Kommentar: Wachhunde sind notwendig

von Rudolf Speth

Im politischen Betrieb wird immer mehr mit Grenzwerten, Schwellen, Limits und verwandten Formen gearbeitet, um die Bereiche des erlaubten und nicht erlaubten Verhaltens voneinander abzugrenzen. Ganz augenfällig wird dies bei der Luftreinhaltung und bei den Abgasen von Fahrzeugen. Wenn ein Auto mehr Schadstoffe ausstößt, dann hat dies Konsequenzen für seinen Betrieb und die Kosten. Den Verbrauchern bieten solche Werte orientierendes Wissen. Wer sich ein Auto kauft, möchte wissen, mit welchen Folgekosten er zu rechnen hat. Und es sind auch wichtige Informationen für den eigenen moralischen Anspruch.

Diese Art und Weise der politischen Gestaltung funktioniert aber nur, wenn die Grenzwerte auch eingehalten werden und somit die mit ihnen verbundenen Informationen verlässlich sind.  Ohne Überwachung und Sanktionierung haben Grenzwerte weder steuernde noch orientierende Wirkung. In Deutschland wird die Ermittlung der Grenzwerte für die Qualität der Luft an den Straßen durch den Staat organisiert. Er verzichtet aber darauf, die Einhaltung der Grenzwerte auch durchzusetzen. Dies haben andere, auch Private wie die Deutsche Umwelthilfe, übernommen, weil der Staat über Jahre hinweg untätig blieb. Teilweise geschah dies mit dem Wohlwollen des Staates: Die Verbandsklage und die Abmahnung sind Instrumente, die die Politik bereitgestellt hat, weil sie die Einhaltung der Werte nicht selbst kontrollieren und durchsetzen wollte und konnte.

Zugegeben, die Deutsche Umwelthilfe agiert rabiat

Die Politik bedient sich also gerne der zivilgesellschaftlichen Wachhunde. Sie wird aber nervös, wenn diese dann auch beißen. Zugegeben, die Deutsche Umwelthilfe geht sehr rabiat vor und lässt ein Gespür für die bundesrepublikanische Konsenskultur nicht erkennen. Als Umwelt-Nichtregierungsorganisation ist sie besonders legitimierungsbedürftig. Sie macht es durch ihr Verhalten ihren Unterstützern nicht gerade leicht, sich zu ihr zu bekennen.

Doch der Deutschen Umwelthilfe nun zu drohen, ihr die Gemeinnützigkeit zu entziehen, ist ein verzweifelter Versuch, Handlungsfähigkeit vorzutäuschen. Es würde zum einen sehr lange dauern, weil politische Akteure keinen direkten Zugriff auf das Instrument der Gemeinnützigkeit haben – Anerkennung und Entzug sind Sache des Finanzamts. Zum anderen blieben die Grenzwerte weiter bestehen, die man selbst beschlossen hat.

Die Geschichte der Deutschen Umwelthilfe zeigt, wie der Staat bei der Gründung dieser Organisation in den 1970er Jahren behilflich war, weil das neu entstehende Feld der Umweltpolitik nicht nur Ministerien und Gesetze brauchte, sondern auch Interessenorganisationen, die die Belange der Umwelt vertraten. Seit 2004 ist die Deutsche Umwelthilfe ein klageberechtigter Verbraucherschutzverband. Dies war nicht nur geduldet, sondern auch gewollt. Für eine erfolgreiche Umweltpolitik, mit der sich die politischen Parteien immer wieder schmückten, waren handlungsfähige Verbände notwendig. Darüber hinaus gibt es die Tendenz, dass der Staat die Kontrolle der Normen, die er erlässt, gerne anderen überlässt. Sonst helfen nur die Gerichte bei der Sanktionierung von Regelverstößen.

Es hilft also kaum etwas, die Wachhunde zu bestrafen, die man selbst mit großgezogen hat und die man auch braucht. Ohne sie würde das gesamte System nicht funktionieren, weil der Staat nicht willens ist, selbst zu kontrollieren und für die Einhaltung der Regeln zu sorgen. Er würde sich damit nur selbst schwächen. Die Deutsche Umwelthilfe zu bestrafen, lenkt nur von den Defiziten der eigenen Klima- und Verkehrspolitik ab.

Kommentar von Dr. Rudolf Speth für bürgerAktiv – Nachrichtendienst Bürgergesellschaft, Ausgabe 196 – Januar 2019 vom 31.01.2019

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