„Raus aus der Tabuzone“

Die Bürgerstiftung Salzland-Region Schönebeck hat sich einem Thema gewidmet, das in der alternden Stadt von größter Dringlichkeit ist: der Versorgung von Demenzkranken. Ihre Projekte sind längst Vorbild für andere geworden

Diese Reise zu den Bürgerstiftungen Deutschlands führt uns nach Schönebeck in Sachsen-Anhalt. Die 30.000-Einwohner-Stadt südlich von Magdeburg ist auf den ersten Blick keine Schönheit, auch wenn das der Name nahelegt. Viele Häuser im Zentrum sind unsaniert, manche stehen sogar ganz leer. Britta Duschek lebt trotzdem gerne hier. Die Vorsitzende der Bürgerstiftung Salzland-Region Schönebeck kam noch zu DDR-Zeiten her und hat das nie bereut. „Schönebeck hat genau die richtige Größe“, findet sie, „nicht Dorf, aber auch nicht die totale Anonymität.“

Leider sehen das nicht viele so. Die Stadt schrumpft seit Jahren – und sie altert. Der Anteil der Senioren nimmt stetig zu, zuletzt lag der Altersdurchschnitt bei 48,8 der damit 4,3 Jahre höher ist als der Bundesdurchschnitt. Folglich treten auch Krankheiten wie Demenz häufiger auf, unter der laut der Deutschen Alzheimer Gesellschaft bundesweit 8,6 Prozent der über 65-Jährigen leiden, in der Gruppe der über 90-Jährigen sind es sogar 40,9 Prozent.

Das Wohnprojekt Anker

Dennoch war Demenz in Schönebeck lange ein Tabuthema, erinnert sich Duschek. Viele hätten ihre demenzkranken Angehörigen versteckt, eine belastende Situation für alle Beteiligten. 2013 gründete die Bürgerstiftung daher ihr Demenznetzwerk als zentrale Anlaufstelle, in der verschiedene Angebote aus der Region zusammenliefen. 2015 gab es dafür den Förderpreis Aktive Bürgerschaft aus den Händen von Kanzleramtschef Helge Braun.

Noch im selben Jahr initiierte die Bürgerstiftung außerdem ein Demenz-Servicezentrum, das eine Tagespflege und 18 Wohnungen unter seinem Dach vereint. Das Besondere: Demenzkranke werden dort nicht von ihren Angehörigen getrennt, sondern leben weiter mit ihnen zusammen. Das ungewöhnliche Konzept sei anfangs kritisch beäugt worden, erzählt Duschek. Aber da sich das von der Humanas betriebene Haus rechne, gebe es inzwischen sogar Nachahmer. Sie selbst will später auch hier einziehen. „Die Wohnung auf der Ecke, das wird mal meine“, sagt sie.

Mit Pflegedienstleiterin Sandra Wulf führt sie durch die Innenräume und in den angrenzenden Lebensgarten Schönebeck. Der gehört zwar nicht zum Wohnprojekt, ist aber auf die Bedürfnisse von Demenzpatienten ausgerichtet und steht allen Bürgern offen. 76.000 Euro habe er insgesamt gekostet, die die Bürgerstiftung durch Sach- und Geldspenden von ansässigen Unternehmen eingeworben habe, erzählt Duschek. Die Fläche dafür hat die Städtische Wohnungsbau GmbH für 25 Jahre zur Verfügung gestellt. Das Hochwasser von 2013 hatte den Planungen zunächst einen Strich durch die Rechnung gemacht, 2016 konnte er dann offiziell eröffnet werden.

Britta Duschek, die Vorstandsvorsitzende der Bürgerstiftung Salzland-Region Schönebeck

Noch ist nicht alles fertig und auch die niedrigen Bäume zeugen von seiner kurzen Vergangenheit. Doch schon jetzt sieht man, dass an vieles gedacht wurde. Es gibt Hochbeete zum Gärtnern, damit man sich nicht so bücken muss. Besonders stark duftende Kräuter wie Minze erfreuten sich großer Beliebtheit, erzählt Duschek, denn Demenzkranke verlieren ihren Geruchssinn. An einer Holzstation können Datum und Uhrzeit eingestellt werden, was wichtig ist, um sich in Zeit und Raum zu verorten, erklärt Wulf. Auch für verschiedene Reize und Abwechslung ist gesorgt. So kämen immer wieder neue bemalte Steine oder Skulpturen von Langzeitarbeitslosen oder Schulen Schönebecks. „Die Bewohner sind ganz erpicht darauf“, bestätigt Duschek.

