Werte bestimmen nicht nur Persönlichkeiten, sondern auch Gesellschaften. Wie aber bringen wir sie jungen Menschen bei? Gar nicht, sagt Prof. Dr. Karl-Heinz Gerholz. Es gehe hier nicht um Erziehung, sondern um eine Erfahrung. Und die lasse sich gut über Service Learning herstellen.
Von Karl-Heinz Gerholz (Universität Bamberg)
Politische Bildung ist wichtig. Die Protagonisten in der Bildungspolitik, die Lehrkräfte an den Schulen und die Eltern in der Gesellschaft würden dieser Aussage wahrscheinlich ohne Vorbehalte zustimmen. Gerade in Krisenzeiten nimmt politische Bildung eine wichtige Stellung ein, da es um Orientierung geht. Die Frage ist aber, wie muss politische Bildung gestaltet sein, um Orientierung zu bieten?
Es geht um Werte
Politische Bildung ist auch immer Wertebildung. Wertebildung geht aber weiter, da es nicht nur um das Wissen zu Struktur und Organisation des politischen Zusammenlebens in einer Gesellschaft geht. Wertebildung zielt auf die Sensibilisierung junger Menschen für die Leitplanken des Zusammenlebens in einer Zivilgesellschaft. Es geht um Normen, Einstellungen und Haltungen, auf welche sich eine Zivilgesellschaft für das Zusammenleben geeinigt hat. Werte als Resultate des Zusammenlebens.
Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass diese Werte nur dann gelebt werden, wenn sich dieser immer wieder selbst vergewissert wird. Wenn kontinuierlich darüber gemeinschaftlich diskutiert wird, warum diese Werte weiterhin konstituierend für eine Zivilgesellschaft sind, und reflektiert, welcher zeitgemäßen Anpassungen es bedarf.
Über Werte darf auch gestritten werden
Damit wird offensichtlich, dass Wertebildung nicht Werteerziehung meint. Werteerziehung würde lediglich die Produktperspektive aufnehmen: Erziehung von jungen Menschen zu gesellschaftlich akzeptierten Verhaltensweisen und Einstellungen. Junge Menschen sind aber reflexive Subjekte. Wertebildung muss somit eine Prozess- und Produktperspektive gleichermaßen einnehmen, indem es um die aktive und reflexive Auseinandersetzung mit Werten in einer Zivilgesellschaft geht.
Es wäre ein Irrglaube, in einer pluralistisch geprägten Zivilgesellschaft davon auszugehen, dass nur ein verbindlicher Wertekanon existiert. Vielmehr geht es darum, über den Dialog, im Sinne von kritisch-konstruktivem Diskurs, die Wertevielfalt in einer Zeit zu entdecken, Worte für das Beobachtete zu finden und jungen Menschen die Möglichkeit zu geben, eine eigene reflexiv begründete Position in dieser Vielfalt zu finden.
Lernort Zivilgesellschaft
Wertebildung muss somit jungen Menschen das Tun in der Zivilgesellschaft ermöglichen, da nur so Erfahrungen entstehen und die reflexive Systematisierung der Erfahrungen den Weg zur eigenen Positionsbildung darstellt. Der Lernort Schule kann hier demokratischer Marktplatz der Reflexion der eigenen Erfahrungen sein.
Genauso wichtig ist aber, dass der Lernort Zivilgesellschaft als Quelle wertebasierten Handelns hinzukommt. Didaktisch bedeutet dies, Unterricht in den Schulen mit wertebasierten Projekten in der Zivilgesellschaft zu verbinden. Eine förderliche Methode stellt das Konzept Service Learning dar. Curriculare Ziele – Werte systematisieren und Positionen bilden – werden mit konkreten Problemstellungen der Zivilgesellschaft – Werte beobachten und erfahren – verbunden. Es geht um Wissen und Handeln gleichermaßen. So können junge Menschen nachhaltig einen eigenen Wertekompass für ihr Leben aufbauen. Anders gesagt, die Einbindung des Lernorts Zivilgesellschaft eröffnet Potentiale für eine nachhaltige Wertebildung.
Kommentar von Prof. Dr. Karl-Heinz Gerholz für bürgerAktiv – Nachrichtendienst Bürgergesellschaft, Ausgabe 222 – Mai 2021 vom 31.05.2021