Fokus Juli 2024: Engagementpolitik – Was geht noch?

1024 683 Stiftung Aktive Bürgerschaft

Eine neue Engagementstrategie, Entlastungen von bürokratischen Vorschriften und ein moderneres Gemeinnützigkeitsrecht: Dies und mehr schrieben im Herbst 2021 die Parteien der Ampelkoalition in ihren Koalitionsvertrag (bürgerAktiv berichtete). Sie griffen damit viele Anliegen aus der Zivilgesellschaft auf. So hatte zwei Jahre zuvor das Bürokratie-Barometer Bürgerstiftungen der Stiftung Aktive Bürgerschaft zutage gefördert, dass Funktionsträger in Bürgerstiftungen bis zu zwei Drittel ihrer Zeit mit der Bewältigung bürokratischer Aufgaben verbringen mussten. Im Gemeinnützigkeitsrecht wurde seit langem die Überarbeitung der Zwecke im Katalog der Abgabenordnung gefordert, nachdem Organisationen wie dem globalisierungskritischen Netzwerk Attac wegen politischer Tätigkeit die Gemeinnützigkeit entzogen wurde.

Knapp drei Jahre später sind einige Vorhaben umgesetzt – beispielsweise die ebenfalls im Koalitionsvertrag angekündigte Strategie für gemeinwohlorientierte Unternehmen – , andere, wie die Nationale Engagementstrategie, lassen auf sich warten oder müssen, wie das Demokratiefördergesetz, als gescheitert angesehen werden. Gut ein Jahr hat die Koalition noch Zeit. Was ist noch zu erwarten, und was brauchen die Menschen, die sich vor Ort engagieren, tatsächlich?

Lesen Sie im Fokus „Engagementpolitik: Was geht noch?“ folgende Beiträge:

Neue Rahmenbedingungen für die Zivilgesellschaft: Wo stehen wir?

Die Grundzüge des deutschen Gemeinnützigkeitsrechts stammen aus dem frühen 20. Jahrhundert – einer Zeit, die gemeinhin als Obrigkeitsstaat bezeichnet wird. Viele Einzelheiten wurden 1941 (!) in einer Gemeinnützigkeitsverordnung festgelegt und gelten bis heute. Kein Wunder, dass seit über 35 Jahren gefordert wird, dieses Recht an moderne Vorstellungen von einem freiheitlichen Gemeinwesen anzupassen – bisher ohne nennenswerten Erfolg, stellt Rupert Graf Strachwitz von der Maecenata Stiftung fest.
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Was kann die Engagementpolitik gut, was den Engagierten nützt?

Was kannst du gut, was anderen nützt: Das fragen Schülerinnen und Schüler im Programm sozialgenial der Stiftung Aktive Bürgerschaft, wenn sie in der Schule ihre Engagementprojekte entwickeln. Die Frage sollte man auch andernorts stellen, nämlich in der Engagementpolitik, findet Stefan Nährlich, Geschäftsführer der Stiftung Aktive Bürgerschaft.
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„Exklusive Zeit für Projekte bekommen“

sozialgenial-Projekte zu organisieren, erfordert eine mühselige Suche nach Kapazitäten im Schulalltag und Freiräumen im Stundenplan. Barbara Schmiedek, didaktische Leiterin der Städtischen Gesamtschule am Michaelsberg in Siegburg, hat Vorschläge, wie die Politik Engagementprojekte in Schulen erleichtern könnte.
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„Vorgaben für die Zusammenarbeit mit Gemeinnützigen machen“

Theophil Graband, Vorstandsvorsitzender der Bürgerstiftung Nürnberg, würde gerne mehr mit Wissenschaftlern und Studierenden zusammenarbeiten und wünscht sich entsprechende Verpflichtungen für Hochschulen. Denn Non-Profit-Organisationen können mit Auftraggebern aus der Wirtschaft nicht mithalten.
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„Mehr Anreize für das Ehrenamt bieten“

Stiftungen und andere gemeinnützige Organisationen haben oft Schwierigkeiten, Mitstreiter im Ehrenamt für ihre Gremien zu finden: Diese Beobachtung macht im Stiftungsmanagement Hans-Dieter Meisberger, bei der DZ PRIVATBANK Abteilungsdirektor und Leiter Stiftungen, Öffentliche Einrichtungen und Non-Profit-Organisationen. Die Politik sollte deshalb mit besseren Angeboten Engagierte stärker motivieren, meint er.
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Mehr zum Thema:

Bürokratie-Barometer Bürgerstiftungen
ZU den UMFRAGEergebnissen

Stellungnahme der Aktiven Bürgerschaft zum Demokratiefördergesetz
Zur Stellungnahme

Stellungnahme der Aktiven Bürgerschaft zum Thema „Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) bzw. Bürokratieabbau im Ehrenamt“
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Neue Rahmenbedingungen für die Zivilgesellschaft: Wo stehen wir?

977 652 Stiftung Aktive Bürgerschaft

Die Grundzüge des deutschen Gemeinnützigkeitsrechts stammen aus dem frühen 20. Jahrhundert – einer Zeit, die gemeinhin als Obrigkeitsstaat bezeichnet wird. Viele Einzelheiten wurden 1941 (!) in einer Gemeinnützigkeitsverordnung festgelegt und gelten bis heute. Kein Wunder, dass seit über 35 Jahren gefordert wird, dieses Recht an moderne Vorstellungen von einem freiheitlichen Gemeinwesen anzupassen – bisher ohne nennenswerten Erfolg.

Von Rupert Graf Strachwitz

Veränderungen waren immer nur Klientelpolitik oder dem Wunsch der jeweils Regierenden geschuldet, durch ein kleines Trostpflaster zu dokumentieren, man habe etwas für die Zivilgesellschaft – oder wie manche Parteien heute noch sagen, für die Vereine vor Ort, die Ehrenamtlichen – getan, oder für die Stiftungen, als man sich der Illusion hingab, diese könnten und würden in wesentlichem Umfang Staatsaufgaben finanzieren.

Kein Wunder also, dass man gespannt war, was die jetzige Bundesregierung aus ihren Ankündigungen machen werde, „mit der Zivilgesellschaft“ (der Begriff taucht im Koalitionsvertrag rund 20-mal auf) das Gemeinnützigkeitsrecht zu reformieren, eine neue Engagementstrategie des Bundes zu entwickeln und das in der letzten Bundesregierung gescheiterte Demokratiefördergesetz zu verabschieden.

Zivilgesellschaft ist mehr als die Summe der Vereine

Zugegeben: Es kam die „Zeitenwende“! Sicherheit vor Agression, Inklusion von Migrantinnen und Migranten, gesellschaftlicher Zusammenhalt, Resilienz unserer Demokratie haben Priorität; das ist verständlich. Trotzdem ist nicht verständlich, warum aus den Vorhaben für die Zivilgesellschaft bisher gar nichts geworden ist, weil nur eine starke, unabhängige Zivilgesellschaft den Zusammenhalt sichert und weil sie die beste Bundesgenossin des Staates im Kampf um die Resilienz unserer Demokratie ist. Sie ist eben nicht nur die Summe der Vereine „vor Ort“, sondern hat ein politisches Mandat und ist eine politische Kraft. Klar ist zwar auch, dass sie sehr heterogen und nicht immer nur „gut“ ist. Aber viele Erfahrungen in Deutschland und anderswo zeigen uns, wie wichtig sie ist. Wäre das nicht so, würden die autoritären Systeme dieser Welt nicht so viel Mühe darauf verwenden, sie zu unterdrücken und würde sie nicht immer wieder Heldinnen und Helden hervorbringen, die uns zeigen, was Freiheit, Herrschaft des Rechts und Demokratie bedeuten. Und immer gilt: Wenn Not am Mann ist, sind Bürgerin und Bürger zur Stelle. Deswegen dürfen Versuche der Verzwergung durch das Parteiensystem und die Staatsverwaltung, die der Angst vor einem Machtverlust entspringen, nicht hingenommen werden! Diffamierungen von der Art, Zivilgesellschaft sei ein „grünes Projekt“ (so innerhalb der Regierungskoalition), ist entgegenzutreten, gleich welcher Richtung im demokratischen Spektrum man zuneigt.

Demokratiefördergesetz: Entwurf ruht

Wo stehen wir heute? Zum Demokratiefördergesetz gibt es einen Entwurf. Das „mit der Zivilgesellschaft“ war nicht mehr als ein Feigenblatt. Der Entwurf ist unausgereift; würde er Gesetz, trüge dieses zur Demokratieentwicklung nichts bei, sondern würde nur – bestenfalls – einigen üblichen Verdächtigen mehr staatliche Fördermittel bescheren und sie in eine noch größere Abhängigkeit vom Staat treiben. Der Entwurf ruht seit längerem irgendwo im Bundestag und dürfte in dieser Legislaturperiode kaum wieder auftauchen.

An der neuen Engagementstrategie arbeiten angeblich interministerielle Arbeitsgruppen. Das „mit der Zivilgesellschaft“ beschränkt sich auf klassische Verbändeanhörungen; inhaltlich scheint eine neue Definition von bürgerschaftlichem (oder zivilgesellschaftlichem) Engagement eine wichtige Rolle zu spielen. Die Frage, ob es wirklich Aufgabe von Ministerien ist, Engagement zu definieren, stellen Politik und Verwaltung nicht.

Gemeinnützigkeitsrecht: Reform kommt wieder nicht

Die dringend notwendige grundlegende Reform des Gemeinnützigkeitsrechts (genau: der §§ 51-68 der Abgabenordnung) kommt, so viel steht fest, in dieser Legislaturperiode wieder nicht. Kein Wunder, wenn die Ministerin, deren Haus sich mal selbst das Engagementministerium nannte, kein Interesse hat und der Bundesfinanzminister, in dessen Zuständigkeit das Steuerrecht fällt, von einer so tiefen Abneigung gegen die Zivilgesellschaft erfüllt ist, dass seine Partei die liberale Tradition eines Ralf Dahrendorf, der einst den ordnungs- und demokratiepolitischen Rahmen der Zivilgesellschaft formulierte, bedenkenlos über Bord geworfen hat. Dabei kostet diese Reform kein Geld! Sie macht nur Politik moderner und lebendiger und wehrt autoritäre Angriffe von links, rechts und aus der Mitte ab.

