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Gudrun Sonnenberg

Fokus November 2024: Werben, geben, wirken – Spenden für den guten Zweck

966 595 Stiftung Aktive Bürgerschaft

Am Jahresende, wenn klar ist, ob etwas übrigbleibt, greifen viele Menschen noch einmal tiefer in die Tasche und überweisen Geld für gute Zwecke. Viele gemeinnützige Einrichtungen, Vereine, Stiftungen oder Hilfsorganisationen rufen in der Vorweihnachtszeit zum Spenden auf. Mit dem Giving Tuesday am 3. Dezember, an dem sich in diesem Jahr auch die Stiftung Aktive Bürgerschaft beteiligt, ist ein Spenden-Event hinzugekommen. Und für die Bürgerstiftungen in Norddeutschland zählt 2024 auch der 13. Dezember – er ist der Höhepunkt der Spendenkampagne „Hand in Hand für Norddeutschland“, mit der der NDR und die Bürgerstiftungen in den norddeutschen Bundesländern gemeinsam zu Spenden für Projekte gegen Einsamkeit aufrufen.

Die Aufrufe verfehlen ihre Wirkung nicht: Es ist eine zweistellige Milliardensumme, die im Laufe eines Jahres in Deutschland gespendet wird. Wer es ganz genau wissen will, müsste allerdings selber zählen, eine einzig gültige Statistik gibt es nicht. Trends und Aussagen zu den Spenderinnen und Spendern lassen sich trotzdem herausfiltern, und vor Ort zählt letztlich die beglückende Erfahrung, Unterstützung für eine gute Sache zu gewinnen und mit dem Geld der Spendenden sinnvolle Projekte umsetzen zu können.

Lesen Sie im Fokus „Werben, geben, wirken – Spenden für den guten Zweck“ die folgenden Beiträge:

Spenden im Aufwind? Erkenntnisse – Trends – Veränderungen

Die Bereitschaft der Menschen in Deutschland zu spenden scheint ungebrochen zu sein. In den vergangenen Jahren wurden sogar neue Rekorde gemeldet: Der Ukrainekrieg und die Flutkatastrophe im Ahrtal lösten große Hilfsbereitschaft aus. Doch was tut sich über solche einzelnen Ereignisse hinaus auf dem Spendenmarkt? Die Fundraising-Expertin Marita Haibach erläutert für bürgerAktiv, was man über die langfristigen Entwicklungen weiß.
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Alle Erwartungen übertroffen: Wie drei Neuntklässlerinnen tausende Euro Spenden sammelten

Auf zunächst skeptische bis zurückhaltende Reaktionen stießen drei 15-jährige Soester Schülerinnen, als sie sich mit ihrem sozialgenial-Projekt für das örtliche Tierheim engagieren wollten. Umso größer war dann das Erlebnis, mit ihrem Projekt einen Spendenerfolg zu erzielen, der alle Erwartungen übertraf.
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„Man kann sehen, was die Spenden bewirken“

Warum spenden Menschen an Bürgerstiftungen? Das weiß Jonas Rugenstein, stellvertretender Programm-Leiter Bürgerstiftungen bei der Stiftung Aktive Bürgerschaft. Er leitet die Erhebungen zu den Finanzkennzahlen der Bürgerstiftungen in Deutschland. Sie werden alle zwei Jahre im Report Bürgerstiftungen veröffentlicht. Im Interview beantwortet er Fragen zur Entwicklung und den Erfolgsfaktoren beim Fundraising der Bürgerstiftungen.
Zum Interview

Vielfalt zählt: Die Spendenstatistiken in Deutschland

Verschiedene Statistiken erheben, wie viele Menschen in Deutschland Geld für den guten Zweck spenden, und wie hoch die Spendensumme ist. Wer an das Gute im Menschen glauben möchte, wird die Zahlen des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen (DZI) mögen, denn sie sind mit Abstand die höchsten – allerdings nur auf den ersten Blick.
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Stiften, spenden, ehrenamtlich engagieren: Mitmachen bei der Bürgerstiftung
Eine Bürgerstiftung in der Nähe finden: Zum Bürgerstiftungsfinder der Aktiven Bürgerschaft

Foto: Conrad von Soest Gymnasium

Spenden im Aufwind? Erkenntnisse – Trends – Veränderungen

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Die Bereitschaft der Menschen in Deutschland zu spenden scheint ungebrochen zu sein. In den vergangenen Jahren wurden sogar neue Rekorde gemeldet: Der Ukrainekrieg und die Flutkatastrophe im Ahrtal lösten große Hilfsbereitschaft aus. Doch was tut sich über solche einzelnen Ereignisse hinaus auf dem Spendenmarkt? Die Fundraising-Expertin Marita Haibach erläutert für bürgerAktiv, was man über die langfristigen Entwicklungen weiß.

Von Marita Haibach

Die Zeit rund um Weihnachten löst bei vielen Menschen vermehrt den Wunsch aus, sich mit Spenden zu engagieren. Der Monat Dezember ist in vielen Gemeinwohl-Organisationen der Monat, bei dem etwa ein Fünftel der Spendeneinnahmen des ganzen Jahres fließen. Daran hat sich trotz gelegentlicher Schwankungen auch in jüngster Zeit nichts geändert. Eine tragende Rolle kommt dabei auch die Vielzahl und Vielfalt der Spendenaufrufe zu, in Form von postalischen Weihnachtsmailings, Spendenaktionen von Tageszeitungen und Radiosendern, TV-Weihnachtsgalas, Spenden-statt-Schenken-Aktivitäten von Unternehmen, Online-Aktionen und vielem mehr.

In den letzten Jahren, die gekennzeichnet sind von multiplen Krisen und Katastrophen, hat sich erneut bestätigt: Sogenannte „Katastrophenspenden“ sind regelmäßig ein wesentlicher Faktor für starke temporäre Steigerungen des Spendenaufkommens hierzulande, besonders wenn es sich um Katastrophen in Deutschland handelt, wie das Hochwasser 2021, oder Krisen, die uns mittelbar betreffen, wie die Nothilfe Ukraine.

Doch wächst das Spendenaufkommen in Deutschland insgesamt? Wie ist es um die Zahl und Präferenzen der Spendenden bestellt?

Verdoppelung des Spendenaufkommens?

Über das jährliche Gesamtvolumen von Spenden, die Privatpersonen in Deutschland leisten, kursieren unterschiedliche Zahlen. Um die 5 Milliarden Euro nennen die „Bilanz des Helfens“ des Deutschen Spendenrats und der Spendenmonitor des Deutschen Fundraising Verbandes. Um die 13 Milliarden Euro erfasst das Deutsche Zentralinstitut für Soziale Fragen (DZI), das mit den Daten des Sozioökonomischen Panels (SOEP) arbeitet. Dies ist den unterschiedlichen Methoden der Erhebungen geschuldet, doch auch die Grenze (1.500 Euro, 2.500 Euro oder 30.000 Euro), bis zu der Spenden in die Berechnungen einbezogen werden, ist von Bedeutung. Die DZI-Schätzung des Gesamtvolumens auf knapp 13 Milliarden Euro pro Jahr bildet erkennbar, auch durch die Einbeziehung größerer Spenden, die Höhe des Spendenaufkommen, vollständiger ab als die beiden anderen Erhebungen. Das DZI stellt eine Verdoppelung des Volumens seit den Jahr 2000 fest, als der Schätzwert auf knapp unter 6 Milliarden Euro jährlich lag. Ab dem Jahr 2015 steigt die Kurve dabei zunehmend nach oben. Größere Ausschläge sind insbesondere in den Jahren mit besonderen Krisen bzw. Katastrophen festzustellen.

