„Wir können das Hauptamt nicht ersetzen“

Wenn an der Unterstützung für Integration gespart wird, trifft es nicht nur die zugewanderten Menschen, sondern auch die Engagierten, die sich seit Jahren für gute Integration einsetzen und mit den Behörden zusammenarbeiten. Ein Vor-Ort-Beispiel dafür findet sich im baden-württembergischen Wiesloch, wo die Bürgerstiftung vielen Geflüchteten hilft. Hier wird jetzt das behördliche Integrationsmanagement zusammengestrichen. Wie fatal sich das auch auf die Ehrenamtlichen auswirkt, erläutert Monika Gessat vom Vorstand der Bürgerstiftung Wiesloch im Interview mit bürgerAktiv.

Frau Gessat, die Bürgerstiftung Wiesloch engagiert sich für geflüchtete Menschen. Wie sieht diese Unterstützung aus?

Die Bürgerstiftung hilft vielfältig. Unsere Ehrenamtlichen sammeln Spenden, organisieren Begegnungen der Geflüchteten mit den Bürgerinnen und Bürgern, stehen Familien und Einzelpersonen individuell zur Seite. Sie gehen begleitend in Sprachlernklassen, organisieren einen Kurs für Mütter mit Kleinkindbetreuung und eine „Sprachklinik“ und bieten Lernunterstützung für Schülerinnen und Schülern vor Abschlussprüfungen.
Außerdem geben wir Überbrückungsdarlehen, wenn sich die Bearbeitung von Anträgen auf Bürgergeld, Wohngeld oder Kindergeld hinzieht. Hier arbeiten wir eng mit den Integrationsdiensten zusammen: Feststellung des Bedarfs und der Höhe des Darlehens, Festlegen der Rückzahlungsraten, Nachfragen bei den Ämtern, wann mit der Nachzahlung zu rechnen ist, Mahnungen aussprechen.

Jetzt protestiert die Bürgerstiftung dagegen, dass das Land und die Kommune am Integrationsmanagement sparen wollen. Welche Einschränkungen stehen bei Ihnen vor Ort bevor?

Bisher gibt es ein kommunales Integrationsmanagementbüro mitten in der Stadt, finanziert überwiegend vom Land. Zum 1. Januar 2025 überträgt die Kommune das Integrationsmanagement an den Landkreis. Gleichzeitig wird das Land die Mittel für das Integrationsmanagement ab 2025 kürzen. Die danach noch zur Verfügung stehenden Mittel werden voraussichtlich nicht einmal mehr für eine volle Stelle ausreichen. Das bedeutet eine Kürzung der Beratungskapazität um mindestens zwei Drittel.
Damit fällt ein bestens funktionierendes und hoch professionelles Beratungssystem weg. Die Integrationsmanagerinnen erfahren im Kontakt, was die Menschen brauchen, stimmen die einzelnen Integrationsschritte aufeinander ab und organisieren gegebenenfalls Unterstützungsmaßnahmen. Ohne solch fachkundige Beratung können neu angekommene Menschen in finanzielle Notlagen geraten, wissen nicht, wo sie sich Rat holen können, und verpassen Fristen. Wir befürchten, dass die zuständigen Stellen etwa im Ausländeramt oder Jobcenter die zusätzliche Arbeit aufgrund fehlender personeller Ressourcen und Kompetenzen nicht werden leisten können.

„Die Einsparungen sind frustrierend und entmutigend“

Was bedeuten die geplanten Sparmaßnahmen für die Arbeit der Ehrenamtlichen bei der Bürgerstiftung?

Die Geflüchteten werden verstärkt mit ihren Fragen an Ehrenamtliche herantreten, doch die wären mit der korrekten Beratung hoffnungslos überfordert. Wir kennen das aus der Zeit nach 2015, da mutierten wir innerhalb weniger Wochen zu Sozialberaterinnen und Sozialberatern – mehr recht als schlecht gerüstet mit Kenntnissen, die im Schnellkurs beim Landesflüchtlingsrat erworben werden mussten. Falsche Beratungen waren unausweichlich und mussten später von den Hauptamtlichen wieder ausgebügelt werden. Wir haben die Etablierung des hauptamtlichen Migrationsmanagements als riesige Entlastung des Ehrenamtes wahrgenommen.
Bisher erfahren wir über die Integrationsmanagerinnen sehr zeitnah über alle Bedarfe bei Lernunterstützung, Sachspenden, Bedarf für Begleitung zum Arzt oder Behörden usw. Über sie haben wir einen direkten Draht zu den Geflüchteten, weil sie die Ersten sind, bei denen die Menschen nach der Aufnahme durch die Kommune vorstellig werden. So können wir bei finanziellen Engpässen innerhalb weniger Tage weiterhelfen und wir haben durch die gute Kooperation auch eine sehr zuverlässige „Rückzahlungsquote“. Wenn es keine Beratung mehr gibt, wer eröffnet den Geflüchteten die Option des Darlehens?
Für uns sind die Einsparungen frustrierend und entmutigend. Wir befürchten, dass manche Ehrenamtliche sich zurückziehen.