Der am 10. Juli 2024 als Jahressteuergesetz II vorgelegte Referentenentwurf, der am 24. Juli mit dem Titel Steuerfortentwicklungsgesetz als Regierungsentwurf verabschiedet wurde und nun dem Parlament zugeleitet wird, enthält nur ein paar minimale Änderungen des bestehenden. Steuerbegünstigten Körperschaften soll gestattet werden, „außerhalb ihrer Satzungszwecke gelegentlich zu tagespolitischen Themen Stellung“ zu nehmen. Aber das politische Mandat bleibt ihnen versagt. Und die Abschaffung des Gebots der zeitnahen Mittelverwendung, die kein Verband oder Experte je gefordert hat, ist der völlig falsche Ansatz. Was wir brauchen, ist eine neue Ordnungspolitik für die Zivilgesellschaft. Dafür wäre nicht der Finanzminister, sondern der Bundeskanzler zuständig. Aber von ihm und überhaupt von dieser Bundesregierung dürfen wir da leider nichts erwarten.

Dr. Rupert Graf Strachwitz ist Vorstand und Senior Strategic Advisor der von ihm gegründeten Maecenata Stiftung, eines unabhängigen Think Tanks zu den Themen Zivilgesellschaft, Bürgerengagement, Philanthropie und Stiftungswesen.

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Was kann die Engagementpolitik gut, was den Engagierten nützt?

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Was kannst du gut, was anderen nützt: Das fragen Schülerinnen und Schüler im Programm sozialgenial der Stiftung Aktive Bürgerschaft, wenn sie in der Schule ihre Engagementprojekte entwickeln. Die Frage sollte man auch andernorts stellen, nämlich in der Engagementpolitik, findet Stefan Nährlich, Geschäftsführer der Stiftung Aktive Bürgerschaft.

Von Stefan Nährlich

In der Stiftung Aktive Bürgerschaft setzen wir uns dafür ein, die Rahmenbedingungen für bürgerschaftliches Engagement zu verbessern, insbesondere für Service Learning an Schulen und Bürgerstiftungen, die wir in unseren Programmbereichen explizit unterstützen. Wir sprechen mit Abgeordneten und Mitarbeitenden in Ministerien, erheben Zahlen und Fakten, beteiligen uns an Anhörungen und Diskussionen. Die zentrale Frage ist immer: Was würde unseren Partnern vor Ort helfen?

Was Schulen helfen würde

Unter dem Motto „Was kannst du gut, was anderen nützt?“ entwickeln Lehrkräfte mit ihren Schülerinnen und Schülern in unserem Service-Learning-Programm sozialgenial konkrete Engagementprojekte und verbinden sie mit dem Schulunterricht. Die Lehr- und Lernmethode Service Learning dient einerseits der Bildungsförderung und ist andererseits ein Instrument für Engagement- und Demokratieförderung.
Die Stiftung Aktive Bürgerschaft hat ihre Unterstützung für Lehrkräfte so entwickelt, dass sozialgenial leicht skaliert und in allen weiterführenden Schulen eingesetzt werden kann. In der aktuellen Legislaturperiode haben wir mit finanzieller Unterstützung der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt und den Genossenschaftsbanken sozialgenial in zwei neue Bundesländer gebracht und in zwei Jahren bisher über 70 neue sozialgenial-Mitgliedsschulen gewonnen.

Wir beobachten: Wenn Schulen sich in unseren Webinaren informiert, aber noch keine sozialgenial-Projekte entwickelt und umgesetzt haben, ist dies in den meisten Fällen daran gescheitert, dass zu wenig Lehrkräfte und zu wenig freie Unterrichtsstunden zur Verfügung standen. Wir schlussfolgern: Eine bessere personelle Ausstattung der Schulen und mehr zeitliche Ressourcen wären hier die beste staatliche Engagementförderung mit der gleichzeitig größten und nachhaltigen Wirkung.

Was Bürgerstiftungen helfen würde

Im Programmbereich Bürgerstiftungen ist es unser Hauptziel, die Bürgerstiftungen beim weiteren Kapitalaufbau und Wachstum zu unterstützen, das ist eines der wesentlichen Merkmale dieser Stiftungsform und wichtig, um sich unabhängig und eigenständig zu engagieren. Damit die Bürgerstiftungen optimal wirken können, sind in den Satzungen möglichst breite Stiftungszwecke nötig, um die verschiedenen Vorhaben ihrer Stifterinnen und Stifter umsetzen zu können.

Seit einigen Jahren verhalten sich jedoch viele Stiftungsaufsichtsbehörden bei Satzungsgenehmigungen oder Änderungsanträgen restriktiv und wollen weitere Zwecke nur genehmigen, wenn zuvor das Stiftungskapital erhöht wird. Die Diskussionen verlaufen wie die Geschichte vom Huhn und dem Ei: Die Bürgerstiftungen sagen, sie wollten zuerst die Zwecke, dann komme das Geld. Die Stiftungsaufsicht will es andersherum. Seit Jahren argumentieren wir in Gesprächen und Anhörungen für eine stiftungsfreundliche Anwendung der Gesetze, stoßen aber oft auf dogmatische Ablehnung.

Was die Engagementpolitik tut

Womöglich spielen solche Diskussionen im Stiftungsbereich aber bald keine Rolle mehr. Denn nun hat die Bundesregierung ihr zweites Jahressteuergesetz vorgelegt, umbenannt in Steuerfortentwicklungsgesetz, in dem die Pflicht zur zeitnahen Mittelverwendung entfällt. Vermögen ließe sich dann in jeder gemeinnützigen Rechtsform bilden. Auch in denen, die keiner Stiftungsaufsicht unterliegen. Keine Stiftungsaufsicht hieße in dem Fall auch, keine Genehmigungspflicht, was die Vielfalt der Zwecke angeht.

Begründet wird das Vorhaben mit Bürokratieabbau. Die Bedenken, dass künftig einige auf die Idee kommen könnten, lediglich steuerbegünstigt Geld zu sammeln, aber nicht mehr für die Förderung der Allgemeinheit auszugeben, werden lapidar abgetan: „Es ist davon auszugehen, dass es im eigenen Interesse der jeweiligen steuerbegünstigten Körperschaften liegt, ihre Mittel weiterhin regelmäßig zeitnah für steuerbegünstigte Zwecke zu verwenden“, hieß es in dem vorausgehenden Referentenentwurf des Bundesfinanzministeriums.

Auch wenn der Satz in diesem Fall vielleicht unpassend erscheint, so ist er als Leitlinie grundsätzlich richtig. Ich wünsche mir für unsere Partner jedenfalls eine Engagementpolitik, die in erster Linie zivilgesellschaftliches Handeln ermöglicht, anstatt es kleinteilig zu regulieren, und die zuerst auf die Eigenverantwortung der handelnden Männer und Frauen in den Vorständen und Aufsichtsorganen gemeinnütziger Organisationen setzt.

Dr. Stefan Nährlich ist Geschäftsführer und Mitglied des Vorstands der Stiftung Aktive Bürgerschaft.

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„Exklusive Zeit für Projekte bekommen“

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sozialgenial-Projekte brauchen Kapazitäten im Schulalltag und Freiräume im Stundenplan. Barbara Schmiedek, didaktische Leiterin der Städtischen Gesamtschule am Michaelsberg in Siegburg, hat Vorschläge, wie die Politik die Organisation der Engagementprojekte in Schulen erleichtern könnte. Im Interview erläutert sie, was sie sich vorstellt.

Was macht Ihnen in der Administration von den Engagement-Projekten am meisten Arbeit?

Bei der Durchführung von sozialgenial-Projekten besteht immer die erste Aufgabe darin, eine Umsetzungsmöglichkeit in der Stundentafel zu finden: Woher kommt die Doppelstunde, an welches Fach wird das Projekt inhaltlich angeknüpft, welche Lehrerinnen oder Lehrer betreuen das Projekt, haben die am besten geeigneten Lehrkräfte noch Kapazitäten oder sind sie durch das Unterrichten ihrer Fächer bereits ausgelastet, sodass ein eine andere Kollegin oder ein anderer Kollege eingesetzt werden muss, ist das dann für das Projekt sinnvoll, und so weiter.
Sind diese Herausforderungen geschafft, gibt es gerade zu Beginn viel organisatorische Arbeit: Elternbriefe müssen, passend zum Kurs und Jahrgang, zunächst geschrieben und dann unterschrieben wieder eingesammelt werden, Kollegen, die neu im Projekt sind, bedürfen einer längeren und motivierenden Einweisung, die zu Beginn stattfindenden Projekttage müssen vorbereitet, Listen mit möglichen Kooperationspartnern ebenso wie Material, Verträge, Anwesenheitslisten, Tagebuchseiten aktualisiert werden.
Organisatorisch wichtig ist dabei zudem, dass das sozialgenial-Projekt nachmittags in Randstunden liegen muss, was eine zusätzliche Herausforderung für den ohnehin mit fest gesetzten Stunden überfrachteten Plan und die Kolleginnen und Kollegen, die ihn erstellen, darstellen kann.

Wie gehen Sie mit den Herausforderungen um?

Wir planen das sozialgenial-Projekt mit einem vierköpfigen Team aus Kolleginnen, die alle freiwillig und mit Begeisterung dabei sind. Es ist wichtig, dass nicht eine Lehrkraft/Schulsozialarbeiterin alles allein planen und organisieren muss. Hilfreich gegen Stress und Überforderung ist, regelmäßig mit den Mitarbeitenden aus den gemeinnützigen Einrichtungen zu sprechen, in denen die Schülerinnen und Schüler sich engagieren. Sehr oft wird dann deutlich, wie viel Unterstützung durch die Schüler in der Einrichtung ankommt und wie wichtig das für die Einrichtung ist. Es ist schön zu sehen, dass sich der Extra-Einsatz mit aller dahintersteckenden Arbeit lohnt. Das Gefühl von Selbstwirksamkeit, das wir mit dem Projekt bei den Schülerinnen und Schülern stärken möchten, ist auch für die Lehrkräfte und Schulsozialarbeiterinnen nicht zu unterschätzen.
Um Belastungen entgegenzuwirken, sind auch kleine organisatorische Dinge hilfreich: beispielsweise das Team, welches das sozialgenial-Projekt plant und organisiert, für die Zeit der Treffen von Vertretungen auszunehmen und es in den Hochphasen, etwa während der Projekttage zu Schuljahresbeginn, stundenweise aus dem Unterricht auszuplanen.

Was wünschen Sie sich von der Politik?

