Philanthropie zwischen Kritik und Anerkennung

Immer wieder gerät Philanthropie in die Kritik: Zu undemokratisch, zu intransparent, oder zu mächtig sei sie. Georg von Schnurbein, Professor für Stiftungsmanagement an der Universität Basel und Direktor des Center for Philanthropy Studies (CEPS), geht in seinem Gastbeitrag für bürgerAktiv den Vorwürfen nach und warnt davor, aus Einzelfällen falsche Schlüsse zu ziehen. Manchmal ist gerade das richtig, was auf den ersten Blick falsch aussieht.

Von Georg von Schnurbein

Geben gibt – das wird gerne betont und dabei auf Studien verwiesen, die den positiven Effekt des Engagements auf das eigene Wohlbefinden bestätigen. Jedoch hat die Frage nach dem Wie und Für Wen seit jeher zu Diskussionen geführt. Schon Aristoteles erkannte, dass es nicht leicht ist, zu entscheiden, wem man gibt, wie viel, wofür und wann. Je sichtbarer sich Stiftungen sowie Philanthropinnen und Philanthropen in den letzten Jahren engagierten und je umfangreicher die Engagements wurden, desto mehr nahm auch die öffentliche Kritik daran zu. Einen ersten Höhepunkt erreichte die Diskussion in Europa nach dem Brand von Notre-Dame in Paris im Jahr 2019. Die danach bekannt gegebenen Großspenden von französischen Industriellenfamilien führten zu gleich mehreren Vorwürfen: Statt Spenden sollten sie besser Steuern zahlen; statt Steine und Holz für Kirchen zu finanzieren sollten sie besser Probleme wie Klimawandel, Hunger und Armut angehen; für ihre Spenden würden sie ungerechtfertigt Dank erhalten.

Populäre Klischees und Vorstellungen

Solche und ähnliche Kritik an der Philanthropie orientiert sich an bestimmten Klischees und Ausnahmefällen und übersieht, was den Kern der Philanthropie ausmacht und weshalb sie einen wichtigen gesellschaftlichen Mehrwert darstellt.

Die drei häufigsten Kritikpunkte an der Philanthropie sind die Steuerersparnis, der Egoismus der Philanthropen und die Intransparenz der Gebenden. Grundsätzlich ist es richtig, dass es auf Spenden einen Steuerabzug gibt (der in verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich ausfällt, ohne dass daraus auf das Spendenverhalten in den Ländern geschlossen werden könnte). Es stimmt auch, dass Philanthropie etwas mit den eigenen Interessen der Gebenden zu tun hat und dass Philanthropie nicht den gleichen Transparenzregeln unterliegt wie staatliches Handeln.

Der Fehler bei diesen Überlegungen liegt in der Annahme, dass philanthropisches Kapital gleichzusetzen ist mit staatlichen Mitteln. Spenden sind kein Ersatz und auch keine Fortsetzung von Steuern, sondern eine Ergänzung. Dies zeigt sich, wenn man sich einige zentrale Wesensmerkmale der Philanthropie vor Augen führt.

Was Philanthropie ausmacht

Philanthropie ist eine freiwillige Handlung, die von einer oder mehreren Personen ausgeht. Dementsprechend ist sie von den persönlichen Erfahrungen, Haltungen und Einschätzungen dieser Personen geprägt. Der besondere gesellschaftliche Mehrwert der Philanthropie ergibt sich gerade dann, wenn persönliche Werte und gesellschaftlicher Nutzen zusammenkommen. Philanthropie wirkt nicht über Geld allein, sondern durch Engagement und Überzeugungskraft.