Ist diese Entwicklung nach oben ein Grund zum Jubeln? Ja, weil es ein gutes Zeichen ist, dass sich Menschen ungebrochen solidarisch zeigen und großzügig helfen, besonders dann, wenn die Not vor der eigenen Haustür riesig ist. Ja, dies ist auch als Beleg dafür, dass die wachsende Professionalisierung des Fundraisings mit einer Steigerung des Spendenaufkommens einhergeht.

Doch es gibt mehrere „Aber“. Den inzwischen verlässlicheren Zahlen zum Spenden ging bis vor nicht allzu langer Zeit eine Phase der vagen Schätzungen voraus. Dies gilt auch für den Ausgangspunkt von 6 Milliarden Euro im Jahr 2000. Die Frage, ob es sich tatsächlich um eine Verdoppelung handelt oder aber die Zahlen genauer geworden sind, bedürfte einer näheren Beleuchtung.

Mittelfeld im internationalen Vergleich

Deutschland zählt zu den reichsten Ländern der Erde. Im World Giving Index 2024, den die London ansässige Charities Aid Foundation (CAF) jährlich veröffentlicht, rangiert Deutschland auf Platz 37 weit hinter anderen europäischen Ländern wie Malta (10), Irland (15), Norwegen (21), dem Vereinigten Königreich (Platz 22) und den Niederlanden (25). Die USA stehen auf Platz 6. Bei der Berechnung werden drei Kategorien zugrunde gelegt: einem/einer Fremden helfen, Geld spenden und Freiwilligentätigkeit.

Mit der im CAF-Index genannten (Geld-)Spendenbeteiligungsrate von 57 Prozent liegt Deutschland international im unteren Mittelfeld. Auch die Zahlen der oben genannten Erhebungen zum Spendenaufkommen in Deutschland besagen, dass sich höchstens etwa die Hälfte der Menschen in Deutschland als Spenderinnen und Spender engagieren. Dieser Anteil ist in der Tendenz rückläufig. Interessant ist dabei, dass die einzelnen Spendenden jedoch höhere Beträge beitragen, wie die gestiegenen Spendensummen zeigen.

Humanitäre Hilfe einschließlich Katastrophenspenden weiterhin weit vorne

An den Präferenzen bei den Spendenzwecken hat sich trotz Klimakrise und Energiekrise wenig verändert. Noch immer fließt der größte Teil (etwa zwei Drittel) in die humanitäre Hilfe (neben Not- und Katastrophenhilfe auch Kinder- und Jugendhilfe, Altenhilfe, Behinderten-/Krankenhilfe, Flüchtlingshilfe, Obdachlosenhilfe). Das restliche Drittel umfasst Bereiche wie Umwelt- und Naturschutz, Kultur und Denkmalpflege, Tierschutz, Sport.

Die Bedeutung gesellschaftlich gestaltender Spenden ist hierzulande nach wie vor nicht besonders stark ausgeprägt. Anders als die immer spürbarer werdende Klimakrise vermuten lässt, ist beispielsweise der Umfang von Spenden für Umwelt- und Naturschutz nicht überproportional gestiegen, auch wenn zahlreiche in diesem Bereich tätige Organisationen sehr erfolgreich Spenden einwerben (anders als noch vor 30 Jahren). Es gibt zudem eine gewachsene Vielfalt an Advocacy-Organisationen – LobbyControl, Urgewald, Reporter ohne Grenzen, Germanwatch, HateAid und viele andere mehr – die sich, getragen vom Engagement privater Spenderinnen und Spender, aktiv für Demokratie und Menschenrechte stark machen. Doch deren Anteil am Spendenkuchen ist relativ klein.

Wenig Bewegung bei den Merkmalen der Spendenden

Wer nun sind die Spenderinnen und Spender von heute? Bei den demographischen Merkmalen gibt es im Vergleich zu früheren Zeiten keine markanten Veränderungen. Der größte Anteil der Spendenden liegt weiterhin in den Altersgruppen 70+ und 60+ (fast zwei Drittel), die Anteile in den jüngeren Altersgruppen sind relativ gleichbleibend. Die Spendenquote bei Frauen ist höher (45 Prozent) als bei Männern (41 Prozent), allerdings spenden Männer größere Beträge (416 Euro im Jahresdurchschnitt gegenüber 286 Euro der Frauen). Die Spendenwahrscheinlichkeit steigt mit höherer Bildung und höherem Einkommen. Spendenquoten und Spendenhöhen sind in den östlichen Bundesländern niedriger. Die Zugehörigkeit zu einer christlichen Religionsgemeinschaft hat einen positiven Einfluss auf das Spendenverhalten.

Umfang von Großspenden und Testamentspenden unklar

Bei der durchschnittlichen jährlichen Spendenhöhe gehen die Einschätzungen der einzelnen Erhebungen weit auseinander. Sie bewegen sich zwischen 40 und 170 Euro jährlich (Bilanz des Helfens / Deutscher Spendenmonitor). Mehr als die Hälfte der Spenden liegt bei bis zu 100 Euro im Jahr, ein Fünftel bei 250 Euro und darüber. Während der Anteil der Spenderinnen und Spender, die pro Jahr bis zu 50 Euro spenden, sinkt, steigt der Anteil derjenigen, die zwischen 100 und 500 Euro sowie über 500 Euro spenden, laut SOEP beständig an.
Leider sind keine guten Zahlen zum Volumen von Großspenden und zu aktuellen und potenziellen Großspenderinnen und Großspender zu finden. Dem steht gegenüber, dass das Großspenden-Fundraising hierzulande seit dem Jahr 2010 stark an Fahrt gewonnen hat und in vielen Spendenorganisationen Zahl und Umfang der großen Spenden zugenommen haben. Viele Organisationen berichten zudem von Zuwächsen bei den Testamentspenden. Doch auch Umfang und Zusammensetzung der Testamentspenden sind unklar.

Luft nach oben – aktives Fundraising notwendiger denn je

Die Potenziale für ein höheres Spendenaufkommen in Deutschland sind vorhanden, besonders bei der gewachsenen Zahl von Vermögenden, doch auch darüber hinaus. Spenden, so das Ergebnis mehrerer Studien, macht glücklicher, auch auf lange Sicht, fördern das Gefühl der Selbstwirksamkeit, stiften Sinn. Jede und jeder kann einen Betrag dazu leisten, die Welt ein Stück weit besser zu machen. Selbst bei Katastrophen, wo die Spendengründe durch TV-Bilder frei Haus geliefert werden, sind systematische Fundraising-Aktivitäten notwendig. Eine wesentliche Voraussetzung für Zuwächse bei der Zahl der Spendenden und dem Spendenaufkommen ist es, Fundraising auch als Kunst des Lehrens der Freude am Spenden zu verstehen. Es gilt, passgenau, systematisch und kontinuierlich mehr Funken der Begeisterung zu versprühen und aufzuzeigen: Spenden wirkt!

Dr. Marita Haibach ist Expertin für Fundraising und Großspenden. Sie hat mehrere Bücher dazu verfasst und arbeitet als Beraterin und Coach für Non-Profit-Organisationen.

Foto: Privat

Dieser Beitrag ist Teil des Fokus Werben, geben, wirken – Spenden für den guten Zweck der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte November 2024 der Stiftung Aktive Bürgerschaft.

 

Alle Erwartungen übertroffen: Wie drei Neuntklässlerinnen tausende Euro Spenden sammelten

966 817 Stiftung Aktive Bürgerschaft

Auf zunächst skeptische bis zurückhaltende Reaktionen stießen drei 15-jährige Soester Schülerinnen, als sie sich mit ihrem sozialgenial-Projekt für das örtliche Tierheim engagieren wollten. Umso größer war dann das Erlebnis, mit ihrem Projekt einen Spendenerfolg zu erzielen, der alle Erwartungen übertraf.

