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Vereinte Kräfte – Demokratie braucht Zivilgesellschaft

von Bernhard Weßels

Wenn die Demokratie in Probleme gerät, ist der Ruf nach den Heilkräften der Zivilgesellschaft zu hören. Das kommt nicht ganz unberechtigt, ist gleichzeitig aber auch eine Überforderung und Überfrachtung der Zivilgesellschaft mit Erwartungen, die häufig auf mehrere Dimensionen gleichzeitig gerichtet sind.

Da gibt es die Erwartung, dass die Zivilgesellschaft als Artikulationsforum und Frühwarnsystem Wünsche, Bedürfnisse und wahrgenommene Defizite als Input für die Politik liefert, um dieser den richtigen Weg zu weisen. Dem zivilgesellschaftlichen Engagement wird die Verantwortung für die politische Integration und Teilhabemöglichkeit der Menschen zugeschrieben. Die Erziehung und Herausbildung bürgerschaftlicher Tugenden, das Lernen von Beteiligung und Artikulation, die Anerkennung der Gegenüber, all das sollen Zivilgesellschaft und zivilgesellschaftliches Engagement, zum Beispiel auch von Bürgerstiftungen oder Schulprojekten, leisten.

Diese Aspekte betreffen den Input in Politik und Gesellschaft – politische Partizipation – und die Befähigung zur Produktion solcher Inputs. Vom zivilgesellschaftlichen Engagement werden aber auch Outputs, also Leistungen, erwartet. Die Zivilgesellschaft als Leistungsorganisation ist ein zentraler und unabdingbarer Bestandteil unserer Gesellschaft – von der Altenhilfe über die freiwillige Feuerwehr, den Sport, die Umwelt zu Wohlfahrtsverbänden und den Zukunftstagen. Aktivitäten von A bis Z. Überall ist die Zivilgesellschaft nicht nur gefragt, sondern unabdingbar, um zentrale kulturelle, soziale und wirtschaftliche Aufgaben für die Gesellschaft zu erfüllen und eine Leistungsstruktur aufrechtzuerhalten, ohne die letztendlich auch demokratisches Zusammenleben nicht möglich wäre.

Es gibt auch eine dunkle Seite

Diese Erwartungen an die Zivilgesellschaft und zivilgesellschaftliches Engagement haben eine Perspektive ausschließlich auf die positiven, Demokratie stützenden oder sogar fördernden Eigenschaften. Wir wissen, dass es auch eine dunkle Seite der Zivilgesellschaft geben kann, Deutschland hat das historisch erlebt. Es ist daher grundsätzlich Vorsicht angebracht, Zivilgesellschaft und Demokratie gleichzusetzen. Allerdings kann eben auch festgehalten werden, dass es Demokratie nicht ohne Zivilgesellschaft geben kann.

Bleiben wir bei der positiven Ausprägung von Zivilgesellschaft, sollte der Blick erlaubt sein, wie voraussetzungsvoll die Erwartungen an zivilgesellschaftliches Engagement eigentlich sind. Es ist banal, aber nicht ohne Implikationen: Zivilgesellschaftliches Engagement braucht Ressourcen – Zeit, Geld und Intelligenz. Angewandt auf die Inputseite ist aber festzustellen, dass die gesellschaftlichen Bedingungen nicht eine Teilhabe für alle in gleicher Weise ermöglichen, sondern ökonomisch induzierte Ungleichheit auch zu ungleichen Beteiligungschancen beiträgt. Angewandt auf die Leistungsseite der Zivilgesellschaft: Sie kann die Struktur nicht allein stemmen, sondern bedarf dafür der Unterstützung.

Die Politik, der Staat und die ressourcenreichen Akteure der Gesellschaft wie Unternehmen sind für die Zivilgesellschaft in gleicher Weise verantwortlich wie die Zivilgesellschaft für die Demokratie. Die Voraussetzungen der Zivilgesellschaft erhalten – also gleiche Chancen für Einzelne und Ressourcen für das Engagement gewährleisten: Das kann zivilgesellschaftliches Engagement ohne Unterstützung nicht.

Prof. Dr. Bernhard Weßels ist Politikwissenschaftler und forscht am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) in der Abteilung Demokratie und Demokratisierung.

Gastkommentar von Prof. Dr. Bernhard Weßels für bürgerAktiv – Nachrichtendienst Bürgergesellschaft, Ausgabe 205 – Oktober 2019 vom 31.10.2019. Der Beitrag erschien erstmals im bürgerAktiv Magazin 2019.

 

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