Natürlich wäre es schön und viel einfacher, wenn es in der vorgeschriebenen Stundentafel feste Zeiten für Engagement-Projekte gäbe, vielleicht unter dem weiten Begriff „Demokratie-Lernen“, der Raum für verschiedene Projekte bietet. Das würde uns ersparen, erst Lücken für das Projekt suchen zu müssen. Ich denke, dass es aktuell ein wichtiges Zeichen wäre, zu beschließen, dass Schulen exklusive Zeit für Demokratie-Projekte verschiedener Art bekommen, die durchgeführt werden müssen – nicht wie im Moment „können“, was häufig mit Extra-Einsatz einzelner Kolleginnen oder Kollegen verbunden ist. Mein großer Wunsch ist, die Stundentafel zu modernisieren und flexibler zu gestalten. Natürlich gibt es Lücken und Freiräume, dennoch engen die Vorgaben immer wieder ein und je mehr Themen von Bedeutung anliegen, etwa durch aktuelle Tagespolitik, neue wissenschaftliche Erkenntnisse zum Klimawandel oder den Ausbruch von Kriegen, desto mehr „freie“ Zeit wäre nötig.
Für vieles wäre außerdem ein leichter zugängliches finanzielles Budget hilfreich, ähnlich dem, das es durch das „Aufholen nach Corona“-Paket gab, das die Übernahme von Fahrtkosten, Anschaffungen oder die Durchführung einer Feier am Projektende ermöglichen würde. Es wäre ein Zeichen der Wertschätzung und es würde Schülerinnen und Schülern und Lehrkräften die Suche nach Sponsoren ersparen. Durch einen offiziell größeren Stellenwert von Engagement-Projekten, eine Verankerung in der Stundentafel und mehr Freiheiten im Umgang mit Vorgaben wären solche Projekte einfacher und würden vermutlich häufiger durchgeführt.

Interview: Gudrun Sonnenberg

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„Vorgaben für die Zusammenarbeit mit Gemeinnützigen machen“

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Theophil Graband, Vorstandsvorsitzender der Bürgerstiftung Nürnberg, würde gerne mehr mit Wissenschaftlern und Studierenden zusammenarbeiten und wünscht sich entsprechende Verpflichtungen für Hochschulen. Denn Non-Profit-Organisationen können mit Auftraggebern aus der Wirtschaft nicht mithalten, sagt er im Interview.

Was macht Ihnen in der Administration der Bürgerstiftung am meisten Arbeit?

Der größte Aufwand ist der Jahresabschluss und die damit verbundene Wirtschaftsprüfung. Weniger Bürokratie an dieser Stelle wäre natürlich schön, aber überbordend schlimm finde ich sie nicht. Ich sehe durchaus ein, dass die Gemeinnützigkeit und die damit verbundene Steuerersparnis für die Bürgerstiftung eine Rechenschaftspflicht mit sich bringt und Prüfung erfordert.

Wie gehen Sie in der Bürgerstiftung mit dieser Art von Belastungen um?

Wir haben verschiedene Strategien. Einerseits haben wir den Jahresabschluss und die Buchhaltung an die deutsche Stiftungstreuhand ausgelagert, so dass wir uns dem Engagement widmen können. Andererseits versuchen wir, unsere Prozesse durch Digitalisierung zu verschlanken. Wir kommunizieren digital über Microsoft Teams, das erspart Zeit. Desgleichen werden Förderanträge an die Bürgerstiftung bei uns online eingereicht. Dann entscheidet über sie demokratisch unser Mitmach-Parlament. Da schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe: Wir realisieren im administrativen Prozess zugleich die Beteiligung unserer Engagierten.

Was wünschen Sie sich von der Politik?

Sie sollte grundsätzlich mehr Engagement ermöglichen. Für uns ist es ein Anliegen, mit Hochschulen zusammenzuarbeiten, insbesondere bei der Entwicklung neuer Engagementkonzepte. Es gibt schon kleine Erfolge, temporär gewinnen wir junge Leute, die bei uns mitmachen. Das könnte man mit Lehrplänen in Bachelor- und Masterstudiengängen verknüpfen und verstetigen. Darüber hinaus ist schwierig, dass wir bei den Hochschulen nicht mit den Budgets anderer Auftraggeber aus Industrie und Wirtschaft mithalten können. Wir wünschen uns, dass die Hochschulen von der Politik Vorgaben bekommen, in einem bestimmten Umfang auch mit Gemeinnützigen zusammenarbeiten zu müssen.

Interview: Gudrun Sonnenberg

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„Mehr Anreize für das Ehrenamt bieten“

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Stiftungen und andere gemeinnützige Organisationen haben Schwierigkeiten, Mitstreiter im Ehrenamt für ihre Gremien zu finden: Diese Beobachtung macht im Stiftungsmanagement Hans-Dieter Meisberger, bei der DZ PRIVATBANK Abteilungsdirektor und Leiter Stiftungen, Öffentliche Einrichtungen und Non-Profit-Organisationen. Die Politik sollte deshalb mit besseren Angeboten Engagierte stärker motivieren, meint er.

Was macht Ihnen in der Stiftungsbetreuung am meisten Arbeit?

Der Schwerpunkt im Stiftungsmanagement der DZ PRIVATBANK liegt in der Vermögensberatung und in der Konzeption einer für jede einzelnen Stiftung passende Anlagelösung. Viele Stiftungen werden ehrenamtlich geführt und die Verantwortlichen sind in der Regel keine Finanzprofis. Die Stiftungsgremien schätzen unsere Zusammenarbeit und Transparenz, wenn es um die Erstellung einer Anlagerichtlinie oder Konzeption einer Anlagelösung geht. Themen wie „ESG“, „Nachhaltige Kapitalanlagen“, „Risikomanagement“, „Sicherheit“ , „ordentliche Erträge“ bis hin zur Unterstützung in der Dokumentation in der „Rechnungslegung“ sind die alltäglichen Parameter in unserer Stiftungsberatung.

Mit welchen Strategien begegnen Sie den Anforderungen?

Die Strategien sind sehr unterschiedlich und sehr heterogen, daher schauen wir uns die individuellen Bedürfnisse genau an. Die Basis und die Grundlage ist immer eine „Anlagerichtlinie“ der jeweiligen Stiftung. Sobald hierin Klarheit besteht, ist die Anlagestrategie auch zielgerichtet definiert. Nach wie vor erreichen uns Anforderungen von einer konservativen (bis zu 30 Prozent Aktienanteil) bis hin zu einer ausgewogenen Anlagestrategie (max. 50Prozent Aktienanteil). Gerade Stiftungen, die auf „unbestimmte Zeit“ begründet wurden, sind als langfriste Anleger auf der Suche nach einer ausgewogenen Anlagestrategie. Darüber hinaus hat sich in den letzten Jahren das Thema „Nachhaltige Kapitalanlage“ verstärkt. Hier gibt es unterschiedliche Anforderungen, je nach Ursprung der Stiftung. Beispielsweise investieren kirchennahe Stiftungen nach einem anderen Leitfaden als kommunalnahe Stiftungen.

Was wünschen Sie sich von der Politik?

Wir leben in bewegten Zeiten. Von daher wünsche ich mir von der Politik (ob von der Bundesregierung oder der jeweiligen Landesregierungen) eine freundliche und besonnene Herangehensweise im Dritten Sektor zum Wohle der gemeinnützigen Stiftungen. In den letzten Jahren wurde durch unterschiedliche Reformen schon vieles positiv verändert. Die Gremien in den jeweiligen Stiftungen arbeiten aber weitestgehend ehrenamtlich und philanthropisch orientiert. Von daher würde ich mir noch eine weitere Stärkung der ehrenamtlichen Tätigkeiten und damit verbundenen Anreize wünschen. Wir sehen, dass immer mehr Stiftungen (ebenso wie Vereine) Schwierigkeiten haben, engagierte Mitstreiter zu finden, die ehrenamtlich für die gemeinnützige Körperschaft arbeiten möchten. Hier wünsche ich mir von der Politik, dass es mehr Anreize gäbe (zum Beispiel durch Ehrenamtskarten mit Vergünstigungen bei Eintritten in Kultureinrichtungen, Freizeiteinrichtungen, beim Reisen im Nahverkehr etc.). So könnte die Zivilgesellschaft insgesamt gestärkt werden. Zu diskutieren wäre ebenso ein verpflichtendes „Bürgergesellschaftsjahr“ für alle Schulabgänger zwischen 18 und 25 Jahren. Gemeinnützige Körperschaften und Wohlfahrtsverbände würden hiervon ebenso profitieren wie Einrichtungen und Verbände der Länder und des Bundes.

Interview: Gudrun Sonnenberg

Der Beitrag ist Teil des Fokus Engagementpolitik: Was geht noch? der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte der Stiftung Aktive Bürgerschaft. Zum Fokus Engagementpolitik: Was geht noch?

Fokus Mai 2024: Haltung zeigen – Unternehmen und Engagement

1024 683 Stiftung Aktive Bürgerschaft

„Es gibt heute mehr denn je die Notwendigkeit für unternehmerisches Engagement“: Das sagt Marcel Fratzscher, der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), mit Blick auf antidemokratische, rassistische und rechtsextreme Tendenzen. Im Interview mit bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte fordert er: „Mehr Unternehmen sollten hier ihre gesellschaftliche Verantwortung ernst nehmen.“

Zu denen, die ihre gesellschaftliche Verantwortung traditionell ernst nehmen, gehören die Genossenschaftsbanken, in deren Auftrag auch die Stiftung Aktive Bürgerschaft tätig ist. Ein dreistelliger Millionenbetrag geht jedes Jahr aus der Genossenschaftlichen FinanzGruppe an Vereine, in Bildung, Klima- und Umweltschutz, an Kinder und Jugendliche, Familien und ältere Menschen.