Hannah Bräker, Lisa Razem und Sanja Müller, Schülerinnen des Conrad von Soest Gymnasiums in Soest, entwickelten im Fach „Lernen in Projekten“ im Schuljahr 2023/24 die Idee, Spielgeräte für die Kleintiere im Tierheim zu bauen, um sich auf diese Weise zu engagieren. Meerschweinchen, Kaninchen und Co. sollten mehr Anregung in ihren Gehegen finden.

Der Schritt aus der Schule heraus brachte viele Herausforderungen für die Jugendlichen mit sich. Die erste Hürde: Skepsis im Tierheim. „Sie befürchteten am Anfang, wir würden extra Arbeit verursachen“, erzählt Hannah. Doch die Bedenken währten nur kurz, denn das Tierheim hatte gerade sechs neue Gehege für die Kleintiere gebaut, in denen es noch an Spielgeräten zur Beschäftigung mangelte. Hier gab es also tatsächlich Hilfsbedarf. Die Schülerinnen griffen zu und beschlossen, selbst Geräte zu bauen, um Geld zu sparen. Eine Werkstatt stand auf einem elterlichen Hof zur Verfügung, aber das Material war teuer, denn es musste hochwertig und schadstofffrei sein, schließlich würden die Tiere daran nagen. Um diese Kosten zu decken, stellten die Drei eine Spendenaktion bei örtlichen Unternehmen auf die Beine und hofften, ein paar hundert Euro zusammenzubekommen.

Anrufen kostete Überwindung

„Anzurufen und um einen Termin zu bitten, kostete Überwindung“, erzählt Sanja. Denn hier lauerte die nächste Hürde: „Viele Ansprechpartner reagierten zunächst zurückhaltend.“ Dennoch durften die drei Mädchen überall zum persönlichen Gespräch vorbeikommen. Sie erläuterten ihr Projekt, ließen einen selbst gestalteten Flyer da – und waren höchst erfolgreich: Statt der erwarteten paar Hundert Euro kamen insgesamt mehr als 6000 Euro für das Tierheim zusammen. Das war weit mehr, als für die Materialkosten veranschlagt. So konnten die Schülerinnen nicht nur zusätzlich Spielgeräte kaufen, sondern dem Tierheim auch noch das restliche Geld spenden.

Persönliche Gespräche zahlten sich aus

„Es war gut, dass wir persönlich vorbeigekommen sind“, sagt Sanja. „So haben wir den Firmen gezeigt, dass uns wirklich etwas an der Sache liegt und wir dahinterstehen.“
„Wir haben das Feedback bekommen, dass wir sympathisch und überzeugend wirkten. Manche hatten wohl befürchtet, dass wir von einer Werbeagentur kämen“, sagt Lisa.
„Die Leute fanden unser Engagement glaubwürdig. Sie waren total nett“, sagt Hannah.

Nicht alle, aber die meisten der neun besuchten Unternehmen spendeten für das Projekt der Schülerinnen. Hinzu kamen Privatpersonen, denn Hannah, Lisa und Sanja riefen noch beim Soester Anzeiger an und bekamen dort einen Redakteur zu fassen, der über ihr Vorhaben berichtete, woraufhin sich weitere Spender meldeten. Drei der Spender werden dem Tierheim als Dauerspender erhalten bleiben. Insgesamt habe sich das Tierheim sehr über die hohe Geldsumme gefreut, berichten die Schülerinnen. Am Ende des Projekts luden sie alle Spender zu einem Dankeschön-Event mit Kaffee und Kuchen ins Tierheim ein.

„Das werden wir in der Zukunft gut gebrauchen können“

Und was bleibt bei den Schülerinnen hängen? „Es ist total schön, jemanden zum Mitmachen zu begeistern“, nennen sie an erster Stelle, und dass sie viel Einblick in den Alltag des Tierheims erhalten haben. Dazugelernt haben sie beim Umgang mit Geld – Ausgaben kalkulieren, Einkäufe planen – und bei der Projektplanung insgesamt.

Sie erinnern sich an das erste Spendenwerbungsgespräch: „Da waren wir total aufgeregt und hatten noch einen Spickzettel dabei. Inzwischen können wir frei reden. Von Mal zu Mal fällt es uns immer leichter“, erzählen sie. „Wir haben ja jetzt viele Präsentationen vor Erwachsenen gemacht. Das hat uns viel Selbstbewusstsein gegeben, das wir in der Zukunft gut brauchen können.“

Dazu trugen auch die Abschlusspräsentationen am Ende des Projektjahres bei – in der Schule vor den Mitschülerinnen und Mitschülern aus der Stufe und den Lehrkräften sowie im Tierheim, als sie die Spender zum Projektabschluss einluden. Sie hätten ihnen viel Sicherheit, gegeben, sagen Hannah, Lisa und Sanja: „Dadurch ist es jetzt auch gar nicht mehr schlimm, Präsentationen in der Klasse abzuhalten. Es war ein tolles Projekt.“

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Text: Gudrun Sonnenberg
Foto: Conrad von Soest Gymnasium

Dieser Beitrag ist Teil des Fokus Werben, geben, wirken – Spenden für den guten Zweck der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte November 2024 der Stiftung Aktive Bürgerschaft.

 

„Man kann sehen, was die Spenden bewirken“

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Warum spenden Menschen an Bürgerstiftungen? Das weiß Jonas Rugenstein. Er leitet bei der Aktiven Bürgerschaft die Erhebungen zu den Finanzkennzahlen der Bürgerstiftungen in Deutschland. Sie werden alle zwei Jahre im Report Bürgerstiftungen veröffentlicht. Im Interview beantwortet er Fragen zur Entwicklung und den Erfolgsfaktoren beim Fundraising der Bürgerstiftungen.

Seit Mitte der 1990er Jahre gibt es Bürgerstiftungen in Deutschland. Wie viele Menschen haben sie bislang finanziell unterstützt?

Wir haben 300.000 Stiftende und Spendende gezählt. 260.000 Personen haben an Bürgerstiftungen gespendet, 40.000 haben gestiftet. An Bürgerstiftungen stiften und spenden auch Genossenschaftsbanken und andere Unternehmen.

Gab es besonders erfolgreiche Jahre?

Allerdings. 2022 hat die gesamte Spendensumme an die deutschen Bürgerstiftungen zum ersten Mal die Marke von 20 Millionen Euro geknackt – es wurden rund 23 Millionen Euro gespendet. Bei den Zustiftungen hatten wir 2020 mit 40 Millionen Euro einen Höchststand. Anders als früher liegt die Summe der Spenden zurzeit höher als die der Zustiftungen.

Was macht Bürgerstiftungen grundsätzlich für Stifter und Spender attraktiv?

Ich sehe mehrere Punkte. Die wichtigsten: Bürgerstiftungen haben breite Stiftungszwecke und können Zuwendungen entsprechend vielfältig einsetzen. Deshalb können sie für viele verschiedene Anliegen die Anlaufstelle sein. Außerdem engagieren sie sich vor Ort, sozusagen vor der Tür. Wer an eine Bürgerstiftung gibt, kann sehen, was das Geld bewirkt. Schließlich überzeugen die Bürgerstiftungen auch durch ihre gute Vernetzung. Die Vorstandsmitglieder haben in der Regel viele persönliche Kontakte. Sie wissen daher, wo Geld gebraucht wird und sinnvoll eingesetzt werden kann. Das schafft Vertrauen.

Wie viele Spenden/Zustiftungen werben besonders erfolgreiche Bürgerstiftungen ein?

Die Spitzenreiter in unserem letzten Benchmark Bürgerstiftungen aus 2022 waren die Bürgerstiftung Stuttgart mit über 3 Millionen Euro an Spendeneinnahmen in dem Jahr und die Bürgerstiftung Pforzheim-Enz mit einem Zuwachs beim Stiftungskapital von rund 2,7 Millionen Euro.

