von Rudolf Speth
Viele Ehrenamtliche in den zivilgesellschaftlichen Organisationen klagen über die Last der Bürokratie. Sind wir auf einem Weg, auf dem das freiwillige Engagement immer mehr durch die Erfüllung bürokratischer Anforderungen erstickt wird? Nein, so ist es nicht. Vielmehr machen die Klagen über die zunehmende Bürokratie unterschiedliche und auch widersprüchliche Entwicklungen deutlich.
Zunächst ist die wachsende Bürokratielast ein Ausdruck für die Stärke der Zivilgesellschaft. Zivilgesellschaftliche Organisationen sind zunehmend mit dem Staat (Bund, Ländern und Kommunen) verwoben, erfüllen teilweise Aufgaben des Staates, bekommen Geld (Entgelte und Zuwendungen) und erbringen Wohlfahrtsleistungen für die Gesellschaft. Ohne Dokumentation, Nachvollziehbarkeit, Belege für die Verwendung der Mittel und Leistungsnachweise ist das alles nicht zu machen. Das bedeutet aber auch: Je näher die Zivilgesellschaft an den Staat rückt, desto größer wird der Aufwand für die Erfüllung bürokratischer Pflichten.
Man muss die Entwicklung auch noch aus einer anderen Perspektive betrachten. Nach wie vor sind zivilgesellschaftliche Organisationen und staatliche Institution zwei getrennte Welten mit unterschiedlichen Logiken. Während es in der Welt der zivilgesellschaftlichen Akteure vor allem auf Freiwilligkeit, Selbstwirksamkeit und Eigensinn ankommt, geht es in den Verwaltungen um Regelhaftigkeit, Gesetzeskonformität und formalisierte Prozesse. Die Verbindung dieser beiden Welten kann auch aus einer Machtperspektive beschrieben werden: Die Verwaltungen verfügen über Ressourcen (Geld und Recht) und zwingen damit den zivilgesellschaftlichen Organisationen ihre Logik auf, sobald diese in die Nähe der staatlichen Akteure geraten, beispielsweise wenn sie nach Ressourcen fragen oder eine staatliche Genehmigung oder Lizenz für ihr Handeln benötigen.
Es darf aber nicht unterschlagen werden, dass keine Organisation – auch keine zivilgesellschaftliche – ohne ein Minimum an Bürokratie auskommt. Auch wenn der Begriff negativ belegt ist, so sind eine bestimmte Regelhaftigkeit, Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Korruptionsfreiheit elementar notwendig. Zu Bürokratie gibt es keine wirkliche Alternative, es geht höchstens darum, weniger Bürokratie zu haben.
Was tun? Die Zivilgesellschaft sollte im Bewusstsein haben, dass es unterschiedliche Logiken und Welten gibt, die zwar miteinander in Verbindung stehen, aber trotzdem getrennt bleiben müssen. Deshalb ist es wichtig, sich die Frage zu stellen, wie nah zivilgesellschaftliche Akteure an den Staat und seine Verwaltungen gerückt werden, wie viele und wie weit sie Aufgaben von diesen übernehmen können, ohne ihren Charakter zu verlieren. Es ist ein beständiger Diskurs über die Grenzziehungen zu führen. Denn: Das eigene und besonders das zivilgesellschaftliche Handeln darf nicht einfach aufgegeben werden. Die Zuwendungen durch staatliche Stellen und die Übernahme von Aufgaben für die Kommunen, Länder und den Bund sind Quellen bürokratischer Prozesse. Ohne sie und weitere rechtliche Regeln wird es nicht gehen. Wer sich darauf nicht einlassen möchte, sollte sich auf die eigenen Anliegen besinnen und seine Aufgaben selbst definieren. Deshalb ist es notwendig, dass zivilgesellschaftliche Organisationen ihren Charakter bewahren und immer wieder erneuern.
Kommentar von Dr. Rudolf Speth, erstmals erschienen im bürgerAktiv Magazin 2019, für bürgerAktiv – Nachrichtendienst Bürgergesellschaft, Ausgabe 204 – September 2019 vom 30.09.2019.