Lesen Sie im Fokus „Haltung zeigen – Unternehmen und Engagement“ diese Beiträge:

„Unternehmen müssen für die Demokratie geradestehen“

Mehr Unternehmen sollten Verantwortung übernehmen und sich gesellschaftlich engagieren, fordert Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) im Interview mit bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte. Pflichten wie die nichtmonetäre Berichterstattung seien „gut und schön“, wichtiger aber sei, demokratische Werte zu leben, sagt er.
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Genossenschaftsbanken: Regional engagiert, überregional spezialisiert

Die Mitglieder der Genossenschaftlichen FinanzGruppe – die Volksbanken und Raiffeisenbanken vor Ort und die überregionalen Unternehmen der Gruppe – verfolgen die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen und Klimaschutz in ihrer Unternehmenstätigkeit, aber auch in ihrem gesellschaftlichen Engagement.
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„Wir halten uns im Hintergrund“

Bildung und zukunftsträchtige Projekte zu fördern, das erledigen genossenschaftlich verfasste Unternehmen oft ohne großes Aufhebens. Wenn es allerdings darum geht, Haltung gegenüber antidemokratischen Tendenzen zu zeigen, wird man auch mal lauter. Wo überregionale Unternehmen der Genossenschaftlichen FinanzGruppe ihre gesellschaftliche Verantwortung sehen und wie sie ihr Engagement gestalten, zeigen drei Beispiele.
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Mehr zum Thema:

Die Stiftung Aktive Bürgerschaft arbeitet mit den Genossenschaftsbanken zusammen: Mit dem sozialgenial hilft-Förderfonds der Aktiven Bürgerschaft unterstützen Volksbanken Raiffeisenbanken Schulen in ihrem Geschäftsgebiet. Mit Stiftungsfonds unter dem Dach der Aktiven Bürgerschaft unterstützen sie Bürgerstiftungen.
Mehr zur Zusammenarbeit
Mehr zu sozialgenial hilft-Förderfonds
Mehr zu Stiftungsfonds bei der Aktiven Bürgerschaft

Der Urgedanke: Kurz nach der Jahrtausendwende, im Jahr 2002, rief der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) seine Mitglieder auf, die Gründung von Bürgerstiftungen zu initiieren, um nachhaltiges Engagement für die Region zu sichern. Haben sich die Erwartungen erfüllt? Nachfragen in Halle, Schwäbisch Hall und Waltrop.
Zur Story im bürgerAktiv Magazin 2022

„Unternehmen müssen für die Demokratie geradestehen“

1024 682 Stiftung Aktive Bürgerschaft

Mehr Unternehmen sollten Verantwortung übernehmen und sich gesellschaftlich engagieren, fordert Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), im Interview mit bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte. Pflichten wie die nichtmonetäre Berichterstattung seien „gut und schön“, wichtiger aber sei, demokratische Werte zu leben, sagt er.

Herr Fratzscher, was bringt es, wenn sich Unternehmen in Anzeigenkampagnen für die Demokratie in Deutschland stark machen?

Es bringt eine Menge. Unternehmen haben eine positive Reputation. Kundinnen und Kunden kaufen gerne bei ihnen ein oder legen ihr Geld bei einer Bank an, der sie vertrauen. Es ist wichtig, dass Unternehmen dieses Vertrauen nutzen, um Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen. Denn wenn wir keine Demokratie mehr haben, wird es viele Unternehmen und Arbeitsplätze nicht mehr geben, wir verlieren Wohlstand, Grundrechte und Meinungsfreiheit. Es gehört zur Aufgabe von Unternehmen, sich für die Dinge einzusetzen, die das Unternehmertum und die Unternehmen erst möglich machen.

Beobachten Sie Veränderungen beim gesellschaftlichen Engagement von Unternehmen?

Ich glaube nicht, dass die Unternehmen heute weniger aktiv sind als vor 20 oder 40 Jahren. Aber es gibt heute mehr denn je die Notwendigkeit für unternehmerisches Engagement. Die Demokratie ist gefährdet durch wachsenden Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus, durch gesellschaftliche Konflikte, soziale Spaltung und die großen Herausforderungen unserer Zeit. Deshalb würde ich mir wünschen, dass die Unternehmen hier einen Kurswechsel vornehmen, dass sie diese Verantwortung ernster nehmen und aktiver werden, als es bisher der Fall ist. Manche Unternehmen tun das, aber es sollten mehr sein.

Was für Aktivitäten stellen Sie sich vor?

Nehmen wir Fremdenfeindlichkeit und Rassismus: Ich hätte mir in den letzten ein bis zwei Jahren gewünscht, dass mehr Vorstände oder Vorstandsvorsitzende von Unternehmen an die Öffentlichkeit, aber auch auf ihre Beschäftigten zugehen und sagen: Wir müssen für bestimmte Werte in unserer Demokratie geradestehen. Respekt, Toleranz, Anerkennung, Schutz von Minderheiten sind nicht verhandelbar. Es geht dabei nicht um die AfD, sondern die Werte und Prinzipien, die für uns als Gesellschaft essenziell sind. Es gibt tolle Beispiele für Unternehmen, die dafür geradestehen und bei denen die Vorstandsvorsitzenden genau das tun. So eine Haltung und deutliche Kommunikation hätte ich mir aber von so ziemlich jedem Vorstand und jeder Unternehmensleitung gewünscht.

„Mit bürokratischen Hürden schaffen Sie keinen Mentalitätswandel“


Können die ESG-Kriterien – Umwelt, Soziales, Unternehmensführung – etwas in Ihrem Sinne bewirken?

Die meisten Unternehmen schimpfen über die ESG als Bürokratiemonster und über den Aufwand, das alles einzuführen. Mit bürokratischen Hürden und Papierkram schaffen Sie keinen Mentalitätswandel und kein Problembewusstsein bei Unternehmen und ihren Beschäftigten. Dazu braucht es mehr, als dass Unternehmen in ihrem tagtäglichen Verhalten sich gewisse Kriterien oder gewisse Grundlagen bewusst machen: Es braucht eine Kommunikation in die Gesellschaft wie auch in das eigene Unternehmen hinein. Das geht viel weiter als die ESG-Grundlinien. Es ist gut und schön, sich Regeln zu geben, aber wichtiger ist, Werte zu leben und für sie geradezustehen.

Wenn sich ein Unternehmen zum Beispiel dafür engagiert, dass Geflüchtete einen Ausbildungsplatz bekommen oder wenn es die Trikots für die Fußballmannschaft im Flüchtlingsheim spendet: Ist das sinnvoll oder eher albern?

Das würde ich für sinnvoll halten. Es steht in keiner ESG-Grundlinie, dass sie irgendwelche Trikots spenden müssen, sondern es sind eben diese Dinge, die ein Unternehmen macht, weil es davon überzeugt ist. Das meine ich damit, Werte zu leben. So etwas kann man nicht per Gesetz verordnen und auch nicht nur top-down verordnen. Es ist vielmehr die Aufgabe der Unternehmensführung, Dialoge anzustoßen und auch die eigenen Beschäftigten zu motivieren, aktiv zu werden, ihre Stimme zu erheben, sich einzubringen, Verantwortung zu übernehmen.

Bewirkt die nichtmonetäre Berichterstattung über die Nachhaltigkeit denn aus Ihrer Sicht nur Bürokratie oder ist da auch was Sinnvolles dran?

Ich würde mir mehr Realitätsnähe wünschen und ein besseres Verhältnis zwischen Aufwand und Nutzen. Prinzipiell finde ich eine Pflicht, sich über zentrale gesellschaftliche Anliegen ein Bewusstsein zu verschaffen, sinnvoll. Die Frage ist: Schimpfen die Leute nur über die Bürokratie, die damit verbunden ist, oder bekommen sie auch Denkanstöße?

Und letzteres ist nicht der Fall?

Wir haben im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) auch viele Berichtspflichten, auch wenn wir kein privates Unternehmen sind, sondern gemeinnützig. Natürlich fragen auch wir tagtäglich, ob das so sinnvoll ist. Andererseits ist das auch immer Benchmarking. Wir haben als DIW den Anspruch, führend zu sein, wollen progressiv sein und Dinge verbessern. So gesehen finde ich zwar manche Berichtspflichten ziemlich lästig und zu zeitintensiv. Aber andere sind gut, um zu sehen, wo wir stehen.

Interview: Gudrun Sonnenberg

Prof. Marcel Fratzscher, Ph. D., ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und Professor für Makroökonomie an der Humboldt Universität zu Berlin. Er ist unter anderem auch Mitglied des High-Level Advisory Board der Vereinten Nationen zu den Nachhaltigen Entwicklungszielen (SDGs) und Mitglied des Beirats des Bundeswirtschaftsministeriums. Foto: DIW Berlin/B. Dietl

Zur Seite von Marcel Fratzscher beim DIW

Der Beitrag ist Teil des Fokus Haltung zeigen – Unternehmen und Engagement der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte der Stiftung Aktive Bürgerschaft. Zum Fokus Haltung zeigen – Unternehmen und Engagement

Genossenschaftsbanken: Regional engagiert, überregional spezialisiert

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Die Mitglieder der Genossenschaftlichen FinanzGruppe – die Volksbanken und Raiffeisenbanken vor Ort und die überregionalen Unternehmen der Gruppe – verfolgen die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen und Klimaschutz in ihrer Unternehmenstätigkeit, aber auch in ihrem gesellschaftlichen Engagement.

„Langfristige Auswirkungen seines Handelns bedenken, unternehmerische Verantwortung übernehmen und so zukünftige Leistungsfähigkeit sicherstellen“, so beschreibt beispielsweise die Zentralbank der Genossenschaftlichen FinanzGruppe, die DZ BANK, ihren Ansatz.

Regionales Engagement

Die rund 700 Volksbanken und Raiffeisenbanken in Deutschland arbeiten vor Ort und entsprechend ist auch ihr gesellschaftliches Engagement regional ausgerichtet: Sie fördern Sportvereine und Bildungsinitiativen, Schulen, Kindertagesstätten und Kirchengemeinden in ihrer Region, ihre Zielgruppen sind Kinder und Jugendliche, ältere Menschen, Familien und Lebensgemeinschaften. Wichtige Themenfelder sind Sport und Erholung, aber auch Kunst und Kultur, Soziales und Integration sowie Bildung und Forschung. 257 Genossenschaftsbanken engagieren sich bei 369 der 426 Bürgerstiftungen.

Stiftungen für die Umsetzung

Viele Genossenschaftsbanken haben Stiftungen errichtet, um ihre Engagementziele jenseits ihres Geschäftsbetriebs umzusetzen. Der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR), der jährlich einen Bericht über das gesellschaftliche Engagement der Genossenschaftlichen FinanzGruppe vorlegt, bezifferte im letzten Bericht vom September 2023 das Stiftungskapital in der Genossenschaftlichen FinanzGruppe für 2022 auf 380 Millionen Euro. Zusammen mit Spenden und Sponsorings unterstützen die Genossenschaftsbanken gesellschaftliches Engagement in Deutschland mit insgesamt 171 Millionen Euro. Davon kamen 95,2 Millionen Euro aus dem genossenschaftlichen Gewinnsparen.