„Vertrauen spielt eine zentrale Rolle“


Wie gelingt es den im Wachstum erfolgreichen Bürgerstiftungen, Stifter oder Spender zu gewinnen?

Auch hier spielt das Vertrauen eine zentrale Rolle. Bürgerstiftungen können oftmals über einen langen Zeitraum zeigen, dass auf ihre Arbeit Verlass ist und dass sie etwas bewegen. Es kommt gelegentlich sogar vor, dass jemand ihnen eine Erbschaft vermacht, die sie selbst überrascht. Hier wurden also Personen überzeugt, die vorher gar keinen direkten Kontakt zur Bürgerstiftung hatten. Dazu trägt auch eine gute Öffentlichkeitsarbeit bei. Eine große Rolle spielt jedoch, wenn Bürgerstiftungen hauptamtliches Personal haben, das professionelles Fundraising betreiben kann. Das trifft natürlich besonders bei den großen Bürgerstiftungen zu.

Welche Rolle spielen Stiftungsfonds?

Eine große. 2022 gingen über 90 Prozent der Zustiftungen an Bürgerstiftungen mit Stiftungsfonds. Bei den Spenden waren es knapp 70 Prozent. Und das, obwohl nur etwa jede Dritte Bürgerstiftungen Stiftungsfonds besitzt.

Wie funktioniert denn ein Stiftungsfonds?

Wer einen Stiftungsfonds gründen will, stiftet in das Vermögen der Bürgerstiftung für einen bestimmten Zweck, gegebenenfalls mit dem eigenen Namen verbunden. Die Erträge fließen jährlich in entsprechende Projekte vor Ort. Die Bürgerstiftung übernimmt die Verwaltung des Fonds, sodass für die Stiftenden Kosten und Bürokratie minimal sind.

Welche Fundraising-Kampagne einer Bürgerstiftung war besonders erfolgreich?

Es gibt viele bemerkenswerte Kampagnen. Zum Beispiel war und ist die Kampagne „Düsseldorf setzt ein Zeichen“ der BürgerStiftung Düsseldorf ein großer Erfolg. Sie wirbt jedes Jahr mit prominenten Botschafterinnen und Botschaftern für Spenden zugunsten sozial benachteiligter Menschen in Düsseldorf. Seit 2015 sind mehr als 3 Millionen Euro zusammengekommen. Die Bürgerstiftung Kreis Ravensburg wiederum verkauft einen Bürgerstiftungswein, um ein Hospiz zu unterstützen. Die Ehrenamtlichen helfen hier sogar im Weinberg mit. Erfolgreich sind auch Patenschafts- und Freundeskreisaktionen. Immer mehr Bürgerstiftungen setzen darauf, um ihre Unterstützer so mit Dauerspendenkonzepten auch langfristig an sich zu binden.

Zum Report Bürgerstiftungen

Jonas Rugenstein ist stellvertretender Programm-Leiter Bürgerstiftungen bei der Stiftung Aktive Bürgerschaft.

Interview: Gudrun Sonnenberg
Foto: Werner Kissel/Stiftung Aktive Bürgerschaft

Das Interview ist Teil des Fokus Werben, geben, wirken – Spenden für den guten Zweck der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte November 2024 der Stiftung Aktive Bürgerschaft.

Vielfalt zählt: Die Spendenstatistik in Deutschland

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Verschiedene Statistiken erheben, wie viele Menschen in Deutschland Geld für den guten Zweck spenden, und wie hoch die Spendensumme ist. Ihr Daten sind sehr unterschiedlich. Wer an das Gute im Menschen glauben möchte, wird die Zahlen des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen (DZI) mögen, denn sie sind mit Abstand die höchsten – aber Vorsicht, das gilt nur auf den ersten Blick.

Das DZI arbeitet mit Daten aus dem Sozioökonomischen Panel (SOEP), einer Langzeiterhebung mit 30.000 Befragten aus privaten Haushalten. Es erfasst Spenden in einer Höhe bis zu 30.000 Euro sowie ein relativ breites Spektrum an Zwecken. Eine Spendensumme von 12,8 Milliarden Euro errechnete das DZI damit für 2023, ein leichter Rückgang zu 2022, dem Jahr, in dem der Ukrainekrieg ausbrach und 13 Milliarden Euro in der Statistik des DZI erfasst wurden.

Deutlich anders sieht der Spendenmonitor aus, den der Deutsche Fundraising Verband veröffentlicht jedes Jahr. Er befragt online 5000 Menschen zwischen 16 und 70 Jahren und rechnete die Antworten auf lediglich 5,8 Milliarden Euro hoch. Doch sind in seiner Statistik nur Spenden bis 1500 Euro enthalten. Die beiden Organisationen haben Konsequenzen gezogen: Sie wollen künftig zusammenarbeiten und die Zahlen des DFRV sollen als Teilstatistik gekennzeichnet werden (bürgerAktiv berichtete).

Ebenfalls deutlich niedriger als die DZI-Zahlen sind die Zahlen des Deutschen Spendenrats in seiner „Bilanz des Helfens“: 5 Milliarden Euro wurden für 2023 gezählt, ein Rückgang von 12 Prozent gegenüber 2022. Der Spendenrat erfasst Spenden bis 2500 Euro von deutschen Staatsangehörigen. Er arbeitet mit dem GfK Charity Panel, für das eine repräsentative Stichprobe von 10.000 Panelteilnehmern befragt wird.
Noch viel niedriger sind die Zahlen der Finanzämter. Die Lohn- und Einkommensteuerstatistik enthält jene Spenden, die von der Steuer abgesetzt werden können, bis zu einer Höhe von 20 Prozent der Einkünfte. Die Auswertungen kommen mit jahrelanger Verzögerung. Im November 2024 liegen die Zahlen für 2020 vor. In dem Jahr wurden rund 2,7 Milliarden Euro als Spenden von der Steuer abgesetzt.

Mangelware sind Zahlen zu Unternehmensspenden und Großspenden. Der Thinktank Zivilgesellschaft in Zahlen (ZiviZ) veröffentlicht regelmäßig Befragungsergebnisse in seinem Unternehmensmonitor. 2022 gaben 51 Prozent der Unternehmen an, regelmäßig Geldspenden zu tätigen, 36 Prozent gelegentlich. Wie viel sie spendeten, ist nicht bekannt.

Zur DZI-Meldung für 2023
Zum DZI-Spenden-Almanach
Zum Spendenmonitor des DFRV
Zur Bilanz des Helfens des Spendenrats
Zur Lohn- und Einkommensteuerstatistik
Zum Unternehmensmonitor von ZiviZ

Text: Gudrun Sonnenberg

Dieser Beitrag ist Teil des Fokus Werben, geben, wirken – Spenden für den guten Zweck der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte November 2024 der Stiftung Aktive Bürgerschaft.

Fokus Oktober 2024: Soziale Innovation gestern, heute, morgen

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Bei Innovation denken die meisten Menschen zunächst an den technischen Fortschritt. Doch es gibt auch Innovation in der sozialen Praxis. Neue Organisationsformen gehören ebenso dazu wie neue Formen gemeinsamen Wirtschaftens. Vieles, was heute selbstverständlich und traditionell erscheint, ist als soziale Innovation gestartet – Genossenschaften und Wohlfahrtsverbände zum Beispiel.

Ein Treiber für soziale Innovation ist das bürgerschaftliche Engagement. In vergleichsweise großer Freiheit lassen sich hier innovative Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen entwickeln und ausprobieren. Die Aktive Bürgerschaft hat sich zur Aufgabe gemacht, innovativen Konzepten zum Erfolg zu verhelfen. So sind unter anderem die Bürgerstiftungen entstanden, die die Aktive Bürgerschaft von Anfang an in ihrer Entwicklung begleitet hat. Seit vielen Jahren unterstützt sie mit dem Programm sozialgenial auch Service Learning, ein spezielles Engagementkonzept für Schülerinnen und Schüler, denn es verbindet gezielt das schulische Lernen und mit dem Engagement für das Gemeinwohl.

