Die Corona-Krise beförderte Millionen Menschen ins Homeoffice und gibt der Digitalisierung und der dezentralen Zusammenarbeit einen Schub
Ehrenamtliche Organisationen wie Bürgerstiftungen, denen dezentrale Arbeit ohne eigene Geschäftsstelle vertraut ist, können von der neuen digitalen Normalität profitieren und ihre Arbeit weiter professionalisieren
Die Stiftung Aktive Bürgerschaft lädt die Bürgerstiftungen zum Projekt “Digitale Bürgerstiftung” ein, um gemeinsam die Digitalisierung voranzutreiben und Arbeitsformen und Attraktivität der Bürgerstiftungen zukunftssicher zu gestalten
Der nachfolgende Text ist die erweitere Fassung eines Beitrages von Dr. Stefan Nährlich vom 25. Mai 2020 für das Fachmagazin Stiftung & Sponsoring. Aktualisiert im November 2020. E-Mail an Stefan Nährlich.
Die Bürgerstiftung der Zukunft: Analog und digital
1. Was Corona verändert …
2. Erfahrungen mit der Digitalisierung einer Geschäftsstelle
3. Wesentliche Bestandteile einer digitalen Geschäftsstelle
4. Das Projekt “Digitale Bürgerstiftung”
Anhang: Microsoft 365 für gemeinnützige Organisationen
1. Was Corona verändert
“Never change a running system“, heißt ein vielzitierter Satz, in dem eine große Portion Lebenserfahrung steckt. Wer hat sich nicht schon geärgert, dass der Computer, der immer brav seinen Dienst getan hat, nach dem Anschluss einer Webcam dauernd abstürzt. Dass das neue W-LAN zwar schneller ist, aber das Display auf dem Drucker nicht breit genug, um den längeren Zugangsschlüssel einzugeben. Dass die neue Buchhaltungssoftware zwar intuitiv zu bedienen ist, aber ausgerechnet mit der Online-Banking-Schnittstelle der eigenen Bank ein Problem hat. Spätestens, wenn die Angestellten ihr Gehalt verspätet bekommen, bestätigt sich wieder nachdrücklich der Satz: “Never change a running system.“
Schaut man sich das Nutzungsverhalten in der digitalen Welt in Deutschland an, heißt das im Bevölkerungsdurchschnitt vor allem: googlen, bei Amazon bestellen, Reisen buchen, Pizza bestellen und Whats-App-Nachrichten verschicken (D21-Digital-Index). Verständlicherweise nutzen die Menschen das, was in ihrem persönlichen Lebensumfeld einen Nutzen hat. Das regelmäßige Arbeiten mit Videokonferenzen, Kollaborationstools oder E-Learning-Systemen ist für vergleichsweise wenige Menschen Alltag. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehen wenig Nutzen darin, neue Arbeitsmethoden und -instrumente zu erlernen, wenn die alten ihren Zweck erfüllen. Dazu kommt, dass Führungskräfte in Deutschland ihre Belegschaft gerne um sich haben. Gearbeitet wird in Deutschland daher vornehmlich am Arbeitsplatz im Büro, in der Geschäftsstelle.
Die Corona-Pandemie mit ihren Folgen der Kontaktbeschränkungen hat dies von einem Tag auf den anderen verändert. Der Anteil der Beschäftigten im Homeoffice ist nach Schätzungen des Bundesarbeitsministeriums und der Hans-Böckler-Stiftung von 4% auf mehr als 25% gestiegen. Für Millionen von Beschäftigte und ihre Arbeitgeber ist dies verbunden mit einem Crashkurs in Digitalisierung. Viele Prognosen gehen davon aus, dass auch nach dem Ende der Corona-Krise digitales und dezentrales Arbeiten einen hohen Stellenwert behalten werden.
2. Erfahrungen mit der Digitalisierung einer Geschäftsstelle
Zur Aufrechterhaltung der eigenen Arbeitsfähigkeit hat die Stiftung Aktive Bürgerschaft ab Mitte März 2020 ihre Geschäftsstelle digitalisiert, damit die 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weitgehend auch im Homeoffice so arbeiten können wie bislang im Büro. Die Büroanwesenheit wurde auf einen Tag in der Woche reduziert. Die 250qm Bürofläche der Geschäftsstelle wurden eingetauscht gegen 15 Terrabyte Cloudspeicher und Websoftwarelösungen.