Überregional thematische Schwerpunkte

Die überregional tätigen Unternehmen in der Genossenschaftlichen FinanzGruppe nutzen ihre Stiftungen teilweise, um bestimmte Themen voranzutreiben. So hat die DZ BANK ihre DZ BANK Stiftung errichtet, um mit einem sechsstelligen jährlichen Betrag Wissenschaft und Forschung im Finanz- und Genossenschaftswesen zu fördern. Die Teambank, die auf Konsumfinanzierung spezialisiert ist („easyCredit“), errichtete 2007 die operativ tätige Stiftung Deutschland im Plus, deren Zweck die Prävention vor Überschuldung von Privatpersonen ist. Die Stiftung der R+V Versicherung fokussiert auf Jugend und Bildung sowie auf die Förderung bürgerschaftlichen Engagements, und die Bausparkasse Schwäbisch Hall gibt mit ihrer Stiftung Impulse für wohnungspolitische Diskussionen.

Zum Engagementbericht

Der Beitrag ist Teil des Fokus Haltung zeigen – Unternehmen und Engagement der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte der Stiftung Aktive Bürgerschaft. Zum Fokus Haltung zeigen – Unternehmen und Engagement

„Wir halten uns im Hintergrund“

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Bildung und zukunftsträchtige Projekte zu fördern, das erledigen genossenschaftlich verfasste Unternehmen oft ohne großes Aufhebens. Wenn es allerdings darum geht, Haltung gegenüber antidemokratischen Tendenzen zu zeigen, wird man auch mal lauter. Wo überregionale Unternehmen der Genossenschaftlichen FinanzGruppe ihre gesellschaftliche Verantwortung sehen und wie sie ihr Engagement gestalten, zeigen drei Beispiele.

Union Investment

Union Investment, die Fondsgesellschaft der DZ BANK AG, engagiert sich als Unternehmen mit etwas mehr als einer Million Euro pro Jahr in den Bereichen Bildung, Soziales und Umweltschutz. Wie das konkret aussieht, zeigte 2023 der Wettbewerb „Wir für morgen“, der insgesamt 250.000 Euro an Preisgeldern für Leuchtturmprojekte mit besonders zukunftsträchtigen Ideen vergab. Eine namhafte Jury prämierte in der Kategorie Soziales unter anderem den Verein Atemzeit e.V., der Eltern mit schwer kranken Kindern unterstützt. In der Kategorie Bildung wurde das Projekt „Freitagsschule“ ausgezeichnet, das zugewanderten Menschen einen Ausbildungsabschluss ermöglicht.

Explizit nicht zur Anwendung kommt dabei der eigentlich weitverbreitete Leitsatz „Tu Gutes und sprich darüber“ – die Union Investment kommuniziert ihr Engagement mit Zurückhaltung: „Wir halten uns im Hintergrund und stellen andere ins Schaufenster, damit sie ihre Rolle als Vorbilder deutlich machen können“, sagt Hans Joachim Reinke, Vorstandsvorsitzender der Union Investment (Foto links). „Das Marktschreierische ist nicht unsere Sache. Wenn man Inhalte hat, muss man nicht laut sein.“

Nur in einem Punkt weicht Reinke von dieser kommunikativen Zurückhaltung ab: Wenn es um antidemokratische Tendenzen geht. „Da müssen wir laut sein und das sage ich jedem, der nicht bei drei auf dem Baum ist“, sagt er, „Weltoffenheit und Partnerschaft sind nicht diskutierbar. Diese Haltung zu zeigen und klare Worte zu finden, erwarten auch unsere 4340 Mitarbeiter von mir.“

Weitere Förderungen im Umfang von rund 214.000 Euro vergab 2023 die Union Investment Stiftung, die 2000 errichtet wurde und in fünf Förderlinien tätig ist. Im Mittelpunkt standen 2023 die Unterstützung der Stiftung KlimaWirtschaft, die Vergabe von Deutschland-Stipendien an Studierende und der Ednannia Hilfsfonds für die ukrainischen Bürgerstiftungen, den die Stiftung Aktive Bürgerschaft eingerichtet hat.

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R+V Versicherung

Die R+V Versicherung, die Versicherung in der Genossenschaftlichen FinanzGruppe, realisiert ihr gesellschaftliches Engagement komplett über ihre Stiftung. Diese ist 2018 als nicht rechtsfähige Treuhandstiftung errichtet worden. Zum hundertjährigen Jubiläum des Unternehmens legte die R+V Versicherung nach und stockte im September 2022 das Grundkapital der Stiftung auf zehn Millionen Euro auf.

2023 bewilligte sie Fördermittel in Höhe von mehr als 750.000 Euro. „Uns liegen die Bildung der nachfolgenden Generationen und die Begeisterung von Menschen für ehrenamtliches Engagement am Herzen“, beschreibt Dr. Ralph Glodek, Geschäftsführer der R+V Stiftung, die Ziele der Stiftung (Foto Mitte). Die Förderschwerpunkte sind Jugend & Bildung und bürgerschaftliches Engagement. Die Mittel fließen in Projekte wie beispielsweise das Bürgerkolleg Wiesbaden, das Mentoring-Projekt „Joblinge“ und andererseits in den Freiwilligentag Wiesbaden, die Bürgerstiftung „Wiesbaden Stiftung“, die Tafel und viele weitere Initiativen und Projekte.

„Darüber hinaus verstehen wir uns als Plattform zur Vermittlung und Vernetzung von Kompetenzen und Initiativen, um gemeinnützige Kräfte zu bündeln und Ressourcen zielgerichtet einzusetzen“, so Glodek. In diesem Sinne listet die Stiftung auch Projekte auf ihrer Website auf, für die sie eine Empfehlung zum Spenden ausspricht.

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Bausparkasse Schwäbisch Hall

Die Bausparkasse Schwäbisch Hall ist einer von zwei zentralen Immobilienfinanzierern in der Genossenschaftlichen FinanzGruppe und die größte Bausparkasse in Deutschland. 1995 gründete sie die Stiftung „bauen-wohnen-leben“. Das Ziel: jenseits der Tätigkeit des Unternehmens Diskussionen zu wohnungsbaupolitischen Themen anstoßen und fördern. Dem geht die Stiftung mit Publikationen, Fachexkursionen, Veranstaltungen und auch Forschungsförderung nach. Beispielsweise beteiligte sie sich als Mitfinanzierer am Forschungsprojekt „über_dacht“ der Universität Stuttgart, das erkundete, wie man neuen Wohnraum durch das Überbauen von Verkehrswegen schaffen könnte. Außerdem unterstützt sie den Campus Schwäbisch Hall, einen Standort der Hochschule Heilbronn.

Die Bausparkasse selbst engagiert sich laut Willem Buesink, Abteilungsleiter Vorstandsstab, Nachhaltigkeitsmanagement, Politik und Gesellschaft (Foto rechts), aktuell mit jährlich 600.000 Euro an Spenden und Sponsoring vor allem für die Region: „Im Fokus unserer Aktivitäten stehen die Unterstützung von Bauen und Wohnen sowie Jugend, Bildung und Kultur“, sagt er.

Die Kultur fördert die Bausparkasse als Hauptsponsor der traditionsreichen Freilichtspiele in Schwäbisch Hall, und sie sammelt Spenden für die Musikschule. Im Sinne einer Corporate Citizenship hat die Bausparkasse die Schwäbisch Haller Bürgerstiftung mitbegründet und unterstützt diese von Beginn an sehr aktiv. Sie stellt die Geschäftsstelle zur Verfügung und vergibt über eine Treuhandstiftung unter dem Dach der Bürgerstiftung Stipendien an Studierende aus Schwäbisch Hall.

Darüber hinaus unterstützt die Bausparkasse Schwäbisch Hall mit einem Corporate-Volunteering-Programm das gesellschaftliche Engagement ihrer Mitarbeitenden und fördert überregional die Stiftung Off Road Kids, die bundesweit obdachlosen Kindern und Jugendlichen hilft.

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Fokus April 2024: Digitalisierung – zwischen Hype und Herausforderung

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Digital kommunizieren, sich online informieren: Das ist für die meisten Menschen selbstverständlich. Anders sieht es aus, wenn es um Arbeitsprozesse geht. Der Umstieg auf digitale Plattformen, digitales Projektmanagement und Speicherlösungen braucht Know-how und Investitionen. Insbesondere für Non-Profit-Organisationen ist das eine Herausforderung. Schließlich kann man Spendengelder, die für Klimaprojekte oder Jugendförderung gedacht sind, nicht einfach für den Kauf eines Servers oder die Implementierung einer Software verwenden.

Eine Lösung können Open-Source-Entwicklungen sein, wie das Beispiel der Bürgerstiftung Würzburg zeigt. Aber es gibt auch spezielle Angebote für Gemeinnützige von kommerziellen Anbietern, namentlich Microsoft. Unter bestimmten Umständen fördert die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt (DSEE) die Digitalisierung von Non-Profit-Organisationen. Dennoch bleiben auf der Suche nach dem besten Weg viele Fragen offen, stellte sich im Austausch von Philipp Berg von der DSEE und Stefan Nährlich, Stiftung Aktive Bürgerschaft, heraus.

Lesen Sie dazu diese Fokusbeiträge:

Hinterm Internet geht’s weiter – oder auch nicht: Digitalisierung in Non-Profit-Organisationen

Die Digitalisierung hat inzwischen die meisten Menschen in Deutschland erreicht. 95 Prozent der Menschen ab 16 Jahre nutzten 2023 das Internet, 57 Prozent erledigten ihre Geldgeschäfte per Onlinebanking, 49 Prozent waren in sozialen Netzwerken unterwegs, so das Statistische Bundesamt. Das sind wichtige Voraussetzungen, um digital zu arbeiten. Doch dafür die geeignete digitale Umgebung aus Hardware, Software und datenschutzkonformen Plattformlösungen einzurichten, gelingt nicht allen Non-Profit-Organisationen.
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Tschüss, Excel!

