Die Bereitschaft der Menschen in Deutschland zu spenden scheint ungebrochen zu sein. In den vergangenen Jahren wurden sogar neue Rekorde gemeldet: Der Ukrainekrieg und die Flutkatastrophe im Ahrtal lösten große Hilfsbereitschaft aus. Doch was tut sich über solche einzelnen Ereignisse hinaus auf dem Spendenmarkt? Die Fundraising-Expertin Marita Haibach erläutert für bürgerAktiv, was man über die langfristigen Entwicklungen weiß.
Von Marita Haibach
Die Zeit rund um Weihnachten löst bei vielen Menschen vermehrt den Wunsch aus, sich mit Spenden zu engagieren. Der Monat Dezember ist in vielen Gemeinwohl-Organisationen der Monat, bei dem etwa ein Fünftel der Spendeneinnahmen des ganzen Jahres fließen. Daran hat sich trotz gelegentlicher Schwankungen auch in jüngster Zeit nichts geändert. Eine tragende Rolle kommt dabei auch die Vielzahl und Vielfalt der Spendenaufrufe zu, in Form von postalischen Weihnachtsmailings, Spendenaktionen von Tageszeitungen und Radiosendern, TV-Weihnachtsgalas, Spenden-statt-Schenken-Aktivitäten von Unternehmen, Online-Aktionen und vielem mehr.
In den letzten Jahren, die gekennzeichnet sind von multiplen Krisen und Katastrophen, hat sich erneut bestätigt: Sogenannte „Katastrophenspenden“ sind regelmäßig ein wesentlicher Faktor für starke temporäre Steigerungen des Spendenaufkommens hierzulande, besonders wenn es sich um Katastrophen in Deutschland handelt, wie das Hochwasser 2021, oder Krisen, die uns mittelbar betreffen, wie die Nothilfe Ukraine.
Doch wächst das Spendenaufkommen in Deutschland insgesamt? Wie ist es um die Zahl und Präferenzen der Spendenden bestellt?
Verdoppelung des Spendenaufkommens?
Über das jährliche Gesamtvolumen von Spenden, die Privatpersonen in Deutschland leisten, kursieren unterschiedliche Zahlen. Um die 5 Milliarden Euro nennen die „Bilanz des Helfens“ des Deutschen Spendenrats und der Spendenmonitor des Deutschen Fundraising Verbandes. Um die 13 Milliarden Euro erfasst das Deutsche Zentralinstitut für Soziale Fragen (DZI), das mit den Daten des Sozioökonomischen Panels (SOEP) arbeitet. Dies ist den unterschiedlichen Methoden der Erhebungen geschuldet, doch auch die Grenze (1.500 Euro, 2.500 Euro oder 30.000 Euro), bis zu der Spenden in die Berechnungen einbezogen werden, ist von Bedeutung. Die DZI-Schätzung des Gesamtvolumens auf knapp 13 Milliarden Euro pro Jahr bildet erkennbar, auch durch die Einbeziehung größerer Spenden, die Höhe des Spendenaufkommen, vollständiger ab als die beiden anderen Erhebungen. Das DZI stellt eine Verdoppelung des Volumens seit den Jahr 2000 fest, als der Schätzwert auf knapp unter 6 Milliarden Euro jährlich lag. Ab dem Jahr 2015 steigt die Kurve dabei zunehmend nach oben. Größere Ausschläge sind insbesondere in den Jahren mit besonderen Krisen bzw. Katastrophen festzustellen.
Ist diese Entwicklung nach oben ein Grund zum Jubeln? Ja, weil es ein gutes Zeichen ist, dass sich Menschen ungebrochen solidarisch zeigen und großzügig helfen, besonders dann, wenn die Not vor der eigenen Haustür riesig ist. Ja, dies ist auch als Beleg dafür, dass die wachsende Professionalisierung des Fundraisings mit einer Steigerung des Spendenaufkommens einhergeht.
Doch es gibt mehrere „Aber“. Den inzwischen verlässlicheren Zahlen zum Spenden ging bis vor nicht allzu langer Zeit eine Phase der vagen Schätzungen voraus. Dies gilt auch für den Ausgangspunkt von 6 Milliarden Euro im Jahr 2000. Die Frage, ob es sich tatsächlich um eine Verdoppelung handelt oder aber die Zahlen genauer geworden sind, bedürfte einer näheren Beleuchtung.
Mittelfeld im internationalen Vergleich
Deutschland zählt zu den reichsten Ländern der Erde. Im World Giving Index 2024, den die London ansässige Charities Aid Foundation (CAF) jährlich veröffentlicht, rangiert Deutschland auf Platz 37 weit hinter anderen europäischen Ländern wie Malta (10), Irland (15), Norwegen (21), dem Vereinigten Königreich (Platz 22) und den Niederlanden (25). Die USA stehen auf Platz 6. Bei der Berechnung werden drei Kategorien zugrunde gelegt: einem/einer Fremden helfen, Geld spenden und Freiwilligentätigkeit.
Mit der im CAF-Index genannten (Geld-)Spendenbeteiligungsrate von 57 Prozent liegt Deutschland international im unteren Mittelfeld. Auch die Zahlen der oben genannten Erhebungen zum Spendenaufkommen in Deutschland besagen, dass sich höchstens etwa die Hälfte der Menschen in Deutschland als Spenderinnen und Spender engagieren. Dieser Anteil ist in der Tendenz rückläufig. Interessant ist dabei, dass die einzelnen Spendenden jedoch höhere Beträge beitragen, wie die gestiegenen Spendensummen zeigen.
