Kommentar: Was sagen uns die 10 Merkmale einer Bürgerstiftung?

von Stefan Nährlich

Seit 15 Jahren gibt es die sogenannten „10 Merkmale einer Bürgerstiftung“. Der ehemalige Leiter der Initiative Bürgerstiftungen (IBS) und heutige Professor an der Universität Cottbus Burkhard Küstermann wirft in der Jubiläumsschrift der IBS die Frage auf, ob die 10 Merkmale und damit auch das Gütesiegel, das ihre Entsprechung bescheinigt, „inhaltlich unterfüttert“ werden sollten.

Zurzeit dienen die 10 Merkmale dazu, die Satzung einer Stiftung, die sich selbst Bürgerstiftung nennt, dahingehend zu überprüfen, ob diese Satzung den 10 Merkmalen einer Bürgerstiftung entspricht. Dies ist notwendig, da der Gesetzgeber nicht definiert, was eine Bürgerstiftung ist. Entspricht die Satzung den 10 Merkmalen, nimmt die Aktive Bürgerschaft diese Bürgerstiftung in das Verzeichnis der Bürgerstiftungen in Deutschland (www.buergerstiftungsfinder.de) auf. Die Kollegen von der IBS laden ihrerseits diese Bürgerstiftungen ein, sich um das Gütesiegel zu bewerben.

Entspricht die Satzung nicht den 10 Merkmalen, die Stiftung nennt sich aber Bürgerstiftung, bezeichnet die Aktive Bürgerschaft sie als Nicht-Bürgerstiftung und setzt sich gemeinsam mit der IBS dafür ein, dass diese Stiftung in Erwägung zieht, ihre Satzung hinsichtlich der 10 Merkmale zu überarbeiten oder den Namen zu ändern. Die Aktive Bürgerschaft entscheidet ausschließlich auf Basis der von der Stiftungsaufsicht anerkannten Satzung. Das heißt, widersprechen sich Satzungsregelung und gelebte Praxis, gilt die Satzungsregelung. Eine Satzung lässt sich gewissenhaft prüfen, gelebte Praxis nicht.

Ist eine Bürgerstiftung eine gute Stiftung? Viele sind es, aber das lässt sich nicht anhand der 10 Merkmale feststellen. Dazu müssen Kriterien erfolgreicher Stiftungsarbeit aufgestellt und operationalisiert werden. Die Aktive Bürgerschaft setzt hierfür beispielsweise seit vielen Jahren ihren Förderpreis ein, verwendet seit einigen Jahren auch einen Benchmark, der die finanzielle Entwicklung in den Blick nimmt. Das sind Instrumente, mit denen man sich verschiedenen Aspekten von Erfolg nähern kann.

Problematisch wird es, wenn deskriptive Merkmale und qualitative Aussagen vermischt werden. Dazu gehört, wie die Öffentlichkeit das Gütesiegel wahrnimmt. In Zeitungsartikeln oder Publikationen von Bürgerstiftungen liest man des Öfteren Formulierungen wie diese: „Das Gütesiegel ist der Beweis, dass die Bürgerstiftung xy seit vielen Jahren wertvolle Arbeit für das Gemeinwohl im ganzen Landkreis leistet“, „Die Auszeichnung gilt als ‘Bürgerstiftungs-TÜV’, der die Qualität der Arbeit und Strukturen der Stiftung zum Wohl der Allgemeinheit garantiert.“, „Mit der Verleihung des Gütesiegels für den Zeitraum von Oktober 2015 bis September 2018 ist die xy-Bürgerstiftung eine von nur neun zertifizierten Bürgerstiftungen in Rheinland-Pfalz“ oder kurz und knapp: „Bürgerstiftung erhält Auszeichnung für gute Stiftungsarbeit.“

Nichts davon ist haltbar. Denn das Gütesiegel will gar keine inhaltliche Aussage treffen, sondern es ist lediglich das sichtbare Zeichen, dass die “10 Merkmale einer Bürgerstiftung” in der Satzung eingehalten werden. Ob eine Stiftung gute Arbeit leistet, wird nicht dadurch bestimmt, ob eine Stiftung eine Bürgerstiftung, eine Unternehmensstiftung oder eine kommunale Stiftung ist. Es hat auch nichts damit zu tun, ob die 10 Merkmale erfüllt werden und das Gütesiegel beantragt wird oder ob es nicht beantragt wird.

Deshalb ist der Ansatz von Burkhard Küstermann, die Qualität der Arbeit von Bürgerstiftungen stärker zu fördern, zwar richtig, das Gütesiegel aber das falsche Instrument dafür. Es braucht nicht mehr inhaltliche Unterfütterung der 10 Merkmale, wie Küstermann vorschlägt, sondern mehr kommunikative Sorgfalt. Das Gütesiegel sollte bleiben, was es ist: Ein Siegel, das die Einhaltung formaler Regeln bestätigt. Nicht mehr und nicht weniger. Alles andere würde seine Aussagekraft überstrapazieren und nur Missverständnisse hervorrufen. Um die Arbeit von Bürgerstiftungen inhaltlich zu bewerten und zu fördern, gibt es mit Sicherheit bessere Wege.

Kommentar von Dr. Stefan Nährlich für bürgerAktiv – Nachrichtendienst Bürgergesellschaft, Ausgabe 161 – Oktober 2015 vom 02.10.2015

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