Eigentlich hatten sie nur ein Newslettertool gesucht bei der Bürgerstiftung Würzburg. Jetzt machen sie dort (fast) alles digital. Bei der Suche nach einem Softwaretool für den Versand ansprechender Newsletter erkannte die Bürgerstiftung Würzburg und Umgebung schnell, dass die kostenfreien Tools nur sehr eingeschränkte Gestaltungsmöglichkeiten boten und deshalb nicht infrage kamen.
Zum Beitrag

„Nicht zu religiös betrachten“

Open Source oder Software vom Tech-Giganten: Wie digitalisiert man eine Non-Profit-Organisation am besten? Ein Gespräch zwischen Philipp Berg von der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt (DSEE), die gerne Open-Source-Entwicklung fördert, und Stefan Nährlich von der Stiftung Aktive Bürgerschaft, die gute Erfahrungen mit Microsoft macht.
ZUM BEITRAG

Mehr zum Thema:

Digitale Bürgerstiftung – Das Projekt der Stiftung Aktive Bürgerschaft
Zum Projekt

Mobiles Arbeiten: Gekommen, um zu bleiben – Teil A: Von der Ausgangslage zur neuen IT-Struktur. Von Christiane Biedermann und Stefan Nährlich, Stiftung Aktive Bürgerschaft, in: Stiftung&Sponsoring 06.21 (Dezember 2021)
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Mobiles Arbeiten: Gekommen, um zu bleiben – Teil B: Mit Digitalisierung die Teamarbeit neu strukturieren. Von Christiane Biedermann und Stefan Nährlich, Stiftung Aktive Bürgerschaft, in: Stiftung&Sponsoring 01.22 (Februar 2022)
Zum Bericht

 

Hinterm Internet geht’s weiter – oder auch nicht: Digitalisierung in Non-Profit-Organisationen

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Die Digitalisierung hat inzwischen die meisten Menschen in Deutschland erreicht. 95 Prozent der Menschen ab 16 Jahre nutzten 2023 das Internet, 57 Prozent erledigten ihre Geldgeschäfte per Onlinebanking, 49 Prozent waren in sozialen Netzwerken unterwegs, so das Statistische Bundesamt. Das sind wichtige Voraussetzungen, um digital zu arbeiten, doch dafür die geeignete digitale Umgebung aus Hardware, Software und datenschutzkonformen Plattformlösungen aufzubauen, gelingt nicht allen Non-Profit-Organisationen.

So stellten die Autoren der Anfang 2023 veröffentlichten Studie „Zwischen Appstore und Vereinsregister – Ländliches Ehrenamt auf dem Weg ins digitale Zeitalter“ von neuland 21 e.V. und dem Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung Erkner (IRS) fest, dass zwar die meisten der befragten Vereine einen Webauftritt hatten, aber nur eine Minderheit der befragten Vereinsangehörigen digitales Projektmanagement oder Onlinespeicher nutzten. In einem eigens entwickelten Digitalisierungsindex, der den Einsatz digitaler Werkzeuge intern und extern sowie die digitalen Kompetenzen der Vereinsmitglieder maß, erzielten die meisten Vereine maximal 6 Punkte auf der Skala von 0 bis 10. 35 Prozent der befragten Vereine im ländlichen Raum hatten kein Budget, um ihre Digitalisierung voranzutreiben. Wie weit die Engagierten ihre privaten Ressourcen einsetzten, hing von den sozioökonomischen Faktoren vor Ort ab. Weitere Hemmnisse waren fehlende Expertise und das Alter der Engagierten, vor allem in sozial und wirtschaftlich schlechter aufgestellten Regionen. Um die Digitalisierung voranzutreiben, brauchte es in den Organisationen Initiatoren, vor allem im Vorstand. Wichtig war auch, ob sie bei ihren Mitstreitern auf Offenheit und die Bereitschaft zur Veränderung stießen.

Faktor Zeit

Die Erfahrungen der Stiftung Aktive Bürgerschaft in der Beratung von digitalisierungsinteressierten Bürgerstiftungen zeigen, dass neben Expertise, Kompetenzen und finanziellen Ressourcen auch der Faktor Zeit eine erhebliche Rolle spielt. So wurde in der Beratung der Aktiven Bürgerschaft unter anderem von einer Bürgerstiftung thematisiert, dass die Schulungen der Software-Anbieter in die Arbeitszeiten der berufstätigen Engagierten fielen und deshalb die Einführung der digitalen Tools nicht umgesetzt werden konnte.

Insgesamt ist wohl davon auszugehen, dass auch in Non-Profit-Organisationen wie überall in Wirtschaft und Gesellschaft zuweilen noch ein gewisser Trägheitsfaktor zu überwinden ist. Er wird sichtbar im Digitalisierungsindex 2023/24 des Digitalisierungsnetzwerks D21: Hier äußerten sich 52 Prozent der Befragten ablehnend, skeptisch oder ambivalent gegenüber der Digitalisierung.

Zur Studie über Vereine
Zum Statistischen Bundesamt
Zum Digitalindex von D21

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Tschüss, Excel!

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Eigentlich hatten sie nur ein Newslettertool gesucht bei der Bürgerstiftung Würzburg. Jetzt machen sie dort (fast) alles digital.

Bei der Suche nach einem Softwaretool für den Versand ansprechender Newsletter erkannte die Bürgerstiftung Würzburg und Umgebung schnell, dass die kostenfreien Toolversionen nur sehr eingeschränkte Gestaltungsmöglichkeiten boten und deshalb nicht infrage kamen. Sie fragte bei der Stiftung Aktive Bürgerschaft nach einer für Stiftungen geeigneten Lösung und stieß über die Webinar-Reihe „Digitale Bürgerstiftung“ der Aktiven Bürgerschaft auf CiviCRM.

Das ist eine kostenlose Open-Source-Software für das Customer Relations Management (CRM) von Non-Profit-Organisationen, die noch weit mehr kann, als nur einen Newsletter zu versenden. Auch die Aktive Bürgerschaft arbeitet damit. Die Bürgerstiftung Würzburg entschied sich, CiviCRM zu installieren. „Seit 2023 machen wir eigentlich alles digital“, sagt Birgit Freudenberger, bei der Bürgerstiftung zuständig für die Verwaltung. „Alles“ ist: Die gesamte Adressverwaltung, Newsletter-Erstellung und Versand, Spendenverwaltung, Veranstaltungsmanagement und Förderantragsmanagement.

Nie wieder aus einem PDF abtippen

„Früher haben wir unsere Kontakte manuell in Excel-Tabellen und in benutzereigene digitale ‚Adressbücher‘ geschrieben. Das war sehr mühsam“, berichtet Freudenberger. Das gleiche bei Förderanträgen: „Da ist die Kollegin früher verzweifelt – wir haben teilweise PDF-Formulare abgeschrieben, Anhänge zuordnen müssen und schließlich zu große Dateien gehabt, die sich nicht mehr an die Kuratoriumsmitglieder mailen ließen“, erinnert sich Freudenberger. Jetzt bekommt das Kuratorium, das über die Förderungen entscheiden muss, einen Link, der zu einer in CiviCRM generierten Tabelle mit den Anträgen und allen Unterlagen führt. Auch Veranstaltungen zu managen, ist viel einfacher geworden: Die Anmeldungen werden über ein Formular auf der Homepage direkt ins System übernommen, für die Veranstaltung verbucht und automatisch bestätigt.

So könnte es auch mit der Spendenverwaltung laufen. Es gibt einen Online-Button auf der Homepage und eine Schnittstelle zum Onlinebanking, die Spenden werden in CiviCRM verbucht, zugeordnet und gezählt. Alles funktioniert digital. Nur die Zuwendungsbestätigung muss aktuell noch ausgedruckt und eingetütet werden. „Technisch könnten wir das auch digitalisieren“, sagt Freudenberger, „aber wir warten bereits seit eineinhalb Jahren auf die Freigabe durch das Finanzamt.“

Der Einsatz

Die insgesamt enorme Arbeitserleichterung hat allerdings eine nennenswerte Investition an Zeit und Geld erfordert. Zwar ist CiviCRM kostenlos. Doch es muss implementiert werden und dafür fielen im Fall der Bürgerstiftung durch die vielen verschiedenen Funktionen rund 12.000 Euro an. Mit Erfolg bewarb sich die Bürgerstiftung auf Anraten der Aktiven Bürgerschaft um eine Förderung der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt (DSEE): 90 Prozent der Kosten wurden übernommen. Auflage: Es mussten sich mindestens zwei Personen in der Organisation mit der Implementierung befassen und die Umsetzung musste bis zum Jahresende innerhalb von sechs Monaten – bis Ende 2022 – abgeschlossen sein. Darüber hinaus mussten während des laufenden Antragsverfahrens mehrere Onlinefachvorträge der DSEE besucht werden. Der Zeitaufwand ist ein Punkt, an dem die Sache scheitern könnte, wenn sich in der Bürgerstiftung Menschen engagieren, die berufstätig sind und zu den Schulungszeiten arbeiten müssen.

Bei der Bürgerstiftung Würzburg hat am Ende alles geklappt. „Das war zwar zeitweise ein bisschen stressig: Wir haben abends mit dem Laptop auf dem Knie die unterschiedlichen Exceltabellen mit den Adressen auf den neusten Stand gebracht und vom Format her vereinheitlicht. Aber es hat sich gelohnt“, sagt Freudenberger. Jetzt arbeiten in der Stiftung die Projektmanagerinnen und -manager mit CiviCRM. Vorstand und Kuratorium halten sich raus; man muss zugeben, dass die Benutzeroberfläche eine gewisse Einarbeitung erfordert. Viele Fragen zur Handhabung kann die Bürgerstiftung Würzburg und Umgebung in der Community auf CampusAktiv klären, dem Portal der Aktiven Bürgerschaft, in dem sich Bürgerstiftungen anmelden können. Die über den Support hinausgehenden Programmierarbeiten übernimmt das mit der Implementierung beauftragte Unternehmen auf Stundenbasis.

Für die Bürgerstiftung war die Digitalisierung ein Kraftakt, aber er hat Freiraum für andere Vorhaben geschaffen. „Wir erwarten eine Zuwendung im Millionenbereich“, sagt Birgit Freudenberger. „Jetzt kommt uns zugute, dass wir bei den Verwaltungsaufgaben viel Zeit gewonnen haben.“
Zur BÜRGERSTIFTUNG WÜRZBURG UND UMGEBUNG

Digitale Bürgerstiftung – Ein Projekt der Stiftung Aktive Bürgerschaft

Wie können Bürgerstiftungen die Digitalisierung nutzen, um ihre Arbeit einfacher und zukunftsfähig zu gestalten? Welche Software ist die richtige, wie organisiert man seine digitalen Prozesse und die Zusammenarbeit im Team? Für solche und weitere Fragen hat die Stiftung Aktive Bürgerschaft das Projekt „Digitale Bürgerstiftung“ ins Leben gerufen. Als Support-Organisation für die Bürgerstiftungen in Deutschland bietet sie diesen kostenlos Unterstützung und Beratung – vom Starter-Paket bis zu Support-Foren zu CiviCRM und Microsoft 365. Dabei organisiert sie auch den Austausch mit Bürgerstiftungen, die bereits mit digitalen Lösungen arbeiten. Durch die Zusammenarbeit mit IT-Partnern erhalten die Bürgerstiftungen kostenlose oder kostengünstige IT-Pakete.
Mehr zur „Digitalen Bürgerstiftung“

Text: Gudrun Sonnenberg

Der Beitrag ist Teil des Fokus Digitalisierung – zwischen Hype und Herausforderung der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte der Stiftung Aktive Bürgerschaft. Zum Fokus Digitalisierung – Zwischen Hype und Herausforderung

„Nicht zu religiös betrachten“

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Open Source oder Software vom Tech-Giganten: Wie digitalisiert man eine Non-Profit-Organisation am besten? Ein Gespräch zwischen Philipp Berg von der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt (DSEE), die gerne Open-Source-Entwicklung fördert, und Stefan Nährlich von der Stiftung Aktive Bürgerschaft, die gute Erfahrungen mit Microsoft macht.

bürgerAktiv: Herr Berg, die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt setzt, wenn sie Digitalisierung fördert, auf Open Source. Warum?

