SPIEGEL – Tagesspiegel: “Die Dagegen-Republik”

Auf seinem Titelblatt ruft DER SPIEGEL (Ausgabe 35/2010) vom 30.08.2010 “Die Dagegen-Republik” aus. “Ob gegen einen neuen Bahnhof in Stuttgart, eine Schulreform in Hamburg, für ein Nichtrauchergesetz in Bayern – es wird demonstriert, geklagt und abgestimmt, als sollten die Politiker entmachtet werden. Ihre Beschlüsse zählen nur noch wenig, das Volk baut seine Macht aus.” Die Autoren fragen, ob das Engagement immer dem Gemeinwohl diene oder ob es nicht gelegentlich von Eigeninteressen motiviert sei. “Fast alle Proteste werden von wohlhabenden und gebildeten Bürgern getragen. Die ärmeren Schichten brauchen Gewerkschaften und Politiker, damit ihre Interessen zur Geltung kommen, sie brauchen Repräsentanten. Wenn also der Bürgerprotest Einfluss gewinnt zu Lasten der Politik, dann gewinnt die Mittelschicht an Einfluss. Die Architektur der Gesellschaft ändert sich.” – Dem Bild von der “Dagegen-Republik” widerspricht der Protestforscher Wolfgang Kraushaar im Tagesspiegel vom 23.09.2010: “Wir blicken auf lauter Ausschnitte, die nicht ohne Weiteres ein Gesamtbild ergeben.” Die Rede vom “Aufstand des Bürgertums” sei “eine marktschreierische These”, so Kraushaar im Gespräch mit Christian Schröder. Die bundesdeutsche Protestkultur seit den späten 1960er Jahren sei vielmehr stets von sowohl alternativen als auch bürgerlichen Strömungen geprägt gewesen.

, Ausgabe 105 September 2010