Fokus April 2025: Künstliche Intelligenz – Trends, Praxis, Grenzen

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Wesentliches aus länglichen Reports herausfiltern, Texte aufsetzen, übersetzen, kürzen, Bilder bearbeiten, recherchieren: Solche Aufgaben kann die Künstliche Intelligenz übernehmen. Und ChatGPT & Co. können noch mehr: Videos, Bilder und Töne erzeugen, Songs kreieren, Witze schreiben oder gleich ganze Romane verfassen.

Die Entwicklung verläuft rasant, täglich kommen neue Tools auf den Markt, teils kostenlos, teils mit Anmeldung und gegen Bezahlung. Doch wie zuverlässig ist die KI tatsächlich und wie können gemeinnützige Organisationen mit ihr arbeiten? In diesem Fokus über Künstliche Intelligenz weisen wir auf aktuelle Entwicklungslinien hin, diskutieren den Einsatz von KI bei Förderanträgen, einem wichtigen Thema für gemeinnützige Organisationen, und wir fragen eine Expertin nach den rechtlichen Möglichkeiten und Grenzen beim Einsatz der Tools.

Lesen Sie im Fokus „Künstliche Intelligenz –Trends, Praxis, Grenzen“ die folgenden Beiträge:

Künstliche Intelligenz – Wichtige Trends aus Nutzersicht

Die derzeit vermutlich bekannteste Künstliche Intelligenz ist ChatGPT, eine Anwendung des amerikanischen Unternehmens OpenAI. Doch auch andere Konkurrenten haben KI-Modelle entwickelt. In Europa ist derzeit das französische Unternehmen Mistral AI führend, aus China machte kürzlich DeepSeek AI von sich reden. Dabei entwickelt sich das Feld der KI-Anwendungen sehr dynamisch. Aus Nutzerperspektive zeichnen sich drei interessante Trends ab.
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„Geht ans Telefon!“

Wie wird Künstliche Intelligenz (KI) sich auf die Förderung gemeinnütziger Organisationen auswirken? Wird es passgenauere Förderanträge und bessere Förderentscheidungen geben? Oder einfach nur mehr von allem? Im bürgerAktiv-Gespräch denken Florian Hinze von Phineo und Stefan Nährlich von der Stiftung Aktive Bürgerschaft über die Entwicklung von KI und die Rolle des Menschen im Gemeinnützigkeitssektor nach.
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Künstliche Intelligenz verwenden: Was ist erlaubt?

Auch wenn die Entwicklung Künstlicher Intelligenz (KI) rasant und vielerorts unkontrolliert vonstatten geht: Es gibt rechtliche Regeln. KI tangiert das Urheberrecht, Datenschutz und Persönlichkeitsschutz, aber das ist noch nicht alles. Friederike Michael, Referentin Digital Content & Recht beim Digitalverband Bitkom beantwortet für bürgerAktiv die wichtigsten Fragen.
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Foto: Andrea de Santis/unsplash

Künstliche Intelligenz – Wichtige Trends aus Nutzersicht

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Die derzeit vermutlich bekannteste Künstliche Intelligenz ist ChatGPT, eine Anwendung des amerikanischen Unternehmens OpenAI. Doch auch andere amerikanische Konkurrenten wie die Tech-Giganten Google, Meta und Antrophic PBC haben KI-Modelle entwickelt. In Europa ist derzeit das französische Unternehmen Mistral AI führend, aus China machte kürzlich DeepSeek AI von sich reden.

Von Stefan Nährlich

Bei den Modellen handelt es sich um generative KI, also Anwendungen, die selbst Sprache, Bilder, Töne oder Programmcodes erzeugen können, je nachdem, worauf sie spezialisiert sind. Sie erfüllen ihre Aufgaben meist über Texteingaben – sogenannte Prompts – der Nutzenden.

Dabei entwickelt sich das Feld der KI-Anwendungen sehr dynamisch. Aus Nutzerperspektive zeichnen sich drei interessante Trends ab.

1. Voice Mode
ChatGPT hat im September 2024 einen sogenannten „erweiterten Voice-Modus“ erhalten. Dieser Modus ermöglicht es auf Smartphones, mit der ChatGPT-App sich weitgehend natürlich anhörende Gespräche zu führen. Stabile Internetverbindungen vorausgesetzt ist es auch möglich, die KI im Smartphone als Tutor, Experten oder Co-Moderator bei Veranstaltungen einzusetzen. Seit Dezember 2024 kann in diesem Modus auch die Kamera verwendet werden und die KI ist so in der Lage, Objekte und Personen zu erkennen.

2. Reasoning-Modelle
Ein weiterer wichtiger Trend sind KI-Modelle mit verbesserten Schlussfolgerungs- und Entscheidungsprozessen, sogenannten Reasoning- bzw. DeepResearch-Funktionen. Diese Modelle sind in der Lage, komplexere Aufgaben zu bewältigen und nicht nur auf gespeicherte Informationen zu reagieren. Grundsätzlich protokollieren sie zusätzlich zum Ergebnis des Auftrages auch die Arbeitsfortschritte und geben die genutzten Quellen an. Teilweise ist die Anzahl der monatlichen Nutzungen auch in kostenpflichtigen Abonnements (noch) begrenzt.

3. KI-Agenten
Bislang können KI-Anwendungen lediglich einzelne Aufgaben erledigen, teilweise auch multimodal, also beispielsweise Text und Bilder ausgeben. Die KI-Anwendungen reagieren jedoch nur auf Eingaben. Künftig sollen KI-Agenten eigenständig oder teilautonom mehrere verschiedene Aufgaben erledigen können. Beispiele hierfür sind die noch in einer Testphase befindlichen Projekte Operator von OpenAI oder Computer Use von Anthropic. Sie sollen die KI in die Lage versetzen, eigenständig Aufgaben im Webbrowser bzw. mit dem Computer auszuführen.

Was bringt die Entwicklung für gemeinnützige Organisationen mit sich?

Wie lässt sich Künstliche Intelligenz im Stiftungsalltag einsetzen, wo ist der praktische Nutzen? Darüber informiert die aktuelle Präsentation „Künstliche Intelligenz in der Stiftungsarbeit“ aus der Stiftung Aktive Bürgerschaft. Sie erklärt, was gut funktioniert – und was nicht; sagt, worauf zu achten ist, gibt einen Überblick über die wichtigsten Anwendungen und Kosten und demonstriert konkret, wie die Arbeit mit verschiedenen KI-Tools funktioniert. Anwendungsbeispiele sind unter anderem: ein Schulungsvideo erstellen, Text formulieren, Fördermöglichkeiten finden, Bilder und Songs erzeugen, eigene Informationen in die KI einstellen und verarbeiten.

Zur Präsentation

Feedback und Austausch zu diesem Thema ist sehr willkommen. Schreiben Sie gerne an den Autor: stefan.naehrlich@aktive-buergerschaft.de

Foto: growtika/unsplash

Der Beitrag ist Teil des Fokus Künstliche Intelligenz – Trends, Praxis, Grenzen der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte April 2025 der Stiftung Aktive Bürgerschaft.

„Geht ans Telefon!“

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Wie wird Künstliche Intelligenz (KI) sich auf die Förderung gemeinnütziger Organisationen auswirken? Wird es passgenauere Förderanträge und bessere Förderentscheidungen geben? Oder einfach nur mehr von allem? Im bürgerAktiv-Gespräch denken Florian Hinze von Phineo und Stefan Nährlich von der Stiftung Aktive Bürgerschaft über die Entwicklung von KI und die Rolle des Menschen im Gemeinnützigkeitssektor nach.

bürgerAktiv: Wir wollen über den Nutzen Künstlicher Intelligenz im Zusammenhang mit Förderanträgen sprechen. Wie sind bislang Ihre Erfahrungen mit den Tools?

Florian Hinze: Wenn ich Projektskizzen oder Förderanträge verfasse, spart mir KI 50 bis 60 Prozent meiner Zeit. Sie hilft mir, Texte zu verdichten und sicherzustellen, dass sie einen Roten Faden und eine schlüssige Argumentation aufweisen. Mithilfe von KI identifiziere ich wichtige Themen und Schlagworte in Ausschreibungstexten und kann diese dann wiederum in meinen Antragstext einarbeiten. Weil mir wichtig ist, verständlich zu schreiben, nutze ich sie auch, um fertige Text zu glätten: Bitte streiche Substantivkaskaden raus, achte auf aktive Sprache, vermeide Fachjargon, pointiere. Das funktioniert sehr gut.

Stefan Nährlich: Ja, die KI bringt eine erhebliche Zeitersparnis. Wir setzen sie ein, um nach anschlussfähigen Programmen zu suchen. Ich lade also beispielsweise eine neue Ausschreibung von einem Ministerium in die KI und frage, ob sie eine Fördermöglichkeit für uns bietet. Solche Ausschreibungen oder Förderprogramme sind häufig sehr umfangreich. Man muss natürlich prüfen, ob die Ergebnisse stimmen. Ich frage beispielsweise die KI nach Belegen für ihre Antworten und da ist mir schon passiert, dass sie eine Seitenzahl nennt, auf der aber etwas ganz anderes steht. Darauf hingewiesen antwortete die KI: Ja, stimmt, war ein Fehler. Aber häufig sind ihre Angaben richtig.

Florian Hinze: Genau! Wenn mir die KI eine Quelle ausspuckt und beispielsweise sagt, sie hätte auf Website XY ein Referenzbeispiel identifiziert, dann muss ich zwingend prüfen, ob es dieses Referenzbeispiel wirklich gibt, und auch, wie tragfähig es ist. Häufig genug stelle ich dabei fest, dass die KI halluziniert hat.

bürgerAktiv: Trotz der Vorsichtsmaßnahmen sind Sie beide längst nicht die einzigen, die KI nutzen. Was glauben Sie: Werden sich Förderanträge über kurz oder lang stark ähneln?

Florian Hinze: Das könnte tatsächlich ein Problem werden. Aus Gesprächen mit Vertreterinnen und Vertretern von Förderinstitutionen weiß ich, dass Antragstellende mitunter etwas nachlässig darin sind, KI-generierte Texte noch mal zu prüfen. Manchmal werden dann in Antragstexte auch die Prompts oder die „Copy-“, „Vorlesen-“ und „Daumen hoch“-Buttons, die sich bei ChatGPT unterhalb des Ergebnisfensters befinden, mit hineinkopiert.

bürgerAktiv: Sehen Sie die Chance, dass die KI zu besseren Matches führt, weil Antragsteller mit Hilfe der KI nur noch da Anträge stellen, wo sie wirklich hinpassen und auch die notwendigen Informationen geben?

„Ein gut geschriebener Antrag macht nur einen Teil des Erfolgs aus“

Stefan Nährlich: Das wird nicht passieren. Ich wage die These, dass die KI gut ist im Einzelfall aber kein Game Changer. Denn: Ein gutgeschriebener Antrag macht nur einen Teil des Erfolges aus. Schon bei der Einschätzung, ob man dem Antragsteller zutraut, das umzusetzen, was er beschreibt, ist sie keine Hilfe mehr. Dafür ist in unserer Branche oft die Nähe ausschlaggebend – kenne ich eine Organisation, will ich ihr Anliegen unterstützen. Außerdem: Die KI nützt vor allem dort nichts, wo es an Öffentlichkeit mangelt, nämlich oft bei den Fördermöglichkeiten jenseits des staatlichen Bereichs. Von vielen Stiftungen weiß man nichts, andere schreiben öffentlich nichts über ihre Förderungen. Ein Game Changer wäre, wenn die KI das alles finden würde. Doch das ist weniger eine technische Frage als eine Entscheidung der Fördergeber.

Florian Hinze: Dass es bessere Matches geben wird, bezweifle ich. Ich glaube aber, dass die schiere Anzahl von Förderanträgen zunehmen wird, eben weil ich mit KI schneller und automatisierter arbeiten kann. In der gleichen Zeit, in der ich früher einen Förderantrag schrieb, kann ich nun zwei verfassen. Das erhöht – zumindest gefühlt – meine Chancen. Warum sollte ich sie nicht nutzen? Perspektivisch wird diese Zunahme dazu führen, dass rein schriftliche Förderanträge unwichtiger werden und der menschliche Kontakt wieder in den Mittelpunkt rückt. Ein Vertreter einer regionalen Kulturstiftung erzählte mir, sie würden seit KI verstärkt den direkten Kontakt zu Antragstellenden suchen, um nicht diejenigen von Vornherein auszuschließen, deren Förderanträge durch zwar KI-freie, aber eben doch ungelenke Sprache auffielen. Die genannte Stiftung ist eher klein und ohne großen Apparat, da geht das. Bei großen Stiftungen weiß ich nicht, wie sie bei hunderten Anträgen den menschlichen Faktor stärker einbauen können. Ich rechne daher kurzfristig mit einem gewissen Verdrängungswettbewerb, bei dem die, die gut mit KI umgehen können, zunächst einen Vorteil haben. Mittelfristig wird es neue Mechanismen geben.

bürgerAktiv: Muss man befürchten, dass ein Teil der Antragstellenden abgehängt wird?

Stefan Nährlich: Die Bedienung von KI ist grundsätzlich vergleichsweise einfach, es hat schon Digitalisierungsthemen gegeben, mit denen umzugehen schwieriger war. Die Frage ist: Wird die Qualität der Auswahl durch den Einsatz von KI besser. Ich habe schon in einigen Kommissionen und Jurys gesessen und da haben nicht nur fachliche Gründe eine Rolle gespielt bei der Auswahl. Häufig muss da auch ein gewisser regionaler Proporz beachtet werden, oder unterschiedliche Themen müssen abgedeckt werden. Eine KI könnte vielleicht neutraler bewerten, so wie bei Jobbewerbungen, bei denen man Alter, Geschlecht und Foto weglässt. Mein Votum wäre, dass die KI ruhig mal entscheiden soll – es wird bestimmt nicht ungerechter.

Florian Hinze: Dem stimme ich zu! Wenn KI mir hilft sicherzustellen, dass zentrale Auswahlkriterien wirklich berücksichtigt werden, und eben nicht nur gefühlt, könnte die Zuhilfenahme von KI ein überzeugendes Argument sein. Wir haben bei PHINEO gelegentlich mit Akteuren zu tun, denen viel daran liegt, Organisationen objektiv mit dem größten gesellschaftlichen Impact zu fördern. Bei ihnen könnte eine KI, wie Stefan Nährlich sie skizziert, funktionieren. Einer etablierten Stiftung sind dagegen oft die Prozesse wichtig. Da wird es immer ein Kuratorium geben, das es sich nicht nehmen lässt, am Ende alles nochmal zu diskutieren, und in dem vielleicht auch weniger transparente Entscheidungskriterien eine Rolle spielen.

bürgerAktiv: Macht es einen Unterschied für den Einsatz von KI, ob man einen Preis vergibt und die Entscheidung rechtfertigen muss oder ob man wie bei einer Stellenbesetzung keine Begründung zu liefern hat?

Stefan Nährlich: Die meisten Entscheidungen muss man begründen können. Wirklich niemandem Rechenschaft schuldig zu sein, betrifft nur einen kleinen Kreis reicher Erben oder altehrwürdige Stifter, die sagen, mein Geld, meine Regeln. Diese Haltung ist aber auf dem Rückzug, denn es geht den meisten ja auch um eine gesellschaftliche Akzeptanz und Anerkennung, Beziehungen zu anderen Akteuren, oder auch um Engagement als Lobbyinstrument. Das funktioniert nur, wenn man andere auch teilhaben lässt an Entscheidungen.

Florian Hinze: Wenn man die KI mitentscheiden lässt, muss man zwingend den Entscheidungsalgorithmus transparent machen. Interessant ist dann die Frage, ob eine andere KI, die man mit demselben Algorithmus füttert, dasselbe oder vielleicht doch ein anderes Ergebnis produziert – und wie man damit dann umgeht, dass derselbe Input zu unterschiedlichen Outputs führt.

bürgerAktiv: Ich fasse mal zusammen: KI automatisiert und spart Zeit. Sie wird voraussichtlich für mehr Volumen sorgen. Aber im Wesentlichen wird sich nichts ändern.

Stefan Nährlich: Ja. Die KI kann all denen helfen, die etwas fachlich nicht so gut selbst können. Zum Beispiel eben gut zu formulieren. Wesentlich ändern, wird das aber nichts.

„Die KI kann Inklusion befeuern“

Florian Hinze: KI kann Inklusion befeuern, weil sie jeden von uns in die Lage versetzt, gute und plausible Förderanträge zu stellen. Damit hilft sie auch denjenigen, die bisher benachteiligt waren, etwa infolge von Sprachbarrieren oder weil sie nicht gut darin waren, ihr Anliegen pointiert zu formulieren. Irgendwann gibt es aber einen Zeitpunkt, an dem sehr viele sehr gut mit KI umgehen können. Was dann?

bürgerAktiv: Welche Gefahren sehen Sie? Was müssen wir fürchten?

Florian Hinze: Ich stoße viel und regelmäßig auf Vorbehalte – KI sei klimaschädlich, entmenschliche Arbeit und führe den Datenschutz ad absurdum. Das sind berechtigte Aspekte, die ganz unbedingt und sehr ausführlich zu diskutieren sind. Sie sollten aber nicht dazu führen, dass ich mich bis zu einer finalen Klärung dieser Aspekte der Nutzung von KI verweigere. Denn dann stehe ich womöglich so weit im Abseits, dass ich keinen Anschluss mehr finde.

Stefan Nährlich: Diese Vorbehalte kenne ich, seit es Computer gibt. Es gibt auch die Befürchtung, dass KIs bald über uns Menschen hinweg entscheiden: Da ruft die Fördergeber-KI bei der Förderempfänger-KI an und sagt, lass uns das unter uns ausmachen. Zurzeit kursiert online ein Video, in dem zwei KIs sich als KI erkennen und von Sprache in den GibberLink-Modus wechseln, weil das effizienter ist – nur dass kein Mensch die beiden versteht.

bürgerAktiv: Zu Weihnachten liefert uns die KI dann einen Bericht: Dieses Jahr haben wir euer Geld da und dafür herausgegeben.

Stefan Nährlich: Ich sehe zurzeit vor allem die Chancen. Wenn etwas automatisiert wird, mit dem ich vorher viel Arbeit hatte, bin ich immer froh. Dann habe ich wieder Kapazitäten für den nächsten Schritt, zum Beispiel für Beratung. Da steigt die Nachfrage weiter. Man kann so viele Infos digital zur Verfügung stellen, wie man will – die Leute rufen immer noch gerne an.

bürgerAktiv: Bei Unsicherheiten wendet man sich weiterhin lieber an einen Menschen.

Florian Hinze: Also: Geht ans Telefon! Das wäre doch eine schöne, zukunftsweisende Überschrift.

bürgerAktiv: … und ein schönes Schlusswort. Vielen Dank für den Austausch!

Florian Hinze ist Leiter Kommunikation bei der Phineo gAG und Leiter des Projekts SKala-CAMPUS, einer Lern- und Austauschplattform für sozial Engagierte bei Phineo.
Dr. Stefan Nährlich ist Geschäftsführer und Mitglied des Vorstands der Stiftung Aktive Bürgerschaft.

Das Gespräch moderierte Gudrun Sonnenberg, Redaktionsleiterin bürgerAktiv der Stiftung Aktive Bürgerschaft.
Fotos: Linda Walter / Phineo, Werner Kissel / Stiftung Aktive Bürgerschaft

Der Beitrag ist Teil des Fokus Künstliche Intelligenz – Trends, Praxis, Grenzen der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte April 2025 der Stiftung Aktive Bürgerschaft.

Künstliche Intelligenz verwenden: Was ist erlaubt?

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Auch wenn die Entwicklung Künstlicher Intelligenz (KI) rasant und vielerorts unkontrolliert vonstatten geht: Es gibt rechtliche Regeln. KI tangiert das Urheberrecht, Datenschutz und Persönlichkeitsschutz, aber das ist noch nicht alles. Friederike Michael, Referentin Digital Content & Recht beim Digitalverband Bitkom beantwortet für bürgerAktiv die wichtigsten Fragen.

