Krankenhaus zu verkaufen

Immer mehr Kliniken im ländlichen Raum stehen vor dem AusSo auch in Balve im Sauerland. Ein paar engagierte Bürgerinnen und Bürger wollten die Schließung verhindern – die Geburtsstunde der Bürgerstiftung Balve 

Wir setzen unsere Reise zu den Bürgerstiftungen Deutschlands fort. Es geht nach Balve ins Sauerland. Die Kleinstadt mit rund 12.000 Einwohnern ist nur etwa 50 Kilometer von Dortmund entfernt, „die Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln von Dortmund nach Balve dauert aber länger als die von Dortmund nach Berlin“, warnt der Vorstandsvorsitzende Wolfram Schmitz schon im Vorfeld. Genauso sollte es kommen.   

Der Software-Unternehmer sitzt beim Vorgespräch via Zoom-Call vor einem Hintergrundbild, das die Balver Höhle zeigt, die größte offene Hallenhöhle Deutschlands. Dort wurden Mammutknochen und 10.000 Jahre alte menschliche Skelettreste gefunden, heute dient sie als Veranstaltungsort, über den der örtliche Schützenverein wacht. Auch hier ist Schmitz engagiert.  

Vorstandsvorsitzender Wolfram Schmitz lässt sich auch vom schlechten Wetter die Laune nicht verderben

Wer sich mit der 2013 gegründeten Bürgerstiftung beschäftigt, kommt an der Geschichte des St. Marien-Hospitals Balve nicht vorbei. Das stand 2011 vor dem Aus, die Bilanzsumme betrug damals -1,4 Millionen Euro. Der damalige Träger, die Katholischen Kliniken im Märkischen Kreis (KKiMK), hätten es heruntergewirtschaftet, sagt Schmitz nicht ohne Bitterkeit in der Stimme, vielleicht sei der Untergang sogar forciert worden. Dabei waren bis in die 2010er Jahre noch Millionen an öffentlichen Mitteln in den Bau geflossen. Um das Krankenhaus zu retten, gründete sich eine Bürgerinitiative, es gab eine Demonstration mit mehr als 3000 Menschen, eine öffentliche Podiumsdiskussion – allein, es half nichts. Es gibt heute in Balve kein Krankenhaus mehr, dafür aber einen Gesundheitscampus. Und das kam so.  

Eine eigens gegründete gemeinnützige Balver Bürgergesellschaft kaufte das Gebäude für einen symbolischen Euro und ließ es 2013 kostenfrei in den Besitz der neu gegründeten Balver Bürgerstiftung übergehen. Die wiederum setzte eine Betreibergesellschaft ein, um die leer stehenden Räume zu vermieten. Ein einstelliger Prozentsatz der Mieteinnahmen fließt jedes Jahr an die Bürgerstiftung zurück. Zwar dürfte die auch Projekte außerhalb des Campus fördern, das meiste Geld wird aber wieder dort investiert. In den renovierungsbedürftigen Fahrstuhl, in eine Wegebeschilderung, in eine Gegensprechanlage. Dennoch sei das Gebäude auch dank der öffentlichen Gelder insgesamt gut in Schuss, sagt Bernd Krämer, Geschäftsführer der Betreibergesellschaft.  

Bürgerstiftung Balve im Bau

Der frühere Operationssaal des St. Marien-Hospitals Balve wird derzeit nicht weiter genutzt

Wie eng Gesundheitscampus und Bürgerstiftung miteinander verbunden sind, zeigt sich auch in den Personalien: Krämer war früher Geschäftsführer der Bürgerstiftung, bevor er zum Campus wechselte. „Wir haben ihn schweren Herzens gehen lassen, aber der Vorteil hier war einfach größer“, sagt Wolfram Schmitz. Zusammen mit Ingo Jakschies bildet Krämer nun die Doppelspitze des Campus, allerdings nur nebenberuflich, wie alle Beschäftigten der Betreibergesellschaft.  

Die Anfänge waren nicht leicht. „Im Prinzip waren es elf Balver Bürger, die hierfür ihr Geld auf den Tisch gelegt haben, was erstmal durch den Kamin gegangen ist“, erzählt Krämer. So ein Gelände mit über 5000m2 Grundfläche habe „immense Betriebskosten“. Zudem hätten Umbaumaßnahmen und Renovierungsarbeiten über die Jahre insgesamt 370.000 Euro verschlungen. Auch der Übergang mit der KKiMK ließ zu wünschen übrig. „Die sind ausgezogen, haben keinen Schlüssel übergeben, keine Unterlagen, wir haben teilweise sogar noch aufgezogene Spritzen in den Waschbecken gefunden“, sagt Krämer. Auch heute gebe es immer noch Situationen, in denen er eine Tür aufmache und erstaunt sei über das, was dahinter liege.  