Die Faszination (und Kritik) vieler Menschen an der Philanthropie geht von den großen Beträgen der Megastiftungen aus. Doch wenn die Mehrzahl der Debatten über die Bill & Melinda Gates Foundation geführt wird, entwickelt sich daraus eine verzerrte Wahrnehmung. Dazu eine einfache Rechnung: Würde man die jährlichen Ausschüttungen aller Stiftungen in der Schweiz (umgerechnet 2 bis 3 Milliarden Euro) nur für die Finanzierung der Schulen verwenden (26 bis28 Milliarden Euro), wären Ende Januar alle Mittel aufgebraucht. Danach gäbe es nicht nur keine Schule mehr, sondern es fehlten auch alle weiteren Mittel für Umwelt, Soziales, Forschung, Kultur usw., die Stiftungen das ganze Jahr über leisten. Spenden und Stiftungsbeiträge können nie die staatlichen Leistungen ersetzen, und umgekehrt haben sie ihren eigenen Wirkungsbereich.

Schließlich wird heute oft über die Machtkonzentration großer Philanthropen gesprochen. „Wer zahlt, befiehlt!“ heißt das Sprichwort und selbstverständlich liegt darin ein Stück Wahrheit. Jedoch suchen nicht alle Philanthropen diese Macht. Viele Stifterpersonen haben sich von ihrem Reichtum getrennt, ohne daraus einen Machtanspruch abgeleitet zu haben. Der Schweizer Unternehmer Stephan Schmidheiny übertrug seine südamerikanischen Firmen 2003 dem Viva Trust (damaliger Wert 1 Milliarde Euro), aus dem er sich später vollständig zurückzog. Der 2023 verstorbene US-Milliardär Chuck Feeney spendete umgerechnet über 8 Milliarden Euro weitgehend anonym und lebte zurückgezogen in Kalifornien. Die nach der Scheidung von Amazon-Gründer Jeff Bezos sehr vermögende US-Amerikanerin MacKenzie Scott hat in den letzten Jahren umgerechnet über 14 Milliarden Euro an 1600 Non-Profit-Organisationen gespendet, ohne ihnen spezifische Vorgaben zur Mittelverwendung zu machen.

Solche Beispiele zeigen, dass Macht nicht das einzige Motiv für Philanthropie ist. Mitbestimmung und Einfluss sind Treiber für philanthropisches Engagement, genauso wie Mitleid, Betroffenheit, persönliches Schicksal oder Enthusiasmus.

Die Wucht der Kritik ist ernst zu nehmen

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich die Kritik an einer kleinen, sehr spezifischen Gruppe von Personen und Stiftungen ausrichtet und daraus aber eine Globalkritik an der Philanthropie entwickelt wird, die bei näherer Betrachtung nicht haltbar ist. Die Wucht der Kritik ist jedoch ernst zu nehmen, gerade weil sie auf eine Reihe von häufig bedienten Klischees aufbaut. Deshalb ist es notwendig, dass sich die Philanthropie – und damit alle beteiligten Gruppen wie Stifterpersonen, Stiftungen, Spenderinnen und Spender, Non-Profit-Organisationen – stetig weiterentwickelt und dadurch die Kritik entkräftet. War es vor zehn Jahren die Wirkungsmessung, so wird aktuell viel über partizipative Philanthropie, Kernfinanzierung oder Verbrauchsstiftungen gesprochen. Für die Zukunft werden sicher neue Ansätze und Ideen hinzukommen – immer auch in Abhängigkeit von der gesellschaftlichen Entwicklung.

Dieser Beitrag beruht auf dem Kapitel „Philanthropie in der Kritik – Fördert Philanthropie die gesellschaftliche Ungerechtigkeit?“, erschienen in: von Schnurbein, G. (Hrsg.): Gutes tun oder es besser lassen? Philanthropie zwischen Kritik und Anerkennung, Basel: Christoph Merian Verlag, 2023.

Georg von Schnurbein ist Professor für Stiftungsmanagement an der Universität Basel und Direktor des von ihm gegründeten Center for Philanthropy Studies (CEPS).

Kommentar von Prof. Dr. Georg von Schnurbein für bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte, Ausgabe 252 – Februar 2024 vom 29.02.2024

Ausgabe 252 Februar 2024, Debatte, Kommentare und Analysen