„Whatever it takes“ – aber mit Verstand
https://www.aktive-buergerschaft.de/wp-content/uploads/2023/06/NaehrlichStefan_q-1024x576.png 1024 576 Stiftung Aktive Bürgerschaft Stiftung Aktive Bürgerschaft https://www.aktive-buergerschaft.de/wp-content/uploads/2023/06/NaehrlichStefan_q-1024x576.pngZeitenwende bitte auch für die Zivilgesellschaft: Das bürgerschaftliche Engagement muss endlich von bürokratischer Behinderung befreit und mit modernen Rahmenbedingungen zukunftsfähig gemacht werden. Wie bei der Bundeswehr und der Infrastruktur sind die Probleme seit vielen Jahren bekannt, ohne dass sich etwas geändert hätte. Es braucht jetzt eine Regierung, die beherzt eine Neujustierung anpackt.
Von Stefan Nährlich
„Angesichts der Bedrohungen unserer Freiheit und des Friedens auf unserem Kontinent muss jetzt auch für unsere Verteidigung gelten: whatever it takes!“ Dieser Satz von Friedrich Merz ging Anfang März 2025 durch die Medien. Zwei Wochen später sind milliardenschwere Finanzpakete für Verteidigung und Infrastruktur von Bundestag und Bundesrat beschlossen worden. Gut so!
Unser Land braucht aber nicht nur eine kriegstüchtige Bundeswehr und eine moderne Infrastruktur, unser Land braucht auch eine vitale Zivilgesellschaft. Dazu gehören nicht nur engagierte Menschen, dazu gehören auch moderne Rahmenbedingungen. Hier besteht Handlungsbedarf. Die Zahl der Engagierten stagniert seit 20 Jahren, ehrenamtlich ein Vorstandsamt übernehmen wollen immer weniger Menschen. Beim Thema Geld sieht es nicht viel besser aus. Die Zahl der Spender ist rückläufig, staatliche Förderungen sind kompliziert. Aufwärts geht es nur noch bei Regulierungen. Davon gibt es jedes Jahr mehr.
Die neue Bundesregierung sollte sich die Stärkung der Zivilgesellschaft mit den gleichen Ambitionen auf die Fahne schreiben wie die Verbesserung der Verteidigungsfähigkeit und der Infrastruktur. „Whatever it takes“, aber mit Verstand. Lediglich die Etats von Förderprogrammen zu erhöhen oder zu kürzen, bringt keinen Vitalitätsschub und keine resilientere Zivilgesellschaft hervor. Weitere Anhörungen und Ausschusssitzungen, um lediglich die Ehrenamts- und Übungsleiterpauschale zu erhöhen und die notarielle Beglaubigung von Anträgen auf Satzungsänderung oder Vorstandswechsel abzuschaffen, wie es sich CDU/CSU in ihr Wahlprogramm geschrieben haben, wären nur verschwendete Zeit.
Notwendig ist nicht nur eine materielle Zeitenwende, notwendig ist auch eine mentale Zeitenwende. Neue Ideen und Richtungsentscheidungen in drei substanziellen Bereichen werden gebraucht:
1. Nachwuchs für bürgerschaftliches Engagement in den vielen Vereinen, Stiftungen und Initiativen gewinnen wir durch Service-Learning-Programme an Schulen und Hochschulen. Und zwar nachhaltig, denn mit Service Learning wird Engagement Teil des Unterrichts und der Lehre. Gute Beispiele und erfahrene Partner in der Zivilgesellschaft gibt es hierfür bereits. Das Service-Learning-Programm sozialgenial der Stiftung Aktive Bürgerschaft bietet einen leistungsfähigen, skalierbaren und für die Schulpraxis alltagstauglichen Ansatz. Die von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier angestoßene Diskussion um eine soziale Dienstpflicht ist hier nicht zielführend. Denn sie verschleiert, worum es eigentlich geht: um Soldatinnen und Soldaten für die Bundeswehr. Das Anliegen ist richtig, das Instrument dafür nicht.
2. Auch gemeinnützige Organisationen brauchen Geld. Neben privaten Spenden gehören staatliche Fördermittel zum üblichen Einnahmen-Mix. Leider sind staatliche Förderprogramme nicht nur bürokratisch in Beantragung, Mittelverwendung und Nachweis, sondern sie folgen oft auch politischen Präferenzen und setzen falsche Anreize. Idealerweise sollten Bürgerinnen und Bürger selbst über finanzielle Förderungen des bürgerschaftlichen Engagements entscheiden. In Polen und anderen Staaten hat der Gesetzgeber die Möglichkeit geschaffen, dass Steuerzahler ein oder zwei Prozent ihrer Einkommen- bzw. Lohnsteuer direkt einer gemeinnützigen Organisation ihrer Wahl zukommen lassen können und nicht dem Staat. Ein erster Schritt in ein solches System in Deutschland sollte eine neue Förderlogik sein, die Anreize für die Mobilisierung privater Spenden und Stiftungsmittel setzt. Dies könnte durch ein matching geschehen, in dem der Staat einen Euro öffentliche Fördermittel für jeden Euro aus privaten Spenden gibt. Auch eine höhere steuerliche Absetzbarkeit der Zuwendungen für bestimmte Organisationen, die sich durch privates Engagement auszeichnen, wie beispielsweise die Bürgerstiftungen, wäre ein Ansatz.
3. Die zunehmende Bürokratie ist für die große Mehrheit gemeinnütziger Organisationen zu einem Hauptproblem geworden, wie Umfragen und Studien zeigen. Sie belastet die zeitlichen Ressourcen Engagierter und wirkt sich negativ auf die Motivation aus. Seit langem liegen zahlreiche gute Reformvorschläge von Verbänden und Netzwerken vor. Doch die als Fortschrittskoalition angetretene letzte Bundesregierung aus SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen hat nichts in dieser Richtung unternommen, obwohl sie sich die Aufgabe in den Koalitionsvertrag geschrieben hatte. Die Vorgängerregierung war auch schon der Meinung, man müsste hier etwas tun. Jetzt gilt es, endlich einmal beherzt anzupacken. Bürokratieabbau findet nicht im Konjunktiv statt.
Dr. Stefan Nährlich ist Geschäftsführer und Mitglied des Vorstands der Stiftung Aktive Bürgerschaft.
Kommentar von Dr. Stefan Nährlich für bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte, Ausgabe 264 – März 2025 vom 1.4.2025
Foto: Werner Kissel / Stiftung Aktive Bürgerschaft