Raum, um Erfahrungen mitzuteilen

Im besten Fall wirkt das sozialgenial-Engagement nach und stößt etwas an. Weil Kinder und Jugendliche sich in neuen Rollen erleben, durch Verantwortung wachsen oder einfach, weil sie entdecken, was ihnen wirklich Spaß macht. Ob einige dieser Ziele erreicht wurden, soll die Reflexion und Evaluation, ein gemeinsamer Rückblick zum Ende des Projektes, zeigen.

An diesem sonnigen Juninachmittag wird dessen Beginn erst einmal verzögert: Sämtliche Schülerinnen und Schüler der Mathilde Anneke Gesamtschule werden geheimnisvoll auf den Schulhof gerufen: Dort verkündet die Schulleitung dann eine grandiose Nachricht. Die Schule wurde in einem Wettbewerb um den „World’s Best School Prize“ in der Kategorie Supporting Healthy Lives zu einer der zehn besten Schulen der Welt gekürt. Nach Umwelt- und Medienpreisen ist dies ein weiterer Meilenstein. Der Jubel ist groß.

Die Auszeichnung gilt dem außergewöhnlichen Engagement der Schule auf vielen Ebenen: Schulleiterin Birgit Wenninghoff ist sicher, dass auch sozialgenial seinen Teil dazu beigetragen hat, die Jury zu überzeugen. „Das vorbildliche Engagement-Programm hat auf jeden Fall eine Rolle gespielt.“

In den Klassenräumen der siebten Jahrgangsstufe ist es nun an der Zeit, das Engagement der vergangenen Monate zu bewerten „Es ist gut, noch einmal fokussiert darüber nachzudenken, was man gelernt hat“, bekräftigt Koordinatorin Sabine Fuchs. Diese Reflexion bildet den offiziellen Abschluss des Prozesses.

In diesem Jahr fällt die Evaluationsphase wegen zahlreicher Corona-Erkrankungen kürzer aus als in den Jahren zuvor. Aber sie hat, so betont die Lehrerin, einen hohen Stellenwert und sei ein wichtiger Schritt zum Abschluss der AG. „Die Schülerinnen und Schüler sollen Raum bekommen, um ihre Erfahrungen zu berichten“, sagt sie. „Viele haben Erzählbedarf.“

Die Schülerinnen und Schüler sollen Raum bekommen, um ihre Erfahrungen zu berichten. Viele haben Erzählbedarf.

Sabine Fuchs, Mathilde Anneke Gesamtschule

Sie hat für ihre Klasse selbst entworfene, große Plakate mit Fragen mitgebracht, neben denen es viel Platz für Antworten gibt. Auch ihre in die sozialgenial-AG eingebundenen Kolleginnen und Kollegen der Stufe hat sie damit versorgt. „Drei Stichworte, die mein soziales Engagement am besten beschreiben“ steht zum Beispiel in der oberen rechten Ecke. „Schwierige Situationen habe ich so bewältigt“ in der unteren. Gefragt wird nach dem schönsten Erlebnis ebenso wie nach Situationen, in denen man sich vielleicht hätte anders verhalten können.

Die Klasse teilt sich in Gruppen, alle suchen sich Fragen, zu denen sie Antworten geben möchten, schreiben sie auf ausgeschnittene Zettel und kleben sie unter das jeweilige Thema. Dazu steht eine Riesenflasche Klebstoff bereit. Man einigt sich, alle Antworten auf ein Plakat zu kleben. Nach und nach füllt sich dessen weiße Fläche.

An einem Tisch sitzen Luis Förster, Karl Martens und Lino Tjong Ayong und resümieren ihr Engagement im Münsteraner Umwelthaus. Die kleinen Stauden auf der von ihnen bepflanzten Baumscheibe sind mittlerweile kräftig gewachsen, erzählen sie. Wenn sie an ihr vorbeiradeln, sehen sie jedes Mal das Ergebnis ihres Einsatzes. „Das macht mich schon ein bisschen stolz“, sagt Lino.

Das macht mich schon ein bisschen stolz.

Lino, Schüler Mathilde Anneke Gesamtschule

Luis hat die körperliche Arbeit am meisten Spaß gemacht, Karl findet es toll zu sehen, wie die Pflanzen sprießen. Die drei wollen demnächst noch einmal im Umwelthaus vorbeigehen und besprechen, wie sie sich dort auch in Zukunft weiter engagieren können. Das haben sie bereits mit der dortigen Leiterin Anke Feige verabredet. Dann macht sich das Trio auf den Weg zum Schulhof, um einem Mitschüler zu helfen, der dort ebenfalls eine Baumscheibe bepflanzen will. Dank ihres Projekts wissen sie ja jetzt, worauf es dabei ankommt.

Auch Lasse Farwick sitzt in der Evaluationsrunde. Ein an die Wand projiziertes Foto zeigt ihn während des Fußballtrainings im sozialgenial-Einsatz. Den Ball unter einen Arm geklemmt, mit dem anderen eine Anweisung gebend steht er dort umgeben von Kindern und sieht aus wie ein erfahrener Coach. Er mag das Bild. „Mir hat am meisten Spaß gemacht, den Kindern etwas beizubringen und ihnen zu helfen“, sagt er.

