Kommentar: Unternehmen als „gute Bürger“ – und dann?

von Holger Backhaus-Maul

Die globalen Flüchtlings- und Wanderungsbewegungen haben Deutschland erreicht. Verwaltungen, Kommunen und Staat sowie vor allem Bürger zeigen sich vielerorts – allen Anfeindungen zum Trotz – überaus leistungsstark und engagiert. Eine andere Gruppe Engagierter wird dabei leicht übersehen: Unternehmen.

In allen Branchen und Größenklassen engagieren sich Unternehmen mit Geld-, Sach- und Dienstleistungen, allen voran die Deutschland prägenden kleinen und mittleren Unternehmen. So stellen Unternehmen Geld- und Sachleistungen für Non-Profit-Organisationen zur Verfügung, die Geflüchteten und Zugewanderten zugutekommen. Insbesondere aber engagieren sich Unternehmen mittels Dienstleistungen, wie etwa vereinfachten Zugängen zu Bankkonten und zum Internet sowie vor allem Angeboten von Praktika-, Ausbildungs- und Arbeitsplätzen. Bemerkenswert viele Unternehmen ermutigen zudem ihre Mitarbeitenden, sich mit Unterstützung des Unternehmens zu engagieren („corporate volunteering“). Diese Unternehmen wiederum können auf Kenntnisse und Erfahrungen zurückgreifen, die sie in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten mit eigenen Aktivitäten und Programmen als „gute Bürger“ („good corporate citizen“) gemacht haben.

Insgesamt betrachtet verdient dieses Unternehmensengagement Anerkennung; zumal wenn man bedenkt, dass wortführende Unternehmen und ihre Verbände früher angesichts drohender gesellschaftlicher Aufgaben schlicht nach „dem Staat“ gerufen und sich selbst in Enthaltsamkeit geübt haben.

Das aktuelle Unternehmensengagement für Geflüchtete und Zugewanderte ist mit guten Gründen in der Regel unmittelbar mit dem jeweiligen wirtschaftlichen Unternehmenszweck verknüpft. Als „gute Bürger“ engagieren sich Unternehmen spontan und punktuell, aber eben nicht dauerhaft, umfassend und flächendeckend. Dabei treffen Unternehmen mit ihrem Engagement für Geflüchtete und Zugewanderte weitreichende, insbesondere den Zugang zu Ausbildung und Erwerbsarbeit betreffende Entscheidungen über Lebenschancen, ohne die gesellschaftlichen Folgen ihrer Einzelhandlungen ermessen und auf Dauer die Verantwortung dafür übernehmen zu können.
Nach dem spontanen „Engagement des Anfangs“ von Unternehmen und Bürgern ist spätestens jetzt der Staat gefordert. Demokratisch legitimierte Entscheidungen, politische Regulierungen und rechtsstaatlich administrierte Verfahren im Umgang mit Geflüchteten und Zugewanderten sind die unabdingbaren institutionellen Rahmenbedingungen für ein mittelfristig sinnvolles und zweckmäßiges Unternehmensengagement. Dabei ist Staatlichkeit angesichts der anstehenden gesellschaftlichen Integration von Geflüchteten und Zugewanderten hohen Anforderungen und Erwartungen ausgesetzt.

Rechtsstaat, Demokratie und Sozialstaat könnten, bei aller Reform- und Innovationsbedürftigkeit, in Deutschland eine Renaissance erleben, während sie weltweit – vom Nahen Osten, über Russland und bis nach China – fast hoffnungslos in die Defensive geraten sind. Aber sind es nicht gerade auch die Verheißungen von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Sozialstaat, die Menschen im „globalen Kampf der Kulturen“ dazu bewegen, nach Westeuropa zu flüchten? Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass es um mehr als um Unternehmensengagement geht, wie etwa die Bereitstellung von Praktika-, Ausbildungs- und Arbeitsplätzen. Unternehmensengagement wird in Deutschland eben nur dann sinnvoll und zweckmäßig, wenn es mit Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Sozialstaat unterlegt und verknüpft ist.

Kommentar von Holger Backhaus-Maul für bürgerAktiv – Nachrichtendienst Bürgergesellschaft, Ausgabe 160 – September 2015 vom 30.09.2015

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