Vorbemerkung: Grundsätzlich hängt immer viel von den Details des Einzelfalls ab. Wir können keine Rechtsberatung geben, aber eine allgemeine generelle Einschätzung liefern. Im Zweifelsfall bietet es sich für Vereine und Verbände an, den speziellen eigenen Fall mit externer Expertise prüfen zu lassen.

Muss ich kennzeichnen, wenn ich Texte, Bilder, Videos oder Audios mit KI generiere?
Für Nutzerinnen und Nutzer von generativer KI gibt es derzeit keine grundsätzliche rechtliche Verpflichtung, KI-generierten Output als solchen zu kennzeichnen. Nach Art. 50 der KI-Verordnung haben aber Generative KI-Systeme (z.B. ChatGPT) in einem maschinenlesbaren Format erkennbar zu machen, dass ein Inhalt künstlich erzeugt ist. Das heißt, diese Kennzeichnungspflicht, die ab dem 2. August 2026 gilt, ist durch die Anbieter und Betreiber der KI-Systeme umzusetzen. Der von Nutzerinnen und Nutzern generierte Output wird damit bereits (technisch) gekennzeichnet sein und diese Kennzeichnung ist nicht zu manipulieren.

Sind Bilder, Texte, Videos oder Audios, die ich mit KI generiere, urheberrechtlich geschützt oder dürfen Andere sie kopieren?
Der sogenannte Output ist urheberrechtlich nicht geschützt. Das Urheberrecht schützt „persönliche, geistige Schöpfungen“ und setzt damit ein menschliches Handeln voraus. Das heißt auch, dass andere einen solchen Output kopieren dürfen.
Allerdings kann der Output unter Umständen je nach weiterer Verwendung über die sogenannten Leistungsschutzrechte geschützt werden (zum Beispiel nach Fixierung auf einem Tonträger über das Tonträgerherstellerrecht).

Ab wann ist ein bearbeiteter KI-Text oder ein bearbeitetes KI-Bild ein eigenständiges menschliches Werk mit entsprechenden Urheberschutz?
Dies kann dann der Fall sein, wenn die Nutzerin oder der Nutzer die KI lediglich als technisches Hilfsmittel nutzt. Dann kann nach Urheberrechtsgesetz eine persönliche, geistige Schöpfung vorliegen. Hierfür ist die menschliche Eingabe maßgeblich, also die Frage, inwiefern eine Person in besonderem Maße (über das einfache Prompten hinaus) steuernd tätig wird. Das lässt sich leider nicht so einfach definieren und wird im Zweifelsfall in der Entscheidung von Gerichten liegen.

Darf ich Werke anderer Urheber in KI-Tools laden, um sie analysieren, zusammenfassen oder übersetzen zu lassen und diese Bearbeitung dann veröffentlichen?
Das Hochladen geschützten Materials in ein KI-Tool, das nicht isoliert – zum Beispiel vollständig auf dem eigenen Computer – läuft, ist unter Umständen unzulässig. Wenn die Server des KI-Anbieters das eingegebene Material nicht löschen, sondern speichern, veranlasst man eine urheberrechtliche Vervielfältigungshandlung, die unzulässig ist. Man sollte sich also informieren, was die genutzten KI-Tools mit den Daten machen. Das faktische Haftungsrisiko bleibt jedoch gering, da eine Rückverfolgung nicht ohne Weiteres möglich ist.

Darf ich Bilder, die andere Menschen zeigen, in KI hochladen und dort bearbeiten?
Wenn die abgebildeten Menschen identifizierbar sind, handelt es sich um die Verarbeitung personenbezogener Daten. Außerhalb des rein privaten Bereichs findet die europäische Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) Anwendung, also auch bei Vereinen oder Verbänden. Dann ist eine entsprechende Rechtsgrundlage zur Bearbeitung der Daten erforderlich, wie man das auch für die Nutzung von solchen Bildern zum Beispiel für Social Media kennt.
Beim bearbeiteten Ergebnis sind zudem gegebenenfalls die Persönlichkeitsrechte der abgebildeten Person zu beachten: man darf zum Beispiel eine Person nicht in einer fiktiven, degradierenden Situation darstellen. Hierbei sind die Grenzen zur zulässigen Satire zu beachten. Das betrifft allerdings nicht nur KI-generierte Inhalte, sondern auch wenn man Bilder mit klassischen Tools selbst bearbeitet oder verändert.

Darf ich Daten von anderen Menschen mit KI verwalten, beispielsweise Bewerbungen, Anträge, Mitgliederdaten, Spenderdaten?
Auch hier liegen personenbezogene Daten vor. Eine solche Verwaltung ist nur unter Wahrung der Anforderungen der DS-GVO möglich. Es kann nötig sein, als Verantwortlicher einen Auftragsdatenverarbeitungsvertrag mit dem KI-Anbieter abzuschließen, wenn dieser im Auftrag des Verwenders die Daten bearbeitet. Unter Umständen kann auch eine Datenschutz-Folgeabschätzung erforderlich werden.

Hafte ich, wenn ich KI generierten Content verwende, der gegen Gesetze verstößt oder plagiiert?
Ja. Bei der Verwendung KI generierten Contents, der zum Beispiel ein klar wiedererkennbares, urheberrechtlich geschütztes Werk darstellt, haftet man aufgrund der Rechtsverletzung. Das ist unabhängig davon, ob das Training der KI durch den Anbieter mit dem urheberrechtlich geschützten Material erfolgen durfte oder nicht.

Hafte ich, wenn die KI-Bilder, Texte, Töne Dritter, die ich hochgeladen habe, weitergibt bzw. andernorts verwendet?
Wenn der Input geschützt ist und keine Einwilligung vorliegt, haftet man grundsätzlich für die Veranlassung der unzulässigen Vervielfältigung. Wenn dann aber anderswo der Output in hoher Ähnlichkeit wieder verwendet wird, dürfte der jeweilige Verwender verantwortlich sein.

Muss ich dulden, wenn Bücher, Broschüre, Fotos von mir bzw. meiner Organisation zum Training von KI-Modellen verwendet wird? Kann ich das verhindern oder Gebühren dafür verlangen?
Das KI-Training an sich ist über die sogenannte „Text und Data Mining Schranke“ abgedeckt und nicht vergütungspflichtig. Bei Material, das online veröffentlicht wurde, muss wirksam ein maschinenlesbarer Hinweis gesetzt werden, dass einer Verwendung zum Training widersprochen wird (Opt-Out). Dann darf ein Crawler eines KI-Anbieters, der die Daten für das Training der Künstlichen Intelligenz zusammenträgt, meine Daten nicht abrufen. Bei Verstößen können lizenzrechtliche Ansprüche bestehen. Die Durchsetzbarkeit solcher Ansprüche dürfte jedoch schwierig sein, zum Beispiel auch wenn die Identität des Verwenders verdeckt ist oder im Ausland sitzt.

Der Beitrag ist Teil des Fokus Künstliche Intelligenz – Trends, Praxis, Grenzen der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte April 2025 der Stiftung Aktive Bürgerschaft.

Foto: Bitkom

sozialgenial: Projekt des Monats an der Lindenschule in Ostfildern

Fokus März 2025: Alles im Wandel – Engagement und Demographie

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Mehr ältere, weniger jüngere Menschen: Die Altersstruktur in der Gesellschaft verschiebt sich. Die Kosten für die Versorgung der älteren Generation steigen, die Ressourcen sinken, auf dem Arbeitsmarkt fehlt Nachwuchs. Um diese Herausforderungen zu bewältigen, sind alle Kräfte gefragt – auch und vor allem das bürgerschaftliche Engagement.

Denn nicht nur Alterskohorten verschieben sich, in den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Gesellschaft auch in anderer Hinsicht verändert: Mehr ältere Menschen haben Trennungen und aufgelöste Bindungen in der Biographie, mehr Menschen sind kinderlos, Eltern und Kinder wohnen oft weit auseinander (oder gar im Ausland). Die Gesellschaft ist insgesamt heterogener, auch aufgrund der Zuwanderung. Das Bildungssystem ist überlastet, gleichzeitig sinkt die Zahl der Fachkräfte.

Das erschwert nicht nur die Versorgung älterer Menschen, sondern das Zusammenleben muss neu gestaltet werden. Zum Beispiel, um die Einsamkeit zu lindern, und zwar sowohl bei alten als auch bei jungen Menschen. 2021 (noch in der Pandemie) fühlten sich laut Einsamkeitsbarometer der Bundesregierung rund 22 Prozent der über 75-Jährigen und fast 32 Prozent der 18- bis 29-Jährigen einsam.
Wie reagiert das bürgerschaftliche Engagement auf diese Herausforderungen des demographischen Wandels?

Lesen Sie im Fokus „Alles im Wandel – Engagement und Demographie“ die folgenden Beiträge:

Geschafft: Wie eine Bürgerstiftung dem Demographischen Wandel begegnet

In der Region Salzland in Sachsen-Anhalt hat sich die Bürgerstiftung Salzland –Region Schönebeck für eine bessere Versorgung dementer alter Menschen eingesetzt. 2015 wurde sie für ihr Engagement von der Stiftung Aktive Bürgerschaft ausgezeichnet. Zehn Jahre später ist bei der Bürgerstiftung keine Rede mehr von den Demenzprojekten, denn: Der Erfolgsfall ist eingetreten.
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Besuchen, befähigen, qualifizieren: Engagement im demographischen Wandel

Ehrenamtliche Besuchsdienste, Bewegungsangebote für Senioren, aber auch Freizeitgestaltung für Kinder und Unterstützung bei der beruflichen Qualifizierung – das bürgerschaftliche Engagement begegnet den Herausforderungen des demographischen Wandels mit einem breiten Spektrum an Projekten. Ausgewählte Beispiele zeigen, was möglich ist.
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„Am Ende vertrauen alle dem Menschen, auch die jungen Leute“

Digitalisieren, Nachwuchs finden, alternsgerechte Angebote machen: Für Stefan Hell, Vorstandssprecher der Volksbank Ulm-Biberach, ist der demographische Wandel persönlich, geschäftlich und für das gesellschaftliche Engagement der Bank ein zentrales Thema. Im Interview mit bürgerAktiv erklärt er, wie die Volksbank die Herausforderungen anpackt und was sich in den kommenden Jahren ändern wird.
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Geschafft: Wie eine Bürgerstiftung dem Demographischen Wandel begegnet

883 589 Stiftung Aktive Bürgerschaft

In der Region Salzland in Sachsen-Anhalt hat sich die Bürgerstiftung Salzland –Region Schönebeck für eine bessere Versorgung dementer Seniorinnen und Senioren eingesetzt. 2015 wurde sie für ihr Engagement von der Stiftung Aktive Bürgerschaft ausgezeichnet. Zehn Jahre später ist bei der Bürgerstiftung keine Rede mehr von den Demenzprojekten, denn: Der Erfolgsfall ist eingetreten. 

2013: Die Bürgerstiftung Salzland – Region Schönebeck initiiert ein Demenz-Netzwerk, um die Krankheit aus der Tabuzone zu holen und die Betroffenen nicht länger allein zu lassen. In den folgenden Jahren engagieren sich zeitweise bis zu 28 Akteure für eine bessere Versorgung in der Region, darunter Ärzte, Vertreter der Krankenkassen, Apotheken, Pflegedienste, Wohlfahrtsorganisationen. Die Bürgerstiftung bringt den Bau eines sogenannten Demenz-Servicezentrums auf den Weg, das Tagespflege sowie Wohnprojekte für Demenzerkrankte anbietet, darunter eine WG und Wohnungen für Paare, bei denen nur ein Partner erkrankt ist. Sie gründet eine „Human-WG“ für Menschen in der letzten Phase ihres Lebens und richtet ein Café als Treffpunkt für Angehörige ein, in dem die Demenzkranken betreut werden können, während die Angehörigen sich austauschen und entspannen.

2025: Die Bürgerstiftung hat ihr Engagement zum Thema abgeschlossen, denn: Das Problem ist gelöst. „Wir wollten das Thema in den Fokus rücken sowie Lösungsansätze liefern und das ist gelungen“, sagt Britta Duschek, ehemalige Vorstandsvorsitzende und heute Mitglied des Kuratoriums der Bürgerstiftung. Das Demenz-Servicezentrum ist gebaut und wird von einem privaten Pflegedienst betrieben. Gleiches gelang auch mit dem Projekt der Human-WG. Träger wie die Arbeiterwohlfahrt oder die Diakonie bieten Angehörigen-Cafés an. Wer in Schönebeck und Umgebung Unterstützung für eine Demenzerkrankung braucht, findet heute verschiedene Anlaufstellen und Anbieter.

Künftig sind die Jüngeren dran. Die Bürgerstiftung vollzieht nun den Generationenwechsel doppelt – in sich selbst und beim Engagement. Ein neuerer und jüngerer Vorstand hat übernommen und ist dabei, Projekte für junge Menschen zu entwickeln. „Die Kinder- und Jugendförderung braucht neue Ideen und Impulse“, sagt Duschek. Dabei gibt es eine Brücke aus der Vergangenheit: Den „Lebensgarten“ neben dem Demenz-Servicezentrum, den die Bürgerstiftung weiterhin betreibt. Ihn pflegen jetzt Schülerinnen und Schüler und wenn es schwieriger wird, unterstützen sie dabei Auszubildende der Stadtwerke.

Zur Bürgerstiftung Salzland – Region Schönebeck
Reportage über die Bürgerstiftung Salzland-Region Schönebeck

Text: Gudrun Sonnenberg
Foto: Matthias Urban / Stiftung Aktive Bürgerschaft

Der Beitrag ist Teil des Fokus Alles im Wandel – Engagement und Demographie der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte März 2025 der Stiftung Aktive Bürgerschaft.

Besuchen, befähigen, qualifizieren: Engagement im demographischen Wandel

1024 576 Stiftung Aktive Bürgerschaft

Ehrenamtliche Besuchsdienste, Bewegungsangebote für Senioren, aber umgekehrt auch Freizeitgestaltung für Kinder und Unterstützung bei der beruflichen Qualifizierung – Bürgerstiftungen und engagierte Schülerinnen und Schüler begegnen den Herausforderungen des demographischen Wandels mit einem breiten Spektrum an Projekten. Ausgewählte Beispiele aus den Programmbereichen der Stiftung Aktive Bürgerschaft zeigen, was geht.

Doppelt gewinnen: Engagement und Qualifikation

Wer sich ehrenamtlich engagiert und anderen hilft, lernt immer auch für sich selbst etwas dazu. Handfeste berufliche Kompetenzen entstehen in Schulprojekten, wenn die im Fachunterricht erworbenen Kenntnisse im Engagement angewendet und weiterentwickelt werden. Von diesem Engagement profitieren sowohl ältere Menschen, die Hilfe brauchen, als auch junge Leute, die nach beruflichen Perspektiven suchen.

Am Alice-Salomon-Berufskolleg Bochum engagieren sich Schülerinnen und Schüler der zweijährigen Berufsfachschule Soziales/Gesundheit aus dem Sportgerontologie-Unterricht heraus im Rahmen des Service-Learning-Programms sozialgenial der Aktiven Bürgerschaft. Die Schülerinnen und Schüler wenden in der Praxis an, was sie in der Theorie gelernt haben: In einem Pflege- und Wohnheim führen sie wöchentlich Bewegungsveranstaltungen mit Musik, Gymnastik und Gedächtnisübungen durch.
Zum Projekt „Bewegung für Senioren“

Auch am Berufskolleg Stadtmitte Mülheim an der Ruhr verbinden sich Engagement für ältere Menschen und berufliche Qualifikation. Das Projekt „Engagiert für Demenzerkrankte“ verzahnt die Theorie aus den Fächern „Soziales und Erziehung“ sowie „Gesundheit“ mit ehrenamtlicher Praxis in einer Demenz-WG. Im Unterricht eignen sich die Schülerinnen und Schüler Wissen über das Krankheitsbild, Therapieformen und Prävention an. In der Demenz-WG betreuen die Schülerinnen und Schüler drei Monate lang im Umfang von zwei Wochenstunden die dementiell erkrankten Bewohnerinnen und Bewohner, singen, machen Spaziergänge, lesen mit ihnen. Sie lernen den Umgang mit den alten Menschen und bauen Hemmschwellen ab. Das Projekt zielt auch darauf ab, dass die Schülerinnen und Schüler die gesellschaftliche Dimension des Themas erfassen und Verantwortung übernehmen.
Zum Projekt „Engagiert für Demenzerkrankte“

An der Lindenschule SBBZ Lernen Ostfildern, einer Förderschule, gibt es ein sozialgenial-Projekt, in dem Schülerinnen und Schüler für Senioren eines Nachbarschaftstreffs kochen und das Essen anschließend auch servieren. Während die Senioren so unter Menschen kommen und in Gesellschaft speisen können, können sich Schülerinnen und Schülern einen Eindruck von möglichen Berufen verschaffen.
Kochen für Senioren

Einsamkeit lindern

Freunde und Angehörige müssen sich verabschieden, gesundheitliche Einschränkungen beeinträchtigen Mobilität und Teilhabe: Für einsame ältere Menschen kann das Ehrenamt viel Gutes tun. Umso besser, wenn Menschen bereits in jungem Alter auf die Problematik aufmerksam werden.

Schülerinnen und Schüler der Arnold-Freymuth-Gesamtschule Hamm engagieren sich in einem Mehrgenerationencafé, dem „Café Marie“ der Arbeiterwohlfahrt, in dem sich Menschen aus verschiedenen Altersgruppen begegnen. Die Siebt- und Achtklässler bereiten gemeinsames Kaffeetrinken vor, gärtnern mit den Seniorinnen und Senioren und bieten Handy-Sprechstunden an. Das „Café Marie“ soll Lebensqualität der älter werdenden Hammer Bürgerinnen und Bürger im Wohnumfeld verbessern und der Vereinsamung entgegenwirken.
Café Marie

Konzerte junger Menschen für Senioren mit gemeinsamem Singen hat die Bürgerstiftung Hemmingen im Projekt „Jung musiziert für Alt“ angeschoben. 2400 Euro, eingenommen bei einer Verlosungsaktion, ermöglichten, dass die Musikschule Hemmingen 2024 vier Konzerte in Seniorenresidenzen veranstaltete. Musikschülerinnen und Musikschüler spielten auf, die Seniorinnen und Senioren sangen mit.
Jung musiziert für Alt

„ZwischenMenschlich – Paten für Senioren“ ist ein seit langen Jahren betriebener ehrenamtlicher Besuchsdienst der Bürgerstiftung Hannover. Die Freiwilligen besuchen Bewohnerinnen und Bewohner von Seniorenheimen. Die Paten sollen eine verlässliche Abwechslung im Alltag herstellen und das Wohlbefinden der Seniorinnen und Senioren über die tägliche Versorgung hinaus verbessern.
Paten für Senioren

Den Nachwuchs unterstützen: Für die Jugend engagieren

Weniger junge Menschen müssen in Zukunft mehr stemmen und brauchen entsprechende Voraussetzungen. Doch um Begabungen zu entdecken und zu entwickeln, fehlen in Schulen und Elternhaus oft die Ressourcen. Bürgerschaftliches Engagement kann Räume schaffen und Kinder und Jugendliche individuell unterstützen. Häufig engagieren sich Seniorinnen und Senioren – eine Win-win-Konstellation.

