch betätigt, wird ihr nicht automatisch die Gemeinnützigkeit entzogen. Attac bleibt gemeinnützig. Dies bedeutet, dass die Vereinigung Spendenquittungen ausstellen und steuerrechtliche Privilegien in Anspruch nehmen kann. Das Urteil des Gerichts hat tiefgreifende Folgen in der Diskussion um das Gemeinnützigkeitsrecht. Mit ihm wird deutlicher, dass politische Betätigung als Begleiterscheinung des gemeinnützigen Handelns keine negativen Folgen für den Status der Gemeinnützigkeit hat. Viele zivilgesellschaftliche Organisationen beteiligen sich am politischen Prozess, dies ist in einer pluralistischen Demokratie und in einer modernen Gesellschaft ein Gewinn. Denn je mehr Stimmen es gibt, desto besser ist es für die Demokratie und damit ist auch die Chance verbunden, dass sich viele beteiligen, die den etablierten Kanälen der Parteien und Verbände reserviert gegenüber stehen. Wer sich politisch beteiligt, der sollte belohnt werden. Gut wäre, wenn der Gesetzgeber diese Erweiterung vornähme.

Die Politiker sollten auch überlegen, ob sie politisches Handeln mit anderen Mitteln als nur der Erweiterung der gemeinnützigen Zwecke in der Abgabenordnung fördern können. Von vielen wird dieser naheliegende und leichte Weg der Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts vorgeschlagen. Es geht aber um mehr: es geht um die Chancen der Beteiligung an Entscheidungen und nicht nur um die Finanzierung. Das Gemeinnützigkeitsrecht setzt allein auf der Seite der finanziellen Anerkennung an. Ebenso wichtig ist eine politische Anerkennung, denn die Parteien sind längst nicht mehr der einzige Weg, um sich am politischen Prozess zu beteiligen. Die bessere Förderung der Zivilgesellschaft und ihrer Organisationen könnte die eigentliche Alternative zur vordergründigen Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts sein.
Attac definiert nicht das Gemeinwohl

Allerdings sind bei Attac im Eifer des Gefechtes einige Kategorien durcheinander geraten. „Attac verteidigt selbstlos das Gemeinwohl“ heißt es in einer Presseerklärung. Und ein Kommentar von Attac hat den Titel: „Gemeinwohl ist politisch“. Moderne Gesellschaften haben in der Regel keine Antwort auf die Frage nach dem Gemeinwohl. Sie stellen diese erst gar nicht. Zudem widersprechen sich beide Aussagen, denn politisches Handeln in beinahe allen Gesellschaften ist von Konflikten zwischen unterschiedlichen Lebensauffassungen und gesellschaftlichen Handlungszielen geprägt. Es kann sich daher nur um ein Missverständnis einer Organisation handeln, die in Deutschland 29.000 Mitglieder hat. Wer den steuerrechtlichen Status der Gemeinnützigkeit hat, der ist noch lange nicht in der Lage, das Gemeinwohl zu definieren. Und dies ist auch gut so.

Kommentar von Dr. Rudolf Speth für bürgerAktiv – Nachrichtendienst Bürgergesellschaft, Ausgabe 173 – November-Dezember 2016 vom 14.12.2016

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