Haben Sie den Eindruck, dass Ihre Kritik gehört wird?

Nein, was wir bisher erreicht haben, ist entmutigend. Unsere Gesprächsanfragen bei den Landtagsabgeordneten waren nicht erfolgreich. Realistisch betrachtet sind die politischen Entscheidungen gefallen, es wird nach dem 1. Januar 2025 einen kompletten Systemwechsel gehen. Bis die neuen Strukturen aufgebaut sind und arbeitsfähig sind, wird es dauern.

Versuchen Sie, die Einsparungen noch zu verhindern?

Wir sind mit Mitgliedern des Kreistags im Gespräch. Da geht es um den Versuch, das Beratungssystem überhaupt noch vor dem Jahreswechsel neu aufzustellen und Beratungslücken wegen des Wechsels in der Zuständigkeit zu verhindern. Außerdem geht es darum, die ortsnahe Beratung zu behalten sowie das hoch engagierte und bestens eingearbeitete Personal vor Ort zu halten, das die Geflüchteten sehr genau kennt und weiß, was deren Probleme sind.
Beides ist fast aussichtslos, da Entscheidungen für Stellenbesetzungen erst im Herbst fallen bzw. diese noch gar nicht ausgeschrieben sind; und wir können es angesichts der unsicheren Lage den Integrationsmanagerinnen nicht verdenken, dass sie sich bereits nach anderen Stellen umschauen.

„Wir hätten uns Gespräche im Vorfeld gewünscht“

Hätten die Sparmaßnahmen im Vorfeld verhindert werden können? Was hätten Sie sich gewünscht?

Wir hätten uns Gespräche mit der Verwaltung und dem Gemeinderat vor der Entscheidung gewünscht, und dass man sich mit unserer Sicht vor Ort und aus dem Ehrenamt vertraut gemacht hätte.

Denken Sie grundsätzlich darüber nach, sich aus der Zusammenarbeit mit Behörden zurückzuziehen, um solchen Enttäuschungen vorzubeugen?

Man könnte zu so einem Schluss kommen – wenn sich die Verwaltung zurückzieht, warum soll ich mich dann engagieren oder gar eigentlich öffentliche Aufgaben übernehmen?
Aber wir haben die Geflüchteten im Blick, die ja unsere Hilfe brauchen. Es sind traumatisierte Menschen darunter. Wir wollen weiter für sie da sein im Rahmen unserer Möglichkeiten. Wer sich nicht positiv angenommen fühlt, wer das Gefühl hat, hier unerwünscht zu sein oder hilflos gegen die Bürokratie anrennt, hat weniger Antrieb, sich in die aufnehmende Gesellschaft einzufinden, und wird sich eher Gruppen zuwenden, die nicht das Zusammenleben, sondern das Absondern fördern. Dann bilden sich noch mehr Parallelgesellschaften oder Menschen rutschen aus wirtschaftlicher Not in kriminelle Milieus ab. Das wird die Akzeptanz von Migration, die ohnehin in den letzten Monaten immer stärker unter Druck gekommen ist, weiter gefährden.

„Wir werden unsere Unterstützung fortsetzen“

Wie wird es in der Bürgerstiftung weitergehen mit dem ehrenamtlichen Engagement für Geflüchtete?

Wir werden unsere bisherige Unterstützung fortsetzen. Bei einigen Angeboten werden wir uns neue Wege und Verfahrensabläufe überlegen müssen. Da sehe ich uns aufgrund langjähriger Erfahrung der Bürgerstiftung mit unseren Kompetenzen und unserer Verankerung in der Bürgerschaft gut aufgestellt.
Die Qualität der hauptamtlichen Beratung werden wir allerdings nicht ersetzen können und wir werden unsere Ehrenamtlichen dazu auch in keiner Weise ermutigen.

Interview: Gudrun Sonnenberg

Monika Gessat ist Mitglied des Vorstands der Bürgerstiftung Wiesloch. Ihre Arbeitsschwerpunkte in der Bürgerstiftung sind das Netzwerk Asyl sowie Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit.

Interview mit Monika Gessat für bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte, Ausgabe 258 – August 2024 vom 29.08.2024

 

, Ausgabe 258 August 2024, Debatte, Kommentare und Analysen