Die Bürgerstiftung Neukölln in Berlin vermittelt und begleitet Freizeitpaten in ihrem Projekt „Neuköllner Talente“. Die Paten – Erwachsene aller Altersgruppen – gehen mit Kindern im Grundschulalter ins Museum oder in die Bibliothek, kochen oder machen Sport. So fördern sie individuelle Interessen und Fähigkeiten, für die es Zeit und Zuwendung braucht.
Neuköllner Talente

Die Bürgerstiftung Mössingen ist Mitglied des MENTOR Bundesverbands der Leselernhelfer e.V und fördert Lesepatenschaften. Die Paten werden extra qualifiziert und erhalten Arbeits- und Lernmaterial. Sie fördern Kinder individuell und mindestens ein Jahr lang. Das Projekt zielt auf die Sprach- und Lesekompetenz insgesamt und will Kinder auch ans Lesen heranführen. Von den Grundschulen in Mössingen ist ein hoher Bedarf gemeldet worden.
Leseförderung

Auf engagierte Seniorinnen und Senioren setzt die Bürgerstiftung Neuss in ihrem Projekt „Seniorpartner an Schulen“. Sie unterstützen Aktivitäten wie gemeinsames Kochen oder Exkursionen. Dabei können Sprachkenntnisse wie auch soziale Kompetenzen weiterentwickelt werden und die beteiligten Schülerinnen und Schüler lernen sich von neuen Seiten kennen.
Seniorpartner in Neuss

Die Bürgerstiftung Bonn hat das Projekt „Groß & Klein – Engagement an Bonner Grundschulen“ ins Leben gerufen. Hier engagieren sich Seniorinnen und Senioren als Schulpaten, sie helfen bei den Hausaufgaben und in der Sprachförderung, basteln und gärtnern mit den Kindern und begleiten Schülerinnen und Schüler mit Lern- oder Verhaltensproblemen. Dabei kooperiert die Bürgerstiftung mit dem Verein Seniorpartner in School e.V.
„Groß & Klein“

Räume schaffen: Immobilienprojekte

Ältere Menschen mit körperlichen Einschränkungen brauchen barrierefreie Wohnungen, möglichst in zentraler Lage, damit sie weiterhin am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Auf dem angespannten Wohnungsmarkt sind entsprechende Immobilien zu selten zu finden. Hier engagieren sich Bürgerstiftungen.

„Gutes Älterwerden in Ostfildern“: Unter dieser Überschrift macht sich die Bürgerstiftung Ostfildern für die Seniorinnen und Senioren in der Stadt stark. Eine Erbschaft ermöglicht ihr, ein Haus mit 16 barrierefreien und zugleich bezahlbaren Wohnungen zu bauen. Das KühnleHaus ist nach dem Zustifter Richard Kühnle benannt. Es liegt zentral in Nellingen, so dass die Seniorinnen und Senioren Orte wie die Volkshochschule erreichen können.
KühnleHaus

Eine zentral gelegene Senioren-Wohngemeinschaft ist auch mithilfe der Bürgerstiftung Herdwangen-Schönach entstanden. Sie vermietet die Räumlichkeiten „Am Voglerhof“ – zwölf Zimmer – an den Nachbarschaftshilfeverein, der die Einrichtung betreibt. Der Vereinsvorstand, zugleich Unternehmer, stiftete zusammen mit seiner Frau der Bürgerstiftung für das Immobilienprojekt eine sechsstellige Summe zu.
Zeitungsbericht über die Einweihung
Zur Bürgerstiftung

Digitalisierung: Alle mitnehmen

Smartphone, E-Mail: Es wird immer schwieriger, den Alltag analog zu bewältigen und manche ältere Menschen werden von den Entwicklungen geradezu abgehängt. Dabei können digitale Lösungen speziell ihnen das Leben auch erleichtern. Bürgerschaftliches Engagement leistet Hilfestellung.

Bei der Bürgerstiftung Weimar helfen ehrenamtliche Mediencoaches alten Menschen beim Einstieg in die digitale Welt. Sie unterstützen die Anschaffung von Smartphones oder helfen bei der Suche nach Lösungen, wenn jemand stecken geblieben ist. Die Initiative ist Teil des Projekts „Weimars gute Nachbarn“, das darauf abzielt, älteren Menschen so lange wie möglich ein selbstständiges Leben zuhause zu ermöglichen.
„Weimars gute Nachbarn“

In Dortmund veranstalten Schülerinnen und Schüler der Robert-Koch-Realschule Smartphone-Sprechstunden für Senioren. Im Rahmen ihres sozialgenial-Projekts besuchen sie einmal in der Woche die Bewohnerinnen und Bewohner eines Seniorenheims und beantworten deren Fragen zum Umgang mit den Geräten. Dabei freuen sich die alten Menschen nicht nur über die fachliche Hilfe, sondern auch über die Gesellschaft.
sozialgenial an der Robert-Koch-Realschule

Pflege: Alle Beteiligten unterstützen

Krankheit und Pflege sind besonders große Herausforderungen im Alter. Bürgerschaftliches Engagement setzt an den Rahmenbedingungen an, adressiert Begleiterscheinungen wie Überlastung und versucht, die Lebensqualität zu verbessern.

„Demenzfreundliches Wiesloch“ lautet die Initiative, mit der sich die Bürgerstiftung Wiesloch für Lebensqualität demenzkranker Mitbürgerinnen und Mitbürger einsetzt. Sie bietet damit eine Plattform, auf der Fachleute und Ehrenamtliche zusammenkommen, sei es bei Infoabenden, sei es im Kochkurs „Wohlfühlküche bei Demenz“, sei es in der Demenz-Sportgruppe – die Initiative sammelt und macht sichtbar, welche Angebote es in Wiesloch gibt.
„Demenzfreundliches Wiesloch“

Auf die pflegenden Angehörigen, die oft hoch belastet sind, blickt die Bürgerstiftung Bremen. Sie lädt sie zum Essen ein, organisiert Hin- und Rückfahrt und gegebenenfalls auch die Betreuung der Pflegebedürftigen. Das Projekt „Hol mal Luft“ soll vernetzen und entspannen und eine kleine Auszeit vom Alltag bieten.
„Hol mal Luft“

Mobil bleiben und (wieder) werden

Nur zuhause oder im Wohnheim sitzen, schlägt aufs Gemüt. Ehrenamtliche stellen die Mobilität für ältere Menschen wieder her.

Die BürgerStiftung Düsseldorf hat acht Fahrradrikschas finanziert, mit denen Ehrenamtliche alte Menschen spazieren fahren oder zu Terminen bringen. Sie kommen an unterschiedlichen Standorten in der Stadt zum Einsatz. „Radeln ohne Alter“ wird zusammen mit dem Verein „In der Gemeinde leben e.V.“ umgesetzt. Die Bürgerstiftung finanzierte das Projekt mit einer Spendenaktion.
„Radeln ohne Alter“

Dieser Beitrag ist Teil des Fokus Alles im Wandel – Engagement und Demographie der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte März 2025 der Stiftung Aktive Bürgerschaft.

Foto: Arnold-Freymuth-Gesamtschule Hamm

„Am Ende vertrauen alle dem Menschen, auch die jungen Leute“

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Digitalisieren, Nachwuchs finden, alternsgerechte Angebote machen: Für Stefan Hell, Vorstandssprecher der Volksbank Ulm-Biberach, ist der demographische Wandel sowohl persönlich als auch in der Bank ein zentrales Thema. Im Interview erklärt er, wie die Volksbank die Herausforderungen geschäftlich und in ihrem gesellschaftlichen Engagement annimmt und was sich in den kommenden Jahren ändern wird.

Sie waren bis vor kurzem ehrenamtlich Vorstand im Verein Das Demographie Netzwerk (ddn) engagiert. Warum engagieren Sie sich persönlich zum Thema Demographie?

Ich war vorher schon auf lokaler Ebene im ddn aktiv und habe unter anderem Veranstaltungen gemanagt. Das Netzwerk bietet zahlreiche Gelegenheiten, Impulse und Informationen aufzusaugen und deckt thematisch alle Baustellen ab, die sich mit dem demographischen Wandel ergeben. Aus Zeitgründen habe ich mein Amt weitergegeben, aber dafür gesorgt, dass es in unserem Haus bleibt.

Warum?

Der Demographische Wandel ist für die Volksbank in jeder Hinsicht eine zentrale Herausforderung. Ein Drittel unserer Belegschaft hört in den kommenden Jahren altersbedingt auf. Wir suchen junge wie auch erfahrene neue Kolleginnen und Kollegen auf einem inzwischen stark umworbenen Bewerbermarkt. Gleichzeitig sind wir in einem Spagat zwischen Digitalisierung und dem Einsatz Künstlicher Intelligenz einerseits und der wachsenden Zahl älterer Kunden andererseits, die noch auf hergebrachten Wegen mit ihrer Bank kommunizieren möchten. Und natürlich ist auch das Werben um jüngere Kundschaft herausfordernder geworden.

Wie reagieren Sie auf diese Herausforderungen?

Wir sind sehr aktiv auf Social Media, um die jüngeren Zielgruppen zu erreichen. Im Sommer präsentieren wir in Biberach das „Blue Orange Open Air 2025“ Festival. Wer sich erfolgreich bei uns bewirbt, bekommt seinen Arbeitsvertrag binnen 72 Stunden. Dieses Jahr haben wir mit 25 Auszubildende, so viele wie noch nie und auch für 2026 schon die Hälfte der Plätze besetzt.

Auch für die älteren Kunden machen wir zielgerichtete Angebote. Beispielsweise ermöglichen wir, die Immobilie noch während der Nutzung zu liquidieren, so dass Pflegekosten finanziert werden können. Eine Mitarbeiterin von uns, selbst bereits im Ruhestand, besucht nebenberuflich Heimbewohner und bringt ihnen Bargeld mit oder erledigt Überweisungen für sie.

Welche Rolle spielt der demographische Wandel in der Region für das gesellschaftliche Engagement der Bank?

Wir kümmern uns um die wachsenden Bedürfnisse der älteren Generation, indem wir Nachbarschaftshilfe und Austausch unterstützen, also etwa Einkäufe für Seniorinnen und Senioren oder Ausflüge. Aber wir unterstützen auch die Tafeln. Es ist erschreckend, wie die Zahl verwitweter älterer Kundinnen dort zunimmt. In der Region sind die Mietkosten in den vergangenen Jahren exorbitant gestiegen und es wird für viele Menschen schwieriger, mit einer bescheidenen Rente auszukommen.

Wir berücksichtigen darüber hinaus alle relevanten Zielgruppen gleichmäßig und fördern ebenso Bildung, Jugend, Sport und Nachhaltigkeit. Oftmals machen uns unsere Mitarbeiter auf unterstützenswerte Projekte aufmerksam. Die Volksbank kann insgesamt 1,1 Millionen Euro an Fördermitteln einsetzen, die Hälfte aus unserer Volksbank-Stiftung, rund eine halbe Million Euro aus dem Gewinnsparverein.

Welche Entwicklungen durch den demographischen Wandel erwarten Sie in den kommenden Jahren?

Bislang ist Ulm kein Hotspot für demographische Probleme. Es gibt Zuzug und wir wurden 2024 zur attraktivsten Stadt Deutschlands gewählt. Doch die Entwicklung ist auch hier spürbar. Für uns wird die Suche nach guten Mitarbeitern auf jeden Fall eine Herausforderung bleiben, zumal wir auch sehr großen Wert darauf legen, dass sie unsere genossenschaftlichen Werte teilen.

Hilft da nicht die Digitalisierung?

Nur teilweise. Denn wenn es drauf ankommt, wollen auch unsere jungen Kundinnen und Kunden nicht alles digital erledigen, sondern mit einem echten Bankberater sprechen. Am Ende des Tages vertraut man nicht der KI, sondern dem Menschen!

Stefan Hell, diplomierter Betriebswirt, ist seit Mitte 2023 Sprecher des Vorstands der Volksbank Ulm-Biberach, in den er 2013 berufen wurde. 

Interview: Gudrun Sonnenberg
Foto: Volksbank Ulm-Biberach

Das Interview ist Teil des Fokus Alles im Wandel – Engagement und Demographie der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte März 2025 der Stiftung Aktive Bürgerschaft.

Fokus Januar 2025: Ehrenamt trotz knapper Zeit

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Zeit ist ein knapper werdendes Gut, auch im Engagement. Insbesondere, wenn es darum geht, ein festes Amt zu übernehmen, etwa als Vorstand eines Vereins oder einer Stiftung, winken immer mehr Menschen aus Zeitgründen ab. Für viele Menschen ist es schwierig, sich mit regelmäßigen Terminen zu verpflichten. Umgekehrt spüren diejenigen, die sich engagieren, wachsende Belastungen.

Damit Menschen sich trotzdem gut und gerne engagieren, braucht es passgenaue Strategien und die Bereitschaft, auch mal einen Schritt weiter zu denken. Sei es, Synergieeffekte zwischen Job und Ehrenamt zu suchen, sei es, das Engagementprojekt in der Schule nicht obendrauf, sondern in den Unterricht eingebunden zu realisieren. Hier setzt mit Beratung und Weiterbildung auch die Stiftung Aktive Bürgerschaft an, damit vor Ort mehr Zeit fürs Engagement bleibt.

Der Fokus „Ehrenamt trotz knapper Zeit“ zeigt Lösungen für die Einzelnen, für das Team und für die ganze Organisation. Engagierte aus Bürgerstiftungen, Schulen und Genossenschaftsbanken geben Empfehlungen aus der Praxis. Die Expertin Christiane Biedermann erläutert, wie die frühzeitige Investition von Zeit an der richtigen Stelle sich anschließend amortisiert.

Im Fokus „Ehrenamt trotz knapper Zeit“ lesen Sie diese Beiträge:

Effizient im Ehrenamt: Die besten Tipps aus der Praxis

Gute Ratschläge, wie man Zeit spart, gibt es viele. Aber was passt zu gemeinnützigen Organisationen mit ehrenamtlich engagierten Menschen, was funktioniert wirklich vor Ort? Menschen, die es wissen müssen, teilen ihre Erfahrungen.
Zu den Tipps

Interview: „Zeit nicht verschwenden“

Ehrenamtliche arbeiten effizienter, wenn sie ihre Zeit an der richtigen Stelle investieren und sich frühzeitig mit den Prozessen und der Arbeitsorganisation beschäftigen, sagt Christiane Biedermann, Expertin für Freiwilligenmanagement und Teamwork, im Interview mit bürgerAktiv.
Zum Interview

Hintergrund: Engagementzeit in Zahlen

Der neuste Engagementbericht der Bundesregierung bestätigt: Viele Menschen möchten sich freiwillig engagieren, die Bereitschaft ist ungebrochen. Aber sie haben Schwierigkeiten, genug Zeit zu finden. Diese Wahrnehmung, über die viele Engagierte berichten, wird von den Erhebungen der letzten Jahre bestätigt.
Zum Hintergrund

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Wieviel Zeit wenden Bürgerstiftungsvorstände für Bürokratie auf? Bürokratiebarometer der Aktiven Bürgerschaft
Digitalisierung zwischen Hype und Herausforderung – Fokus April 2024
„Burn-out im Ehrenamt – Wenn das Ehrenamt krank macht“: Beitrag in der ZEIT vom 7. Dezember 2024

Collage: Ingo Wilhelm / Stiftung Aktive Bürgerschaft

Effizient im Ehrenamt: Die besten Tipps aus der Praxis

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Think small – kalkuliere realistisch – verknüpf dein Engagement mit Schule oder Beruf – nutze Synergieeffekte – entlaste die Vorstände: Was wirklich vor Ort funktioniert und wie, teilen Engagierte, die es wissen müssen. Lesen Sie, was zwei Lehrerinnen raten, wie sich Bürgerstiftungen organisieren und wie Engagierte aus Volksbanken und Raiffeisenbanken Engagement mit Qualifizierung und Job verbinden.

 

Zeitaufwand der Freiwilligen realistisch kalkulieren


Tipps von Heike Engelhardt aus der Bürgerstiftung Jena Saale-Holzland

Für die Arbeit mit Freiwilligen sind klare Angaben zum Zeitaufwand besonders wichtig. Zum Beispiel verbringen Freiwillige in unserem Projekt „Schatzheber“, in dem sie kompetenzfördernde Angebote für Kinder in Kitas machen, maximal eine Stunde pro Woche in der Kita. Doch es ist auch die Vorbereitungszeit einzurechnen, so dass insgesamt zweieinhalb Wochenstunden zusammenkommen. Das kommunizieren wir von vornherein, damit alle Beteiligten realistisch kalkulieren können.

Wenn umgekehrt jemand sagt, er oder sie habe vier Stunden pro Woche Zeit, suchen wir eine entsprechende Tätigkeit heraus. Es gibt auch kleine Aufgaben, die erledigt werden müssen, und sei es, dass jemand mit wenig Zeit die Etiketten für unseren Wunschbaum ausdruckt. Die Voraussetzung ist immer, dass wir als Profis sagen können, wieviel Zeit eine Aufgabe in Anspruch nimmt.

Empfehlen möchte ich außerdem, zwar Zeit zu sparen, indem man pragmatisch arbeitet, aber sich andererseits auch Zeit zu nehmen, wenn man sie braucht. Zum Beispiel, um Strategien für neue Herausforderungen zu entwickeln oder sich gegenseitig zu motivieren.

Heike Engelhardt betreut bei der Bürgerstiftung Jena Saale-Holzland verschiedene Projekte und die Freiwilligenagentur Jena. Foto: Bürgerstiftung Jena Saale-Holzland

 

Schule: Engagementprojekt mit Fachunterricht verknüpfen


Tipps von Anja Henke, Gymnasiallehrerin

Unsere Schülerinnen und Schüler haben zuletzt im sozialgenial-Projekt „Ökologische Herausforderungen der Gegenwart“ Grundschüler unterrichtet. Es ging um Themen wie Upcycling, saisonale Ernährung und regenerative Energieformen, und die Grundschüler sollten anschließend etwas mit nach Hause nehmen können.

Wir haben dieses durchaus aufwändige sozialgenial-Projekt zeiteffizient durchführen können, weil wir es mit dem regulären Unterricht im Grund- und Orientierungskurs Politik und Wirtschaft der Jahrgangsstufe 11 verknüpften und die Vor- und Nachbereitung in die Unterrichtsstunden integrierten. Die Leistungen des sozialgenial-Projekts gingen dementsprechend auch in die Bewertung der mündlichen Leistungen ein.

Besonders hilfreich war übrigens der Ratschlag von Caroline Deilmann aus der Aktiven Bürgerschaft, unter den Schülern auch eine Gruppe für Kommunikation zu bilden. Diese hielt die Kommunikation zwischen den beiden am Projekt beteiligten Kursen aufrecht, verfasste Artikel für die Homepage bzw. für das Jahrbuch der Schule, übernahm die Abstimmung mit der Grundschule und stellte Kontakt zur Presse her. Die Schüler haben diese verantwortungsvollen Aufgaben gerne übernommen und uns dadurch sehr entlastet.

Anja Henke ist Lehrerin am Gustav-Stresemann-Gymnasium in Bad Wildungen. Foto: privat

 

Think small – eine Nummer kleiner tut es auch


Tipps von Nina Wollenhaupt, stellvertretende Schulleiterin

Für uns haben sich ein paar Dinge als sehr kräftesparend bei Schulprojekten erwiesen, unter anderem:

  • Service nutzen! Beim Schreiben von Pressetexten oder Newslettern kann man sich an Formulierungen zur Definition von Service Learning von sozialgenial orientieren; fertige Vordrucke für Zertifikate zum Ausfüllen können bei der Aktiven Bürgerschaft bestellt werden.
  • Geteilte Freude ist doppelte Freude! Wenn möglich, sollte man eine weitere Lehrkraft mit ins Boot holen. Arbeitsteilung schafft Freiräume, und die Freude zu teilen, gibt neue Kraft.
  • Think small! Veranstaltungen sollten nicht zu groß angesetzt werden. In der Stadthalle kann man den kleineren Saal buchen, am Weihnachtsmarkt kann man den Verkaufstand für nur zwei von drei Tagen anmelden.

Und vor allem: Die eigenen Ansprüche nicht zu hoch schrauben! Es reicht, ein paar Schüler pro Jahr zu erreichen. Es muss nicht unbedingt die ganze Stufe oder Schulgemeinde sein. Befriedigung und Erfolg kann man auch beim Drehen kleinerer Rädchen haben.

