Geht uns das was an?
https://www.aktive-buergerschaft.de/wp-content/uploads/2025/11/Bundeswehr_Oktober2025_c-StefanNaehrlich-1024x576.jpg 1024 576 Stiftung Aktive Bürgerschaft Stiftung Aktive Bürgerschaft https://www.aktive-buergerschaft.de/wp-content/uploads/2025/11/Bundeswehr_Oktober2025_c-StefanNaehrlich-1024x576.jpgHeute feiert die Bundeswehr ihren 70. Geburtstag. Unser Autor Stefan Nährlich war nach 40 Jahren wieder für ein paar Tage Soldat. Er berichtet über eine persönliche Erfahrung, die für ihn auch Anlass ist, über Wehrfähigkeit und den Stiftungssektor nachzudenken.
Von Stefan Nährlich
„Goldkettchen weg, Nährlich. Wir sind hier nicht auf St. Pauli.“
Wir übten in der Weite der Lüneburger Heide und unsere Fahrzeugkolonne stand irgendwo auf einem Waldweg. Wir waren Soldaten, trugen steingrau-oliv und unser Zugführer musterte uns unzufrieden. Nach ein paar Tagen im Manöver fand das Erscheinungsbild seiner Erkunder vielfach nicht mehr seine Zustimmung. Schlecht rasiert, mit privat beschafften Ausrüstungsgegenständen oder eben mit Halskette. Damals, im Sommer 1986.
Im Sommer diesen Jahres habe ich öfter an meine Zeit bei der Bundeswehr gedacht. Als Wehrpflichtiger wurde ich 1985 drei Monate im niedersächsischen Northeim zum Truppenfernmeldesoldaten ausgebildet und 1986 zwölf Monate in der 1. Kompanie des Panzerbataillons 84 in Lüneburg als Funker im Erkundungs- und Verbindungszug eingesetzt. Der Satz des Oberfeldwebels ist mir immer noch in Erinnerung. Diese Mischung aus Tadel, Nachsicht und Belustigung. Er konnte gut mit Menschen umgehen.
Wir waren fast 500.000 Soldaten in der Bundeswehr und das Heer hatte große Mengen an Panzern, Waffen und Gerät. Im Verteidigungsfall wären noch einmal 700.000 Reservisten mobilisiert worden. Damals, schreibt der Historiker Söhnke Neitzel, stand die Bundeswehr im Zenit ihrer Kampfkraft. Für mich und die meisten Männer meiner Generation war sie zudem ein vertrauter und präsenter Teil unseres Lebens. Ältere Freunde und Brüder waren schon beim Bund gewesen, im Herbst rollten bei uns während der Manöver Panzer über Straßen und Felder. Auch meine Cousins und Onkel waren mal Wehrpflichtige, Berufs- oder Zeitsoldaten. In der DDR war es wohl nicht viel anders.
Nach 40 Jahren wieder Soldat
Letzten Monat war ich nach vierzig Jahren wieder Soldat. Wir trugen Flecktarn, wurden alle für die sechs Tage zu Oberleutnants ernannt und gelobten – zum ersten oder wiederholten Mal in unserem Leben, „der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des Deutschen Volkes tapfer zu verteidigen“.
Wir, das waren achtundzwanzig zivile Führungskräfte zwischen 35 und 65 Jahren aus ganz Deutschland. Aus Erfurt und Düsseldorf, vom Bodensee, aus Eutin, mehrere aus Berlin. Aus Finanzbehörden und Kommunen, aus Industrie- und Handelskammer, Automobilzulieferer und Baumarktkette, kommunalem Energieversorger, Universität und Medien. Aus Deutschem Roten Kreuz und dem Rüstungs- und Sicherheitsbereich. Mehr Männer als Frauen, mehr Ungediente als ehemalige Soldaten, die an der Logistikschule der Bundeswehr in Osterholz-Scharmbeck an einer sogenannten Dienstlichen Veranstaltung teilgenommen haben.
Unmittelbare Eindrücke aus ausgewählten Teilen soldatischen Lebens sollen uns dabei helfen, künftig im eigenen Einflussbereich als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren für die Bundeswehr wirken zu können, schreibt die Bundeswehr dazu auf ihrer Webseite.
Zwischen dem Frühstück um 6:30 Uhr und dem Dienstende um 22:00 Uhr durchliefen wir ein abwechslungsreiches Programm von Vorträgen und militärischer Ausbildung, der zur Verfügung stehenden Zeit angepasst. Wir erhielten Einblicke in die Kompetenzorientierte Ausbildung an der Logistikschule, Training mit Augmented Reality und der Virtual Battlespace-Umgebung. Wir schossen mit dem Gewehr 36, dem Maschinengewehr 3 und der Pistole 8, bekamen die neue persönliche Ausrüstung der Soldaten vorgestellt und die Verfahren und Mittel zur medizinischen Erstversorgung von Verwundeten auf dem Gefechtsfeld erläutert. Zum Operationsplan Deutschland, der die zivil-militärische Zusammenarbeit in Krise und Krieg regelt, trug ein General aus dem Verteidigungsministerium in einem öffentlichen Vortrag vor, zu dem 400 Gäste in die Kaserne kamen.
