von Stefan Toepler
Vor nahezu 200 Jahren beschwor Alexis de Tocqueville in seiner Studie Demokratie in Amerika (1835) die besondere Rolle von Vereinen in der Verteidigung der amerikanischen Demokratie gegen die Tyrannei. Bis dato war diese gern zitierte Einschätzung allerdings eher von theoretischer Natur, da die amerikanische Demokratie bislang gegen autoritäre Tendenzen gefeit schien. Mit Donald Trumps Machtübernahme jedoch scheint de Tocquevilles These jetzt der empirischen Überprüfung ausgesetzt zu sein: Die amerikanische Zivilgesellschaft ist gefordert, in der Verteidigung von gesellschaftlichen Werten und gesellschaftspolitischen Fortschritten Stellung zu beziehen.
Während Trump zentrale Akteure der demokratischen Grundordnung – die freie Presse und unabhängige Gerichte – zu delegitimieren versucht, sind Zivilgesellschaft und der Nonprofit-Sektor noch weitgehend aus der Schusslinie geblieben. Für den Nonprofit-Sektor steht dennoch einiges auf dem Spiel: Trump plant eine Steuerreform, die das jährliche Spendenaufkommen um 5-9 Prozent reduzieren könnte. Eine Abschaffung der Erbschaftssteuer zöge weitere signifikante Einbußen nach sich. Steuersenkungen bei gleichzeitigem Anzug der Staatsausgaben für Militär, Infrastruktur und Mauerbau würden zu drastischen Sparmaßnahmen in anderen Bereichen des Bundeshaushalts führen, gerade im Sozial-, Gesundheits- und Bildungsbereich, wo viele der Bundesmittel letztendlich Nonprofit Organisationen zugutekommen.
Organisationen nehmen die Herausforderung an
Die sich daraus ergebenden langfristigen Probleme spielen allerdings derzeit nur eine untergeordnete Rolle angesichts der unmittelbar anstehenden Rückführung von gesellschaftspolitischen Fortschritten in unterschiedlichen Politikfeldern, die eine zivilgesellschaftliche Gegensteuerung erfordern. Ein breites Spektrum zivilgesellschaftlicher Organisationen hat begonnen, die Herausforderung anzunehmen. Kirchen und Universitäten, darunter die Ivy League University of Pennsylvania, sowie ganze Städte (etwa San Francisco, New York und Washington, D.C.) haben sich zu Schutzzonen für illegale Einwanderer erklärt und weigern sich, in Sachen Abschiebung mit Einwanderungsbehörden zusammenzuarbeiten. Bürgerrechtsorganisationen wie der National Council of La Raza, der die Interessen lateinamerikanischer Migranten vertritt, erhöhen ihre Anstrengungen, die Latino-Bevölkerung politisch aufzuklären und zur Wahlbeteiligung zu motivieren. Andere, wie der Council on American-Islamic Relations, verstärken ihre Aufklärung gegen Vorurteile in der Bevölkerung und bekämpfen konkrete politische Vorstöße wie eine nationale Registrierung für Muslime. Umweltorganisationen protestieren gegen die anstehende Demontage der Bundesumweltbehörde und den Rückzug aus Klimaschutzverträgen und Menschenrechtsorganisationen befürchten Rückschritte in der Gleichstellungsfrage für die LGBT-Gemeinschaft (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender) und den Bürgerrechten für Minderheiten im Allgemeinen. Besonders aktiv sind die Institutionen der Frauenbewegung im Kampf gegen Sexismus, Rückschritte in der Gesundheitsförderung in der Revision von Obamacare und zur Verteidigung von Planned Parenthood, der alt eingesessenen Frauen-Gesundheitsfürsorgeorganisation, der ein gezieltes Verbot, bundesstaatliche Mittel zu erhalten, bevor steht, da Planned Parenthood unter anderem auch Abtreibungen anbietet.