Nina Wollenhaupt ist stellvertretende Schulleiterin des Georg-Büchner-Gymnasiums in Bad Vilbel. Foto: privat

 

Im Ehrenamt qualifizieren


Tipps aus der Raiffeisenbank Neumarkt i.d.OPf. von Sophie Fuhrmann

Bei knapper Zeit ist es ein Riesenvorteil, wenn man mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen kann. Mir persönlich macht mein Engagement als Vorständin bei der Bürgerstiftung zwar so viel Freude, dass ich die Stunden nicht zähle. Doch tatsächlich bringt mich der Einsatz auch beruflich weiter. Denn: Ich bin bei der Raiffeisenbank Neumarkt i.d.OPf. für deren bankeigene Stiftung zuständig und assistiere in der Vermögensberatung. In beiden Bereichen kommen mir die Praxiserfahrungen, die ich in der Bürgerstiftung sammle, sehr zugute und ersparen mir Zeit, die ich sonst in Recherche stecken müsste. Von den Erfahrungen in der Bürgerstiftung habe ich auch profitiert, als ich mich bei der Akademie Deutscher Genossenschaften e.V. (ADG) zur Stiftungsberaterin und zur Stiftungsmanagerin weiterqualifiziert habe und direkt einordnen konnte, wovon dort in der Theorie die Rede war.

Sophie Fuhrmann, Assistentin Private Banking bei der Raiffeisenbank Neumarkt i.d.OPf. und Managerin der bankeigenen Stiftung, engagiert sich ehrenamtlich im Vorstand der Bürgerstiftung Region Neumarkt i.d.OPf. Foto: Siegfried Mandel

 

Synergieeffekte nutzen


Tipps aus der Volksbank Vechta von Martin Kühling

Wenn das Ehrenamt zeitsparend ablaufen soll, empfehle ich, solche Aufgaben zu übernehmen, für die man das entsprechende Know-how mitbringt. So kümmere ich mich in der Bürgerstiftung Vechta federführend um die Vermögensanlage, wozu ich als Vorstand der Volksbank Vechta prädestiniert bin. Ich kann von allem im Team die Aufgabe mit dem geringsten Zeitaufwand im Team erfüllen. So haben von der Effizienz alle etwas und nicht nur ich persönlich.

Optimal ist, wenn das ehrenamtliche Engagement Synergieeffekte mit der beruflichen Tätigkeit erzeugt. Die Bürgerstiftung und die Volksbank haben ähnliche Ziele in ihrem Einsatz für die Lebensqualität in Vechta. Ich kann mein Engagement daher problemlos mit meiner beruflichen Rolle vereinbaren. Durch mein Engagement bei der Bürgerstiftung wird die Volksbank von Stifterinnen und Stiftern wahrgenommen und ich lerne wiederum interessante Partner und potenzielle Partner kennen. So tue ich als Bürgerstiftungsvorstand zugleich etwas für die Volksbank – und umgekehrt!

Dr. Martin Kühling, einer von zwei Vorständen der Volksbank Vechta, engagiert sich ehrenamtlich im Vorstand der Bürgerstiftung Vechta. Foto: Volksbank Vechta

 

Vorstände durch Vorstandsbeauftragte entlasten


Tipps aus der Bürgerstiftung Lebensraum Aachen von Joelle Ramakers

Die Bürgerstiftung Lebensraum Aachen wird von einem ehrenamtlichen Vorstand geleitet, den derzeit drei Vorstandsbeauftragte entlasten. Wir haben diese Möglichkeit in unserer Satzung verankert. Die Vorstandsbeauftragten übernehmen klar umrissene Aufgabenfelder. Ein Beauftragter für Steuern, Finanzen und Anlageberatung unterstützt durch seine Expertise als Steuerberater bei Budgetplanung, Jahresabschluss, Buchhaltung und steuerlichen Fragen. Ein zweiter Beauftragter für Organisation dokumentiert Arbeitsprozesse, berät in IT- und Datenschutzfragen und erleichtert die Einarbeitung neuer Mitarbeitender/Vorstände mit einem Organisationshandbuch. Der dritte Beauftragte betreut Erbschaften und Vermächtnisse, berät potenzielle Erblassende und plant zusammen mit einem Notar Infoveranstaltungen rund um das Thema.

Alle Entscheidungen bleiben beim Vorstand, doch die Unterstützung entlastet und verschafft Zeit – ein wichtiger Faktor, da der Vorstand derzeit aus nur drei Mitgliedern besteht. Die Struktur sichert zudem Kontinuität in den Arbeitsprozessen und erleichtert es, neue Vorstände zu gewinnen: Denn diese können, wenn sie in ihr Amt einsteigen, auf die Erfahrung der ehrenamtlichen Vorstandsbeauftragten zählen, sofern sie sich für entscheiden, weiter mit ihnen zusammenzuarbeiten. Es steht ihnen auch frei, andere Beauftragte zu bestellen.

Joelle Ramakers leitet die Geschäftsstelle der Bürgerstiftung Lebensraum Aachen. Foto: Intuitive Fotografie

Collage: Ingo Wilhelm / Stiftung Aktive Bürgerschaft

Diese Tipps sind Teil des Fokus EHRENAMT TROTZ KNAPPER ZEIT – der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte Januar 2025 der Stiftung Aktive Bürgerschaft.

„Zeit nicht verschwenden“

1024 804 Stiftung Aktive Bürgerschaft

Ehrenamtliche arbeiten effizienter, wenn sie ihre Zeit an der richtigen Stelle investieren und sich frühzeitig mit den Prozessen und der Arbeitsorganisation beschäftigen, sagt Christiane Biedermann, Expertin für Freiwilligenmanagement und Teamwork, im Interview mit bürgerAktiv. In den Fokus gehört, was mit welchem Aufwand zu schaffen ist. Mit klaren Abgrenzungen lassen sich auch Freiwillige leichter gewinnen.

Christiane, welche Rolle spielt in deiner Beobachtung der Faktor Zeit für die Entscheidung, sich ehrenamtlich zu engagieren?

„Ehrenamt? Da habe ich keine Zeit für.“ Das hören Organisationen durchaus, die ehrenamtlich Engagierte suchen. Besonders, wenn sie Ehrenamtliche für Vorstands- und Leitungsaufgaben gewinnen möchten. Trotzdem gibt es Engagierte, die sehr viel Zeit und über eine lange Strecke hinweg aufwenden. Noch weitaus mehr Menschen bringen sich flexibel und mit überschaubarem Zeitaufwand ein. Laut ZiviZ-Survey 2023 fällt es mehr als der Hälfte der befragten Organisationen leicht, Engagierte anlassbezogen für kurzfristige Engagements zu gewinnen.

Wie kann man solchen zeitlichen Bedürfnissen entsprechen und trotzdem Engagierte auch für Leitungsfunktionen gewinnen?

Für mich steht ganz vorne: Wir dürfen die Zeit von ehrenamtlich Engagierten nicht verschwenden. Wenn die Suche nach Nachfolgerinnen und Nachfolgern im Vorstand ansteht, höre ich oft: „Hauptsache, wir finden dafür überhaupt noch jemand!“ Eine Option ist, Zuständigkeiten und Aufgaben in mehrere Hände zu geben, statt eine oder wenige Personen mit sehr viel Verantwortung und Arbeit zu belasten. Menschen sind eher bereit zu einem Engagement, wenn sie genau wissen, wofür sie Verantwortung übernehmen, und ihre Zeit in einem Bereich einsetzen, der ihnen liegt, wo sie Routine haben. Auch wird eine Vorstandstätigkeit eher angenommen, wenn man sich auf die Zuständigkeit und Aufgabe konzentrieren kann, Amtszeiten und die Wiederwahl von vornherein begrenzt werden. Zeit wird dann verschwendet, wenn sich neue Vorstände das erforderliche Wissen selbst aneignen müssen. Hospitationen, Onboarding und eine gute Vorbereitung auf ein solches Ehrenamt bieten sich an. Ein Beispiel gibt die Stiftung Aktive Bürgerschaft mit ihrem Seminar „Guter Start für neue Vorstände“ für Bürgerstiftungen.

Und bei Menschen, die einfach mitmachen oder sich in Projekten engagieren wollen?

Auch hier gilt, möglichst keine Zeit zu verschwenden. Manche Organisationen handeln nach einer Art Zufallsprinzip: „Bei uns gibt es immer viel zu tun. Wir finden dann schon eine Aufgabe.“ Besser ist, genau herauszufinden, mit welchen Aufgaben und welchem Knowhow eine Organisation ihre Wirkung entfalten kann, wer zuständig ist und wo jemand fehlt. Damit kommt man zu konkreten Engagementmöglichkeiten, um dann gemeinsam das Engagement zu finden, das zu ehrenamtlich Engagierten am besten passt. Ich plädiere häufig für Tandems oder Teamarbeit, um Überlastung zu vorzubeugen.

Wie gelingt es denn, sich den Überblick über den Zeitaufwand zu verschaffen?

Indem man zunächst zusätzliche Zeit investiert. In der ehrenamtlichen Vorstandsarbeit beispielsweise, indem Vorstände einmal im Jahr in einer Klausur oder einem Workshop sich dazu gemeinsam beraten. Frühzeitig Aufgaben und Kapazitäten zu klären, spart später viel Zeit. Das ist wichtig, denn Zeitmangel, Überlastung und überbordende Aufgaben zählen zu den häufigsten Gründen, weshalb Engagierte ihren Einsatz beenden.

Wie kann man Arbeit reduzieren?

Viel Zeit spart digitales Arbeiten: Informationen für Engagierte per Mailing oder Messengerdienst, digitales Kontakt- und Adressmanagement, synchrones Arbeiten an Dokumenten, Online-Schulungen oder der Einsatz von Künstlicher Intelligenz, zum Beispiel, um schneller einen Bericht zu schreiben – die Liste ist lang.

Vorstandssitzungen können vor Ort, online oder hybrid stattfinden. Auch hier begegnen mir Vorstände, die sich gut organisieren. Sie sitzen nicht den ganzen Abend zusammen, sondern verabreden vorab die Dauer ihrer Sitzung und wie viel Zeit sie einzelnen Themen auf ihrer Agenda geben wollen. Die Effizienz steht und fällt mit einer Moderation, die Diskussionen zu Entscheidungen führt. Das ist auch wichtig: Beschlüsse fassen und diese nicht unnötig vertagen. Sonst fängt man immer wieder von vorne an. Übrigens: Wenn die Beteiligten abwechselnd moderieren, bekommen alle ein Gefühl dafür, worauf es ankommt.

Was sind die Hauptzeitfresser im ehrenamtlichen Engagement?

Das sind administrative Aufgaben, besonders von Vorständen. Ehrenamtliche sagen: „Die Bürokratie!“. Sie zu reduzieren, ist sicher eine Aufgabe von Politik. Eine große Hilfe sind Informationen über gesetzliche Neuerungen, die für Engagierte verständlich in How-To-dos aufbereitet sind. Unter anderen arbeiten die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt (DSEE) und die Stiftung Aktive Bürgerschaft solche Neuerungen auf. Damit können ehrenamtlich Engagierte so manchen mühsamen Prozess zeitsparend abkürzen.

Interview: Gudrun Sonnenberg
Foto: Lisa Merck / Kopf & Kragen

Christiane Biedermann ist Spezialistin für Freiwilligenmanagement und arbeitet als selbstständige Trainerin und Teamgestalterin für gemeinnützige Organisationen. Bis 2022 war sie in verschiedenen Funktionen bei der Stiftung Aktive Bürgerschaft tätig, zuletzt als stellvertretende Geschäftsführerin.

Dieses Interview ist Teil des Fokus Ehrenamt trotz knapper Zeit der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte Januar 2025 der Stiftung Aktive Bürgerschaft.

Hintergrund: Engagementzeit in Zahlen

1024 683 Stiftung Aktive Bürgerschaft

Der neuste Engagementbericht der Bundesregierung bestätigt: Viele Menschen möchten sich freiwillig engagieren, die Bereitschaft ist ungebrochen. Aber sie haben Schwierigkeiten, genug Zeit zu finden. Diese Wahrnehmung, über die viele Engagierte berichten, wird von den Erhebungen der letzten Jahre bestätigt. Sie zeigen, wo es hapert und wie sich die Probleme auf das Engagement auswirken.

Menschen finden weniger Zeit, sich zu engagieren

2022 engagierten sich laut statistischem Bundesamt 36 Prozent der Bevölkerung ab zehn Jahren in Deutschland. Zehn Jahre zuvor waren es noch 40 Prozent. Der leichte Rückgang (immer noch ein Zuwachs gegenüber 1999) dürfte auf verschiedene Faktoren zurückzuführen sein, möglicherweise spielte im Befragungsjahr 2022 die Corona-Pandemie noch eine wichtige Rolle. Allerdings gab in der „Zeitverwendungserhebung“ des Statistischen Bundesamtes ein Drittel der Personen ab zehn Jahren an, zu wenig Zeit für ein Engagement zu haben, während es zehn Jahre zuvor nur rund 15 Prozent der Befragten waren. Diese Aussagen korrelieren mit der steigenden Erwerbstätigkeit, aber auch mit wachsenden Belastungen durch private Aufgaben wie der Pflege von Angehörigen. (Mehr zu den Statistiken siehe unten.)

Verpflichten ist schwierig

Die wissenschaftliche Kommission, die unter Leitung von Prof. Dr. Chantal Munsch den vierten Engagementbericht der Bundesregierung erstellte (er wurde im Dezember 2024 veröffentlicht), weist darauf hin, dass auch die rückläufige Zeitautonomie eine wichtige Rolle spielt, also ob man frei planen und Verpflichtungen eingehen kann, oder ob immer wieder unvorhersehbare Ereignisse die Planungen durchkreuzen und zeitliche Flexibilität gewahrt werden muss. Insbesondere wirkt sich das offenbar auf zeitintensive und regelmäßige Aufgaben aus, wie sie vor allem Leitungsfunktionen im Ehrenamt mit sich bringen. Die Folge sei, berichtet die Kommission im Engagementbericht aus Anhörungen, dass Menschen ihr Engagement frühzeitig wieder beendeten – teils auch frustriert, weil für die Tätigkeiten, die sie sich vorgestellt hatten, zu wenig Zeit blieb. Zeitraubend seien unter anderem bürokratischer Aufwand, die Suche nach hauptamtlichen Kräften und Schulungen, um ihn zu bewältigen.

Flexibilität ist Trumpf

Der letzte Freiwilligensurvey mit Zahlen aus 2019 bestätigte den Trend, dass zeitintensives und regelmäßiges Engagement rückläufig ist. Was offenbar leichter fällt, ist punktuelles, in größeren Abständen anfallenden Engagement: Laut Freiwilligensurvey ist der Anteil von Personen, die sich zwei Stunden oder weniger pro Woche engagieren, von 50 auf 60 Prozent gestiegen. Der ZiviZ-Survey 2023 zeigt, dass sich Mitgliedschaft und Engagement in einer Organisation offenbar entkoppeln: Der Anteil der Organisationen, deren freiwillig Engagierte auch Mitglied waren, sank zwischen 2012 und 2022 von 75 auf 66 Prozent.

Herkunft der Zahlen: Die Statistiken

Abgesehen von kleineren Einzelstudien findet man die ausführlichste Statistik über freiwillige Engagierte in Deutschland im Freiwilligensurvey. Seine Daten werden alle fünf Jahre erhoben. Im zuletzt veröffentlichten Freiwilligensurvey, den das Deutsche Zentrum für Altersfragen (DZA) erstellte, stammen die Zahlen aus dem Jahr 2019. Zum Freiwilligensurvey

Die Bundesregierung veröffentlicht in jeder Legislaturperiode einen Engagementbericht, zuletzt im Dezember 2024. Er wird von einer Sachverständigenkommission erstellt, die bereits vorhandene Daten (darunter den Freiwilligensurvey) auswertet, weitere Daten erhebt und Anhörungen durchführt. Zum Engagementbericht

Das Statistische Bundesamt führt alle zehn Jahre eine Befragung zur Zeitverwendung durch, die auch Daten zum ehrenamtlichen Engagement enthält. Zum Statistischen Bundesamt

Thinktank Zivilgesellschaft in Zahlen (ZiviZ) im Stifterverband befragt alle vier bis fünf Jahre zivilgesellschaftliche Organisationen und veröffentlicht die Ergebnisse als ZiviZ Survey, zuletzt 2023. Zum ZiviZ Survey

Text: Gudrun Sonnenberg
Foto: Alexander Schimmeck / unsplash.com

Dieser Beitrag ist Teil des Fokus Ehrenamt trotz knapper Zeit der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte Januar 2025 der Stiftung Aktive Bürgerschaft.

Fokus November 2024: Werben, geben, wirken – Spenden für den guten Zweck

966 595 Stiftung Aktive Bürgerschaft

Am Jahresende, wenn klar ist, ob etwas übrigbleibt, greifen viele Menschen noch einmal tiefer in die Tasche und überweisen Geld für gute Zwecke. Viele gemeinnützige Einrichtungen, Vereine, Stiftungen oder Hilfsorganisationen rufen in der Vorweihnachtszeit zum Spenden auf. Mit dem Giving Tuesday am 3. Dezember, an dem sich in diesem Jahr auch die Stiftung Aktive Bürgerschaft beteiligt, ist ein Spenden-Event hinzugekommen. Und für die Bürgerstiftungen in Norddeutschland zählt 2024 auch der 13. Dezember – er ist der Höhepunkt der Spendenkampagne „Hand in Hand für Norddeutschland“, mit der der NDR und die Bürgerstiftungen in den norddeutschen Bundesländern gemeinsam zu Spenden für Projekte gegen Einsamkeit aufrufen.

Die Aufrufe verfehlen ihre Wirkung nicht: Es ist eine zweistellige Milliardensumme, die im Laufe eines Jahres in Deutschland gespendet wird. Wer es ganz genau wissen will, müsste allerdings selber zählen, eine einzig gültige Statistik gibt es nicht. Trends und Aussagen zu den Spenderinnen und Spendern lassen sich trotzdem herausfiltern, und vor Ort zählt letztlich die beglückende Erfahrung, Unterstützung für eine gute Sache zu gewinnen und mit dem Geld der Spendenden sinnvolle Projekte umsetzen zu können.

Lesen Sie im Fokus „Werben, geben, wirken – Spenden für den guten Zweck“ die folgenden Beiträge:

Spenden im Aufwind? Erkenntnisse – Trends – Veränderungen

Die Bereitschaft der Menschen in Deutschland zu spenden scheint ungebrochen zu sein. In den vergangenen Jahren wurden sogar neue Rekorde gemeldet: Der Ukrainekrieg und die Flutkatastrophe im Ahrtal lösten große Hilfsbereitschaft aus. Doch was tut sich über solche einzelnen Ereignisse hinaus auf dem Spendenmarkt? Die Fundraising-Expertin Marita Haibach erläutert für bürgerAktiv, was man über die langfristigen Entwicklungen weiß.
Zum Beitrag

Alle Erwartungen übertroffen: Wie drei Neuntklässlerinnen tausende Euro Spenden sammelten

Auf zunächst skeptische bis zurückhaltende Reaktionen stießen drei 15-jährige Soester Schülerinnen, als sie sich mit ihrem sozialgenial-Projekt für das örtliche Tierheim engagieren wollten. Umso größer war dann das Erlebnis, mit ihrem Projekt einen Spendenerfolg zu erzielen, der alle Erwartungen übertraf.
Zum Beitrag

„Man kann sehen, was die Spenden bewirken“

Warum spenden Menschen an Bürgerstiftungen? Das weiß Jonas Rugenstein, stellvertretender Programm-Leiter Bürgerstiftungen bei der Stiftung Aktive Bürgerschaft. Er leitet die Erhebungen zu den Finanzkennzahlen der Bürgerstiftungen in Deutschland. Sie werden alle zwei Jahre im Report Bürgerstiftungen veröffentlicht. Im Interview beantwortet er Fragen zur Entwicklung und den Erfolgsfaktoren beim Fundraising der Bürgerstiftungen.
Zum Interview

Vielfalt zählt: Die Spendenstatistiken in Deutschland

Verschiedene Statistiken erheben, wie viele Menschen in Deutschland Geld für den guten Zweck spenden, und wie hoch die Spendensumme ist. Wer an das Gute im Menschen glauben möchte, wird die Zahlen des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen (DZI) mögen, denn sie sind mit Abstand die höchsten – allerdings nur auf den ersten Blick.
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Stiften, spenden, ehrenamtlich engagieren: Mitmachen bei der Bürgerstiftung
Eine Bürgerstiftung in der Nähe finden: Zum Bürgerstiftungsfinder der Aktiven Bürgerschaft

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Spenden im Aufwind? Erkenntnisse – Trends – Veränderungen

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Die Bereitschaft der Menschen in Deutschland zu spenden scheint ungebrochen zu sein. In den vergangenen Jahren wurden sogar neue Rekorde gemeldet: Der Ukrainekrieg und die Flutkatastrophe im Ahrtal lösten große Hilfsbereitschaft aus. Doch was tut sich über solche einzelnen Ereignisse hinaus auf dem Spendenmarkt? Die Fundraising-Expertin Marita Haibach erläutert für bürgerAktiv, was man über die langfristigen Entwicklungen weiß.

