von Rudolf Speth
In den vergangenen Jahren hat sich das neue Feld der Engagementpolitik in Deutschland etabliert. Der Begriff hat es in die Rhetorik der Politik geschafft. Das Bundesfamilienministerium beschreibt sich selbst gerne als „Engagementministerium“ und hat sogar seine Struktur verändert: es gibt nun eine fünfte Abteilung, die sich nur mit Engagementpolitik beschäftigt. Der Anspruch ist hoch – die Regierung will die Gesellschaft gestalten und nennt das Gesellschaftspolitik. Dafür hat das Ministerium eine Engagementstrategie entworfen und gleich acht wichtige Projekte – von „Engagierter Stadt“ bis hin zur „Deutschen Engagementstiftung“ – benannt. Dies erfolgte mit der Rückendeckung des Koalitionsvertrages von 2013. Dort finden sich zahlreiche engagementpolitisch relevante Vereinbarungen. Man kann als ersten Eindruck gewinnen, dass es um die Engagementpolitik doch gar nicht so schlecht bestellt ist.
Tatsächlich sind die Absichten anerkennenswert. Doch: An ihren Taten sollt ihr sie erkennen! Wie sieht also das Verhältnis zwischen den Absichtserklärungen der Großen Koalition und ihren Taten am Ende dieser Legislaturperiode aus? In der Politik zeigt sich in den letzten Jahren immer mehr, dass die Wirklichkeit sich nicht an die Koalitionsverträge hält. Keine der fundamentalen Herausforderungen ‒ Fall der Mauer, Atomausstieg, Eurokrise, Brexit, Flüchtlingskrise ‒ war in einem Koalitionsvertrag vorgesehen. Politik ist also mehr als das Abarbeiten von Koalitionsverträgen. Die Nagelprobe über den Wert der Engagementpolitik der Regierung kann man an der Flüchtlingspolitik machen. Und hier zeigt sich: Die Hilfsbereitschaft und das Engagement, das sich seit 2015 und auch schon vorher zeigte, hat sich ganz ohne Zutun der Bundesregierung entwickelt.
Es war eher so, dass zu Beginn der steigenden Zahlen von Geflüchteten das Engagement der Freiwilligen die Politik und die Verwaltungen vor einer Katastrophe bewahrt hat. Nebenbei, die vielen Engagierten haben auch dazu beigetragen, dass die Stimmung nicht kippte und die Attacken des feindselig gestimmten Teils der Bevölkerung in Schach gehalten wurden. Auf jeden Fall kann man sagen: Hier hat nicht die Regierung Gesellschaftspolitik gemacht, sondern die Gesellschaft hat der Regierung aus der Patsche geholfen.
Vielleicht sollte die Rhetorik der Politik etwas zurückhaltender sein. Engagementpolitik ist als Aufmerksamkeitsfokus wichtig – in der Pflege wie auch in der Stadtentwicklung. Sie hat aber eher eine dienende und ermöglichende Funktion, denn die Gesellschaft ist mit ihrem Eigensinn längst weiter als dies die politischen Akteure wahrhaben wollen. Vielleicht ist es gar nicht so wichtig, ob nun Preise verteilt und Stiftungen zur Förderung des Engagements gegründet werden. Ein Gesamtkonzept oder eine Strategie für das Engagement der gesamten Gesellschaft vorzulegen, das ist doch vermessen. Es kommt vielmehr darauf auf, nicht auf der Bremse zu stehen.
Kommentar von Dr. Rudolf Speth für bürgerAktiv – Nachrichtendienst Bürgergesellschaft, Ausgabe 179 – Juni 2017 vom 29.06.2017