von Holger Backhaus-Maul
Unternehmen haben eine hohe und weiterhin wachsende Bedeutung für Gesellschaften. Über ihre wirtschaftliche und politische Rolle wissen wir einiges, über ihre gesellschaftliche Rolle hingegen kaum etwas. „Bessere Daten für besseres Unternehmensengagement“ verspricht nun die vom Stifterverband für die deutsche Wissenschaft und der Bertelsmann Stiftung gemeinsam verantwortete und soeben veröffentlichte Studie.
Den Autorinnen und Autoren geht es in ihrer deutschlandweiten Unternehmensbefragung darum, „alle gemeinwohlorientierten Aktivitäten, die über die Geschäftstätigkeit und gesetzliche Vorgaben hinausgehen: von Geld- und Sachspenden bis hin zu Sozial- und Umweltprojekten, die Unternehmen selbst starten und fördern“, systematisch zu erheben. Gesellschaftliches Unternehmensengagement geht – so die Autoren – über „Arbeitsplätze schaffen und Steuern zahlen“ hinaus. Für die Umschreibung ihres Anliegens und des Untersuchungsgegenstandes rufen die Autoren auch thematisch einschlägige Begriffe aus dem vergangenen Jahrzehnt wie Corporate Citizenship, zivilgesellschaftliches Engagement, Unternehmensengagement im öffentlichen Raum oder gemeinwohlorientiertes gesellschaftliches Engagement auf.
Vielversprechender Perspektivwechsel
Die aktuelle Studie ist im Kontext einer Reihe von Studien in den vergangenen beiden Jahrzehnten einzuordnen, die allesamt nicht im Wissenschaftssystem initiiert und durchgeführt wurden, sondern in der Verantwortung engagierter Fachexpertinnen und Fachexperten aus der organisierten Zivilgesellschaft, wie etwa dem BBE, dem CCCD und UPJ, lagen. Sie verdient Lob, weil sie erstens Bestehendes zusammenführt und für die Zukunft eine Wiederholungsbefragung, wenn nicht gar eine Dauerbeobachtung, in Aussicht stellt. Zweitens, weil sie in einer über weite Strecken auf unternehmensbezogene Nutzenkalküle verengten Diskussion einen vielversprechenden Perspektivwechsel vornimmt, indem sie das Gesellschaftliche des unternehmerischen Engagements in den Vordergrund rückt.
Für die aktuelle Studie wurden über 120.000 zufällig ausgewählte Unternehmen angeschrieben und zur Beantwortung eines eigens entwickelten Printfragebogens aufgefordert. Im Ergebnis haben 7.873 Unternehmen diesen ganz oder zumindest teilweise (17 Prozent) beantwortet, was einer eher geringen Rücklaufquote von 6,5 Prozent entspricht. Gleichwohl ist – so die Autorinnen und Autoren – die Repräsentativität der Studie als gegeben anzusehen, das heißt, die unterschiedlichen Größenklassen und Branchen der deutschen Wirtschaft werden hinreichend abgebildet.
Gesellschaftlich harmloses Engagement
Und die Befunde? „63 Prozent [der befragten Unternehmen] engagieren sich für gesellschaftliche Belange über gesellschaftliche Vorschriften hinaus“, heißt es in der Studie. In der Regel erfolgt dieses Engagement in Form von Geld- und Sachspenden und gelegentlich auch als Mitarbeiterengagement, während unternehmensverantwortete Engagementprojekte und nachhaltige Geldanlagen nach wie vor allenfalls singuläre Ereignisse sind. Die Handlungsfelder des gesellschaftlichen Unternehmensengagements weisen deutliche Parallelen zu den Engagementfeldern von Bürgern auf: Sport, Bildung und Erziehung, Soziales sowie Freizeit und Geselligkeit stehen im Mittelpunkt. Und als organisiertes Gegenüber des gesellschaftlichen Unternehmensengagements ist der mittlerweile in die Jahre gekommene gemeinnützige Verein vor Ort unangefochten „on top“. Im Hinblick auf den strategischen Gehalt des gesellschaftlichen Unternehmensengagements stellen die Autorinnen und Autoren der Studie erwartungsgemäß fest, dass im Engagement großer Unternehmen eher als im Engagement von Klein- und Mittelunternehmen Ansätze strategischen Handelns zu erkennen sind. Vor diesem Hintergrund kann es dann auch nicht mehr überraschen, wenn die Beteiligten bei der Frage nach dem Sinn und Zweck des Unternehmensengagements auf „persönliche Eindrücke“ und Erfahrungen oder gar „Hörensagen“ rekurrieren. Dass auf die Frage nach den Hemmnissen unternehmerischen Engagements reflexartig, ideenlos und apolitisch der Abbau bürokratischer Hemmnisse gefordert wird, komplettiert das Bild eines gesellschaftspolitisch harmlosen Engagements.
Was kann eine derart angelegte Untersuchung zukünftig für die Langzeitbeobachtung gesellschaftlichen Unternehmensengagements leisten? Zunächst einmal reduzieren die Autorinnen und Autoren der aktuellen Studie den normativen Überhang vorhergehender Studien; gleichwohl werden Phänomene und Aktivitäten beschrieben, die die Autoren und ihre organisierten Berater positiv bewerten. Dieses von den Beteiligten geteilte Verständnis unternehmerischen gesellschaftlichen Engagements suggeriert Gewissheiten und verstellt den Blick auf Tiefer- und Grundlegendes. So werden letztlich normativ gesetzte Phänomene und Aktivitäten oberflächlich quantifizierend beschrieben, ohne die zugrundeliegenden Konflikte und Kontroversen, Aushandlungen und Entscheidungen herauszuarbeiten und zu analysieren. Die Binnenwelt unternehmerischen Entscheidens und Handelns sowie die zugrundeliegenden Machtressourcen und deren Einsatz bleiben abgedunkelt, obwohl es der erklärte Wille gesellschaftlichen Unternehmensengagements ist, gesellschaftspolitisch mitentscheiden und mitgestalten zu wollen. Für die Zukunft wäre zu empfehlen, grundlagenorientierte Wissenschaft zu beteiligen, die mit bewährten Instrumenten und Verfahren der qualitativen empirischen Sozialforschung in der Lage wäre, die gesellschaftliche Rolle von Unternehmen sowie die zugrundeliegenden Entscheidungen und Kontroversen herauszuarbeiten.
Kommentar von Dr. Holger Backhaus-Maul für bürgerAktiv – Nachrichtendienst Bürgergesellschaft, Ausgabe 189 – Mai 2018 vom 30.05.2018