Von Marita Haibach

Die Zeit rund um Weihnachten löst bei vielen Menschen vermehrt den Wunsch aus, sich mit Spenden zu engagieren. Der Monat Dezember ist in vielen Gemeinwohl-Organisationen der Monat, bei dem etwa ein Fünftel der Spendeneinnahmen des ganzen Jahres fließen. Daran hat sich trotz gelegentlicher Schwankungen auch in jüngster Zeit nichts geändert. Eine tragende Rolle kommt dabei auch die Vielzahl und Vielfalt der Spendenaufrufe zu, in Form von postalischen Weihnachtsmailings, Spendenaktionen von Tageszeitungen und Radiosendern, TV-Weihnachtsgalas, Spenden-statt-Schenken-Aktivitäten von Unternehmen, Online-Aktionen und vielem mehr.

In den letzten Jahren, die gekennzeichnet sind von multiplen Krisen und Katastrophen, hat sich erneut bestätigt: Sogenannte „Katastrophenspenden“ sind regelmäßig ein wesentlicher Faktor für starke temporäre Steigerungen des Spendenaufkommens hierzulande, besonders wenn es sich um Katastrophen in Deutschland handelt, wie das Hochwasser 2021, oder Krisen, die uns mittelbar betreffen, wie die Nothilfe Ukraine.

Doch wächst das Spendenaufkommen in Deutschland insgesamt? Wie ist es um die Zahl und Präferenzen der Spendenden bestellt?

Verdoppelung des Spendenaufkommens?

Über das jährliche Gesamtvolumen von Spenden, die Privatpersonen in Deutschland leisten, kursieren unterschiedliche Zahlen. Um die 5 Milliarden Euro nennen die „Bilanz des Helfens“ des Deutschen Spendenrats und der Spendenmonitor des Deutschen Fundraising Verbandes. Um die 13 Milliarden Euro erfasst das Deutsche Zentralinstitut für Soziale Fragen (DZI), das mit den Daten des Sozioökonomischen Panels (SOEP) arbeitet. Dies ist den unterschiedlichen Methoden der Erhebungen geschuldet, doch auch die Grenze (1.500 Euro, 2.500 Euro oder 30.000 Euro), bis zu der Spenden in die Berechnungen einbezogen werden, ist von Bedeutung. Die DZI-Schätzung des Gesamtvolumens auf knapp 13 Milliarden Euro pro Jahr bildet erkennbar, auch durch die Einbeziehung größerer Spenden, die Höhe des Spendenaufkommen, vollständiger ab als die beiden anderen Erhebungen. Das DZI stellt eine Verdoppelung des Volumens seit den Jahr 2000 fest, als der Schätzwert auf knapp unter 6 Milliarden Euro jährlich lag. Ab dem Jahr 2015 steigt die Kurve dabei zunehmend nach oben. Größere Ausschläge sind insbesondere in den Jahren mit besonderen Krisen bzw. Katastrophen festzustellen.

Ist diese Entwicklung nach oben ein Grund zum Jubeln? Ja, weil es ein gutes Zeichen ist, dass sich Menschen ungebrochen solidarisch zeigen und großzügig helfen, besonders dann, wenn die Not vor der eigenen Haustür riesig ist. Ja, dies ist auch als Beleg dafür, dass die wachsende Professionalisierung des Fundraisings mit einer Steigerung des Spendenaufkommens einhergeht.

Doch es gibt mehrere „Aber“. Den inzwischen verlässlicheren Zahlen zum Spenden ging bis vor nicht allzu langer Zeit eine Phase der vagen Schätzungen voraus. Dies gilt auch für den Ausgangspunkt von 6 Milliarden Euro im Jahr 2000. Die Frage, ob es sich tatsächlich um eine Verdoppelung handelt oder aber die Zahlen genauer geworden sind, bedürfte einer näheren Beleuchtung.

Mittelfeld im internationalen Vergleich

Deutschland zählt zu den reichsten Ländern der Erde. Im World Giving Index 2024, den die London ansässige Charities Aid Foundation (CAF) jährlich veröffentlicht, rangiert Deutschland auf Platz 37 weit hinter anderen europäischen Ländern wie Malta (10), Irland (15), Norwegen (21), dem Vereinigten Königreich (Platz 22) und den Niederlanden (25). Die USA stehen auf Platz 6. Bei der Berechnung werden drei Kategorien zugrunde gelegt: einem/einer Fremden helfen, Geld spenden und Freiwilligentätigkeit.

Mit der im CAF-Index genannten (Geld-)Spendenbeteiligungsrate von 57 Prozent liegt Deutschland international im unteren Mittelfeld. Auch die Zahlen der oben genannten Erhebungen zum Spendenaufkommen in Deutschland besagen, dass sich höchstens etwa die Hälfte der Menschen in Deutschland als Spenderinnen und Spender engagieren. Dieser Anteil ist in der Tendenz rückläufig. Interessant ist dabei, dass die einzelnen Spendenden jedoch höhere Beträge beitragen, wie die gestiegenen Spendensummen zeigen.

Humanitäre Hilfe einschließlich Katastrophenspenden weiterhin weit vorne

An den Präferenzen bei den Spendenzwecken hat sich trotz Klimakrise und Energiekrise wenig verändert. Noch immer fließt der größte Teil (etwa zwei Drittel) in die humanitäre Hilfe (neben Not- und Katastrophenhilfe auch Kinder- und Jugendhilfe, Altenhilfe, Behinderten-/Krankenhilfe, Flüchtlingshilfe, Obdachlosenhilfe). Das restliche Drittel umfasst Bereiche wie Umwelt- und Naturschutz, Kultur und Denkmalpflege, Tierschutz, Sport.

Die Bedeutung gesellschaftlich gestaltender Spenden ist hierzulande nach wie vor nicht besonders stark ausgeprägt. Anders als die immer spürbarer werdende Klimakrise vermuten lässt, ist beispielsweise der Umfang von Spenden für Umwelt- und Naturschutz nicht überproportional gestiegen, auch wenn zahlreiche in diesem Bereich tätige Organisationen sehr erfolgreich Spenden einwerben (anders als noch vor 30 Jahren). Es gibt zudem eine gewachsene Vielfalt an Advocacy-Organisationen – LobbyControl, Urgewald, Reporter ohne Grenzen, Germanwatch, HateAid und viele andere mehr – die sich, getragen vom Engagement privater Spenderinnen und Spender, aktiv für Demokratie und Menschenrechte stark machen. Doch deren Anteil am Spendenkuchen ist relativ klein.

Wenig Bewegung bei den Merkmalen der Spendenden

Wer nun sind die Spenderinnen und Spender von heute? Bei den demographischen Merkmalen gibt es im Vergleich zu früheren Zeiten keine markanten Veränderungen. Der größte Anteil der Spendenden liegt weiterhin in den Altersgruppen 70+ und 60+ (fast zwei Drittel), die Anteile in den jüngeren Altersgruppen sind relativ gleichbleibend. Die Spendenquote bei Frauen ist höher (45 Prozent) als bei Männern (41 Prozent), allerdings spenden Männer größere Beträge (416 Euro im Jahresdurchschnitt gegenüber 286 Euro der Frauen). Die Spendenwahrscheinlichkeit steigt mit höherer Bildung und höherem Einkommen. Spendenquoten und Spendenhöhen sind in den östlichen Bundesländern niedriger. Die Zugehörigkeit zu einer christlichen Religionsgemeinschaft hat einen positiven Einfluss auf das Spendenverhalten.

Umfang von Großspenden und Testamentspenden unklar

Bei der durchschnittlichen jährlichen Spendenhöhe gehen die Einschätzungen der einzelnen Erhebungen weit auseinander. Sie bewegen sich zwischen 40 und 170 Euro jährlich (Bilanz des Helfens / Deutscher Spendenmonitor). Mehr als die Hälfte der Spenden liegt bei bis zu 100 Euro im Jahr, ein Fünftel bei 250 Euro und darüber. Während der Anteil der Spenderinnen und Spender, die pro Jahr bis zu 50 Euro spenden, sinkt, steigt der Anteil derjenigen, die zwischen 100 und 500 Euro sowie über 500 Euro spenden, laut SOEP beständig an.
Leider sind keine guten Zahlen zum Volumen von Großspenden und zu aktuellen und potenziellen Großspenderinnen und Großspender zu finden. Dem steht gegenüber, dass das Großspenden-Fundraising hierzulande seit dem Jahr 2010 stark an Fahrt gewonnen hat und in vielen Spendenorganisationen Zahl und Umfang der großen Spenden zugenommen haben. Viele Organisationen berichten zudem von Zuwächsen bei den Testamentspenden. Doch auch Umfang und Zusammensetzung der Testamentspenden sind unklar.

Luft nach oben – aktives Fundraising notwendiger denn je

Die Potenziale für ein höheres Spendenaufkommen in Deutschland sind vorhanden, besonders bei der gewachsenen Zahl von Vermögenden, doch auch darüber hinaus. Spenden, so das Ergebnis mehrerer Studien, macht glücklicher, auch auf lange Sicht, fördern das Gefühl der Selbstwirksamkeit, stiften Sinn. Jede und jeder kann einen Betrag dazu leisten, die Welt ein Stück weit besser zu machen. Selbst bei Katastrophen, wo die Spendengründe durch TV-Bilder frei Haus geliefert werden, sind systematische Fundraising-Aktivitäten notwendig. Eine wesentliche Voraussetzung für Zuwächse bei der Zahl der Spendenden und dem Spendenaufkommen ist es, Fundraising auch als Kunst des Lehrens der Freude am Spenden zu verstehen. Es gilt, passgenau, systematisch und kontinuierlich mehr Funken der Begeisterung zu versprühen und aufzuzeigen: Spenden wirkt!

Dr. Marita Haibach ist Expertin für Fundraising und Großspenden. Sie hat mehrere Bücher dazu verfasst und arbeitet als Beraterin und Coach für Non-Profit-Organisationen.

Foto: Privat

Dieser Beitrag ist Teil des Fokus Werben, geben, wirken – Spenden für den guten Zweck der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte November 2024 der Stiftung Aktive Bürgerschaft.

 

Alle Erwartungen übertroffen: Wie drei Neuntklässlerinnen tausende Euro Spenden sammelten

966 817 Stiftung Aktive Bürgerschaft

Auf zunächst skeptische bis zurückhaltende Reaktionen stießen drei 15-jährige Soester Schülerinnen, als sie sich mit ihrem sozialgenial-Projekt für das örtliche Tierheim engagieren wollten. Umso größer war dann das Erlebnis, mit ihrem Projekt einen Spendenerfolg zu erzielen, der alle Erwartungen übertraf.

Hannah Bräker, Lisa Razem und Sanja Müller, Schülerinnen des Conrad von Soest Gymnasiums in Soest, entwickelten im Fach „Lernen in Projekten“ im Schuljahr 2023/24 die Idee, Spielgeräte für die Kleintiere im Tierheim zu bauen, um sich auf diese Weise zu engagieren. Meerschweinchen, Kaninchen und Co. sollten mehr Anregung in ihren Gehegen finden.

Der Schritt aus der Schule heraus brachte viele Herausforderungen für die Jugendlichen mit sich. Die erste Hürde: Skepsis im Tierheim. „Sie befürchteten am Anfang, wir würden extra Arbeit verursachen“, erzählt Hannah. Doch die Bedenken währten nur kurz, denn das Tierheim hatte gerade sechs neue Gehege für die Kleintiere gebaut, in denen es noch an Spielgeräten zur Beschäftigung mangelte. Hier gab es also tatsächlich Hilfsbedarf. Die Schülerinnen griffen zu und beschlossen, selbst Geräte zu bauen, um Geld zu sparen. Eine Werkstatt stand auf einem elterlichen Hof zur Verfügung, aber das Material war teuer, denn es musste hochwertig und schadstofffrei sein, schließlich würden die Tiere daran nagen. Um diese Kosten zu decken, stellten die Drei eine Spendenaktion bei örtlichen Unternehmen auf die Beine und hofften, ein paar hundert Euro zusammenzubekommen.

Anrufen kostete Überwindung

„Anzurufen und um einen Termin zu bitten, kostete Überwindung“, erzählt Sanja. Denn hier lauerte die nächste Hürde: „Viele Ansprechpartner reagierten zunächst zurückhaltend.“ Dennoch durften die drei Mädchen überall zum persönlichen Gespräch vorbeikommen. Sie erläuterten ihr Projekt, ließen einen selbst gestalteten Flyer da – und waren höchst erfolgreich: Statt der erwarteten paar Hundert Euro kamen insgesamt mehr als 6000 Euro für das Tierheim zusammen. Das war weit mehr, als für die Materialkosten veranschlagt. So konnten die Schülerinnen nicht nur zusätzlich Spielgeräte kaufen, sondern dem Tierheim auch noch das restliche Geld spenden.

Persönliche Gespräche zahlten sich aus

„Es war gut, dass wir persönlich vorbeigekommen sind“, sagt Sanja. „So haben wir den Firmen gezeigt, dass uns wirklich etwas an der Sache liegt und wir dahinterstehen.“
„Wir haben das Feedback bekommen, dass wir sympathisch und überzeugend wirkten. Manche hatten wohl befürchtet, dass wir von einer Werbeagentur kämen“, sagt Lisa.
„Die Leute fanden unser Engagement glaubwürdig. Sie waren total nett“, sagt Hannah.

Nicht alle, aber die meisten der neun besuchten Unternehmen spendeten für das Projekt der Schülerinnen. Hinzu kamen Privatpersonen, denn Hannah, Lisa und Sanja riefen noch beim Soester Anzeiger an und bekamen dort einen Redakteur zu fassen, der über ihr Vorhaben berichtete, woraufhin sich weitere Spender meldeten. Drei der Spender werden dem Tierheim als Dauerspender erhalten bleiben. Insgesamt habe sich das Tierheim sehr über die hohe Geldsumme gefreut, berichten die Schülerinnen. Am Ende des Projekts luden sie alle Spender zu einem Dankeschön-Event mit Kaffee und Kuchen ins Tierheim ein.

„Das werden wir in der Zukunft gut gebrauchen können“

Und was bleibt bei den Schülerinnen hängen? „Es ist total schön, jemanden zum Mitmachen zu begeistern“, nennen sie an erster Stelle, und dass sie viel Einblick in den Alltag des Tierheims erhalten haben. Dazugelernt haben sie beim Umgang mit Geld – Ausgaben kalkulieren, Einkäufe planen – und bei der Projektplanung insgesamt.

Sie erinnern sich an das erste Spendenwerbungsgespräch: „Da waren wir total aufgeregt und hatten noch einen Spickzettel dabei. Inzwischen können wir frei reden. Von Mal zu Mal fällt es uns immer leichter“, erzählen sie. „Wir haben ja jetzt viele Präsentationen vor Erwachsenen gemacht. Das hat uns viel Selbstbewusstsein gegeben, das wir in der Zukunft gut brauchen können.“

Dazu trugen auch die Abschlusspräsentationen am Ende des Projektjahres bei – in der Schule vor den Mitschülerinnen und Mitschülern aus der Stufe und den Lehrkräften sowie im Tierheim, als sie die Spender zum Projektabschluss einluden. Sie hätten ihnen viel Sicherheit, gegeben, sagen Hannah, Lisa und Sanja: „Dadurch ist es jetzt auch gar nicht mehr schlimm, Präsentationen in der Klasse abzuhalten. Es war ein tolles Projekt.“

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Text: Gudrun Sonnenberg
Foto: Conrad von Soest Gymnasium

Dieser Beitrag ist Teil des Fokus Werben, geben, wirken – Spenden für den guten Zweck der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte November 2024 der Stiftung Aktive Bürgerschaft.

 

„Man kann sehen, was die Spenden bewirken“

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Warum spenden Menschen an Bürgerstiftungen? Das weiß Jonas Rugenstein. Er leitet bei der Aktiven Bürgerschaft die Erhebungen zu den Finanzkennzahlen der Bürgerstiftungen in Deutschland. Sie werden alle zwei Jahre im Report Bürgerstiftungen veröffentlicht. Im Interview beantwortet er Fragen zur Entwicklung und den Erfolgsfaktoren beim Fundraising der Bürgerstiftungen.

Seit Mitte der 1990er Jahre gibt es Bürgerstiftungen in Deutschland. Wie viele Menschen haben sie bislang finanziell unterstützt?

Wir haben 300.000 Stiftende und Spendende gezählt. 260.000 Personen haben an Bürgerstiftungen gespendet, 40.000 haben gestiftet. An Bürgerstiftungen stiften und spenden auch Genossenschaftsbanken und andere Unternehmen.

Gab es besonders erfolgreiche Jahre?

Allerdings. 2022 hat die gesamte Spendensumme an die deutschen Bürgerstiftungen zum ersten Mal die Marke von 20 Millionen Euro geknackt – es wurden rund 23 Millionen Euro gespendet. Bei den Zustiftungen hatten wir 2020 mit 40 Millionen Euro einen Höchststand. Anders als früher liegt die Summe der Spenden zurzeit höher als die der Zustiftungen.

Was macht Bürgerstiftungen grundsätzlich für Stifter und Spender attraktiv?

Ich sehe mehrere Punkte. Die wichtigsten: Bürgerstiftungen haben breite Stiftungszwecke und können Zuwendungen entsprechend vielfältig einsetzen. Deshalb können sie für viele verschiedene Anliegen die Anlaufstelle sein. Außerdem engagieren sie sich vor Ort, sozusagen vor der Tür. Wer an eine Bürgerstiftung gibt, kann sehen, was das Geld bewirkt. Schließlich überzeugen die Bürgerstiftungen auch durch ihre gute Vernetzung. Die Vorstandsmitglieder haben in der Regel viele persönliche Kontakte. Sie wissen daher, wo Geld gebraucht wird und sinnvoll eingesetzt werden kann. Das schafft Vertrauen.

Wie viele Spenden/Zustiftungen werben besonders erfolgreiche Bürgerstiftungen ein?

Die Spitzenreiter in unserem letzten Benchmark Bürgerstiftungen aus 2022 waren die Bürgerstiftung Stuttgart mit über 3 Millionen Euro an Spendeneinnahmen in dem Jahr und die Bürgerstiftung Pforzheim-Enz mit einem Zuwachs beim Stiftungskapital von rund 2,7 Millionen Euro.

„Vertrauen spielt eine zentrale Rolle“


Wie gelingt es den im Wachstum erfolgreichen Bürgerstiftungen, Stifter oder Spender zu gewinnen?