Lesen Sie im Fokus „Soziale Innovation gestern, heute, morgen” die folgenden Beiträge:

Lasst sie nur machen: Zivilgesellschaft als Versuchslabor für soziale Innovation und Zukunft

In einer Welt, die durch technologische Fortschritte, gesellschaftliche Veränderungen und ökologische Herausforderungen geprägt ist, wird die Rolle der Zivilgesellschaft immer wichtiger. Sie hat das Potenzial, innovative Ideen zu entwickeln, um komplexe Probleme zu lösen und diese in das Leben der Menschen zu übersetzen. Vernetzung spielt dabei eine tragende Rolle, erklärt Michael Vilain von der Evangelischen Hochschule Darmstadt.
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Soziale Innovationen gestern und heute: Genossenschaften und Wohlfahrtsverbände

Als sie im 19. Jahrhundert entstanden, waren Genossenschaften und Wohlfahrtsverbände innovative Akteure des sozialen Wandels. Sie boten alternative Modelle zur kapitalistischen Wirtschaftsweise und zur staatlichen Bürokratie. An der Schnittstelle von Staat, Markt und Gemeinschaft ermöglichten sie es den Menschen, ihre ökonomische und soziale Situation eigenverantwortlich zu verbessern. Ein historischer Abriss der Verwaltungswissenschaftlerin Tanja Klenk.
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Stiftung Aktive Bürgerschaft: Warum uns soziale Innovationen bewegen

Gutes besser tun! Wir machen innovative Engagementkonzepte praxistauglich und setzen sie mit Partnern bundes- oder landesweit um. Im Sinne dieses Leitmotivs gibt die Aktive Bürgerschaft Impulse für die Weiterentwicklung der Bürgergesellschaft. Sie fördert die Bürgerstiftungen in Deutschland und sie fördert Service Learning an den weiterführenden Schulen in Deutschland. Wie innovativ beide Ansätze sind, erläutert Stefan Nährlich von der Stiftung Aktive Bürgerschaft.
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„Ehrenamt ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor für Soziale Innovation“

Zarah Bruhn, die Beauftragte für Soziale Innovationen im Bundesministerium für Bildung und Forschung, setzt sich für mehr Förderung sozialer Innovation ein, etwa für besseren Zugang zu Wagniskapital. Dabei habe sie neben den Sozialunternehmen auch andere Akteure wie die Bürgerstiftungen im Blick, sagt sie im Interview mit bürgerAktiv.
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Mehr zum Thema

Kommentar: Bürgerstiftungen und soziale Innovation:
Häufig wird derzeit über soziale Innovation gesprochen. Warum eigentlich fällt in diesem Zusammenhang nie der Begriff der Bürgerstiftung, fragt Stefan Nährlich von der Stiftung Aktive Bürgerschaft.
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Foto: Priscilla du Preez / unsplash.com

Lasst sie nur machen: Zivilgesellschaft als Versuchslabor für soziale Innovation und Zukunft

1024 774 Stiftung Aktive Bürgerschaft

In einer Welt, die durch technologische Fortschritte, gesellschaftliche Veränderungen und ökologische Herausforderungen geprägt ist, wird die Rolle der Zivilgesellschaft immer wichtiger. Sie hat das Potenzial, innovative Ideen zu entwickeln, um komplexe Probleme zu lösen und diese in das Leben der Menschen zu übersetzen. Vernetzung spielt dabei eine tragende Rolle.

Von Michael Vilain

Natürlich gibt es nicht nur die eine, homogene Zivilgesellschaft. Vielfalt ist für sie ein geradezu bestimmendes Wesensmerkmal. Die Zivilgesellschaft versammelt viele Akteure, darunter Nonprofit-Organisationen (NPO) wie Vereine und Verbände, soziale Unternehmen, Initiativen, (Bürger-)Stiftungen, aber auch spontan organisierte Gruppen. Sie alle bringen ihre unterschiedlichen Perspektiven, Denkansätze und Ressourcen in die Lösung gesellschaftlicher Probleme ein.

Ihre Stärke liegt einerseits in der Nähe zur Bevölkerung, dem Verständnis für lokale Bedürfnisse und der Fähigkeit, schnell und flexibel zu handeln. Andererseits unterstützen große Verbände wie etwa die Wohlfahrtsverbände, aber auch Berufs- und Fachverbände die Übersetzung der Interessen der Menschen in die Politik. Sie kooperieren mit der Politik auf allen Ebenen, erbringen mitunter Dienstleistungen für die Gesellschaft, sind Schrittmacher und üben Druck auf die Politik aus. Zivilgesellschaft fördert Partizipation, Bildung und Netzwerke, in denen sich neue soziale Praktiken rasant verbreiten können – am liebsten ganz ohne staatliche Steuerungsversuche. Und vor allem ist Zivilgesellschaft auch ein großes Versuchslabor für „…neue Ideen, die darauf abzielen, soziale Bedürfnisse zu erfüllen und neue Beziehungen oder Kooperationen zwischen Bürgern, Gemeinschaften und Organisationen zu schaffen“ (Europäische Kommission).

Ohne Praxis keine Innovation

Allerdings reicht, entgegen landläufiger Stammtischmeinung, die Idee allein nicht aus, um zu einer sozialen Innovation zu führen. Denn sie muss auch in eine gelebte soziale Praxis überführt werden. Logisch also, dass es zwar viele Ideen zur Lösung sozialer Probleme gibt, die Zahl der realen Umsetzungsversuche jedoch bereits deutlich geringer ist und die echten Erfolge noch seltener sind. Hinzu kommt, dass es auf soziale Innovationen kaum Patente gibt, neue Ideen schnell kopiert werden können und dann der kommerzielle Nutzen ausbleibt. Das spüren viele der sogenannten Social Entrepreneurs, Mischformen aus unternehmerischer und karikativer Organisation, die in den letzten Jahren vermehrt antreten, um nicht nur soziale Probleme zu lösen, sondern mit diesen Aktivitäten auch selbst ein Einkommen zu erzielen. Das gelingt leider nicht oft.

Der Antrieb für soziale Innovation ist entsprechend selten ein reines Gewinnstreben. Er stammt meist auch nicht aus einer politisch verordneten Förderumwelt. Er liegt vielmehr im einzelnen Menschen begründet und in dessen Spannungsverhältnis zwischen den wahrgenommenen sozialen und gesellschaftlichen Zuständen und dem Wunsch nach Veränderung. Solche Spannungen gibt es satt. Viele soziale Probleme spitzen sich zu, beispielsweise Wohnungslosigkeit, Gentrifizierung der Städte, Verteuerung des täglichen Lebens, Klimakrise, Ausweitung der Staatstätigkeit, Migration und Integration, Abstiegsängste der Mittelschichten. Gleichzeitig wächst die Unzufriedenheit in der Bevölkerung und schwindet das Vertrauen in angestammte Institutionen.

