Volle Kraft voraus

Ein Gesundheits-Labyrinth, ein Fußball-Fundraising-Projekt, eine Immobilie, ein Qualifizierungs-Programm für Geflüchtete, eine Jugendgruppe. Die Bürgerstiftung Kehl hat viele Eisen im Feuer, was auch an den beiden Vorsitzenden in Vorstand und Stiftungsrat liegt

Ein heißer Sommertag in Kehl am Rhein, einer Kleinstadt im äußersten Westen Baden-Württembergs. Die Terrasse des Gasthofs Sternen ist gut besucht, hier und dort hört man neben deutschen Gesprächen auch solche auf Französisch. Am besten Tisch unter einem Holz-Pavillon sitzen Jörg Armbruster, Joachim Riel und Manfred Gärtner, wie sie das wohl öfter tun. Der Kellner begrüßt die drei Herren freundschaftlich, später kommt die Köchin selbst an den Tisch. „Hier isch ma bekannt“, bestätigt Armbruster im hiesigen Dialekt.

Bestellt wird deftig: Wurstsalat, Bratkartoffeln und eine Flasche vom sogenannten Stifterwein. Aus dessen Verkauf generiert die Bürgerstiftung Kehl einen Teil ihrer Mittel. Armbruster, Riel und Gärtner sind dort seit Jahren ehrenamtlich engagiert – und dabei ziemlich erfolgreich: Das Stiftungskapital wuchs von knapp 84.000 Euro bei der Gründung auf heute 2,1 Millionen. Grund dafür sind unter anderem fünf Stiftungsfonds, mit denen Stifterinnen und Stifter ihr Vermögen in die Hände der Bürgerstiftung legen. Aus den Kapitalerträgen und Spenden finanziert die Bürgerstiftung wiederum eigene Projekte und fördert gemeinnützige Initiativen in Kehl.

Vorstandsvorsitzender Jörg Armbruster

Jörg Armbruster ist als Vorstandsvorsitzender so etwas wie das pulsierende Herz der Bürgerstiftung. In der 37.000-Einwohner-Stadt an der Grenze zu Straßburg kennt man ihn gut. 16 Jahre war er Bürgermeister für Bauen, Umwelt und Soziales, hatte für das Amt des Oberbürgermeisters kandidiert, die Wahl aber 1998 verloren. 2006 gründete er zusammen mit neun Mitstreitern die Bürgerstiftung Kehl, inzwischen sind sie 233 Stifterinnen und Stifter.

Zu den Gründungsmitgliedern gehört auch Joachim Riel, der heute Vorsitzender des Stiftungsrates ist. Der stellt sich als „Kaufmann“ vor, auffallend an ihm ist vor allem, dass er auch nach über 50 Jahren im Badischen immer noch mit Hamburger Dialekt spricht. Der 75-Jährige hat sein Geld im Fruchthandel verdient und es später im Mietwohnungsbau angelegt. Auch für die Bürgerstiftung hat er ein Mehrfamilienhaus gebaut, mit dessen Mieteinnahmen Projekte finanziert werden. Und davon gibt es eine Menge.

Stiftungsratsvorsitzender Joachim Riel im Gespräch mit Claus Preiss von der Volksbank Bühl

Eines ist das Rosa-Carbonell-Labyrinth, eine Art Wandelgarten nach kneippschem Vorbild. Es soll die seelische und körperliche Gesundheit fördern, berichtet Gärtner, der die Idee dazu hatte. Entstehen soll es direkt am Rhein, die Fläche hat das Land Baden-Württemberg kostenlos zur Verfügung gestellt. Armbrusters Ruf als ehemaliger Baubürgermeister dürfte hier geholfen haben, immerhin gehen zwei der Wahrzeichen Kehls auf ihn zurück: In seine Amtszeit fiel der Bau der Brücke Passerelle des Deux Rives nach Frankreich und des 44 Meter hohen Weißtannenturms.

Die Landschaftsarchitektin Christine Gehle erläutert gerade, wo später Wassertretstelle und Barfußpfad sein werden, da radelt Claus Preiss auf einem schnittigen schwarzen E-Bike heran. Der Vorstandsvorsitzende der Volksbank Bühl ist der neueste Stifter der Bürgerstiftung Kehl, hat aber bei deren wichtigstem Fundraising-Projekt schon seit Jahren seine Hände im Spiel. Dabei spenden Sponsoren wie die Volksbank Bühl bei Heimspielen der ersten Mannschaft des Kehler Fußballvereins (KFV) pro Zuschauer 50 Cent an die Bürgerstiftung und den KFV. Über die Jahre seien so mehr als 250.000 Euro zusammengekommen, berichtet Armbruster. Ein bisschen Smalltalk hier, ein paar Fotos dort, dann bricht Preiss wieder auf und die Gruppe macht sich auf zum Ausbildungszentrum der Badischen Stahlwerke.