Auch hier spielt das Vertrauen eine zentrale Rolle. Bürgerstiftungen können oftmals über einen langen Zeitraum zeigen, dass auf ihre Arbeit Verlass ist und dass sie etwas bewegen. Es kommt gelegentlich sogar vor, dass jemand ihnen eine Erbschaft vermacht, die sie selbst überrascht. Hier wurden also Personen überzeugt, die vorher gar keinen direkten Kontakt zur Bürgerstiftung hatten. Dazu trägt auch eine gute Öffentlichkeitsarbeit bei. Eine große Rolle spielt jedoch, wenn Bürgerstiftungen hauptamtliches Personal haben, das professionelles Fundraising betreiben kann. Das trifft natürlich besonders bei den großen Bürgerstiftungen zu.

Welche Rolle spielen Stiftungsfonds?

Eine große. 2022 gingen über 90 Prozent der Zustiftungen an Bürgerstiftungen mit Stiftungsfonds. Bei den Spenden waren es knapp 70 Prozent. Und das, obwohl nur etwa jede Dritte Bürgerstiftungen Stiftungsfonds besitzt.

Wie funktioniert denn ein Stiftungsfonds?

Wer einen Stiftungsfonds gründen will, stiftet in das Vermögen der Bürgerstiftung für einen bestimmten Zweck, gegebenenfalls mit dem eigenen Namen verbunden. Die Erträge fließen jährlich in entsprechende Projekte vor Ort. Die Bürgerstiftung übernimmt die Verwaltung des Fonds, sodass für die Stiftenden Kosten und Bürokratie minimal sind.

Welche Fundraising-Kampagne einer Bürgerstiftung war besonders erfolgreich?

Es gibt viele bemerkenswerte Kampagnen. Zum Beispiel war und ist die Kampagne „Düsseldorf setzt ein Zeichen“ der BürgerStiftung Düsseldorf ein großer Erfolg. Sie wirbt jedes Jahr mit prominenten Botschafterinnen und Botschaftern für Spenden zugunsten sozial benachteiligter Menschen in Düsseldorf. Seit 2015 sind mehr als 3 Millionen Euro zusammengekommen. Die Bürgerstiftung Kreis Ravensburg wiederum verkauft einen Bürgerstiftungswein, um ein Hospiz zu unterstützen. Die Ehrenamtlichen helfen hier sogar im Weinberg mit. Erfolgreich sind auch Patenschafts- und Freundeskreisaktionen. Immer mehr Bürgerstiftungen setzen darauf, um ihre Unterstützer so mit Dauerspendenkonzepten auch langfristig an sich zu binden.

Zum Report Bürgerstiftungen

Jonas Rugenstein ist stellvertretender Programm-Leiter Bürgerstiftungen bei der Stiftung Aktive Bürgerschaft.

Interview: Gudrun Sonnenberg
Foto: Werner Kissel/Stiftung Aktive Bürgerschaft

Das Interview ist Teil des Fokus Werben, geben, wirken – Spenden für den guten Zweck der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte November 2024 der Stiftung Aktive Bürgerschaft.

Vielfalt zählt: Die Spendenstatistik in Deutschland

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Verschiedene Statistiken erheben, wie viele Menschen in Deutschland Geld für den guten Zweck spenden, und wie hoch die Spendensumme ist. Ihr Daten sind sehr unterschiedlich. Wer an das Gute im Menschen glauben möchte, wird die Zahlen des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen (DZI) mögen, denn sie sind mit Abstand die höchsten – aber Vorsicht, das gilt nur auf den ersten Blick.

Das DZI arbeitet mit Daten aus dem Sozioökonomischen Panel (SOEP), einer Langzeiterhebung mit 30.000 Befragten aus privaten Haushalten. Es erfasst Spenden in einer Höhe bis zu 30.000 Euro sowie ein relativ breites Spektrum an Zwecken. Eine Spendensumme von 12,8 Milliarden Euro errechnete das DZI damit für 2023, ein leichter Rückgang zu 2022, dem Jahr, in dem der Ukrainekrieg ausbrach und 13 Milliarden Euro in der Statistik des DZI erfasst wurden.

Deutlich anders sieht der Spendenmonitor aus, den der Deutsche Fundraising Verband veröffentlicht jedes Jahr. Er befragt online 5000 Menschen zwischen 16 und 70 Jahren und rechnete die Antworten auf lediglich 5,8 Milliarden Euro hoch. Doch sind in seiner Statistik nur Spenden bis 1500 Euro enthalten. Die beiden Organisationen haben Konsequenzen gezogen: Sie wollen künftig zusammenarbeiten und die Zahlen des DFRV sollen als Teilstatistik gekennzeichnet werden (bürgerAktiv berichtete).

Ebenfalls deutlich niedriger als die DZI-Zahlen sind die Zahlen des Deutschen Spendenrats in seiner „Bilanz des Helfens“: 5 Milliarden Euro wurden für 2023 gezählt, ein Rückgang von 12 Prozent gegenüber 2022. Der Spendenrat erfasst Spenden bis 2500 Euro von deutschen Staatsangehörigen. Er arbeitet mit dem GfK Charity Panel, für das eine repräsentative Stichprobe von 10.000 Panelteilnehmern befragt wird.
Noch viel niedriger sind die Zahlen der Finanzämter. Die Lohn- und Einkommensteuerstatistik enthält jene Spenden, die von der Steuer abgesetzt werden können, bis zu einer Höhe von 20 Prozent der Einkünfte. Die Auswertungen kommen mit jahrelanger Verzögerung. Im November 2024 liegen die Zahlen für 2020 vor. In dem Jahr wurden rund 2,7 Milliarden Euro als Spenden von der Steuer abgesetzt.

Mangelware sind Zahlen zu Unternehmensspenden und Großspenden. Der Thinktank Zivilgesellschaft in Zahlen (ZiviZ) veröffentlicht regelmäßig Befragungsergebnisse in seinem Unternehmensmonitor. 2022 gaben 51 Prozent der Unternehmen an, regelmäßig Geldspenden zu tätigen, 36 Prozent gelegentlich. Wie viel sie spendeten, ist nicht bekannt.

Zur DZI-Meldung für 2023
Zum DZI-Spenden-Almanach
Zum Spendenmonitor des DFRV
Zur Bilanz des Helfens des Spendenrats
Zur Lohn- und Einkommensteuerstatistik
Zum Unternehmensmonitor von ZiviZ

Text: Gudrun Sonnenberg

Dieser Beitrag ist Teil des Fokus Werben, geben, wirken – Spenden für den guten Zweck der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte November 2024 der Stiftung Aktive Bürgerschaft.

Fokus Oktober 2024: Soziale Innovation gestern, heute, morgen

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Bei Innovation denken die meisten Menschen zunächst an den technischen Fortschritt. Doch es gibt auch Innovation in der sozialen Praxis. Neue Organisationsformen gehören ebenso dazu wie neue Formen gemeinsamen Wirtschaftens. Vieles, was heute selbstverständlich und traditionell erscheint, ist als soziale Innovation gestartet – Genossenschaften und Wohlfahrtsverbände zum Beispiel.

Ein Treiber für soziale Innovation ist das bürgerschaftliche Engagement. In vergleichsweise großer Freiheit lassen sich hier innovative Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen entwickeln und ausprobieren. Die Aktive Bürgerschaft hat sich zur Aufgabe gemacht, innovativen Konzepten zum Erfolg zu verhelfen. So sind unter anderem die Bürgerstiftungen entstanden, die die Aktive Bürgerschaft von Anfang an in ihrer Entwicklung begleitet hat. Seit vielen Jahren unterstützt sie mit dem Programm sozialgenial auch Service Learning, ein spezielles Engagementkonzept für Schülerinnen und Schüler, denn es verbindet gezielt das schulische Lernen und mit dem Engagement für das Gemeinwohl.

Lesen Sie im Fokus „Soziale Innovation gestern, heute, morgen“ die folgenden Beiträge:

Lasst sie nur machen: Zivilgesellschaft als Versuchslabor für soziale Innovation und Zukunft

In einer Welt, die durch technologische Fortschritte, gesellschaftliche Veränderungen und ökologische Herausforderungen geprägt ist, wird die Rolle der Zivilgesellschaft immer wichtiger. Sie hat das Potenzial, innovative Ideen zu entwickeln, um komplexe Probleme zu lösen und diese in das Leben der Menschen zu übersetzen. Vernetzung spielt dabei eine tragende Rolle, erklärt Michael Vilain von der Evangelischen Hochschule Darmstadt.
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Soziale Innovationen gestern und heute: Genossenschaften und Wohlfahrtsverbände

Als sie im 19. Jahrhundert entstanden, waren Genossenschaften und Wohlfahrtsverbände innovative Akteure des sozialen Wandels. Sie boten alternative Modelle zur kapitalistischen Wirtschaftsweise und zur staatlichen Bürokratie. An der Schnittstelle von Staat, Markt und Gemeinschaft ermöglichten sie es den Menschen, ihre ökonomische und soziale Situation eigenverantwortlich zu verbessern. Ein historischer Abriss der Verwaltungswissenschaftlerin Tanja Klenk.
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Stiftung Aktive Bürgerschaft: Warum uns soziale Innovationen bewegen

Gutes besser tun! Wir machen innovative Engagementkonzepte praxistauglich und setzen sie mit Partnern bundes- oder landesweit um. Im Sinne dieses Leitmotivs gibt die Aktive Bürgerschaft Impulse für die Weiterentwicklung der Bürgergesellschaft. Sie fördert die Bürgerstiftungen in Deutschland und sie fördert Service Learning an den weiterführenden Schulen in Deutschland. Wie innovativ beide Ansätze sind, erläutert Stefan Nährlich von der Stiftung Aktive Bürgerschaft.
Zum Beitrag

„Ehrenamt ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor für Soziale Innovation“

Zarah Bruhn, die Beauftragte für Soziale Innovationen im Bundesministerium für Bildung und Forschung, setzt sich für mehr Förderung sozialer Innovation ein, etwa für besseren Zugang zu Wagniskapital. Dabei habe sie neben den Sozialunternehmen auch andere Akteure wie die Bürgerstiftungen im Blick, sagt sie im Interview mit bürgerAktiv.
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Mehr zum Thema

Kommentar: Bürgerstiftungen und soziale Innovation:
Häufig wird derzeit über soziale Innovation gesprochen. Warum eigentlich fällt in diesem Zusammenhang nie der Begriff der Bürgerstiftung, fragt Stefan Nährlich von der Stiftung Aktive Bürgerschaft.
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Foto: Priscilla du Preez / unsplash.com

Lasst sie nur machen: Zivilgesellschaft als Versuchslabor für soziale Innovation und Zukunft

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In einer Welt, die durch technologische Fortschritte, gesellschaftliche Veränderungen und ökologische Herausforderungen geprägt ist, wird die Rolle der Zivilgesellschaft immer wichtiger. Sie hat das Potenzial, innovative Ideen zu entwickeln, um komplexe Probleme zu lösen und diese in das Leben der Menschen zu übersetzen. Vernetzung spielt dabei eine tragende Rolle.

Von Michael Vilain

Natürlich gibt es nicht nur die eine, homogene Zivilgesellschaft. Vielfalt ist für sie ein geradezu bestimmendes Wesensmerkmal. Die Zivilgesellschaft versammelt viele Akteure, darunter Nonprofit-Organisationen (NPO) wie Vereine und Verbände, soziale Unternehmen, Initiativen, (Bürger-)Stiftungen, aber auch spontan organisierte Gruppen. Sie alle bringen ihre unterschiedlichen Perspektiven, Denkansätze und Ressourcen in die Lösung gesellschaftlicher Probleme ein.

Ihre Stärke liegt einerseits in der Nähe zur Bevölkerung, dem Verständnis für lokale Bedürfnisse und der Fähigkeit, schnell und flexibel zu handeln. Andererseits unterstützen große Verbände wie etwa die Wohlfahrtsverbände, aber auch Berufs- und Fachverbände die Übersetzung der Interessen der Menschen in die Politik. Sie kooperieren mit der Politik auf allen Ebenen, erbringen mitunter Dienstleistungen für die Gesellschaft, sind Schrittmacher und üben Druck auf die Politik aus. Zivilgesellschaft fördert Partizipation, Bildung und Netzwerke, in denen sich neue soziale Praktiken rasant verbreiten können – am liebsten ganz ohne staatliche Steuerungsversuche. Und vor allem ist Zivilgesellschaft auch ein großes Versuchslabor für „…neue Ideen, die darauf abzielen, soziale Bedürfnisse zu erfüllen und neue Beziehungen oder Kooperationen zwischen Bürgern, Gemeinschaften und Organisationen zu schaffen“ (Europäische Kommission).

Ohne Praxis keine Innovation

Allerdings reicht, entgegen landläufiger Stammtischmeinung, die Idee allein nicht aus, um zu einer sozialen Innovation zu führen. Denn sie muss auch in eine gelebte soziale Praxis überführt werden. Logisch also, dass es zwar viele Ideen zur Lösung sozialer Probleme gibt, die Zahl der realen Umsetzungsversuche jedoch bereits deutlich geringer ist und die echten Erfolge noch seltener sind. Hinzu kommt, dass es auf soziale Innovationen kaum Patente gibt, neue Ideen schnell kopiert werden können und dann der kommerzielle Nutzen ausbleibt. Das spüren viele der sogenannten Social Entrepreneurs, Mischformen aus unternehmerischer und karikativer Organisation, die in den letzten Jahren vermehrt antreten, um nicht nur soziale Probleme zu lösen, sondern mit diesen Aktivitäten auch selbst ein Einkommen zu erzielen. Das gelingt leider nicht oft.

Der Antrieb für soziale Innovation ist entsprechend selten ein reines Gewinnstreben. Er stammt meist auch nicht aus einer politisch verordneten Förderumwelt. Er liegt vielmehr im einzelnen Menschen begründet und in dessen Spannungsverhältnis zwischen den wahrgenommenen sozialen und gesellschaftlichen Zuständen und dem Wunsch nach Veränderung. Solche Spannungen gibt es satt. Viele soziale Probleme spitzen sich zu, beispielsweise Wohnungslosigkeit, Gentrifizierung der Städte, Verteuerung des täglichen Lebens, Klimakrise, Ausweitung der Staatstätigkeit, Migration und Integration, Abstiegsängste der Mittelschichten. Gleichzeitig wächst die Unzufriedenheit in der Bevölkerung und schwindet das Vertrauen in angestammte Institutionen.

Der Nährboden ist bereitet

Anders gesagt: Es ist genug Dampf im Kessel – der Nährboden für soziale Innovationen ist bereitet. Ihr Antriebsriemen sind die finanziellen, technischen und kommunikativen Möglichkeiten der jeweiligen Zeit. Handlungsfelder sind dabei unter anderen:

  • Digitale Lösungen: Die Digitalisierung bietet zahlreiche Möglichkeiten für soziale Innovationen. Plattformen für den Austausch von Dienstleistungen, Nachbarschaftshilfe oder Peer-to-Peer-Learning sind Beispiele dafür, wie Technologie genutzt werden kann, um soziale Interaktionen zu fördern. In Zukunft könnten solche digitalen Plattformen noch mehr Raum für Bürgerengagement schaffen und lokale Gemeinschaften stärken.
  • Nachhaltige Entwicklung: Angesichts der Klimakrise wird die Entwicklung nachhaltiger Lösungen immer wichtiger. Soziale Innovationen könnten sich darauf konzentrieren, umweltfreundliche Praktiken in den Alltag zu integrieren, etwa durch gemeinschaftliche Projekte wie Urban Gardening oder lokale Tauschbörsen, aber auch durch die Sicherung der Akzeptanz für nachhaltiges Handeln in allen Lebensbereichen. Diese Initiativen fördern nicht nur die Umwelt, sondern stärken auch den sozialen Zusammenhalt.
  • Inklusive Gesellschaft: Die Schaffung einer inklusiven Gesellschaft ist eine der größten Herausforderungen der heutigen Zeit. Soziale Innovationen, die darauf abzielen, marginalisierte Gruppen einzubeziehen, könnten neue Programme zur beruflichen Bildung oder zur sozialen Integration entwickeln. Projekte, die Flüchtlingen und Migranten helfen, sich in die Gesellschaft einzugliedern, werden zunehmend an Bedeutung gewinnen.
  • Politikalternativen: In vielen Staaten weltweit lassen sich die Entstehung neuer politischer Gruppierungen und Parteien beobachten, viele davon als Form des Protests gegen etablierte Strukturen und deren als mangelhaft wahrgenommene Problemlösungsfähigkeit. Grundlage sind dabei nicht selten neuartige Kommunikationsstile und netzwerkartige Kommunikationsstrukturen, die es mitunter auch vermögen, zuvor isolierte Gruppen miteinander zielgerichtet zu verbinden.

Um Innovationen erfolgreich umzusetzen und zu verbreiten, ist eine starke Vernetzung innerhalb der Zivilgesellschaft unerlässlich. Kooperationen zwischen verschiedenen Akteuren – sei es zwischen NPOs, Unternehmen, Kirchen, Schulen oder Kommunen und Ministerien – können das Entstehen und die Wirksamkeit sozialer Innovationen erhöhen. Netzwerke ermöglichen auch den Austausch bewährter Praktiken und fördern die Verbreitung erfolgreicher Lösungen.

Fazit

Auch wenn der Fokus vieler öffentlicher Debatten derzeit auf der Zukunftsfähigkeit von Wirtschaft und Staat liegen, wird deutlich, dass die Zukunft unseres Landes letztlich davon abhängt, ob und wie es gelingen wird, die Erfordernisse einer modernen und nachhaltigen Welt auch in gelebte und akzeptierte soziale Praxis zu verwandeln. Dazu braucht es künftig mehr denn je soziale Innovationen – und Zivilgesellschaft.

Prof. Dr. phil. Michael Vilain ist Vizepräsident für Forschung und Internationales der Evangelischen Hochschule Darmstadt, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Zukunftsfragen der Gesundheits- und Sozialwirtschaft (IZGS) und Mitglied des Stiftungsrates der Stiftung Aktive Bürgerschaft.

Foto: Jörg Meisinger

Dieser Beitrag ist Teil des FOKUS SOZIALE INNOVATION GESTERN, HEUTE, MORGEN der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte Oktober 2024 der Stiftung Aktive Bürgerschaft.

Soziale Innovationen gestern und heute: Genossenschaften und Wohlfahrtsverbände

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Als sie im 19. Jahrhundert entstanden, waren Genossenschaften und Wohlfahrtsverbände innovative Akteure des sozialen Wandels. Sie boten alternative Modelle zur kapitalistischen Wirtschaftsweise und zur staatlichen Bürokratie. An der Schnittstelle von Staat, Markt und Gemeinschaft ermöglichten sie es den Menschen, ihre ökonomische und soziale Situation eigenverantwortlich zu verbessern.

Von Tanja Klenk

Was sind soziale Innovationen?

Soziale Innovationen sind Veränderungen in sozialen Praktiken, die darauf abzielen, gesellschaftliche Herausforderungen zu lösen oder neue, bessere Wege des Zusammenlebens und Zusammenarbeitens zu schaffen. Das können neue Organisationsformen und Geschäftsmodelle sein, neue soziale Bewegungen oder politische Strategien. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht nur technischen Fortschritt bedeuten, sondern auch soziale Beziehungen, Verhaltensweisen und institutionelle Strukturen nachhaltig beeinflussen.

Klassische Beispiele für soziale Innovationen sind Genossenschaften und Wohlfahrtsverbände. Beide Organisationstypen entstanden im 19. Jahrhundert als Reaktion auf die sozialen Missstände der Industriellen Revolution. Viele Menschen litten unter schlechten Arbeitsbedingungen, hatten nur unzureichenden Zugang zu wichtigen Ressourcen wie Krediten, Wohnraum oder landwirtschaftlichen Betriebsmitteln und die soziale Absicherung im Falle von Krankheit und Invalidität reichte nicht aus. Genossenschaften und Wohlfahrtsverbände bildeten sich damals als neue gesellschaftliche Ordnungsformen heraus.