Sein Mitschüler Till hat ebenfalls den Nachwuchs trainiert. „Ich weiß jetzt, wie anstrengend es ist, so ein Training zu planen und durchzuführen.“ Auch weil die kleinen Kinder noch nicht gelernt haben, sich lange auf eine Aufgabe zu konzentrieren. Da bekomme man mehr Respekt vor dem, was die eigenen Trainer seit Jahren leisten, sagen die beiden.

Ich weiß jetzt, wie anstrengend es ist, so ein Training durchzuführen.

Till, Schüler Mathilde Anneke Gesamtschule

Es gibt Ausnahmen von der Regel: Ein Schüler, erzählt Sabine Fuchs, sei mit seinem Einsatz für ein Obdachlosenprojekt an seine Grenzen gestoßen. „Für ihn war das Engagement eine echte Herausforderung, an der er aber wachsen konnte.“

Perspektivwechsel erweitern den Horizont, das gilt auch für Lotta Steffens. Sie berichtet in der Klasse über ihre Zeit in der Kita. Dort hat sie Verantwortung übernommen, zum Beispiel als ein kleines Kind sich verletzte und sie zur Stelle war. Lotta war in der Kita Fürsorgeperson statt Kind und wurde von den Kleinen den Erwachsenen zugeordnet. „Ich habe total viel gelernt“, sagt sie. Auch für den Umgang mit jenen ganz jungen Kindern, die sie bereits seit einiger Zeit privat als Babysitterin betreut.

Ich habe total viel gelernt.

Lotta, Schülerin Mathilde Anneke Gesamtschule

Wie sie erzählen viele, wie die Projekte ihnen neue Kompetenzen vermittelt habe: Sei es, kleine Kinder zu betreuen oder zu trainieren, sich zu strukturieren, Bäume zu pflanzen oder Vertrauen zu vermitteln. Eine Schülerin nennt jenen Moment als schönstes Erlebnis, als ein weinendes Kind auf ihren Schoß kletterte, sich trösten ließ und einschlief. Momente wie diese fördern das Vertrauen in die eigene Stärke.

Die Nachmittage in ihren Projekten haben manchen die Türen geöffnet: zu Themen, in denen sie auch in Zukunft engagieren möchten, und zu Fähigkeiten, die von anderen geschätzt werden. „Wenn ich mit den Kindern gespielt habe und sie so glücklich gemacht habe“, nennt ein Mädchen seine schönsten Erlebnisse. Es hat erfahren, wie zufrieden der Einsatz für andere machen kann. Sabine Fuchs fragt nach, lässt sich Kommentare erklären und Szenen erzählen, eröffnet so den Kindern Raum zu berichten.

Der Blick auf das resümierende Plakat zeigt, wie vielfältig die Erfahrungen waren und wie sehr viele ihr Engagement genossen haben. „Lustig, lehrreich, cool“ hat dort jemand unter die Frage nach drei Stichworten geschrieben.

„Es ist ein tolles Gefühl, wenn man etwas bewirken kann. Jede und jeder von euch hat auf ganz unterschiedliche Weise etwas bewirkt“, resümiert Sabine Fuchs am Ende der Doppelstunde und spricht den 12- bis 13-Jährigen ihre Anerkennung aus. „Toll, dass ihr euch darauf eingelassen habt, mutig wart und neue Erfahrungen gemacht habt. Danke dafür.“

Das sollen sie bald auch schwarz auf weiß bestätigt bekommen. Für die sozialgenial-Zertifikate, die sie am Ende der AG erhalten, haben sie bereits aufgeschrieben, welche Kompetenzen sie erworben haben. Sabine Fuchs wird daraus am Computer mit einer Vorlage die Urkunden kreieren. Als krönender Abschluss wurden diese dann am letzten Schultag in der Aula allen Teilnehmenden feierlich übergeben. Denn Engagement von Schülerinnen und Schülern braucht nicht nur Raum, sondern auch Anerkennung – von Anfang an.

Toll, dass ihr euch darauf eingelassen habt, mutig wart und neue Erfahrungen gemacht habt. Danke dafür.

Sabine Fuchs, Mathilde Anneke Gesamtschule

Für die diesjährigen Siebtklässler ist die sozialgenial-AG damit beendet. Im nächsten Schuljahr werden die neuen Siebtklässler an ihre Stelle treten und ihrerseits erste Engagementerfahrungen mit sozialgenial sammeln. Das machen sie dann vielleicht zusammen mit ihren älteren Mitschülern. Denn im nächsten Schuljahr gibt es an der Schule erstmals einen Oberstufenzweig. Schon jetzt steht fest, dass „sozialgenial“ künftig auch in der 11. Klasse angeboten wird, dann im Rahmen des Religionsunterrichts. Damit ermöglicht es die Mathilde Anneke Gesamtschule erstmals Schülerinnen und Schülern, an ihre Engagementerfahrungen aus der 7. Klasse anzuknüpfen.

Wie die Schüler, vier Jahre älter, diese Möglichkeit nutzen werden und was sie aus ihren Engagementprojekten mitnehmen, berichten wir im nächsten bürgerAktiv Magazin 2023.

Text: Petra Krimphove, Fotos: Thorsten Arendt