Philipp Berg: Wir zwingen niemanden, seine IT-Landschaft umzustellen, in der er arbeitet. Wenn jedoch Software weiterentwickelt oder neue Funktionen hinzugefügt werden sollen, bevorzugen wir Open Source. Zum Beispiel, wenn jemand für eine Mitgliederverwaltung, die bereits von 800 Organisationen genutzt wird, ein neues Feature benötigt und wir dessen Entwicklung unterstützen: Dann profitieren potenziell alle 800 Organisationen von dieser Unterstützung, da sie das Feature ebenfalls nutzen können. Dies ist aus meiner Sicht eine effizientere Verwendung von Steuergeldern, als wenn eine Organisation nur für ihre eigenen Bedürfnisse finanzielle Mittel erhält.

bürgerAktiv: Stefan Nährlich, die Stiftung Aktive Bürgerschaft, die ja auch Bürgerstiftungen in Sachen Digitalisierung berät, empfiehlt durchaus, mit einer kommerziellen sogenannten proprietären Software wie Microsoft zu arbeiten. Warum?

Stefan Nährlich: Zu Beginn der Corona-Pandemie ging es um schnelle Verfügbarkeit. Wir haben den Bürgerstiftungen daher empfohlen, bei ihrem Internet-Provider zu prüfen, ob dieser Microsoft (MS) 365 mit Teams anbietet. Microsoft ist zudem einigermaßen alternativlos, es gibt nicht so viele Anbieter von integrierten Systemen. Wir nutzen MS 365 auch selbst. Dabei zählte für uns, dass das System leistungsfähig ist, sofort einsatzbereit ist und dass die Kolleginnen und Kollegen mitziehen. Für gemeinnützige Organisationen wird es sehr kostengünstig angeboten. Wichtig für uns war auch, ob es den Anbieter in 20 Jahren noch gibt.

Philipp Berg: Auch hinter einem proprietären Tool stecken ganz, ganz viele kleine Open-Source-Lösungen. Wenn die kaputtgehen oder nicht weiterentwickelt werden, funktioniert auch das proprietäre Tool nicht mehr.

Stefan Nährlich: Wir nutzen – mit einem weinenden und einem lachenden Auge – auch Open-Source-Software, nämlich CiviCRM für unser Kontaktmanagement. Wir empfehlen das auch den Bürgerstiftungen. Damit es aber überhaupt läuft, zahlen wir über 1000 Euro im Jahr für Hosting und Support. Dazu kommen Personalkosten für die Kollegin, die mit dem Support zusammenarbeitet und uns intern unterstützt. Auch der Leistungsumfang hat noch Luft nach oben. Für die Entwicklung eines Plug-ins zum Schutz sensibler Daten haben wir zusammen mit vier anderen NPOs 5000 Euro gespendet. Nach zwei Jahren ist es aber immer noch nicht einsatzbereit. Das ist weniger eine Frage des Geldes als von verfügbaren Fachkräften. ITler verdienen in der Wirtschaft mehr und die Wirtschaft bedient zahlungskräftige Kunden. Und die setzen auf andere Lösungen. Um Projektdaten einzupflegen, haben wir etwas hinzuprogrammieren lassen. Das ist gut geworden, hat aber fast 10.000 Euro gekostet. Die Projektdatenbank wäre auch in der Microsoft-Welt mit Power BI zu realisieren gewesen, das Feature hätten wir auch mit anderen, die Microsoft 365 nutzen, geteilt. Die Möglichkeit einer öffentlichen Förderung gab es aber nicht.

„Wir sollten uns von ausländischen Strukturen nicht zu abhängig machen“

Philipp Berg: Gegen eine solche Förderung spricht, dass wir uns von ausländischen Strukturen nicht derart abhängig machen sollten, dass, wenn sie einmal wegbrechen, auch hier bei uns alles wegbricht. Wir haben bereits erlebt, wie ein Zusammenbruch dieser Strukturen im Energiesektor und in der Pharmaindustrie zu erheblichen Problemen geführt hat. Daher gibt es starke Argumente dafür, im digitalen Bereich wenigstens eine eigene europäische Souveränität anzustreben.

Stefan Nährlich: Das würde ich sogar unterschreiben. Aber Behörden und Ministerien setzen selbst im großen Maße Microsoft-Produkte ein. In einer Antwort auf eine Anfrage der Bundestagsfraktion Die Linke hat die Bundesregierung angegeben, 2022 über 200 Millionen Euro für Microsoft-Lizenzen ausgegeben zu haben. Open-Source spielt danach auch nur eine Nebenrolle. Ich kenne auch kein Unternehmen, das nicht mit Microsoft 365 arbeitet. Aber ausgerechnet die Zivilgesellschaft soll dann den hehren Zielen der Politik folgen, sich nicht abhängig zu machen?

Philipp Berg: Es ist tatsächlich problematisch, dass wir unsere Entwicklungen für die öffentliche Verwaltung immer nur ins Schaufenster stellen und nie in die produktive Anwendung bringen. Seit ein paar Jahren ist zum Beispiel die dPhoenix Suite als souveräner Arbeitsplatz für die öffentliche Verwaltung in der Erprobung und, soweit ich weiß, in Schleswig-Holstein auch produktiv im Einsatz. Und es gibt mit openDesk ein neues, ähnliches Modell. Ich bin sehr gespannt, was daraus wird, und vor allem, wie wir als Verwaltung da rankommen. Bei hundert Prozent Open Source weiß man, was funktioniert und was nicht. Wir würden so eine Arbeitsumgebung auch gerne nutzen. Im zivilgesellschaftlichen Sektor haben wir übrigens mal ein sehr ähnliches Projekt gefördert, die KolliCloud. Für etwa 30 Euro im Monat gibt es dort einen webbasierten Arbeitsplatz für Organisationen, wo alles Mögliche drin ist, Mailing, Cloud, Videotelefonie, und das Rechenzentrum ist klimaneutral. Da gibt es viel Bewegung.

bürgerAktiv: Aber da sind ja auch die Implementierungskosten …

Philipp Berg: Das ist ein Faktor, und da sind wir – jedenfalls bei großen Systemen wie CiviCRM – schnell im fünfstelligen Bereich. Aber als Fördermittelgeber sehe ich volkswirtschaftlich einen elementaren Unterschied, ob ich Geld in einen Implementierer aus Deutschland investiere und damit an jemanden, der Software hier für mich aufsetzt und sie hierzulande hostet, sodass hier jemand den Server wartet und Serviceleistungen erbringt, sodass also das Geld hier im Wirtschaftskreislauf landet – oder ob das Geld alles in die USA geht.

Stefan Nährlich: Das Geld geht ja nicht in die USA, nur weil mit Microsoft-Produkten entwickelt wird. Die zertifizierten Microsoft-Partner in Deutschland sind mittelständische Firmen aus Deutschland, sie zahlen hier ihre Gehälter und ihre Steuern. Da bleibt das Geld auch im Wirtschaftskreislauf.

bürgerAktiv: In den USA wird gerade von sehr finanzstarken Unternehmen Künstliche Intelligenz (KI) entwickelt. Hat Open Source denn eine Chance, da mitzuhalten?

Philipp Berg: Das ist das nächste große Problem: Wer hat die Daten, um diese Modelle zu trainieren? Und das bedeutet wiederum: Wem geben wir alle unsere Daten? Wenn wir immer deren Systeme nutzen, werden wir den Anschluss verlieren in Sachen europäisches Modell. Der Datenvorsprung der großen Konzerne ist irre. Aber vielleicht müssen wir das nicht aufholen, es gibt ja auch Anwendungsfälle unabhängig davon, etwa KI in der Krebsforschung.

Stefan Nährlich: Man kann beispielsweise Aleph Alpha in Heidelberg nur viel Erfolg wünschen. Meine Befürchtung ist aber, dass der Zug abgefahren ist, bevor sie mit ihrer KI so weit sind. OpenAI, Microsoft, Apple und Google, Amazon und Co. sind jetzt schon in der Fläche. Alle, die das bereits nutzen und damit im Großen und Ganzen gut zurechtkommen, werden nicht ohne Not oder starke Anreize wechseln.

Philipp Berg: Das beobachte ich schon länger und finde es schade, dass es so ist. Ich habe den Eindruck, dass wir sehr viele Menschen verlieren, wenn sie einmal eine schlechte Erfahrung gemacht haben – egal ob drei Jahre später alle Schwierigkeiten beseitigt sind und ein Tool nun gut funktioniert. Nachdem beispielsweise in München die Umstellung der öffentlichen Verwaltung auf Linux 2017 als gescheitert galt, galt das Thema Linux in der öffentlichen Verwaltung als verbrannt und wurde nicht mehr angefasst. Das ist nachvollziehbar, aber auch frustrierend. Wie kriegt man Menschen dazu, einem Projekt doch noch einmal eine Chance zu geben? Dinge entwickeln sich weiter!

Stefan Nährlich: Als Wirtschaftswissenschaftler würde ich sagen, Entwicklungen sind immer pfadabhängig. Wenn man sich vor drei Jahren beispielsweise entschieden hat, Webinare mit Teams zu machen, dann sind Wissen, Arbeitsprozesse, Anmeldungsverfahren eben seit drei Jahren auf Teams ausgerichtet. Das ändert man nicht, wenn es seinen Zweck erfüllt und zukunftsfähig ist.

bürgerAktiv: Vielleicht generiert die Non-Profit-Branche ja selbst eine vielversprechende Innovation. Auch Google hat mal klein angefangen.