Sie können als soziale Innovationen betrachtet werden, weil sie alternative Modelle boten zu den beiden dominanten gesellschaftlichen Ordnungsformen ihrer Zeit – der kapitalistischen Wirtschaftsweise und der sich im Zuge der Nationalstaatsbildung entwickelnden staatlichen Bürokratie. Genossenschaften und Wohlfahrtsverbände positionierten sich an der Schnittstelle von Staat, Markt und Gemeinschaft und ermöglichten es den Menschen, ihre ökonomische und soziale Situation eigenverantwortlich zu verbessern. Während sie im Unterschied zur kapitalistischen Wirtschaftsweise das Prinzip der kollektiven Verantwortung betonten, setzten sie im Verhältnis zum Staat auf Eigenverantwortung und Subsidiarität.

Die beiden Beispiele zeigen, dass soziale Innovationen nicht zwingend als eine bahnbrechende, völlig neue Erfindung zu verstehen sind, sondern sich durch eine innovative Neuordnung bestehender gesellschaftlicher Strukturen entwickeln können. Das Wirtschaften – das heißt, die Produktion von Gütern und die Erbringung von (sozialen) Dienstleistungen – wird mit demokratischen Entscheidungsformen wie kollektiven Versammlungen, Konsens- oder Kompromissbildung, Mehrheitsentscheidungen und Wahlen so zusammengeführt, dass hybride Organisationsformen entstehen.

Hybride Organisationsformen: Katalysatoren für soziale Innovationen

An Genossenschaften und Wohlfahrtsverbänden ist besonders interessant, dass sie nicht nur das Ergebnis sozialer Innovationen sind, sondern gleichzeitig weitere innovative Lösungen entwickeln und verbreiten. Als hybride Organisationen sind sie Agenten des sozialen Wandels: Sie bringen Akteure aus unterschiedlichen Bereichen zusammen und fördern dadurch den Austausch und die Vernetzung verschiedener Perspektiven und Kompetenzen. Indem sie staatliche, zivilgesellschaftliche und marktwirtschaftliche Partner einbinden, überwinden sie sektorale Grenzen und können komplexe gesellschaftliche Herausforderungen ganzheitlich adressieren. Diese Interaktion ermöglicht es, innovative Lösungsansätze zu entwickeln, die aus den traditionellen Strukturen der einzelnen Sektoren nicht hervorgegangen wären.

Gesellschaft in der Polykrise: Die Rolle von sozialen Innovationen

Durch ihre Fähigkeit, Dienstleistungen an neue soziale Bedürfnisse anzupassen und innovative Lösungen für die Herausforderungen ihrer jeweiligen Zeit zu entwickeln, sind hybride Organisationen wie Genossenschaften und Wohlfahrtsverbände nicht nur von historischem Interesse. Auch in der heutigen Situation, die durch das Zusammentreffen mehrerer sich wechselseitig verstärkender Krisen – die sogenannte Polykrise – gekennzeichnet ist, können sie eine wichtige Rolle bei der Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen spielen und dazu beitragen, die Gesellschaft resilienter zu gestalten.

Eine Gesellschaft wird resilient nicht durch das Festhalten an alten Strukturen, sondern durch ihre Fähigkeit, Krisensituationen als Chancen für soziale Innovationen zu nutzen. Das zeigen viele Studien zum Krisenmanagement. Herausforderungen wie die sozial-ökologische Transformation, die Digitalisierung der Gesellschaft, der demografische Wandel und die Integration von Menschen auf der Flucht lassen sich kaum ohne die Ideen und Ansätze jener Organisationen, die zwischen Markt, Staat und Zivilgesellschaft agieren, bewältigen. Diese Organisationen sind es, die Kompromisse schaffen zwischen divergierenden Steuerungsformen und innovative Lösungen entwickeln, um gesellschaftliche Herausforderungen umfassend anzugehen.

Freiräume müssen erhalten bleiben

Damit aber hybride Organisationen Sozialinnovationen entwickeln und neue Lösungen erproben können, müssen sie die Fähigkeit besitzen, tatsächlich flexibel im Spannungsfeld zwischen Markt, Staat und Zivilgesellschaft zu agieren. Die Geschichte zeigt, dass die Aufrechterhaltung einer hybriden Struktur ein permanenter Balanceakt ist, der leicht aus dem Gleichgewicht geraten kann. Ein wesentlicher bestimmender Faktor sind die Rahmenbedingungen, die der Staat durch regulative Vorgaben und Förderpolitik setzt. So stehen Wohlfahrtsverbände aufgrund der Sozialstaatsreformen der vergangenen Jahre unter einem erheblichen Effizienz- und Wettbewerbsdruck und haben hohe bürokratische Lasten, die durch die Regulierung der sogenannten Wohlfahrtsmärkte entstehen. Infolgedessen verschwimmt die spezifische Differenz dieses Organisationstypus sowohl zu unternehmerischen wie auch zu behördlichen Strukturen immer mehr – und damit auch die Autonomie dieser Organisationen, die für die Entwicklung und Umsetzung sozialer Innovationen notwendig ist.

Für die Förderung sozialer Innovationen bedeutet dies, dass die Rahmenbedingungen so gestaltet werden müssen, dass hybride Organisationen genügend Spielraum für kreative Lösungen und innovative Ansätze haben. Hierfür ist es entscheidend, dass Bürokratieabbau und ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Regulierung und Eigenverantwortung die Handlungsfähigkeit dieser Organisationen stärken. Insbesondere sollten Anreizstrukturen geschaffen werden, die die Nutzung von Innovationspotenzialen fördern, ohne dabei die gemeinwohlorientierte Mission durch übermäßige Effizienzvorgaben zu gefährden. Darüber hinaus müssen staatliche Förderinstrumente und Regularien so angepasst werden, dass sie die spezifischen Bedürfnisse hybrider Organisationen berücksichtigen.

Nur wenn hybride Organisationen sowohl die Unterstützung staatlicher Akteure als auch die Freiräume zur eigenständigen Entfaltung erhalten, können sie ihre Rolle als wichtige Treiber sozialer Innovationen voll ausschöpfen und nachhaltig zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen beitragen.

Prof. Dr. Tanja Klenk ist Professorin für Verwaltungswissenschaften an der Helmut-Schmidt-Universität / Universität der Bundeswehr Hamburg und Stiftungsrätin der Stiftung Aktive Bürgerschaft.

Foto: Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr

Dieser Beitrag ist Teil des FOKUS SOZIALE INNOVATION GESTERN, HEUTE, MORGEN der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte Oktober 2024 der Stiftung Aktive Bürgerschaft.

Stiftung Aktive Bürgerschaft: Warum uns soziale Innovationen bewegen

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„Gutes besser tun! Wir machen innovative Engagementkonzepte praxistauglich und setzen sie mit Partnern bundes- oder landesweit um.“ Das ist das Leitmotiv der Stiftung Aktive Bürgerschaft und in diesem Sinne will sie mit ihrer Arbeit Impulse für die Weiterentwicklung der Bürgergesellschaft geben. Die Aktive Bürgerschaft realisiert ihren Anspruch mit zwei Programmenbereichen: Sie fördert die Bürgerstiftungen in Deutschland und sie fördert Service Learning an den weiterführenden Schulen in Deutschland. Wie innovativ beide Ansätze sind, erläutert Stefan Nährlich von der Stiftung Aktive Bürgerschaft. Übrigens: Die Gründung der Aktiven Bürgerschaft als Kompetenzzentrum für Bürgerengagement der Genossenschaftlichen Finanzgruppe war seinerzeit ebenfalls neuartig.

Von Stefan Nährlich

Bürgerstiftungen

Die Bürgerstiftungen sind eine neue Idee für ein altes Stiftungsproblem: die oft enge Zweckbindung einer Stiftung und einen oft nicht mehr zeitgemäß umsetzbaren Stifterwillen. Für den amerikanischen Bankier und Rechtsanwalt Frederick Goff war diese „dead hand of the past“ im Jahr 1914 der Anlass zur Entwicklung und Gründung der weltweit ersten Bürgerstiftung – Community Foundation – in den USA.

Goff legte den Grundstein für die Verbindung von Vereins- und Stiftungselementen mit der neuen Organisationsform, die weltweit in unterschiedlichen Varianten Nachahmer fand. In der Bürgerstiftung sichert eine Vielzahl von Stiftungszwecken die Flexibilität für die Zukunft. Unabhängige, engagierte und kompetente Bürgerinnen und Bürger in den Gremien und Projekten sorgen für eine zeitgemäße und wirkungsvolle Mittelverwendung.

Erst 1996/1997 kam die Idee der Bürgerstiftung nach Deutschland. Akteure wie die Aktive Bürgerschaft haben dazu beigetragen, dass bis heute an mehr als 420 Orten Bürgerstiftungen gegründet wurden – eine erfolgreiche Skalierung.

In Deutschland mit seiner staatsnahen Tradition bürgerschaftlichen Engagements stellen die Bürgerstiftungen noch eine weitere soziale Innovation dar: ohne irgendein Bundesmodellprogramm, sondern aus der Praxis vor Ort heraus, sind privat getragene Strukturen entstanden, die inzwischen mehr als 400.000 Menschen für ihr Engagement genutzt haben. Über eine halbe Milliarde Euro haben die Bürgerstiftungen mittlerweile als Stiftungsvermögen gebildet und verfügen damit über, wie wir es gerne nennen, zivilgesellschaftliches Eigenkapital, das es erlaubt, eine eigenständige Agenda zu verfolgen.

Service Learning

Schulisches Wissen direkt anwenden, dabei Neues lernen, sich als wirkmächtig erfahren und Gutes tun: Im Schulalltag ist das ein schöner Traum – Service Learning ermöglicht, ihn wahr werden zu lassen. Denn es ist eine Lehr- und Lernmethode, die schulischen Unterricht (oder Lehrveranstaltungen an Hochschulen) mit ehrenamtlichem Engagement für das Gemeinwohl verbindet – gerade auch in Projekten bei oder mit Vereinen, sozialen Einrichtungen und anderen außerschulischen Partnern.

Das fördert einerseits die bessere Vermittlung von Lehrinhalten und die Entwicklung von Schlüsselkompetenzen. Anderseits sehen wir darin die Lösung für die in Deutschland schwieriger werdende Gewinnung ehrenamtlich Engagierter: deren Anzahl steigt nicht und es gibt bei ihnen einen deutlichen Mittelschichts-Bias, wie die Freiwilligensurveys zeigen. Maßnahmen der gemeinnützigen Organisationen und staatliche Kampagnen erreichen oft nur diejenigen Menschen, die bereits über den Familien- und Freundeskreis Berührungen mit bürgerschaftlichem Engagement haben.

In Schulen dagegen erreichen Service-Learning-Projekte junge Menschen herkunftsunabhängig und frühzeitig. Auch das ist wichtig, bevor sich andere Präferenzen bilden, womit sie sich im späteren Leben beschäftigen.

Service-Learning-Projekte lassen Engagement für eine Vielzahl von gesellschaftlichen Themen zu und sind mit nahezu allen Fächern und Lehrplänen verknüpfbar. Bisher haben sich in dem Service-Learning-Programm sozialgenial unserer Stiftung über 160.000 Schülerinnen und Schüler engagiert. Von anfangs einigen wenigen Schulen in Münster ist uns die Skalierung auf über 1000 Schulen in vier Bundesländern gelungen. Ab diesem Schuljahr 2024/25 bieten wir sozialgenial den weiterführenden Schulen bundesweit an, wobei uns neben der DZ BANK und regionalen Genossenschaftsbanken auch die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt finanziell unterstützt.

Die Aktive Bürgerschaft

Im Jahr 1997 wurde mit der Gründung der Aktiven Bürgerschaft selbst Neuland in Deutschland betreten: Es entstand eine gemeinnützige Organisation, die bundesweit bürgerschaftliches Engagement fördert und von einer Bankengruppe getragen wird. Dies korrespondierte mit der Entwicklung des bürgerschaftlichen Engagements hin zu einer Gesellschaft mitgestaltender aktiver Bürgerinnen und Bürger. Den Initiatoren der Aktiven Bürgerschaft ging es dabei auch darum, gemeinnützige Organisationen zu unterstützen, die dem Engagement Nachhaltigkeit verleihen, und um Strukturen, die individuelles Engagement fördern und stärken.

Indem Volksbanken und Raiffeisenbanken sich als Stifter und Partner der Aktiven Bürgerschaft engagieren, knüpfen sie auch an ihr eigenes Selbstverständnis als soziale Innovatoren an: Genossenschaftsbanken trugen während der industriellen Revolution durch Kooperation und Hilfe zur Selbsthilfe maßgeblich dazu bei, die wirtschaftlichen Not der Menschen zu lindern und Wohlstand für breite Bevölkerungsschichte zu ermöglichen.

Dr. Stefan Nährlich ist Geschäftsführer und Mitglied des Vorstands der Stiftung Aktive Bürgerschaft.

Foto: Werner Kissel/Stiftung Aktive Bürgerschaft

Dieser Beitrag ist Teil des FOKUS SOZIALE INNOVATION GESTERN, HEUTE, MORGEN der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte Oktober 2024 der Stiftung Aktive Bürgerschaft.

„Ehrenamt ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor für Soziale Innovation“

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Zarah Bruhn, die Beauftragte für Soziale Innovationen im Bundesministerium für Bildung und Forschung, setzt sich für mehr Förderung sozialer Innovation ein, etwa für besseren Zugang zu Wagniskapital. Dabei habe sie neben den Sozialunternehmen auch andere Akteure wie die Bürgerstiftungen im Blick, sagt sie im Interview mit bürgerAktiv.

Womit befassen Sie sich als Beauftragte der Bundesregierung für Soziale Innovation zurzeit vor allem?

Mein Ziel ist es vor allem, gute Rahmenbedingungen zu erreichen und bestehende Hürden abzubauen – für alle Akteurinnen und Akteure, die Soziale Innovationen hervorbringen und umsetzen. Dabei kann ich meine Erfahrungen einbringen aus der Zeit vor etwa acht Jahren, als ich mein Sozialunternehmen socialbee gegründet und keine Gründungsunterstützung bekommen habe. Weder war das Thema bekannt, noch gab es gezielte Förderprogramme – und auf die klassischen Start-Up Programme konnte ich mich mit unserer gGmbH nicht bewerben. Hier ist Deutschland unter anderem mit der ersten nationalen Strategie der Bundesregierung zur Förderung Sozialer Innovationen schon einen entscheidenden Schritt weiter. Das freut mich schon sehr. Trotzdem sind zur Umsetzung natürlich auch dicke Bretter zu bohren, um die Finanzierung zu verbessern oder den Zugang zu Wagniskapital zu erleichtern.

Die Währung von Sozialen Innovationen ist ihre Wirkung. Daher versuche ich überall, wo es möglich ist, die Opportunitätskosten und den Social Return on Investment zu verdeutlichen. Auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) setzt sich für die Erforschung der Wirkungsmessung ein. Ein erstes Praxishandbuch liegt schon vor – herausgegeben von der Ludwig-Maximilian-Universität München und der Universität Hamburg. Vielleicht ist das auch ein hilfreiches Tool für Bürgerstiftungen. Es ist online abrufbar und auf der zentralen Anlaufstelle sigu-plattform.de verlinkt, die das BMBF und Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz fördern. Diese Plattform ist natürlich auch für die Bürgerstiftungen da.

In welchen gesellschaftlichen Bereichen werden aus ihrer Sicht Soziale Innovationen am dringendsten gebraucht?

Eigentlich in allen Bereichen. Ich bin froh, dass viele Sozialunternehmen sich auf innovative Weise der Integration von Geflüchteten widmen – oder MigrantInnen zu dringend benötigten Fachkräften qualifizieren und bei der Jobvermittlung unterstützen. Weitere Akteure, so auch die zahlreichen Bürgerstiftungen, setzen sich für Partizipation, Vielfalt, Toleranz und Demokratie und Zusammenhalt ein. Ebenso brauchen wir Soziale Innovationen für die Inklusion, zur Krisenprävention, für mehr Bildungschancen, für die MINT-Bildung und die Bildung für nachhaltige Entwicklung, für die Bewältigung des Klimawandels und vieles mehr.

Bürgerstiftungen spielen in der Regierungsstrategie Soziale Innovationen keine Rolle. Sind Bürgerstiftungen nicht innovativ?

Bürgerstiftungen sind selbst schon eine Soziale Innovation in sich. Sie unterstützen dabei, gesellschaftliche Innovationen vor Ort zu realisieren und geben wichtige Impulse für eine gemeinwohlorientierte Wirtschaft.

Unsere Regierungsstrategie bezieht alle sozial-innovativen Akteurinnen und Akteure aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft und Politik mit ein – wir denken akteursoffen und nicht in Rechtsformen. So können auch die Bürgerstiftungen in den Genuss einer Förderung durch die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt (DSEE) kommen, die unter anderem Innovationen im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements und des Ehrenamts, insbesondere digitale Innovationen fördert.

Welche Rolle kann aus Ihrer Sicht das ehrenamtliche Engagement für die Entwicklung Sozialer Innovationen spielen?

Ohne ehrenamtliches Engagement wäre unsere Gesellschaft so viel ärmer. Es ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor für Soziale Innovationen. Viele sozial-innovative Projekte haben mehr ehrenamtliche als hauptamtliche Mitarbeitende. Ehrenamtlich Engagierte bringen – sehr häufig auch in Bürgerstiftungen – ihre Zeit, ihr Geld und ihre Ideen ein. Daher möchte ich dieses Interview zugleich nutzen, um hier schwarz auf weiß und aus vollem Herzen DANKE zu sagen und meine Anerkennung zu zollen.

Zarah Bruhn ist Sozialunternehmerin und seit 2022 Beauftragte für Soziale Innovationen im Bundesministerium für Bildung und Forschung.

Foto: Hans Joachim Rickel / BMBF

Das Interview ist Teil des Fokus Soziale Innovation gestern, heute, morgen der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte Oktober 2024 der Stiftung Aktive Bürgerschaft.

Fokus September 2024: Engagiert für die Zukunft – Wie Bürgerstiftungen wachsen

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Vermögen aufzubauen, gehört zu den wesentlichen Merkmalen einer Bürgerstiftung. Denn finanzielle Unabhängigkeit ist wichtig, um eigene Ideen zu verwirklichen, sich für die Demokratie einzusetzen und engagierten Bürgerinnen und Bürgern einen starken Rückhalt zu geben.

Im bürgerAktiv Magazin 2024/25 über Bürgerstiftungen widmet sich die Stiftung Aktive Bürgerschaft unter anderem der Frage, wie das Wachstum gelingen kann, und stellt fest: Die in vielen Fällen erfolgsträchtigste Strategie sind Stiftungsfonds, namens- oder zweckgebundene Zustiftungen in das Grundstockkapital der Bürgerstiftung.