Statt der Nutzung büroüblich ausgestatteter PCs mit lokal installierter Software und Zugriff auf die Dateien des lokalen Büroservers, kommt jetzt die bei einem Internetprovider gemietete Softwarelösung Office 365 Business Standard (jetzt Microsoft 365) mit Accounts für alle Mitarbeiter zum Einsatz. Der Zugriff der Kolleginnen und Kollegen auf die neue Arbeitsumgebung erfolgt über einen Webbrowser aus dem Homeoffice über private Computer. Dabei wird keine Verbindung vom Homeoffice in die Geschäftsstelle hergestellt, sondern auf die webbasierte Arbeitsumgebung. Die Dateien liegen in dem mit der gemieteten Software zur Verfügung gestellten Internetspeicherplatz (Cloud). Auch an den Bürotagen nutzen die Angestellten in der Geschäftsstelle nicht die alte Arbeitsstruktur, sondern, wie aus dem Homeoffice, die in der Cloud liegenden Programme und Dateien. Um Videokonferenzen durchführen zu können, musste ein Teil der Mitarbeiter noch mit Headsets und Webcams ausgestattet werden, was gerade vor dem Ausverkauf solcher Produkte noch gelang. Da die Deutsche Telekom im Haus der Stiftungsgeschäftsstelle mitten im Berliner Regierungsviertel lediglich Internetzugang mit 16MBit/s anbietet, wurde zu einem Kabelanschlussanbieter gewechselt und der Internetzugang auf 400MBit/s erhöht.
Zentrales Instrument der digitalen Geschäftsstelle der Stiftung Aktive Bürgerschaft ist eine “Online-Kollaborationssoftware”, die koordinierte Arbeitsabläufe durch eine einheitliche Plattform für Aufgabenzuweisungen, Echtzeitzusammenarbeit, Besprechungen, Dateienspeicherung, Wissensmanagement und mehr bietet. Das sich die Stiftung Aktive Bürgerschaft aus der Vielzahl der angebotenen Tools für Microsoft 365 entschieden hat, liegt an der Verfügbarkeit, der Leistungsfähigkeit, an Vertrautheit und an den Kosten. Der schon bisher genutzte Provider bietet Microsoft 365 an, die Miete und Einrichtung ließen sich einfach und schnell bewerkstelligen. Zudem wurde die Wahrscheinlichkeit als hoch bewertet, dass die gewählte Lösung auch in weiterer Zukunft am Markt verfügbar sein wird. Der Leistungsumfang entspricht den Anforderungen der Stiftung und der Anbieter war auch in der Lage, die Funktionalität der Onlinesoftware bei einer in kurzer Zeit stark gestiegenen Nachfrage aufrechtzuerhalten. Teile des Microsoft 365 Pakets sind den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Stiftung vertraut, weil Programme wie Outlook, Word usw. bereits zuvor verwendet wurden. Die Kosten der gemieteten Microsoft 365 Version liegen mit etwa 5 Euro pro Monat und Mitarbeiter in einem akzeptablen Rahmen. Seit Ende April gibt es dieses Paket für gemeinnützige Organisationen bei Microsoft auf Antrag kostenlos. Auch mit Smartphones und Tablets können Programme wie Teams, Outlook, Word usw. über Mobile Apps genutzt werden.
3. Wesentliche Bestandteile einer digitalen Geschäftsstelle
Dokumentenspeicher: Digitalisierte Unterlagen als auch nativ digitale Dokumente brauchen einen Ort, an dem sie strukturiert abgelegt werden. Berechtigte Personen brauchen Zugriff auf diese Unterlagen. Vor dem unberechtigten Zugriff müssen die Unterlagen geschützt werden. Microsoft 365 bietet hierfür die Cloudspeicherlösung Onedrive an. Noch bestehende Papierunterlagen werden je nach Umfang von einem entsprechenden Dienstleister oder selbst über einen Kopierer mit Scannerfunktion digitalisiert. Apps für Smartphones wie Scanbot SDK nutzen die Handykamera zur Digitalisierung von Papierunterlagen und sind für den täglichen Einsatz ausreichend.
Interne Kommunikation und Zusammenarbeit: Mit dem Programm Teams bietet Microsoft 365 ein umfangreiches Instrument an. Wesentliches Prinzip ist die Strukturierung der Kommunikation über eingerichtete Teams (z.B. Vorstand, Öffentlichkeitsarbeit, Projektgruppe usw.) und zugeordnete Kanäle (z.B. nach Sitzungsterminen, Aufgaben, Projekten usw.). Innerhalb dieser Kanäle läuft die Kommunikation über Chats oder Videokonferenzen. An Dateien kann gemeinsam gearbeitet werden, in den Wikis der Kanäle können wichtige Informationen, Vorlagen u.a. bereitgestellt oder durch die Nutzer angelegt werden. In Teams und Kanälen können bestimmte Personen Mitglied sein, alle Organisationsmitglieder und Gäste. Über die Kalenderfunktion können Sitzungstermine angelegt und Teilnehmer per E-Mail eingeladen werden. Um Protokolle und andere Dokumente elektronisch unterschreiben zu können, kann z.B. die Software Adobe Signs verwendet und in Microsoft 365 integriert werden.