Die sind ausgezogen, haben keinen Schlüssel übergeben, keine Unterlagen, wir haben teilweise sogar noch aufgezogene Spritzen in den Waschbecken gefunden.

Bernd Krämer, Co-Geschäftsführer des Gesundheitscampus Sauerland

Inzwischen aber läuft es, „wir sind dabei, die Verluste der Vergangenheit langsam abzuarbeiten“, sagt Krämer. 25 Mieter hat das Gebäude mittlerweile, darunter eine Senioren-Tagespflege, eine Demenz-WG, ein RehaSportVerein, der Malteser Hilfsdienst, diverse Fachärzte und Therapeuten. „Wir hätten gerne eine breitere Palette an Ärzten drin“, sagt Schmitz, aber es sei schwierig, die in die ländliche Region zu locken. Mit 80 Beschäftigten gehört der Campus immerhin heute zu den größeren Arbeitgebern in der Stadt. 80 bis 85 Prozent der bewohnbaren Fläche sind laut Krämer vermietet. 

Bürgerstiftung Balve Gesundheitscampus Einblick 2

Hinten links der von Krämer angesprochene Eimer, der das von der Decke tropfende Regenwasser einfängt

Er und Schmitz witzeln sich durch den Tag. Ein Wort gibt das andere, ein Spruch folgt auf den nächsten. „Kannst ja mal eben die Pfütze wegmachen“, ruft Krämer in sein Telefon, bevor wir unseren Gang durch den Campus beginnen. „Dann macht das einen guten Eindruck.“ Als wir den Reha-Sport-Verein besuchen, steht trotzdem noch ein Eimer unter einer undichten Stelle im Dach. Die Senioren-Tagespflege nennt Schmitz einen „Kindergarten für ältere Leute“. Dennoch wirkt die Hemdsärmeligkeit nie herablassend, vielmehr scheint sie ihnen den Umgang mit Krankheit und Leid zu erleichtern.   

Die Versorgungslücke im ländlichen Raum regt Schmitz immer noch auf. „Im Moment sterben die Krankenhäuser wie die Fliegen“. „Und es ist nicht absehbar, dass sich das ändern wird“, ergänzt Krämer. „Die großen Verbündeten schleifen immer mehr ihre kleinen Einheiten, so wie das Marienkrankenhaus.“ Es mag andere Ansichten über die Effizienz des deutschen Gesundheitssystems geben, für Schmitz ist jedoch klar: „Für uns Balver ist das Schließen des Krankenhauses ein riesiger gesundheitlicher Rückschritt gewesen.“  

Bernd Krämer, Co-Geschäftsführer des Gesundheitscampus Sauerland

Trotz allem Erreichten ist er enttäuscht, dass er es nicht retten konnte. „Das haben wir so, das muss man ehrlich sagen, nicht auffangen können durch den Campus.“ „Das kann auch solch ein Campus nicht“, wirft Krämer ein. „Ein Krankenhaus ist klassisch auf einen 24-Stunden-Betrieb ausgerichtet. Ein Gesundheitszentrum ist dagegen ein überdimensioniertes Ärztehaus mit Nebenangebot.“ Viele Praxen sind nur einige Tage in der Woche geöffnet, die Notfallversorgung in Balve ist für Schmitz nach wie vor nicht zufriedenstellend. „Das machen die Hausärzte freiwillig – zumindest tagsüber. Wenn Sie hier Pech haben, dann kommt 20 Minuten, eine halbe Stunde gar nichts. Das ist wie mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, Sie haben das ja gestern kennengelernt.“  

Also doch alles eine Frage für die Politik? Bürgermeister Hubertus Mühling (CDU) sieht die Sache positiver. Gemeinsam mit den niedergelassenen Ärzten stelle der Gesundheitscampus heute die Grund- und Regelversorgung für Balve und Umgebung dar, sagte er gegenüber der Westfalen Post. Das Interesse aus anderen Städten oder Regionen an dem Modell sei über all die Jahre groß. Er ist sich jedoch bewusst, dass bei der praktischen Umsetzung viel Eigeninitiative gefragt war. „Dafür hat es vieler Helfer und Unterstützer bedurft, die es –  zu unser aller Glück –  in Balve und Umgebung gibt.” 

Text: Lena Guntenhöner, Fotos: Sven Paul

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