Neue Rahmenbedingungen für die Zivilgesellschaft: Wo stehen wir?

Die Grundzüge des deutschen Gemeinnützigkeitsrechts stammen aus dem frühen 20. Jahrhundert – einer Zeit, die gemeinhin als Obrigkeitsstaat bezeichnet wird. Viele Einzelheiten wurden 1941 (!) in einer Gemeinnützigkeitsverordnung festgelegt und gelten bis heute. Kein Wunder, dass seit über 35 Jahren gefordert wird, dieses Recht an moderne Vorstellungen von einem freiheitlichen Gemeinwesen anzupassen – bisher ohne nennenswerten Erfolg.

Von Rupert Graf Strachwitz

Veränderungen waren immer nur Klientelpolitik oder dem Wunsch der jeweils Regierenden geschuldet, durch ein kleines Trostpflaster zu dokumentieren, man habe etwas für die Zivilgesellschaft – oder wie manche Parteien heute noch sagen, für die Vereine vor Ort, die Ehrenamtlichen – getan, oder für die Stiftungen, als man sich der Illusion hingab, diese könnten und würden in wesentlichem Umfang Staatsaufgaben finanzieren.

Kein Wunder also, dass man gespannt war, was die jetzige Bundesregierung aus ihren Ankündigungen machen werde, „mit der Zivilgesellschaft“ (der Begriff taucht im Koalitionsvertrag rund 20-mal auf) das Gemeinnützigkeitsrecht zu reformieren, eine neue Engagementstrategie des Bundes zu entwickeln und das in der letzten Bundesregierung gescheiterte Demokratiefördergesetz zu verabschieden.

Zivilgesellschaft ist mehr als die Summe der Vereine

Zugegeben: Es kam die „Zeitenwende“! Sicherheit vor Agression, Inklusion von Migrantinnen und Migranten, gesellschaftlicher Zusammenhalt, Resilienz unserer Demokratie haben Priorität; das ist verständlich. Trotzdem ist nicht verständlich, warum aus den Vorhaben für die Zivilgesellschaft bisher gar nichts geworden ist, weil nur eine starke, unabhängige Zivilgesellschaft den Zusammenhalt sichert und weil sie die beste Bundesgenossin des Staates im Kampf um die Resilienz unserer Demokratie ist. Sie ist eben nicht nur die Summe der Vereine „vor Ort“, sondern hat ein politisches Mandat und ist eine politische Kraft. Klar ist zwar auch, dass sie sehr heterogen und nicht immer nur „gut“ ist. Aber viele Erfahrungen in Deutschland und anderswo zeigen uns, wie wichtig sie ist. Wäre das nicht so, würden die autoritären Systeme dieser Welt nicht so viel Mühe darauf verwenden, sie zu unterdrücken und würde sie nicht immer wieder Heldinnen und Helden hervorbringen, die uns zeigen, was Freiheit, Herrschaft des Rechts und Demokratie bedeuten. Und immer gilt: Wenn Not am Mann ist, sind Bürgerin und Bürger zur Stelle. Deswegen dürfen Versuche der Verzwergung durch das Parteiensystem und die Staatsverwaltung, die der Angst vor einem Machtverlust entspringen, nicht hingenommen werden! Diffamierungen von der Art, Zivilgesellschaft sei ein „grünes Projekt“ (so innerhalb der Regierungskoalition), ist entgegenzutreten, gleich welcher Richtung im demokratischen Spektrum man zuneigt.

Demokratiefördergesetz: Entwurf ruht

Wo stehen wir heute? Zum Demokratiefördergesetz gibt es einen Entwurf. Das „mit der Zivilgesellschaft“ war nicht mehr als ein Feigenblatt. Der Entwurf ist unausgereift; würde er Gesetz, trüge dieses zur Demokratieentwicklung nichts bei, sondern würde nur – bestenfalls – einigen üblichen Verdächtigen mehr staatliche Fördermittel bescheren und sie in eine noch größere Abhängigkeit vom Staat treiben. Der Entwurf ruht seit längerem irgendwo im Bundestag und dürfte in dieser Legislaturperiode kaum wieder auftauchen.

An der neuen Engagementstrategie arbeiten angeblich interministerielle Arbeitsgruppen. Das „mit der Zivilgesellschaft“ beschränkt sich auf klassische Verbändeanhörungen; inhaltlich scheint eine neue Definition von bürgerschaftlichem (oder zivilgesellschaftlichem) Engagement eine wichtige Rolle zu spielen. Die Frage, ob es wirklich Aufgabe von Ministerien ist, Engagement zu definieren, stellen Politik und Verwaltung nicht.

Gemeinnützigkeitsrecht: Reform kommt wieder nicht

Die dringend notwendige grundlegende Reform des Gemeinnützigkeitsrechts (genau: der §§ 51-68 der Abgabenordnung) kommt, so viel steht fest, in dieser Legislaturperiode wieder nicht. Kein Wunder, wenn die Ministerin, deren Haus sich mal selbst das Engagementministerium nannte, kein Interesse hat und der Bundesfinanzminister, in dessen Zuständigkeit das Steuerrecht fällt, von einer so tiefen Abneigung gegen die Zivilgesellschaft erfüllt ist, dass seine Partei die liberale Tradition eines Ralf Dahrendorf, der einst den ordnungs- und demokratiepolitischen Rahmen der Zivilgesellschaft formulierte, bedenkenlos über Bord geworfen hat. Dabei kostet diese Reform kein Geld! Sie macht nur Politik moderner und lebendiger und wehrt autoritäre Angriffe von links, rechts und aus der Mitte ab.

Der am 10. Juli 2024 als Jahressteuergesetz II vorgelegte Referentenentwurf, der am 24. Juli mit dem Titel Steuerfortentwicklungsgesetz als Regierungsentwurf verabschiedet wurde und nun dem Parlament zugeleitet wird, enthält nur ein paar minimale Änderungen des bestehenden. Steuerbegünstigten Körperschaften soll gestattet werden, „außerhalb ihrer Satzungszwecke gelegentlich zu tagespolitischen Themen Stellung“ zu nehmen. Aber das politische Mandat bleibt ihnen versagt. Und die Abschaffung des Gebots der zeitnahen Mittelverwendung, die kein Verband oder Experte je gefordert hat, ist der völlig falsche Ansatz. Was wir brauchen, ist eine neue Ordnungspolitik für die Zivilgesellschaft. Dafür wäre nicht der Finanzminister, sondern der Bundeskanzler zuständig. Aber von ihm und überhaupt von dieser Bundesregierung dürfen wir da leider nichts erwarten.

Dr. Rupert Graf Strachwitz ist Vorstand und Senior Strategic Advisor der von ihm gegründeten Maecenata Stiftung, eines unabhängigen Think Tanks zu den Themen Zivilgesellschaft, Bürgerengagement, Philanthropie und Stiftungswesen.

Der Beitrag ist Teil des Fokus Engagementpolitik: Was geht noch? der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte der Stiftung Aktive Bürgerschaft. Zum Fokus Engagementpolitik: Was geht noch?

Ausgabe 257 Juli 2024, Fokus