Kommentar: Wenn Interessen auf Gemeinsinn treffen

Was ist eigentlich Bürgerengagement und warum ist es nicht egal, was die Regierung darunter versteht?

Von Stefan Nährlich

Bürgerschaftliches Engagement ist wichtig für unsere Gesellschaft, da sind sich alle einig. Bei der Frage, was Bürgerengagement ist, kann die Einigkeit jedoch schnell zu Ende gehen. Hier eine Auswahl der Interpretationen:

Mir schrieb vor vielen Jahren einmal jemand als Reaktion auf einen Artikel über bürgerschaftliches Engagement, das sei alles kalter Kaffee, in der DDR habe es das früher auch gegeben. Das habe sich Subbotnik genannt und sei ein freiwilliger und unbezahlter Arbeitseinsatz am Wochenende gewesen. Wer in der DDR lebte, wird mir vielleicht zustimmen, dass das mit Freiwilligkeit nicht viel zu tun hatte.

Im Bundestag kam, kurz nachdem der Bundesfreiwilligendienst eingeführt wurde, ein Streit über die Versteuerung des Taschengeldes und des Wohngeldes auf. Es könne nicht sein, so die SPD, dass Menschen, die sich für das Gemeinwohl engagierten, auch noch steuerlich belastet würden. Wolfgang Schäuble, CDU, damals Bundesfinanzminister, antwortete darauf, auch er arbeite für das Gemeinwohl und es komme wohl niemand auf die Idee, dass Politiker keine Steuern zahlen müssten.

Unruhe im Unterausschuss

Vor einigen Wochen kam Unruhe im Unterausschuss Bürgerschaftliches Engagement des Deutschen Bundestages auf. Die Mitglieder der CDU/CSU-Bundestagsfraktion erklärten, sie wollten kein gemeinsames Papier mit den Regierungsparteien zum Bürgerengagement verfassen, weil sie schon bei der Definition, was Bürgerengagement sei, auseinanderlägen.

Die Reihe der Beispiele könnte man lange fortsetzen. Trotz Definitionen zum Thema in einschlägigen Regierungsdokumenten und wissenschaftlichen Publikationen.

Und, so könnte man fragen, wo ist das Problem, wenn es verschiedene Meinungen dazu gibt? Engagement ist kein interessenloser Raum und auch kein wertefreier Raum. Probleme entstehen, wenn Gesetze und Regelungen, Förderungen und politische Strategien auf unterschiedliche Interessen und Wertvorstellungen treffen.

Sozialunternehmer möchten mit ihrem Geschäftsmodell die Welt retten, Geld verdienen und gleichzeitig aber auch gemeinnützig sein, um Spenden annehmen zu können. Die Wohlfahrtsverbände sind strikt dagegen. Aus Überzeugung, dass Gemeinnützigkeit und Gewinnstreben nicht vereinbar sind, aber auch, um sich Konkurrenz vom Hals zu halten.

Wo sich nicht mehr genug Ehrenamtliche finden, wird zunehmend mit Geld nachgeholfen. Die einen sehen dazu keine Alternative mehr, um ihre Angebote und Einrichtungen weiter aufrechtzuerhalten, die anderen empfinden das als ungerecht. Manche kommen jetzt wegen des Geldes, andere bleiben wegen eben dieses Geldes, das andere bekommen, weg.

Gut ist, was vor Ort nützt

Das Bundesfamilienministerium arbeitet gegenwärtig an einer neuen Engagementstrategie der Bundesregierung, die im kommenden Jahr vorgestellt werden soll. Wenn sie nicht das gleiche Schicksal der Bedeutungslosigkeit wie das letzte Papier erleiden soll, sollte die neue Strategiepapier zwei Bedingungen erfüllen: Sie sollte ein klares ordnungspolitisches Konzept über Bürgerengagement beinhalten und eine konsequente Orientierung an dem, was den Engagierten vor Ort hilft und nützt.

Vielleicht hilft dabei den Politikern und Experten ein Blick darauf, was die Menschen vor Ort über bürgerschaftliches Engagement denken. Uns jedenfalls interessiert das, und so haben wir unsere Partner in Bürgerstiftungen, sozialgenial-Schulen und Genossenschaftsbanken genau das gefragt: Was ist heute aus Ihrer persönlichen Sicht die Aufgabe von Bürgerengagement?

Die Antworten lesen Sie hier.

Dr. Stefan Nährlich ist Geschäftsführer und Vorstandsmitglied der Stiftung Aktive Bürgerschaft.

Kommentar von Dr. Stefan Nährlich für bürgerAktiv – Nachrichtendienst Bürgergesellschaft, Ausgabe 250 – November-Dezember 2023 vom 13.12.2023

 

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