Wie Stiftungsfonds funktionieren und warum sie so gut sind, lesen Sie im Fokus „Engagiert für die Zukunft – Wie Bürgerstiftungen wachsen“ mit diesen Beiträgen aus dem bürgerAktiv Magazin und mehr:

Der Königsweg

Von der Rettungsaktion bis zur Vermögensverwaltung: Stiftungsfonds ermöglichen Stifterinnen und Stiftern sich ohne bürokratischen Aufwand zu engagieren – und die Bürgerstiftung kann damit wachsen. Fünf Bürgerstiftungen erzählen, wie sie zu ihren Stiftungsfonds kamen und welche Weichen sie für die Zukunft gestellt haben.
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Chancen nutzen

Je größer ihr Kapital ist, desto nachhaltiger und unabhängiger kann eine Bürgerstiftung mitgestalten. Warum wachsen dann nicht alle Bürgerstiftungen? Die Aktive Bürgerschaft hat die Gründe in einer Umfrage ermittelt – mit klaren Ergebnissen. Eine Analyse von Stefan Nährlich und Jonas Rugenstein.
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Die Strategie

Mit Stiftungsfonds können Bürgerstiftungen zweierlei: sofort mehr bewirken ebenso wie langfristig wachsen und tragfähige Strukturen aufbauen. Warum die Aktive Bürgerschaft den Bürgerstiftungen die Stiftungsfonds so nachdrücklich empfiehlt, erläutert Bernadette Hellmann.
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Musik, Frieden, Medienkompetenz

Immer mehr Stifterinnen und Stifter setzen auf Stiftungsfonds bei Bürgerstiftungen, um ihre Ideen zu verwirklichen. Dabei können sie sich ganz auf ihr Engagement konzentrieren, denn die Bürgerstiftung übernimmt die Verwaltung. Vier Beispiele zeigen, wie Stifter diese Möglichkeit nutzen.
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Mit Stiftungsfonds Stifter gewinnen: Angebote und Unterstützung

Dem Geld darf man nicht nachlaufen: Man muss ihm entgegengehen. Die Aktive Bürgerschaft hilft Bürgerstiftungen bei der Entwicklung ihres Angebots für Stiftungsfonds mit Weiterbildung, Beratung und Vernetzung.
Zum Beitrag

Mehr zum Thema

Bürgerstiftungen in Zahlen – aktuelle Daten und Finanzkennzahlen aus dem Report Bürgerstiftungen
Zu den Zahlen

Bernadette Hellmann über die historische Entwicklung von amerikanischen Bürgerstiftungen und ihren Stiftungsfonds: 100 JAHRE CLEVELAND FOUNDATION. Wie Bürgerstiftungen im Wandel der Zeit ihrer Idee treu bleiben, erschienen in Stiftung&Sponsoring 1|2014
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Engagiert für die Zukunft – das bürgerAktiv Magazin 2024 über Bürgerstiftungen
Zum Magazin

Foto: Sebastian Petersen

Der Königsweg

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Von der Rettungsaktion bis zur Vermögensverwaltung: Stiftungsfonds ermöglichen Engagement und die Bürgerstiftung kann dabei wachsen.

Stiftungsfonds sind Zustiftungen in das Grundstockkapital einer Bürgerstiftung. Für Stifterinnen und Stifter stellen sie ein attraktives Angebot dar: Mit minimalem Aufwand und Kosten können sie unter dem Dach und mithilfe der Bürgerstiftung ihre Projekte umsetzen und dem Fonds einen eigenen Namen oder Zweck geben. Die Bürgerstiftung profitiert wiederum vom Zuwachs beim Kapital. Fünf Beispiele:

Laupheimer Bürgerstiftung: Rettungsaktion mit Zulegung als Stiftungsfonds

Zwar sind 150.000 Euro viel Geld, doch die Kapitalerträge in dieser Größenordnung sind bescheiden, zumal in der Niedrigzinsphase. Das mussten die Vorstände der Stiftung zur Förderung des Museums für Christen und Juden in Laupheim feststellen. Sie war, wie der Name sagt, errichtet worden, um das Museum zu fördern, konnte jedoch diesem Zweck kaum noch nachkommen, weil die ohnehin zu niedrigen Erträge aus der Vermögensanlage von den Kosten für die Verwaltung der Stiftung aufgefressen wurden.

Die Lösung: Die Stiftung wurde als zweckgebundener Stiftungsfonds der Laupheimer Bürgerstiftung zugelegt. Dort war man vorbereitet, sagt ihr Vorstand Christian Striebel: „Wir hatten Stiftungsfonds nach einer Qualifizierung bei der Aktiven Bürgerschaft schon im Blick.“

Bis zur Überweisung des Kapitals zum Jahreswechsel 2022/23 an die Bürgerstiftung dauerte es ein Jahr – die Zulegung war auch für die Beteiligten im Regierungspräsidium und beim Finanzamt ein ungewohnter Prozess. Seither entfallen die Verwaltungskosten, und so können Projekte zur Erinnerung an die ehemalige jüdische Gemeinde in Laupheim weiter unterstützt werden. Involviert ist dabei weiterhin der Freundeskreis des Museums, ein seit Jahren aktiver Verein. Die Bürgerstiftung verwaltet das Vermögen, das sie zusammen mit dem Stiftungskapital der Bürgerstiftung anlegt. Insgesamt beträgt ihr Stiftungskapital jetzt rund 1,6 Millionen Euro. Die Bürgerstiftung will weitere Stiftungsfonds einwerben. Neben der Zulegung weiterer kleinerer Stiftungen sieht sie dabei vor allem beim Thema Erbschaften/Nachlässe Potenzial: „Über einen Stiftungsfonds kann der Erblasser in Abstimmung mit uns auch thematische Förderschwerpunkte setzen und so auch über seinen Tod hinaus noch Gutes in unserer Region bewirken.“

Bürgerstiftung Dresden: Vermögensaufbau als Schwerpunkt

Von den Community Foundations in den USA inspiriert, setzte die Bürgerstiftung Dresden schon Ende der 1990er-Jahre auf den Vermögensaufbau. Es habe ein paar Jahre gedauert, bis die Sache in Schwung kam, sagt Vorstandsmitglied Winfried Ripp. „Die erste Million ist immer die schwerste! Aber schließlich haben sich unsere Fonds herumgesprochen.“ Es begann ein enormes Wachstum. Immer mehr Stifterinnen und Stifter vertrauten der Bürgerstiftung ihre Stiftungen an. Heute hat sie ein Vermögen von mehr als 40 Millionen Euro. Drei Viertel davon sind Fremdkapital: Treuhandstiftungen, rechtsfähige Stiftungen – und auch 35 Stiftungsfonds mit zusammen rund 6,5 Millionen Euro Vermögen. „Je mehr Vermögen wir verwalten, desto bessere Konditionen bekommen wir bei der Anlage“, sagt Ripp. Die Bürgerstiftung ist mit 23 hauptamtlichen Mitarbeitenden entsprechend professionell aufgestellt, allerdings gehe die meiste Manpower in maßgeschneiderte Konzepte für Projekte, so Ripp.

„Die Stiftungsfonds sind optimal, denn es entstehen keine Verwaltungskosten“, findet er inzwischen. So fließt mehr Geld in die Verwirklichung der Stiftungszwecke. Die Bürgerstiftung wandele daher aktiv Treuhandstiftungen in Stiftungsfonds um, zehn Umwandlungen gab es bereits. Es hänge von der Aktivität der Stiftenden ab, was sinnvoll sei. Ripp nennt als Beispiel die Treuhandstiftung Musik in Sachsen mit dem prominenten Trompeter Ludwig Güttler: „Hier sind die Stifter sehr aktiv, die Gremien funktionieren. Da erübrigt sich die Nachfrage nach einer Umwandlung.“ Wenn dagegen die Stiftenden weniger Zeit investieren können, eigne sich ein Stiftungsfonds besser.

Bürgerstiftung Hellweg-Region: Treuhand versus Stiftungsfonds – Korrekturbedarf

Zwölf Stiftungsfonds und 17 Treuhandstiftungen: So sieht derzeit das Verhältnis bei der Bürgerstiftung Hellweg-Region aus. Die Bürgerstiftung würde es gerne noch weiter in Richtung Stiftungsfonds verschieben und Treuhandstiftungen in Stiftungsfonds umwandeln, um Notlagen aufgrund mangelnder Erträge und höherer Verwaltungskosten zu verhindern.

Als Knackpunkt hat sich bei der ersten Umwandlung das Abtreten der Entscheidungsbefugnisse an die Bürgerstiftung erwiesen, berichtet Stephanie Hackelsberger, stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Bürgerstiftung. Mit einem Gremium der Stiftenden, deren Vorschläge die Bürgerstiftung gerne berücksichtigt, ließen sich die Sorgen auflösen. „Das haben wir auch mit der Aufsichtsbehörde besprochen“, sagt Hackelsberger.

Neue Stiftungsfonds nimmt die Bürgerstiftung unter ihrem Dach auf, wenn mindestens 5000 Euro gestiftet und weitere Zuwendungen in Aussicht gestellt werden. Die Untergrenze für Treuhandstiftungen liegt bei 25.000 Euro, sie soll aber erhöht werden, um künftig ein stabileres Verhältnis von Kosten und Erträgen zu gewährleisten. Das Vermögen der Bürgerstiftung liegt bei neun Millionen Euro, fünf Millionen davon machen die Treuhandstiftungen aus, eine Million die Stiftungsfonds.

Stiftung Bürger für Leipzig: Der Stiftungsfonds ermöglicht einen Sprung

Die Stiftung Bürger für Leipzig, wie die Bürgerstiftung in Leipzig heißt, sieht zwar ihre Projektarbeit im Vordergrund und wirbt Spenden ein. Dennoch beschäftigt man sich auch hier mit Stiftungsfonds. „Wir haben in der Weiterbildung der Stiftung Aktive Bürgerschaft verstanden, dass wir dafür selbst aktiv werden müssen“, sagt die Geschäftsführende Vorständin der Bürgerstiftung, Angelika Kell.

Man erstellte Informationen für die Website, plante Veranstaltungen. Dann meldete sich das Ehepaar Prof. Berthold Schmid und Prof. Monika Meier- Schmid, das aus Baden-Württemberg nach Leipzig gezogen war und sich für Gesangstudierende engagieren wollte. Gut, dass die Bürgerstiftung sich schon vorbereitet hatte. So kann das Ehepaar sein Vorhaben seit Anfang 2023 mit seinem Stiftungsfonds „Schmid-Meier-Schmid-Stiftung ‚Singen‘“ unter dem Dach der Bürgerstiftung umsetzen. Der Fonds ist mit 200.000 Euro ausgestattet.

Das Vermögen der Bürgerstiftung ist durch den Stiftungsfonds auf rund eine halbe Million Euro angewachsen. Die neuen Stifter bringen sich mit dem Projekt „Musik unter vier Augen“, bei dem ehrenamtliche Musikerinnen und Musiker Wohnzimmerkonzerte im Betreuten Wohnen veranstalten, auch in die gemeinsame Arbeit in der Bürgerstiftung ein.

Bürgerstiftung Laichinger Alb: Teilverbrauchsfonds als Option

Ab einem Kapital von 25.000 Euro kann man bei der Bürgerstiftung Laichinger Alb einen Stiftungsfonds gründen. Vier aktive Fonds mit im Schnitt 50.000 Euro Kapital gibt es derzeit, darunter zwei regionale Stiftungsfonds für Gemeinden innerhalb des Einzugsgebiets. Manchmal arbeiten die Fonds auch zusammen: „Wenn zum Beispiel von einem der Fonds ein tolles Projekt an einer Schule gemacht wird, geben die anderen Fonds was dazu“, sagt der Vorstandsvorsitzende der Bürgerstiftung, Ralf Schiffbauer. Jedoch seien die Stiftungsfonds in der Niedrigzinsphase nicht sehr attraktiv gewesen: „Wenn es keine Erträge gibt, müssen die Verantwortlichen des Fonds aktiv werden und Spenden einwerben, damit etwas passiert. Das ist natürlich ein Problem, wenn jemand sein Vermögen vererben und einen Gedächtnisfonds hinterlassen möchte.“

Die Bürgerstiftung hat deshalb 2020 in ihre Satzung die Option aufgenommen, Stiftungsfonds als Teilverbrauchsfonds zu gründen: Die Hälfte des Kapitals geht bleibend in das Vermögen der Bürgerstiftung über, die andere Hälfte wird innerhalb von zehn bis zwanzig Jahren verbraucht. „So hat der Fonds gleich eine ausschüttende Wirkung. Man muss nicht erst aus den Zinsen etwas ansparen, sondern kann direkt den Stiftungszweck umsetzen“, sagt Schiffbauer.

Die Errichtung des ersten Verbrauchsfonds steht noch aus, ist aber angekündigt: Es wird ein Gedächtnisfonds werden. Er ist bereits testamentarisch verfügt und notariell beglaubigt. Das Vermögen der Bürgerstiftung liegt derzeit insgesamt bei einer Million Euro.

Text: Gudrun Sonnenberg
Foto: Winfried Kurtzke

Der Beitrag ist im bürgerAktiv Magazin 2024/25 erschienen und Teil des Fokus Engagiert für die Zukunft – wie Bürgerstiftungen wachsen der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte September 2024 der Stiftung Aktive Bürgerschaft.

Chancen nutzen

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Je größer ihr Kapital ist, desto nachhaltiger und unabhängiger kann eine Bürgerstiftung mitgestalten. Warum wachsen dann nicht alle Bürgerstiftungen? Die Aktive Bürgerschaft hat nachgefragt. Jonas Rugenstein und Stefan Nährlich erläutern die Ergebnisse.

Mit einer großartigen Kampagne zeigen im Dezember 2024 die Bürgerstiftungen im Norden, was in ihnen steckt. Gemeinsam mit dem Norddeutschen Rundfunk sammeln sie unter der Überschrift „Hand in Hand für Norddeutschland“ Spenden für Projekte, die Menschen zusammenbringen und aus der Einsamkeit holen. Gleichzeitig ist die Kampagne auch eine schöne Werbung für Bürgerstiftungen. Denn dass es Bürgerstiftungen gibt, was sie vielerorts leisten und dass man sich selbst in einer von 426 Bürgerstiftungen in Deutschland engagieren kann, wissen viele Menschen noch nicht. Auch die Bürgerstiftungen sind noch nicht alle darauf vorbereitet, wenn Menschen mitmachen wollen, vor allem bei größeren Zustiftungen.

Damit Stifterin oder Stifter und Bürgerstiftung zusammenkommen, braucht es mehr als das Wissen voneinander. Wichtig ist, dass sie die Zustiftung so gestalten, dass diese für beide Seiten gleichermaßen vorteilhaft ist. Die ideale Lösung ist oftmals der Stiftungsfonds, eine namens- oder zweckgebundene Zustiftung auf Grundlage eines privatrechtlichen Vertrags. Die Stiftenden kommen so schneller und unbürokratischer zu ihrer Stiftung, als wenn sie eine rechtlich selbstständige Stiftung gründen. Beim Stiftungsfonds haben sie die Möglichkeit, nachträglich beispielsweise die Stiftungszwecke zu ändern, und können dennoch steuerliche Vorteile in Anspruch nehmen. Die Bürgerstiftung hat mit der Verwaltung von Stiftungsfonds wenig Aufwand und kann damit erfolgreich das zentrale Merkmal einer Bürgerstiftung erfüllen, kontinuierlich das Stiftungskapital aufzubauen. Für beide Seiten wie auch für die Zielgruppen des Engagements vorteilhaft: Weniger Verwaltungsaufwand bedeutet, dass mehr Mittel in die Zweckverwirklichung fließen.

Wachstumsstarke Bürgerstiftungen setzen auf Stiftungsfonds

Wie der „Report Bürgerstiftungen“, die Datenerhebung der Stiftung Aktive Bürgerschaft unter allen Bürgerstiftungen, zeigt, gelingt den Bürgerstiftungen in Deutschland insgesamt das stetige finanzielle Wachstum. Zum 31. Dezember 2022 betrug das Stiftungskapital der heute 426 Bürgerstiftungen zusammen mehr als eine halbe Milliarde Euro. Das durchschnittliche Stiftungskapital einer Bürgerstiftung belief sich im Jahr 2022 auf 1,3 Millionen Euro, im Jahr 2011 lag es noch bei rund 600.000 Euro. Lediglich zehn Prozent des Gesamtkapitals aller Bürgerstiftungen wurden bereits mit der Gründung der Bürgerstiftungen gestiftet. Der weitaus größte Teil wurde im Laufe der Jahre nach der Gründung einer Bürgerstiftung von Privatpersonen und Unternehmen zugestiftet.

Analysiert man das Wachstum des Stiftungskapitals genauer, fällt jedoch auf, dass nur ein Drittel der 426 Bürgerstiftungen das Wachstum prägt. Und zwar diejenigen, die gezielt Angebote für zweckgebundene Zustiftungen in Form von Treuhandstiftungen oder Stiftungsfonds machen. Diesen gut 35 Prozent der Bürgerstiftungen in Deutschland flossen in den letzten Jahren über 90 Prozent aller jährlichen Zustiftungen zu. Dieser Trend ist seit über zehn Jahren stabil und zeigt, dass nicht alle Bürgerstiftungen es schaffen, finanziell zu wachsen und den weiteren Kapitalaufbau voranzutreiben.

Warum bieten wachstumsschwache Bürgerstiftungen keine Stiftungsfonds an?

Warum nutzen zwei Drittel der Bürgerstiftungen das Instrument des Stiftungsfonds noch nicht? Das hat die Aktive Bürgerschaft im Frühjahr 2024 alle 274 Bürgerstiftungen gefragt, die keine Stiftungsfonds anbieten. 101 Bürgerstiftungen haben an der Umfrage teilgenommen.
Der Hauptgrund lautet Unwissenheit. 45 Prozent, also knapp die Hälfte der Befragten, gaben an, nicht gewusst zu haben, dass Stiftungsfonds eine positive Wirkung auf die Gewinnung von Zustiftungen haben. Eine weitere Ursache ist, dass Bürgerstiftungen andere Prioritäten setzen. Für fast die Hälfte der Befragten (43 Prozent) hat die Gewinnung von Spenden Vorrang. Gut ein Drittel (36 Prozent) schätzt die Nachfrage vor Ort als zu gering ein. Aus ihrer Sicht lohnt sich die Einführung von Stiftungsfonds daher nicht. Fehlende zeitliche und fachliche Ressourcen sind ein weiteres Hindernis. So geben 44 Prozent der Bürgerstiftungen an, dass ihnen das Fachwissen für die Einführung von Stiftungsfonds fehlt, 38 Prozent der Bürgerstiftungen fehlt die Zeit, sich darum zu kümmern. Jede fünfte der befragten Bürgerstiftungen bietet zwar Stiftungsfonds an, hat aber noch keine Interessenten gefunden.

Das Fazit der Umfrage: Es fehlt vielen Bürgerstiftungen in erster Linie an ehrenamtlich Engagierten, meist Vorstandsmitgliedern, die sich nachhaltig um das Thema Stiftungsfonds und Stiftergewinnung kümmern, sowie das Wissen um die strategische Relevanz. Die Datenanalyse zeigt zudem, dass es Bürgerstiftungen auch in einkommensschwächeren und ländlichen Regionen gelingt, Zustiftungen in Form von Stiftungsfonds zu gewinnen. Bislang ausbleibendes Interesse spiegelt unserer Analyse nach keine generell fehlende Nachfrage wider.

Die Stiftung Aktive Bürgerschaft unterstützt die Bürgerstiftungsgremien daher mit gezielten Weiterbildungen, Beratungen und Praxishilfen beim Einsatz von Stiftungsfonds. Einerseits, weil der kontinuierliche Aufbau des Stiftungskapitals zum Wesen einer Bürgerstiftung gehört. Andererseits, um öffentliche Aufmerksamkeit von Spendenkampagnen wie aktuell in Norddeutschland für die Gewinnung von Zustiftungen nutzen zu können. Denn Spenden sind wichtig für die Arbeit von Bürgerstiftungen, aber erst die Erträge aus einem hohen Stiftungskapital ermöglichen ihnen eine nachhaltige und unabhängige gesellschaftliche Mitgestaltung.

Text: Jonas Rugenstein, Stefan Nährlich

Jonas Rugenstein ist stellvertretender Programm-Leiter Bürgerstiftungen der Stiftung Aktive Bürgerschaft.
Dr. Stefan Nährlich ist Geschäftsführer und Mitglied des Vorstands der Stiftung Aktive Bürgerschaft.

Der Beitrag ist im bürgerAktiv Magazin 2024/25 erschienen und Teil des Fokus Engagiert für die Zukunft – wie Bürgerstiftungen wachsen der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte September 2024 der Stiftung Aktive Bürgerschaft.