An allen Tagen hatten wir Gelegenheit, mit Soldatinnen und Soldaten zu sprechen. In den Pausen zwischen Vorträgen, beim abendlichen Biwak, zwischen den Schießstationen, in der Online-Schalte nach Bagdad. Mit Mannschaftsdienstgraden und Feldwebeln, vielen Oberleutnants. Die Gespräche waren informativ, unsere Gesprächspartner sehr freundlich und uns zugewandt. Initiative zeigen, ergebnisorientiert vorgehen, das Beste aus der Lage machen, hörten wir immer wieder. Oft aber auch, wie schwerfällig und bürokratisch die Bundeswehr ist. Der Bundesrechnungshof schrieb in diesem Jahr, die deutsche Armee sei zu „kopflastig“.
Kriegstüchtigkeit und Stiftungssektor: Geht uns das etwas an?
Seit über 25 Jahren bin ich beruflich als Geschäftsführer der Stiftung Aktive Bürgerschaft im gemeinnützigen Bereich zuhause. Ich beschäftige mich mit Bürgerstiftungen, ehrenamtlichem Engagement in Schulprojekten, Unternehmensengagement. Ich berate, schreibe Artikel, halte Vorträge, führe ein Team von zwanzig Kolleginnen und Kollegen.
Dass ich neben einem Geschäftsführer aus dem DRK der einzige Teilnehmer aus dem gemeinnützigen Bereich bei der Bundeswehr war, hat mich nicht überrascht. Militär kommt in unserem Alltag praktisch nicht vor.
Doch der Angriff Russlands auf die Ukraine hat vieles verändert. Krieg ist in Europa wieder möglich geworden. Die Bundesregierung nimmt viel Geld in die Hand, um die Bundeswehr kriegstüchtig zu machen, wie Verteidigungsminister Boris Pistorius es formuliert hat. Bundeskanzler Friedrich Merz hat vor einigen Wochen gesagt: „Wir sind nicht im Krieg, aber wir sind auch nicht mehr im Frieden.“ Gemeint sind die hybriden Angriffe Russlands auf Deutschland und Europa. Spionage, Sabotage, Ausspähung, Desinformation, vielleicht sogar bereits Anschläge. Im Oktober haben die Chefs der Nachrichtendienste im Bundestag in Berlin bei einer Anhörung davor gewarnt.
Nach der Deutschen Einheit ist die Bundeswehr immer weiter verkleinert, viele sagen, kaputtgespart worden, zur Landes- und Bündnisverteidigung nicht mehr fähig. Um kriegstüchtig zu sein, braucht es aber mehr als die Anschaffung von Waffensystemen und Munition. Es braucht Wehrfähigkeit und Wehrwilligkeit. Die wird nur zu erreichen sein, wenn die Bundeswehr wieder zum selbstverständlichen Teil unserer Gesellschaft und unseres Lebens wird und wir auch die Zivilverteidigungsaufgaben ernst nehmen.
Geht den Stiftungssektor das etwas an?
Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine sammeln wir von der Stiftung Aktive Bürgerschaft Spenden für die ukrainischen Bürgerstiftungen und stehen mit Kolleginnen und Kollegen in Kiew im Austausch. Auch andere gemeinnützige Organisationen unterstützen die Ukraine. Stiftungen können auch mit ihrem Kapital wirken und hier sind die Möglichkeiten nicht von den gemeinnützigen Zwecken der Abgabenordnung begrenzt. Wir könnten uns damit auseinandersetzen, ob Vermögensanlagen beispielsweise in deutsche Rüstungsfirmen, in den Schutz der kritischen Infrastruktur, in den Wiederaufbau der Ukraine möglich sind. Natürlich spielen die Sicherheit der Vermögensanlage und auch der Ertrag eine Rolle, zu beidem sind wir stiftungsrechtlich verpflichtet.
In unseren Nachrichten für Engagierte stellt die Stiftung Aktive Bürgerschaft regelmäßig Engagementprojekte und -themen vor und behandelt diese vor dem Hintergrund gesellschaftlich relevanter Themen. Auch im Umfeld der Bundeswehr gibt es gemeinnützige Organisationen. Soziale Hilfswerke und Stiftungen, die Reservisten- und Veteranenorganisationen, den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge oder das Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte. Wir könnten uns mehr mit diesem Bereich beschäftigen.
Im vergangenen Jahr hat die Bundesregierung die 35 Jahre alten Rahmenrichtlinien für die Gesamtverteidigung überarbeitet. Hierin werden Maßnahmen und Strukturen beschrieben, um die Unabhängigkeit und Souveränität Deutschlands in Krisen- und Konfliktzeiten zu sichern. Nicht nur das DRK und die anderen Blaulichtorganisationen kommen hier vor. Auch beispielsweise die Kultureinrichtungen in Deutschland. Sie sollen Notfallverbünde bilden und in der Lage sein, Maßnahmen zur Rettung von Kulturgütern durchzuführen.
Neben dieser konkreten Ebene spielt für mich die Frage nach der Kriegstüchtigkeit auch noch auf einer anderen Ebene eine Rolle. Es ist eine Frage der Haltung. In unseren Debatten über gesellschaftlichen Zusammenhalt sprechen wir viel über Demokratie, Bildung und Teilhabe. Aber Zusammenhalt zeigt sich auch darin, dass wir bereit sind, unser Land und die Menschen, die hier leben, zu verteidigen. Wie auch immer man dazu steht: Damit sollten auch wir im Stiftungssektor uns auseinandersetzen und Position beziehen.
Feedback gerne an stefan.naehrlich@aktive-buergerschaft.de oder auf LinkedIn.
Dr. Stefan Nährlich ist Geschäftsführer und Mitglied des Vorstands der Stiftung Aktive Bürgerschaft.