Teilnehmer des Projekts, das Geflüchtete auf eine Ausbildung in der Metallverarbeitung vorbereitet

Hier führt die Bürgerstiftung seit 2016 ein Projekt durch, mit dem Geflüchtete auf eine Ausbildung in der Metallverarbeitung vorbereitet werden. 15 junge Männer aus Gambia, Eritrea oder Afghanistan haben das Programm bestehend aus Deutschkurs, Fachunterricht und einer sozialpädagogischen Betreuung seitdem durchlaufen. Viele haben es nicht nur erfolgreich absolviert, sondern im Anschluss eine passende Ausbildung gefunden und abgeschlossen. „Ein paar haben auch abgebrochen“, räumt Ausbildungsleiter Michael Enderle ein. Aber die Abbrecherquote bei den Geflüchteten sei immer noch niedriger als bei den Franzosen, die in der Grenzregion genauso an dem Programm teilnehmen können. Drohende Abschiebungen, langwierige Abstimmungen mit den Behörden, all das ist jedoch nicht spurlos an Armbruster vorübergegangen. „Der persönliche und finanzielle Aufwand war erheblich“, sagt er. Gelohnt hat es sich trotzdem. Teilnehmer Yaya Touray fühlt sich heute angekommen in Deutschland. Und auch die Jury des Förderpreises Aktive Bürgerschaft lobte 2017, die Bürgerstiftung weise den Weg für eine Integration, von der nicht nur die Geflüchteten, sondern auch die ortsansässigen Unternehmen und somit die gesamte Region nachhaltig profitieren.

Sozialarbeiterin Melanie Krauss betreut die Jugendgruppe im Haus der Jugend

Gegen Ende des Tages blicken wir in die Zukunft. Es geht zum Haus der Jugend, das Thema: „Gewalt in der Familie“. Das mag im beschaulichen Kehl wenig dringlich erscheinen, ist es aber nicht. „Das Frauenhaus in Offenburg ist total überfüllt“, erzählt Riel, der den Anstoß für diesen neuen Arbeitsschwerpunkt gegeben hatte. Um den Kindern solcher Familien zu helfen, finanziert die Bürgerstiftung neben zwei anderen Vereinen eine elfköpfige Jugendgruppe, die sich einmal pro Woche im Haus der Jugend trifft. „Die Kinder kommen aus ganz unterschiedlichen Gründen zu uns“, sagt Sozialarbeiterin Melanie Krauss, „manche haben Elternteile verloren, andere werden zuhause vernachlässigt, wieder andere sind von Kriegserlebnissen traumatisiert.“ Im Jugendzentrum essen sie zusammen, gehen spazieren mit Therapiehund Nala oder machen Ausflüge ins Kino oder zum Bauernhof. Armbruster will die Gruppe unbedingt weiterführen und sogar noch eine zweite eröffnen. Es habe 1,5 Jahre gedauert, bis die Kinder Vertrauen fassten, da dürfe man jetzt nicht aufhören, gibt er sich kämpferisch.

Mit 80 ist Schluss!

Jörg Armbruster, Vorstandsvorsitzender der Bürgerstiftung Kehl

Warum macht er das alles eigentlich? Und wie lange noch? Auf diese Fragen weiß Armbruster eine klare Antwort. Früher als Bürgermeister hätten sich alle immer nur bei ihm beschwert, heute erlebe er das ganz anders und freue sich über die vielen konstruktiven Vorschläge, die an ihn herangetragen werden. Dennoch: „Mit 80 ist Schluss!”, sagt er. Er bleibe zwar weiterhin in der Bürgerstiftung engagiert, aber ohne die Gesamtverantwortung. Die dürften dann andere übernehmen. Auch Joachim Riel will den Stiftungsratsvorsitz nach 12 Jahren bei der nächsten Wahl abgeben. Stillstand traut man beiden dennoch nicht zu.

Text: Lena Guntenhöner, Fotos: Werner Kissel

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