Der Nährboden ist bereitet

Anders gesagt: Es ist genug Dampf im Kessel – der Nährboden für soziale Innovationen ist bereitet. Ihr Antriebsriemen sind die finanziellen, technischen und kommunikativen Möglichkeiten der jeweiligen Zeit. Handlungsfelder sind dabei unter anderen:

  • Digitale Lösungen: Die Digitalisierung bietet zahlreiche Möglichkeiten für soziale Innovationen. Plattformen für den Austausch von Dienstleistungen, Nachbarschaftshilfe oder Peer-to-Peer-Learning sind Beispiele dafür, wie Technologie genutzt werden kann, um soziale Interaktionen zu fördern. In Zukunft könnten solche digitalen Plattformen noch mehr Raum für Bürgerengagement schaffen und lokale Gemeinschaften stärken.
  • Nachhaltige Entwicklung: Angesichts der Klimakrise wird die Entwicklung nachhaltiger Lösungen immer wichtiger. Soziale Innovationen könnten sich darauf konzentrieren, umweltfreundliche Praktiken in den Alltag zu integrieren, etwa durch gemeinschaftliche Projekte wie Urban Gardening oder lokale Tauschbörsen, aber auch durch die Sicherung der Akzeptanz für nachhaltiges Handeln in allen Lebensbereichen. Diese Initiativen fördern nicht nur die Umwelt, sondern stärken auch den sozialen Zusammenhalt.
  • Inklusive Gesellschaft: Die Schaffung einer inklusiven Gesellschaft ist eine der größten Herausforderungen der heutigen Zeit. Soziale Innovationen, die darauf abzielen, marginalisierte Gruppen einzubeziehen, könnten neue Programme zur beruflichen Bildung oder zur sozialen Integration entwickeln. Projekte, die Flüchtlingen und Migranten helfen, sich in die Gesellschaft einzugliedern, werden zunehmend an Bedeutung gewinnen.
  • Politikalternativen: In vielen Staaten weltweit lassen sich die Entstehung neuer politischer Gruppierungen und Parteien beobachten, viele davon als Form des Protests gegen etablierte Strukturen und deren als mangelhaft wahrgenommene Problemlösungsfähigkeit. Grundlage sind dabei nicht selten neuartige Kommunikationsstile und netzwerkartige Kommunikationsstrukturen, die es mitunter auch vermögen, zuvor isolierte Gruppen miteinander zielgerichtet zu verbinden.

Um Innovationen erfolgreich umzusetzen und zu verbreiten, ist eine starke Vernetzung innerhalb der Zivilgesellschaft unerlässlich. Kooperationen zwischen verschiedenen Akteuren – sei es zwischen NPOs, Unternehmen, Kirchen, Schulen oder Kommunen und Ministerien – können das Entstehen und die Wirksamkeit sozialer Innovationen erhöhen. Netzwerke ermöglichen auch den Austausch bewährter Praktiken und fördern die Verbreitung erfolgreicher Lösungen.

Fazit

Auch wenn der Fokus vieler öffentlicher Debatten derzeit auf der Zukunftsfähigkeit von Wirtschaft und Staat liegen, wird deutlich, dass die Zukunft unseres Landes letztlich davon abhängt, ob und wie es gelingen wird, die Erfordernisse einer modernen und nachhaltigen Welt auch in gelebte und akzeptierte soziale Praxis zu verwandeln. Dazu braucht es künftig mehr denn je soziale Innovationen – und Zivilgesellschaft.

Prof. Dr. phil. Michael Vilain ist Vizepräsident für Forschung und Internationales der Evangelischen Hochschule Darmstadt, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Zukunftsfragen der Gesundheits- und Sozialwirtschaft (IZGS) und Mitglied des Stiftungsrates der Stiftung Aktive Bürgerschaft.

Foto: Jörg Meisinger

Dieser Beitrag ist Teil des FOKUS SOZIALE INNOVATION GESTERN, HEUTE, MORGEN der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte Oktober 2024 der Stiftung Aktive Bürgerschaft.

Soziale Innovationen gestern und heute: Genossenschaften und Wohlfahrtsverbände

1024 706 Stiftung Aktive Bürgerschaft

Als sie im 19. Jahrhundert entstanden, waren Genossenschaften und Wohlfahrtsverbände innovative Akteure des sozialen Wandels. Sie boten alternative Modelle zur kapitalistischen Wirtschaftsweise und zur staatlichen Bürokratie. An der Schnittstelle von Staat, Markt und Gemeinschaft ermöglichten sie es den Menschen, ihre ökonomische und soziale Situation eigenverantwortlich zu verbessern.

Von Tanja Klenk

Was sind soziale Innovationen?

Soziale Innovationen sind Veränderungen in sozialen Praktiken, die darauf abzielen, gesellschaftliche Herausforderungen zu lösen oder neue, bessere Wege des Zusammenlebens und Zusammenarbeitens zu schaffen. Das können neue Organisationsformen und Geschäftsmodelle sein, neue soziale Bewegungen oder politische Strategien. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht nur technischen Fortschritt bedeuten, sondern auch soziale Beziehungen, Verhaltensweisen und institutionelle Strukturen nachhaltig beeinflussen.

Klassische Beispiele für soziale Innovationen sind Genossenschaften und Wohlfahrtsverbände. Beide Organisationstypen entstanden im 19. Jahrhundert als Reaktion auf die sozialen Missstände der Industriellen Revolution. Viele Menschen litten unter schlechten Arbeitsbedingungen, hatten nur unzureichenden Zugang zu wichtigen Ressourcen wie Krediten, Wohnraum oder landwirtschaftlichen Betriebsmitteln und die soziale Absicherung im Falle von Krankheit und Invalidität reichte nicht aus. Genossenschaften und Wohlfahrtsverbände bildeten sich damals als neue gesellschaftliche Ordnungsformen heraus.

Sie können als soziale Innovationen betrachtet werden, weil sie alternative Modelle boten zu den beiden dominanten gesellschaftlichen Ordnungsformen ihrer Zeit – der kapitalistischen Wirtschaftsweise und der sich im Zuge der Nationalstaatsbildung entwickelnden staatlichen Bürokratie. Genossenschaften und Wohlfahrtsverbände positionierten sich an der Schnittstelle von Staat, Markt und Gemeinschaft und ermöglichten es den Menschen, ihre ökonomische und soziale Situation eigenverantwortlich zu verbessern. Während sie im Unterschied zur kapitalistischen Wirtschaftsweise das Prinzip der kollektiven Verantwortung betonten, setzten sie im Verhältnis zum Staat auf Eigenverantwortung und Subsidiarität.

Die beiden Beispiele zeigen, dass soziale Innovationen nicht zwingend als eine bahnbrechende, völlig neue Erfindung zu verstehen sind, sondern sich durch eine innovative Neuordnung bestehender gesellschaftlicher Strukturen entwickeln können. Das Wirtschaften – das heißt, die Produktion von Gütern und die Erbringung von (sozialen) Dienstleistungen – wird mit demokratischen Entscheidungsformen wie kollektiven Versammlungen, Konsens- oder Kompromissbildung, Mehrheitsentscheidungen und Wahlen so zusammengeführt, dass hybride Organisationsformen entstehen.

Hybride Organisationsformen: Katalysatoren für soziale Innovationen

An Genossenschaften und Wohlfahrtsverbänden ist besonders interessant, dass sie nicht nur das Ergebnis sozialer Innovationen sind, sondern gleichzeitig weitere innovative Lösungen entwickeln und verbreiten. Als hybride Organisationen sind sie Agenten des sozialen Wandels: Sie bringen Akteure aus unterschiedlichen Bereichen zusammen und fördern dadurch den Austausch und die Vernetzung verschiedener Perspektiven und Kompetenzen. Indem sie staatliche, zivilgesellschaftliche und marktwirtschaftliche Partner einbinden, überwinden sie sektorale Grenzen und können komplexe gesellschaftliche Herausforderungen ganzheitlich adressieren. Diese Interaktion ermöglicht es, innovative Lösungsansätze zu entwickeln, die aus den traditionellen Strukturen der einzelnen Sektoren nicht hervorgegangen wären.

Gesellschaft in der Polykrise: Die Rolle von sozialen Innovationen

Durch ihre Fähigkeit, Dienstleistungen an neue soziale Bedürfnisse anzupassen und innovative Lösungen für die Herausforderungen ihrer jeweiligen Zeit zu entwickeln, sind hybride Organisationen wie Genossenschaften und Wohlfahrtsverbände nicht nur von historischem Interesse. Auch in der heutigen Situation, die durch das Zusammentreffen mehrerer sich wechselseitig verstärkender Krisen – die sogenannte Polykrise – gekennzeichnet ist, können sie eine wichtige Rolle bei der Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen spielen und dazu beitragen, die Gesellschaft resilienter zu gestalten.

