Kommentar: Zwischen Kooperation und Konkurrenz

von Gisela Jakob

In den Debatten um eine Neuorganisation von Wohlfahrt sind die Kooperation von Haupt- und Ehrenamtlichen und die Öffnung sozialer und kultureller Einrichtungen und Organisationen für bürgerschaftliches Engagement in den Fokus gerückt. Jetzt hat im Auftrag des Bundesfamilienministeriums die INBAS-Sozialforschung GmbH aus Frankfurt/Main eine Studie zu eben diesem Thema vorgelegt: “Kooperation von Haupt- und Ehrenamtlichen in Pflege, Kultur und Sport”. Sie ermittelt für die genannten drei Bereiche Daten zu den beruflichen und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und ihren Tätigkeiten, untersucht deren Zufriedenheit, arbeitet verschiedene Modelle der Kooperation heraus und diskutiert Vorbehalte und Probleme in der Kooperation beider Gruppen. Auf der Grundlage der Ergebnisse werden Instrumente und Verfahren vorgestellt und in einem gesonderten Praxisleitfaden präsentiert, um die Kooperation zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen zu verbessern.

Als ein zentrales Ergebnis lässt sich der große Entwicklungsbedarf bezüglich einer stärkeren Einbindung von engagierten Bürgerinnen und Bürgern in hauptamtlich dominierten Arbeitsfeldern festhalten. In der stationären Pflege und in der Kultur arbeitet nur etwa die Hälfte der ermittelten Einrichtungen mit Ehrenamtlichen. Die Einrichtungen, in denen berufliche und ehrenamtliche Mitarbeiter kooperieren, verfügen über eine lange Tradition der Zusammenarbeit. Nur 5 Prozent der befragten Einrichtungen haben erst in den letzten drei Jahren begonnen, ehrenamtliche Strukturen aufzubauen.

Kaum Resonanz für die Debatten

Das bedeutet, dass Debatten und Ansätze eines neuen Welfare Mixes und einer Stärkung des zivilgesellschaftlichen Profils von Einrichtungen kaum Resonanz in der Praxis von Trägerorganisationen und Einrichtungen gefunden haben. Die Entwicklungen beim Freiwilligenmanagement bestätigen das. Zwar gibt es seit mehr als 20 Jahren eine differenzierte Fachdebatte und liegen ausgearbeitete Ansätze für eine professionelle Freiwilligenkoordinierung vor. In den meisten befragten Einrichtungen wird diese Aufgabe allerdings lediglich “nebenher” von anderen Personen, der Einrichtungsleitung, des sozialen Dienstes oder der Ergotherapie erledigt. So verfügen nur 15,7 Prozent der stationären Pflegeeinrichtungen über ein eigenständiges Freiwilligenmanagement und Personen, die hauptsächlich dafür zuständig sind.

Interessant sind auch die Resultate zur Partizipation. Sowohl ehrenamtliche als auch berufliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beklagen die unzureichenden Möglichkeiten, mit Kritik und Änderungsvorschlägen Gehör zu finden. Die Unzufriedenheit ist in der stationären Pflege und bei den Befragten in Museen am stärksten ausgeprägt.

Und noch ein irritierendes Ergebnis, das aber bereits in der von Paul-Stefan Roß 2010 vorgelegten Untersuchung einer großen diakonischen Einrichtung ermittelt wurde: So beklagen nicht nur die Ehrenamtlichen einen Mangel an Wertschätzung. Auch die beruflichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter konstatieren die fehlende Anerkennung ihrer Arbeit durch die Einrichtungsleitungen und durch die Ehrenamtlichen.
Nimmt man die Ergebnisse ernst, dann resultieren daraus Anforderungen an die Personal- und Organisationsentwicklung in den Einrichtungen. Darüber hinaus müssten fachpolitisch Überlegungen angestellt werden, wie mit gezielten Anreizen und unterstützenden Strukturen die Kooperation von ehrenamtlich engagierten Bürgern und beruflichen Mitarbeitern verbessert werden könnte.

Was ist ausschlaggebend?

Offen lässt die INBAS-Studie leider, was denn nun in den einzelnen Einrichtungen und Organisationen dazu beigetragen hat, mit Ehrenamtlichen zu kooperieren bzw. es nicht zu tun. Lässt sich dies nur mit Traditionen erklären? Oder mit der Organisationskultur? Oder liegt es an den Haltungen und Orientierungen der zentralen Akteure in den Einrichtungen? Welche Rolle spielen die Träger: Handeln Pflegeeinrichtungen in öffentlicher Trägerschaft anders als Einrichtungen in freier oder kirchlicher Trägerschaft?

Derartige Fragen lassen sich nur anhand von vergleichenden Fallstudien beantworten, mit denen Traditionen, Organisationskulturen und die sozialräumlichen Rahmenbedingungen der Einrichtungen und Organisationen in den Blick genommen werden können. Insofern hat die Studie wichtige Erkenntnisse erbracht, hinterlässt aber auch viele offene Fragen.

Kommentar von Prof. Dr. Gisela Jakob für bürgerAktiv – Nachrichtendienst Bürgergesellschaft, Ausgabe 164 – Februar 2016 vom 29.02.2016

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