Wissensmanagement: Microsoft 365 bietet mit dem Programm Teams und der integrierten Wiki-Funktion die Möglichkeit, Wissen strukturiert bereitzustellen und Organisationsmitgliedern zugänglich zu machen. Eine Suchfunktion ist integriert. Für persönliche Notizen kann das Programm OneNote genutzt werden.
Office Anwendungen: Das Paket Microsoft 365 enthält die klassische Bürosoftware Word, Excel, Powerpoint und Outlook. In Outlook integriert ist ein Terminkalender, in dem auch die Termineinträge aus dem Programm Teams sichtbar sind, und eine Adressverwaltung. Ebenfalls enthalten sind das Programm Sway, eine Präsentationssoftware, mit der interaktive Berichte und Präsentationen erstellt und geteilt werden können. Für ein einfaches Projekt- und Aufgabenmanagement kann das ebenfalls enthaltene Programm Planner verwendet werden.
CRM, Homepage, Buchhaltung: Jenseits der Microsoft 365–Lösung ersetzt die Stiftung Aktive Bürgerschaft aktuell ihre langjährige Customer Relationship Management-Software Cobra. Zum Einsatz kommen wird die webbasierte und als Plugin in die WordPress–Homepage integrierte Software CiViCRM. Hiermit lassen sich Kontaktdaten strukturieren und verwalten, Zuwendungsbestätigungen erstellen, Newsletter versenden und Events managen. Wie WordPress ist auch CiViCRM eine sogenannte Open-Source-Software, die frei genutzt werden kann. In einem letzten Schritt werden die verwendete Buchhaltungssoftware von Lexware und die Online-Banking-Software auf Cloud-Lösungen umgestellt.
Neben der Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit während der Corona-Krise war die Umstellung auf eine weitgehend digitale Geschäftsstelle auch dem Stiftungsanspruch geschuldet, Gutes besser tun zu wollen. Dies gilt zum einen für unsere Unterstützung von Bürgerstiftungen und Service-Learning-Schulen, es kann zum anderen aber auch für die Bürgerstiftungen selbst gelten.
4. Projekt „Digitale Bürgerstiftung“
Die Stiftung Aktive Bürgerschaft fördert seit 20 Jahren die Entwicklung der Bürgerstiftungen in Deutschland. Die über 400 Bürgerstiftungen zeichnen sich durch eine Vielzahl von Stiftungszwecken und einen lokalen bzw. regionalen Wirkungskreis aus. Sie werben aktiv um Zustiftungen, Spenden und bürgerschaftliches Engagement und laden zum Mitmachen ein, um gemeinnützige Projekte im Bildungs- oder Umweltbereich, in der Kulturarbeit oder im sozialen Bereich usw. durchzuführen oder zu unterstützen. 18% der Bürgerstiftungen beschäftigen hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, über Geschäftsstellen verfügen etwa 31% der Bürgerstiftungen, Tendenz zunehmend (Aktive Bürgerschaft 2019). Alle Bürgerstiftungen leben jedoch in hohem Maße vom ehrenamtlichen Engagement ihrer Gremienmitglieder und Engagierten in Projekten und Geschäftsstellen. Der größte Teil der Arbeit wird von Ehrenamtlichen aus dem heimischen Arbeitszimmer sowie vom beruflichen Arbeitsplatz für ihr ehrenamtliches Engagement teilweise freigestellter Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen erledigt.
Die Stiftung Aktive Bürgerschaft unterstützt die Bürgerstiftungen bundesweit bei Managementaufgaben, Projekten und bei der Gewinnung von Stiftern und Aktiven. Zentrales Anliegen ist dabei die nachhaltige Stärkung der Struktur- und Kompetenzentwicklung (capacity building) bei den Bürgerstiftungen. Ehrenamtliche Organisationen wie Bürgerstiftungen, denen dezentrale Arbeit ohne eigene Geschäftsstelle vertraut ist, können von der neuen digitalen Normalität profitieren und ihre Arbeit weiter professionalisieren.
Mit dem Projekt “Digitale Bürgerstiftung” lädt die Stiftung Aktive Bürgerschaft die Bürgerstiftungen ein, gemeinsam die Digitalisierung voranzutreiben und Arbeitsformen und Attraktivität der Bürgerstiftungen zukunftssicher zu gestalten.