Eine Gesellschaft wird resilient nicht durch das Festhalten an alten Strukturen, sondern durch ihre Fähigkeit, Krisensituationen als Chancen für soziale Innovationen zu nutzen. Das zeigen viele Studien zum Krisenmanagement. Herausforderungen wie die sozial-ökologische Transformation, die Digitalisierung der Gesellschaft, der demografische Wandel und die Integration von Menschen auf der Flucht lassen sich kaum ohne die Ideen und Ansätze jener Organisationen, die zwischen Markt, Staat und Zivilgesellschaft agieren, bewältigen. Diese Organisationen sind es, die Kompromisse schaffen zwischen divergierenden Steuerungsformen und innovative Lösungen entwickeln, um gesellschaftliche Herausforderungen umfassend anzugehen.

Freiräume müssen erhalten bleiben

Damit aber hybride Organisationen Sozialinnovationen entwickeln und neue Lösungen erproben können, müssen sie die Fähigkeit besitzen, tatsächlich flexibel im Spannungsfeld zwischen Markt, Staat und Zivilgesellschaft zu agieren. Die Geschichte zeigt, dass die Aufrechterhaltung einer hybriden Struktur ein permanenter Balanceakt ist, der leicht aus dem Gleichgewicht geraten kann. Ein wesentlicher bestimmender Faktor sind die Rahmenbedingungen, die der Staat durch regulative Vorgaben und Förderpolitik setzt. So stehen Wohlfahrtsverbände aufgrund der Sozialstaatsreformen der vergangenen Jahre unter einem erheblichen Effizienz- und Wettbewerbsdruck und haben hohe bürokratische Lasten, die durch die Regulierung der sogenannten Wohlfahrtsmärkte entstehen. Infolgedessen verschwimmt die spezifische Differenz dieses Organisationstypus sowohl zu unternehmerischen wie auch zu behördlichen Strukturen immer mehr – und damit auch die Autonomie dieser Organisationen, die für die Entwicklung und Umsetzung sozialer Innovationen notwendig ist.

Für die Förderung sozialer Innovationen bedeutet dies, dass die Rahmenbedingungen so gestaltet werden müssen, dass hybride Organisationen genügend Spielraum für kreative Lösungen und innovative Ansätze haben. Hierfür ist es entscheidend, dass Bürokratieabbau und ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Regulierung und Eigenverantwortung die Handlungsfähigkeit dieser Organisationen stärken. Insbesondere sollten Anreizstrukturen geschaffen werden, die die Nutzung von Innovationspotenzialen fördern, ohne dabei die gemeinwohlorientierte Mission durch übermäßige Effizienzvorgaben zu gefährden. Darüber hinaus müssen staatliche Förderinstrumente und Regularien so angepasst werden, dass sie die spezifischen Bedürfnisse hybrider Organisationen berücksichtigen.

Nur wenn hybride Organisationen sowohl die Unterstützung staatlicher Akteure als auch die Freiräume zur eigenständigen Entfaltung erhalten, können sie ihre Rolle als wichtige Treiber sozialer Innovationen voll ausschöpfen und nachhaltig zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen beitragen.

Prof. Dr. Tanja Klenk ist Professorin für Verwaltungswissenschaften an der Helmut-Schmidt-Universität / Universität der Bundeswehr Hamburg und Stiftungsrätin der Stiftung Aktive Bürgerschaft.

Foto: Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr

Dieser Beitrag ist Teil des FOKUS SOZIALE INNOVATION GESTERN, HEUTE, MORGEN der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte Oktober 2024 der Stiftung Aktive Bürgerschaft.

Stiftung Aktive Bürgerschaft: Warum uns soziale Innovationen bewegen

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„Gutes besser tun! Wir machen innovative Engagementkonzepte praxistauglich und setzen sie mit Partnern bundes- oder landesweit um.“ Das ist das Leitmotiv der Stiftung Aktive Bürgerschaft und in diesem Sinne will sie mit ihrer Arbeit Impulse für die Weiterentwicklung der Bürgergesellschaft geben. Die Aktive Bürgerschaft realisiert ihren Anspruch mit zwei Programmenbereichen: Sie fördert die Bürgerstiftungen in Deutschland und sie fördert Service Learning an den weiterführenden Schulen in Deutschland. Wie innovativ beide Ansätze sind, erläutert Stefan Nährlich von der Stiftung Aktive Bürgerschaft. Übrigens: Die Gründung der Aktiven Bürgerschaft als Kompetenzzentrum für Bürgerengagement der Genossenschaftlichen Finanzgruppe war seinerzeit ebenfalls neuartig.

Von Stefan Nährlich

Bürgerstiftungen

Die Bürgerstiftungen sind eine neue Idee für ein altes Stiftungsproblem: die oft enge Zweckbindung einer Stiftung und einen oft nicht mehr zeitgemäß umsetzbaren Stifterwillen. Für den amerikanischen Bankier und Rechtsanwalt Frederick Goff war diese „dead hand of the past“ im Jahr 1914 der Anlass zur Entwicklung und Gründung der weltweit ersten Bürgerstiftung – Community Foundation – in den USA.

Goff legte den Grundstein für die Verbindung von Vereins- und Stiftungselementen mit der neuen Organisationsform, die weltweit in unterschiedlichen Varianten Nachahmer fand. In der Bürgerstiftung sichert eine Vielzahl von Stiftungszwecken die Flexibilität für die Zukunft. Unabhängige, engagierte und kompetente Bürgerinnen und Bürger in den Gremien und Projekten sorgen für eine zeitgemäße und wirkungsvolle Mittelverwendung.

Erst 1996/1997 kam die Idee der Bürgerstiftung nach Deutschland. Akteure wie die Aktive Bürgerschaft haben dazu beigetragen, dass bis heute an mehr als 420 Orten Bürgerstiftungen gegründet wurden – eine erfolgreiche Skalierung.

In Deutschland mit seiner staatsnahen Tradition bürgerschaftlichen Engagements stellen die Bürgerstiftungen noch eine weitere soziale Innovation dar: ohne irgendein Bundesmodellprogramm, sondern aus der Praxis vor Ort heraus, sind privat getragene Strukturen entstanden, die inzwischen mehr als 400.000 Menschen für ihr Engagement genutzt haben. Über eine halbe Milliarde Euro haben die Bürgerstiftungen mittlerweile als Stiftungsvermögen gebildet und verfügen damit über, wie wir es gerne nennen, zivilgesellschaftliches Eigenkapital, das es erlaubt, eine eigenständige Agenda zu verfolgen.

Service Learning

Schulisches Wissen direkt anwenden, dabei Neues lernen, sich als wirkmächtig erfahren und Gutes tun: Im Schulalltag ist das ein schöner Traum – Service Learning ermöglicht, ihn wahr werden zu lassen. Denn es ist eine Lehr- und Lernmethode, die schulischen Unterricht (oder Lehrveranstaltungen an Hochschulen) mit ehrenamtlichem Engagement für das Gemeinwohl verbindet – gerade auch in Projekten bei oder mit Vereinen, sozialen Einrichtungen und anderen außerschulischen Partnern.

Das fördert einerseits die bessere Vermittlung von Lehrinhalten und die Entwicklung von Schlüsselkompetenzen. Anderseits sehen wir darin die Lösung für die in Deutschland schwieriger werdende Gewinnung ehrenamtlich Engagierter: deren Anzahl steigt nicht und es gibt bei ihnen einen deutlichen Mittelschichts-Bias, wie die Freiwilligensurveys zeigen. Maßnahmen der gemeinnützigen Organisationen und staatliche Kampagnen erreichen oft nur diejenigen Menschen, die bereits über den Familien- und Freundeskreis Berührungen mit bürgerschaftlichem Engagement haben.