Sie selbst schlägt damit zwei Fliegen mit einer Klappe, denn im Hauptberuf ist sie pädagogisch-organisatorische Leiterin der Beschäftigungsförderungs-, Qualifizierungs- und Innovationsgesellschaft (BQI), die sich um die Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen kümmert. Einige davon arbeiten im Lebensgarten.

Duschek und Wulf an einer Station im Lebensgarten Schönebeck, die den Bewohnern helfen soll, sich in Zeit und Raum zu verorten

Duscheks neueste Idee ist, mit ihnen einen richtigen Bauerngarten auf einem angrenzenden Grundstück anzulegen. Dort angebautes Obst und Gemüse könnte dann von den Demenzpatienten geerntet und gegessen werden. Sogar Schafe soll es geben. Da viele Bewohner ursprünglich aus der Landwirtschaft kämen, hätten sie zu den Nutzpflanzen, die es schon im Lebensgarten gibt, einen ganz besonderen Bezug, erzählt Wulf. Sie sei selbst überrascht, wie schnell viele beim Entkernen von Pflaumen immer noch seien. Auch auf die Idee, Apfelmus selber einzukochen, wäre sie wohl nie gekommen. Dennoch gäben gerade solche Tätigkeiten ein Gefühl von Normalität.

Gesundheitsförderung hat in Schönebeck eine lange Tradition, der Stadtteil Bad Salzelmen ist sogar ein staatlich anerkanntes Heilbad. Im ehemaligen Salzbergwerk konnten Lungenkranke Linderung finden, heute werden noch das älteste Solbad Deutschlands und das sogenannte Gradierwerk zu Kurzwecken genutzt. Letzteres ist eine 350 Meter lange, haushohe mit Schwarzdorn gestopfte Holzwand, an der Sole, also Salzwasser, heruntertropft. Wenn man so etwas nicht kennt, sieht das wirklich beeindruckend aus. Das Prinzip ist, dass die Luft in der Umgebung feucht und salzig riecht und zur Freiluftinhalation dient.

Das Gradierwerk von Schönebeck

Das Thema Demenz ist für Duschek inzwischen bearbeitet und „raus aus der Tabuzone“. „Heute ist das eine stinknormale Erkrankung“, sagt sie, „keine schöne – klar.“ Sowieso war es nicht der einzige Fokus in der Arbeit der Bürgerstiftung. Gleich mit ihrem ersten Projekt wollte sie bedürftigen Familien und Jugendgruppen ein paar unbeschwerte Ferientage ermöglichen. Leider brannte der dafür gepachtete Bungalow am Kolumbussee 2019 aus. Schnell stellte sich heraus, dass es Brandstiftung war, den oder die Täter hat man jedoch nie ermitteln können. Zehn Jahre nach dem Start war das Projekt „Urlaub für Bedürftige“ damit schon wieder Geschichte. Immerhin, Menschen kamen nicht zu Schaden und auch finanziell sei man glimpflich aus der Sache herausgekommen, erzählt Duschek.

Heute ist Demenz eine stinknormale Erkrankung, keine schöne – klar.

Britta Duschek, Vorstandsvorsitzende der Bürgerstiftung Salzland-Region Schönebeck

Nur selten lässt sie sich von solchen Ereignissen aufhalten. „Rom ist auch nicht an einem Tag erbaut worden“, sagt sie, wenn etwas mal länger dauert. Wichtiger, als Dinge übers Knie zu brechen, ist für sie, möglichst viele Menschen mitzunehmen. Als die Bürgerstiftung 2008 ganz am Anfang stand, sei es schwierig gewesen, überhaupt das Anfangskapital in Höhe von 50.000 Euro aufzutreiben. Duschek war damals schon Gründungsmitglied, seit 13 Jahren ist sie nun Vorstandsvorsitzende. Doch der Bürgerstiftung steht ein Wandel bevor. Acht von elf Leuten im Kuratorium müssen aus Satzungsgründen ausgetauscht werden. Konstant bleibt nur der fünfköpfige Vorstand. Duschek ist dennoch zuversichtlich. Es sei heute einfacher Leute zu gewinnen, da man inzwischen bekannter sei .

Eine Idee fürs nächste Projekt hat die Bürgerstiftung auch schon: Jugendliche sollen die Möglichkeit bekommen, in Berufe hineinzuschnuppern. Gerade sucht Duschek Unternehmen, die beim Projekt „Lebenswelten“ mitmachen, und Schulen, die solche freiwilligen Praktika ermöglichen.

Text: Lena Guntenhöner, Fotos: Matthias Urban

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