Die Pisa-Studie förderte Ende 2023 bedrückend schlechte Leistungen der deutschen Schülerinnen und Schüler sowie große Unterschiede zutage. Birgit Wenninghoff, Leiterin der Mathilde Anneke Gesamtschule in Münster, wünscht sich flexiblere Prüfungskonzepte und mehr Zeit für individuellen Unterricht und neue Formate.
Finden Sie Ihre Schule in den schlechten Pisa-Ergebnissen wieder?
Die PISA-Ergebnisse haben mich nicht überrascht. Aus meiner Sicht sind diese Entwicklungen eine Folge der Selektion in unserem Schulsystem, das die Schülerinnen und Schüler nach der Grundschule in unterschiedliche Schultypen sortiert. Wenn etwa Schülerinnen und Schüler mit Sprachschwierigkeiten unter sich bleiben, kommen sie natürlich nicht so gut weiter. Bei uns auf der Gesamtschule können alle Schüler gemeinsam lernen und profitieren voneinander.
Woran liegen die Mängel? Zu wenig Ressourcen, falsch qualifizierte Lehrkräfte, fehlende Konzepte?
Neben mehr gut qualifiziertem Personal fehlen uns vor allem Freiräume. Das Problem ist unsere Prüfungskultur! Wir prüfen zu viel. Vor allem in der Oberstufe, in der alles auf das Abitur hinausläuft. Es bleibt keine Zeit, um das zu tun, worauf es ankommt, nämlich individuelle Rückstände aufzuholen. Wenn jemand in Englisch eine Fünf schreibt, arbeite ich doch sinnvollerweise mit diesem Schüler den Lernstoff nach, anstatt ihn mitsamt seinen Lücken in die nächste Prüfung zu schicken. Aber für solche auf die Individuen bezogenen Ansätze ist wenig Raum.
Wie geht es besser?
Wir müssen uns fragen, ob unsere Konzepte noch zeitgemäß sind. Wir brauchen alternative Formate und müssen kreativer und problemlösungsorientierter arbeiten. Die OECD hat für zukunftsfähige Bildung vier Kompetenzen definiert, die Schülerinnen und Schüler erwerben sollten: Kreativität, Kommunikationsfähigkeit, Teamfähigkeit und Kritisches Denken. Diese Ziele werden bei uns im Service Learning adressiert. Die Kinder engagieren sich in sozialgenial-Projekten in der 7. und in der 11. Jahrgangsstufe. Sie müssen mit Einrichtungen außerhalb der Schule kommunizieren, müssen Entscheidungen treffen und machen viele neue Erfahrungen. Sie erleben, dass es Spaß macht, sich für andere einzusetzen.
Welche Rolle kann das Service Learning für das Lernen insgesamt spielen?
In den sozialgenial-Projekten findet viel informelles Lernen statt. Das ist wichtig. Die Projekte zu ermöglichen steht und fällt mit dem Engagement der Lehrkräfte, die aus den genannten Gründen zuweilen ziemlich kreativ sein müssen, um die nötigen Freiräume zu finden. Insgesamt bräuchten Lehrerinnen und Lehrer vor allem mehr Zeit. Offiziell vier Stunden pro Woche nur für Konzeption: Das wäre mein Traum!
Interview: Gudrun Sonnenberg, Stiftung Aktive Bürgerschaft
Der Beitrag ist Teil des Fokus Service Learning – Wie sollen Schüler lernen und was? der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte der Stiftung Aktive Bürgerschaft. Zum Fokus Service Learning – Wie sollen Schüler heute lernen und was?