In Schulen dagegen erreichen Service-Learning-Projekte junge Menschen herkunftsunabhängig und frühzeitig. Auch das ist wichtig, bevor sich andere Präferenzen bilden, womit sie sich im späteren Leben beschäftigen.

Service-Learning-Projekte lassen Engagement für eine Vielzahl von gesellschaftlichen Themen zu und sind mit nahezu allen Fächern und Lehrplänen verknüpfbar. Bisher haben sich in dem Service-Learning-Programm sozialgenial unserer Stiftung über 160.000 Schülerinnen und Schüler engagiert. Von anfangs einigen wenigen Schulen in Münster ist uns die Skalierung auf über 1000 Schulen in vier Bundesländern gelungen. Ab diesem Schuljahr 2024/25 bieten wir sozialgenial den weiterführenden Schulen bundesweit an, wobei uns neben der DZ BANK und regionalen Genossenschaftsbanken auch die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt finanziell unterstützt.

Die Aktive Bürgerschaft

Im Jahr 1997 wurde mit der Gründung der Aktiven Bürgerschaft selbst Neuland in Deutschland betreten: Es entstand eine gemeinnützige Organisation, die bundesweit bürgerschaftliches Engagement fördert und von einer Bankengruppe getragen wird. Dies korrespondierte mit der Entwicklung des bürgerschaftlichen Engagements hin zu einer Gesellschaft mitgestaltender aktiver Bürgerinnen und Bürger. Den Initiatoren der Aktiven Bürgerschaft ging es dabei auch darum, gemeinnützige Organisationen zu unterstützen, die dem Engagement Nachhaltigkeit verleihen, und um Strukturen, die individuelles Engagement fördern und stärken.

Indem Volksbanken und Raiffeisenbanken sich als Stifter und Partner der Aktiven Bürgerschaft engagieren, knüpfen sie auch an ihr eigenes Selbstverständnis als soziale Innovatoren an: Genossenschaftsbanken trugen während der industriellen Revolution durch Kooperation und Hilfe zur Selbsthilfe maßgeblich dazu bei, die wirtschaftlichen Not der Menschen zu lindern und Wohlstand für breite Bevölkerungsschichte zu ermöglichen.

Dr. Stefan Nährlich ist Geschäftsführer und Mitglied des Vorstands der Stiftung Aktive Bürgerschaft.

Foto: Werner Kissel/Stiftung Aktive Bürgerschaft

Dieser Beitrag ist Teil des FOKUS SOZIALE INNOVATION GESTERN, HEUTE, MORGEN der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte Oktober 2024 der Stiftung Aktive Bürgerschaft.

„Ehrenamt ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor für Soziale Innovation“

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Zarah Bruhn, die Beauftragte für Soziale Innovationen im Bundesministerium für Bildung und Forschung, setzt sich für mehr Förderung sozialer Innovation ein, etwa für besseren Zugang zu Wagniskapital. Dabei habe sie neben den Sozialunternehmen auch andere Akteure wie die Bürgerstiftungen im Blick, sagt sie im Interview mit bürgerAktiv.

Womit befassen Sie sich als Beauftragte der Bundesregierung für Soziale Innovation zurzeit vor allem?

Mein Ziel ist es vor allem, gute Rahmenbedingungen zu erreichen und bestehende Hürden abzubauen – für alle Akteurinnen und Akteure, die Soziale Innovationen hervorbringen und umsetzen. Dabei kann ich meine Erfahrungen einbringen aus der Zeit vor etwa acht Jahren, als ich mein Sozialunternehmen socialbee gegründet und keine Gründungsunterstützung bekommen habe. Weder war das Thema bekannt, noch gab es gezielte Förderprogramme – und auf die klassischen Start-Up Programme konnte ich mich mit unserer gGmbH nicht bewerben. Hier ist Deutschland unter anderem mit der ersten nationalen Strategie der Bundesregierung zur Förderung Sozialer Innovationen schon einen entscheidenden Schritt weiter. Das freut mich schon sehr. Trotzdem sind zur Umsetzung natürlich auch dicke Bretter zu bohren, um die Finanzierung zu verbessern oder den Zugang zu Wagniskapital zu erleichtern.

Die Währung von Sozialen Innovationen ist ihre Wirkung. Daher versuche ich überall, wo es möglich ist, die Opportunitätskosten und den Social Return on Investment zu verdeutlichen. Auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) setzt sich für die Erforschung der Wirkungsmessung ein. Ein erstes Praxishandbuch liegt schon vor – herausgegeben von der Ludwig-Maximilian-Universität München und der Universität Hamburg. Vielleicht ist das auch ein hilfreiches Tool für Bürgerstiftungen. Es ist online abrufbar und auf der zentralen Anlaufstelle sigu-plattform.de verlinkt, die das BMBF und Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz fördern. Diese Plattform ist natürlich auch für die Bürgerstiftungen da.

In welchen gesellschaftlichen Bereichen werden aus ihrer Sicht Soziale Innovationen am dringendsten gebraucht?

Eigentlich in allen Bereichen. Ich bin froh, dass viele Sozialunternehmen sich auf innovative Weise der Integration von Geflüchteten widmen – oder MigrantInnen zu dringend benötigten Fachkräften qualifizieren und bei der Jobvermittlung unterstützen. Weitere Akteure, so auch die zahlreichen Bürgerstiftungen, setzen sich für Partizipation, Vielfalt, Toleranz und Demokratie und Zusammenhalt ein. Ebenso brauchen wir Soziale Innovationen für die Inklusion, zur Krisenprävention, für mehr Bildungschancen, für die MINT-Bildung und die Bildung für nachhaltige Entwicklung, für die Bewältigung des Klimawandels und vieles mehr.

Bürgerstiftungen spielen in der Regierungsstrategie Soziale Innovationen keine Rolle. Sind Bürgerstiftungen nicht innovativ?

Bürgerstiftungen sind selbst schon eine Soziale Innovation in sich. Sie unterstützen dabei, gesellschaftliche Innovationen vor Ort zu realisieren und geben wichtige Impulse für eine gemeinwohlorientierte Wirtschaft.

Unsere Regierungsstrategie bezieht alle sozial-innovativen Akteurinnen und Akteure aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft und Politik mit ein – wir denken akteursoffen und nicht in Rechtsformen. So können auch die Bürgerstiftungen in den Genuss einer Förderung durch die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt (DSEE) kommen, die unter anderem Innovationen im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements und des Ehrenamts, insbesondere digitale Innovationen fördert.

Welche Rolle kann aus Ihrer Sicht das ehrenamtliche Engagement für die Entwicklung Sozialer Innovationen spielen?

Ohne ehrenamtliches Engagement wäre unsere Gesellschaft so viel ärmer. Es ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor für Soziale Innovationen. Viele sozial-innovative Projekte haben mehr ehrenamtliche als hauptamtliche Mitarbeitende. Ehrenamtlich Engagierte bringen – sehr häufig auch in Bürgerstiftungen – ihre Zeit, ihr Geld und ihre Ideen ein. Daher möchte ich dieses Interview zugleich nutzen, um hier schwarz auf weiß und aus vollem Herzen DANKE zu sagen und meine Anerkennung zu zollen.

Zarah Bruhn ist Sozialunternehmerin und seit 2022 Beauftragte für Soziale Innovationen im Bundesministerium für Bildung und Forschung.

Foto: Hans Joachim Rickel / BMBF

Das Interview ist Teil des Fokus Soziale Innovation gestern, heute, morgen der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte Oktober 2024 der Stiftung Aktive Bürgerschaft.