Die Corona-Krise als Anlass und Chance für Bürgerstiftungen, die Digitalisierung zu nutzen und besser zu werden als vorher. Warum das nötig ist:
- Bürgerstiftungen sind Mitmach-Stiftungen. Sie werden von vielen Stiftern, Spendern und Ehrenamtlichen getragen. Digitale Lösungen können die Kommunikation und Koordination vieler Akteure verbessern und vereinfachen.
- Bürgerstiftungen sind auf Wachstum angelegte Organisationen. Mit zunehmender Größe steigt der Organisations- und Koordinationsaufwand. Digitale Lösungen hierfür können das Wachstum ermöglichen, erleichtern und unterstützen.
- Bürgerstiftungen setzen je nach Umstand vor Ort unterschiedliche Software-Programme ein. Oft sind dies “Insellösungen” in doppelter Hinsicht: Innerhalb einer Bürgerstiftung fehlen häufig Schnittstellen zwischen den Programmen. Unter den Bürgerstiftungen werden oft für gleiche Aufgaben unterschiedliche Programme eingesetzt werden, was Erfahrungsaustausch, gemeinsame Weiterbildung und Weiterentwicklung der Softwarelösungen stark erschwert. Eine gemeinsame Digitalstrategie kann hier Abhilfe schaffen.
- Auch Bürgerstiftungen stehen im Wettbewerb um engagierte Menschen und kluge Köpfe. Mit modernen digitalen Arbeitsformen können die Bürgerstiftungen ihre Attraktivität für die Zukunft weiter steigern und jetzt jüngere Zielgruppen erreichen.
- Bürgerstiftungen wollen Gesellschaft mitgestalten und müssen sich auch bei wichtigen gesellschaftlichen Themen wie der Digitalisierung einbringen können. Dazu sind neben der lokalen zivilgesellschaftlichen Perspektive auch eigene Erfahrungen und Beispiele notwendig.
Die Corona-Krise als Anlass und Chance für Bürgerstiftungen, die Digitalisierung zu nutzen und besser zu werden als vorher. Wie das umgesetzt werden kann:
- Die benötigten Softwarelösungen stehen überwiegend gemeinnützigen Organisationen kostenlos zur Verfügung. Die Stiftung Aktive Bürgerschaft wird mit den Anbietern klären, wie das Antragsverfahren für Bürgerstiftungen vereinfacht werden kann und ob ein spezieller Supportkontakt zur Verfügung gestellt werden kann.
- Einführung, Umsetzung und Weiterbildung sollten unserer Vorstellung nach als gemeinsames Projekt der Bürgerstiftungen mit Unterstützung der Stiftung Aktive Bürgerschaft und weiteren interessierten Akteuren realisiert werden. Als Hilfe zur Selbsthilfe und mit gegenseitiger kollegialer Unterstützung bestimmen die Bürgerstiftungen den Fahrplan selbst und machen sich nicht von Dritten abhängig. Außerdem ist die digitale Bürgerstiftung mehr als ein IT-Projekt. Es betrifft ebenso Managementfragen, Arbeitsprozesse und weitere Aspekte.
- Die Stiftung Aktive Bürgerschaft wird in Live-Webinaren verschiedene Bausteine der Digitalen Bürgerstiftung wie zuvor beschrieben vorstellen. Gemeinsam mit Bürgerstiftungen, die diese Softwarelösungen auch bereits nutzen, wollen wir über unsere Erfahrungen berichten und mit Ihnen diskutieren, ob dies auch der richtige Weg für Ihre Bürgerstiftung sein kann. Wir laden alle Bürgerstiftungen und das Bündnis der Bürgerstiftungen Deutschlands ein, sich aktiv einzubringen.
Anhang: Microsoft 365 für gemeinnützige Organisationen
Hier finden Sie Informationen über die Angebote von Microsoft für gemeinnützige Organisationen: Non-Profit-Angebote für Microsoft 365
Die Stiftung Aktive Bürgerschaft setzt sich dafür ein, den Bürgerstiftungen in Deutschland einen einfacheren Zugang zu Microsoft 365 zu ermöglichen. In Abstimmung mit Microsoft Deutschland und mit unserem IT-Partner GWS, einer Tochterfirma unseres Förderers Atruvia AG, können wir den Bürgerstiftungen dies anbieten.
Wie Bürgerstiftungen diesen Zugang nutzen können, stellen wir regelmäßig in unserem Support-Forum Digitale Bürgerstiftung vor. Hier finden Sie den nächsten Termin.