Humanitäre Hilfe einschließlich Katastrophenspenden weiterhin weit vorne
An den Präferenzen bei den Spendenzwecken hat sich trotz Klimakrise und Energiekrise wenig verändert. Noch immer fließt der größte Teil (etwa zwei Drittel) in die humanitäre Hilfe (neben Not- und Katastrophenhilfe auch Kinder- und Jugendhilfe, Altenhilfe, Behinderten-/Krankenhilfe, Flüchtlingshilfe, Obdachlosenhilfe). Das restliche Drittel umfasst Bereiche wie Umwelt- und Naturschutz, Kultur und Denkmalpflege, Tierschutz, Sport.
Die Bedeutung gesellschaftlich gestaltender Spenden ist hierzulande nach wie vor nicht besonders stark ausgeprägt. Anders als die immer spürbarer werdende Klimakrise vermuten lässt, ist beispielsweise der Umfang von Spenden für Umwelt- und Naturschutz nicht überproportional gestiegen, auch wenn zahlreiche in diesem Bereich tätige Organisationen sehr erfolgreich Spenden einwerben (anders als noch vor 30 Jahren). Es gibt zudem eine gewachsene Vielfalt an Advocacy-Organisationen – LobbyControl, Urgewald, Reporter ohne Grenzen, Germanwatch, HateAid und viele andere mehr – die sich, getragen vom Engagement privater Spenderinnen und Spender, aktiv für Demokratie und Menschenrechte stark machen. Doch deren Anteil am Spendenkuchen ist relativ klein.
Wenig Bewegung bei den Merkmalen der Spendenden
Wer nun sind die Spenderinnen und Spender von heute? Bei den demographischen Merkmalen gibt es im Vergleich zu früheren Zeiten keine markanten Veränderungen. Der größte Anteil der Spendenden liegt weiterhin in den Altersgruppen 70+ und 60+ (fast zwei Drittel), die Anteile in den jüngeren Altersgruppen sind relativ gleichbleibend. Die Spendenquote bei Frauen ist höher (45 Prozent) als bei Männern (41 Prozent), allerdings spenden Männer größere Beträge (416 Euro im Jahresdurchschnitt gegenüber 286 Euro der Frauen). Die Spendenwahrscheinlichkeit steigt mit höherer Bildung und höherem Einkommen. Spendenquoten und Spendenhöhen sind in den östlichen Bundesländern niedriger. Die Zugehörigkeit zu einer christlichen Religionsgemeinschaft hat einen positiven Einfluss auf das Spendenverhalten.
Umfang von Großspenden und Testamentspenden unklar
Bei der durchschnittlichen jährlichen Spendenhöhe gehen die Einschätzungen der einzelnen Erhebungen weit auseinander. Sie bewegen sich zwischen 40 und 170 Euro jährlich (Bilanz des Helfens / Deutscher Spendenmonitor). Mehr als die Hälfte der Spenden liegt bei bis zu 100 Euro im Jahr, ein Fünftel bei 250 Euro und darüber. Während der Anteil der Spenderinnen und Spender, die pro Jahr bis zu 50 Euro spenden, sinkt, steigt der Anteil derjenigen, die zwischen 100 und 500 Euro sowie über 500 Euro spenden, laut SOEP beständig an.
Leider sind keine guten Zahlen zum Volumen von Großspenden und zu aktuellen und potenziellen Großspenderinnen und Großspender zu finden. Dem steht gegenüber, dass das Großspenden-Fundraising hierzulande seit dem Jahr 2010 stark an Fahrt gewonnen hat und in vielen Spendenorganisationen Zahl und Umfang der großen Spenden zugenommen haben. Viele Organisationen berichten zudem von Zuwächsen bei den Testamentspenden. Doch auch Umfang und Zusammensetzung der Testamentspenden sind unklar.
Luft nach oben – aktives Fundraising notwendiger denn je
Die Potenziale für ein höheres Spendenaufkommen in Deutschland sind vorhanden, besonders bei der gewachsenen Zahl von Vermögenden, doch auch darüber hinaus. Spenden, so das Ergebnis mehrerer Studien, macht glücklicher, auch auf lange Sicht, fördern das Gefühl der Selbstwirksamkeit, stiften Sinn. Jede und jeder kann einen Betrag dazu leisten, die Welt ein Stück weit besser zu machen. Selbst bei Katastrophen, wo die Spendengründe durch TV-Bilder frei Haus geliefert werden, sind systematische Fundraising-Aktivitäten notwendig. Eine wesentliche Voraussetzung für Zuwächse bei der Zahl der Spendenden und dem Spendenaufkommen ist es, Fundraising auch als Kunst des Lehrens der Freude am Spenden zu verstehen. Es gilt, passgenau, systematisch und kontinuierlich mehr Funken der Begeisterung zu versprühen und aufzuzeigen: Spenden wirkt!
Dr. Marita Haibach ist Expertin für Fundraising und Großspenden. Sie hat mehrere Bücher dazu verfasst und arbeitet als Beraterin und Coach für Non-Profit-Organisationen.
Foto: Privat
Dieser Beitrag ist Teil des Fokus Werben, geben, wirken – Spenden für den guten Zweck der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte November 2024 der Stiftung Aktive Bürgerschaft.