Im selben Boot
Im Widerstand gegen Trump finden sich auch Organisationen aus ansonsten diametral entgegengesetzten Bereichen der Zivilgesellschaft im gleichen Lager wieder, wenngleich sie ihre Opposition weitgehend getrennt innerhalb ihrer eigenen Netzwerke austragen. Linksliberale Bürgerrechtler und erzkonservative Libertarier, wie die Netzwerke der Koch-Brüder, zeigen Übereinstimmung in der Ablehnung von Trump. Die zivilgesellschaftliche Aktionsbereitschaft weiter Teile der Bevölkerung zeigte sich in vielen spontanen Protesten und Demonstrationen nach der Wahl und natürlich besonders deutlich in dem Großaufmarsch der Frauen in Washington und in vielen anderen Städten. Viele Organisationen, die etwa für Bürgerrechte, Umweltschutz und Gleichstellung tätig sind, meldeten neue Spendenströme gleich nach der Wahl. Nachdem die American Civil Liberties Union (ACLU), mit 750.000 Mitgliedern und hundertjähriger Tradition die größte und einflussreichste Bürgerrechtsbewegung der USA, umgehend nach Ankündigung von Trumps Einreisestop für Muslime Anwälte an die internationalen Flughäfen schickte, um dort anreisenden Betroffenen sofortige Rechtshilfe zu gewähren, liefen nach ihren eigenen Angaben über das folgende Wochenende 24 Millionen US-Dollar an Online-Spenden ein – ungefähr sechsmal so viel wie die ACLU normalerweise in einem ganzen Jahr an Online-Spenden einwirbt.
Zuwachs an Spenden und Engagement
ACLU oder auch Planned Parenthood haben nicht nur einen ungeheuren Zuwachs an Spendengeldern zu bewältigen, sondern ebenfalls einen Ansturm von Bürgern, die freiwillig und ehrenamtlich die Organisationen in ihrer Arbeit unterstützen wollen als Ausdruck ihres politischen Engagements. Den Organisationen fehlen Kapazitäten, um die vielen Hilfswilligen nutzbringend einzusetzen, was wiederum für eine langfristige zivilgesellschaftliche Aktivierung und Eingliederung und Anbindung an die Organisationen unumgänglich ist. Die zentrale Frage ist daher, wie die derzeitige Energie und Aktionsbereitschaft auf Dauer in zivilgesellschaftliche Strukturen eingebunden werden kann, um ein Verpuffen, wie vor ein paar Jahren bei der Occupy-Wall-Street-Bewegung, zu vermeiden. Antworten werden derzeit in Anlehnung an die Taktiken der Tea-Party-Bewegung entwickelt, die in 2010 den Aufstand gegen die Einführung von Obamacare probte und durch Trumps Wahlerfolg belohnt wurde. Tea-Party-Aktivisten hatten seinerzeit die Town Halls, also die öffentlichen Informationsveranstaltungen von Kongressabgeordneten in ihren Wahlkreisen, gestürmt, um ihren Unmut kundzutun. Die Town Halls der Republikanischen Abgeordneten werden derzeit wieder von wütenden Wählern überlaufen – aber diesmal sind es überwiegend Anhänger der zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich im Widerstand gegen Trump zusammenfinden.
Dr. Stefan Toepler lebt seit 1993 in den USA und befasst sich schwerpunktmäßig mit zivilgesellschaftlichen Organisationen und ihrem Management. Seit 2002 forscht und lehrt er als Professor über den Nonprofit-Sektor an der Schar School of Policy and Government der George Mason University in Arlington, Virginia, USA. Zuvor forschte er unter anderem an der Johns Hopkins University in Baltimore, Maryland. Er promovierte 1995 an der Freien Universität Berlin. 2014 bis 2016 untersuchte er als Research Fellow an der Higher School of Economics Moskau die Beziehungen zwischen Regierung und Nichtregierungsorganisationen in Russlands Regionen.
Kommentar von Dr. Stefan Toepler für bürgerAktiv – Nachrichtendienst Bürgergesellschaft, Ausgabe 175 – Februar 2017 vom 28.02.2017