Philipp Berg: Nach menschlichem Ermessen ist sehr schwer vorstellbar, dass ein Vorsprung, wie ihn Google jetzt hat, noch jemals eingeholt werden könnte. Andererseits dachte man das bei Yahoo auch … Ich halte es immer für möglich, dass eine technologische Innovation komplett durch die Decke geht – und dass sie überall auf der Welt entstehen kann. Mit Sicherheit gibt es auch in Deutschland viele Menschen, die Innovationen mit großem Potenzial arbeiten.

„Die Engagierten nutzen pragmatisch das, was es gibt“

bürgerAktiv: Was fange ich nun an mit den Überlegungen als Vorstand einer Stiftung oder eines Vereins? Microsoft oder Open Source? Entscheiden oder flexibel bleiben?

Stefan Nährlich: Die Engagierten nutzen pragmatisch das, was es gibt, um ein Stück weiterzukommen. Das ist die Realität. Wir wollen niemanden überreden oder belehren, in eine bestimmte Richtung zu gehen. In unserem Support für die Bürgerstiftungen in Deutschland unterstützen wir sie in dem, was sie machen mit den gängigen Lösungen, das sind Microsoft 365 und CiviCRM.

Philipp Berg: Ich kann mich mit dem Wort Pragmatismus an der Stelle auch anfreunden. In der DSEE setzen wir stark auf Wissensaustausch, Vernetzung, Erfahrungsaustausch, die Dinge nicht für sich selbst lösen zu wollen, in Beratung zu gehen, in Peer-Beratung zu gehen. Man darf dieses Thema nicht religiös betrachten. Die Frage ist immer, was ist für uns in unserem Kontext in der IT, die wir schon haben, mit den Menschen, mit denen wir arbeiten, die richtige Lösung? Digitalisierung ist nur ein Tool für die eigentliche Arbeit. So niedrigschwellig sollte man das auch betrachten und nicht zu hoch hängen.

Philipp Berg (Foto links) ist Teamleiter Digitalisierung & Innovation bei der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt (DSEE).
Stefan Nährlich (Foto rechts) ist Geschäftsführer und Mitglied des Vorstands der Stiftung Aktive Bürgerschaft.
Fotos: André Hamann / Werner Kissel

Der Beitrag ist Teil des Fokus Digitalisierung – zwischen Hype und Herausforderung der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte der Stiftung Aktive Bürgerschaft. Zum Fokus Digitalisierung – Zwischen Hype und Herausforderung

Fokus März 2024: Junge Menschen für Engagement begeistern und die Demokratie stärken

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Menschen, die sich engagieren und Verantwortung übernehmen, sind die tragenden Säulen der Demokratie. Doch beklagen viele zivilgesellschaftliche Organisationen, dass es schwieriger wird, genügend Ehrenamtliche zu finden, vor allem, wenn es um Funktionsträger geht wie Vorstände oder Kassenwarte.

Denn einerseits macht sich der demographische Wandel bemerkbar: Es wachsen weniger junge Menschen nach, und sie haben weniger Zeit – von der Ganztagsschule über die Verschulung von Studiengängen, Doppelbelastungen in Familie und Beruf bis zu weiten Fahrwegen reichen die Hürden. Eine wachsende Zahl von Menschen zieht informelles Engagement oder auch punktuelles Engagement dem Mitarbeiten in etablierten Strukturen vor.

Es gilt also, passende Angebote zu machen. Gute Beispiele zeigen, wie es gelingen kann, junge Menschen für gesellschaftliches Engagement zu gewinnen. Unsere Expertin Annette Zimmer sagt im Interview: Es liegt auch an den Engagierten selbst, wie offen sie wirklich sind.

Lesen Sie dazu diese Fokusbeiträge:

Viele junge Engagierte, trotzdem Nachwuchssorgen: Engagement in Zahlen

Wie sieht das Engagement junger Menschen aus, wo und wie engagieren sie sich? Die Zahlen aus einschlägigen Befragungen zeigen, dass beim Nachwuchs die Bereitschaft, etwas für das Gemeinwohl zu tun, hoch ist. Doch so ganz passen der Bedarf der gemeinnützigen Organisationen und die Bedürfnisse jüngerer Menschen nicht zusammen.
Zum Beitrag

Mitmachen und entscheiden lassen

Mit einer Jugendbürgerstiftung hat die Bürgerstiftung Sindelfingen junge Menschen ins Boot geholt. Hier machen die jungen Leute eigenständig Projekte und ziehen neue Interessenten an.
Zum Beitrag

„Manche bleiben“

Im Gast-Haus in Dortmund kümmern sich ehrenamtlich Engagierte um Menschen in Not, Obdachlosigkeit und prekären Lebenslagen. Der Verein setzt bei der Suche nach Helfern auch auf die Zusammenarbeit mit Schulen.
Zum Beitrag

Extraangebote für die Jugend

Große Organisationen versuchen, mit eigenen Jugendorganisationen den jungen Menschen Räume zu eröffnen. Niedrigschwellige Angebote zielen darauf ab, den Einstieg zu erleichtern. Drei Beispiele.
Zum Beitrag

„Kompetenzerwerb stärker thematisieren“

Die Politikwissenschaftlerin Annette Zimmer, Seniorprofessorin an der Universität Münster, spricht im Interview mit bürgerAktiv über Nachwuchsprobleme gemeinnütziger Organisationen und über Strategien, um junge Menschen zum Mitmachen zu gewinnen.
Zum Interview

Mehr zum Thema

bürgerAktiv Magazin 2023/24 der Stiftung Aktive Bürgerschaft mit Geschichten über das Engagement junger Menschen in sozialgenial-Mitgliedsschulen:
Zum Magazin

Viele junge Engagierte, trotzdem Nachwuchssorgen: Engagement in Zahlen

1024 680 Stiftung Aktive Bürgerschaft

Wie sieht das Engagement junger Menschen aus, wo und wie engagieren sie sich? Die Zahlen aus einschlägigen Befragungen zeigen, dass beim Nachwuchs die Bereitschaft, etwas für das Gemeinwohl zu tun, hoch ist. Doch so ganz passen der Bedarf der gemeinnützigen Organisationen und die Bedürfnisse jüngerer Menschen nicht zusammen.

Laut Deutschem Freiwilligensurvey, der zuletzt 2019 erschien und nach dem Engagement in den vergangenen zwölf Monaten fragte, engagieren sich knapp 40 Prozent der Deutschen über 14 Jahre, gut die Hälfte von ihnen in Vereinen oder Verbänden. Bei den 14- bis 29-Jährigen lag die Engagementquote bei 42 Prozent.

Jüngere kleinere Befragungen zeichnen ein noch positiveres Bild: So gaben in der Befragung „u_count“ der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) 2022 zwei Drittel der befragten Jugendlichen und jungen Erwachsenen an, sich in den vergangenen zwölf Monaten mindestens einmal ehrenamtlich engagiert zu haben. Bei 55 Prozent liegt die Quote in der Erhebung „Rein digital, nur gelegentlich oder im Ausland? Neue Formen des freiwilligen Engagements junger Menschen in Stadt und Land“ die 2023 die Ruhr-Universität Bochum (RUB) in fünf Regionen und Städten durchgeführt hat.

Unterschiedliche Formen

Hinter den Zahlen verbergen sich verschiedene Formen des Engagements. Thematisch dominieren Sport und Bewegung, Freizeitveranstaltungen, Bildungsarbeit und Kultur. Laut Freiwilligensurvey engagieren sich Menschen mit höherer Bildung doppelt so häufig wie Menschen mit geringer Bildung.

Von der Organisationsform her haben die Vereine die Nase vorn. In der „u_count“-Befragung sind 62 Prozent der befragten jungen Menschen regelmäßig in einem Verein aktiv gewesen. Auch die in der RUB-Studie Befragten haben sich vorwiegend in einer Organisation engagiert, und dies auch regelmäßig – beispielsweise als Co-Trainer, Tierpfleger, Auf- und Abbau bei Veranstaltungen. Seltener jedoch waren sie administrativ tätig, etwa als Kassenwart oder in einer leitenden Funktion. Rund 40 Prozent der in der RUB-Studie Befragten haben sich „episodisch“, also anlass- oder ereignisbezogen und damit einmalig engagiert. Dieses Engagement fand wiederum häufig in einem Verein oder einer anderen Organisation statt.

Viele Organisationen ohne junge Menschen

Der ZiviZ-Survey 2023, die repräsentative Organisationsbefragung des Think-Tanks Zivilgesellschaft in Zahlen (ZiviZ), schaut aus der Sicht der Organisationen auf die jungen Engagierten und stellt fest: Weniger als die Hälfte der dort befragten Organisationen hat in ihren Leitungspositionen Menschen unter 30 Jahren, 42 Prozent der Organisationen hat keine Engagierten zwischen 18 und 30 Jahren in ihren Reihen. Die meisten jüngeren Engagierten verzeichnen Sportvereine und die Katastrophenhilfe.

Jugend möchte ernst genommen werden

In der „u_count“-Studie äußerten manche der jungen Befragten den Eindruck, nicht für voll genommen zu werden. Hier kam auch zum Ausdruck, dass junge Menschen sich mehr Mitbestimmung wünschen, wenn sie sich engagieren – also bei der Finanzplanung oder Veranstaltungsorganisation im Verein mitwirken möchten. „Der Bürgermeister fragt die Jugendlichen zwar und nimmt ihre Wünsche auf, aber die Umsetzung dauert lange“, zitiert „u_count“ eine Befragte.

Text: Gudrun Sonnenberg

Zum Freiwilligensurvey
Zur u_count-Studie
Zur Studie der RUB
Zum ZiviZ-Bericht

Der Beitrag ist Teil des Fokus Junge Menschen für Engagement begeistern und die Demokratie stärken der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte der Stiftung Aktive Bürgerschaft. Zum Fokus Junge Menschen für Engagement begeistern und die Demokratie stärken

Mitmachen und entscheiden lassen

1024 683 Stiftung Aktive Bürgerschaft

Mit einer Jugendbürgerstiftung hat die Bürgerstiftung Sindelfingen junge Menschen ins Boot geholt. Hier machen die jungen Leute eigenständig Projekte und ziehen neue Interessenten an.

Bis 3 Uhr nachts zu lauter Musik tanzen: Das stößt bei den älteren Teilen der Bevölkerung auf wenig Gegenliebe. Bei jungen Menschen dafür umso mehr. Damit diese sich mal so richtig austoben können und nicht spätestens um Mitternacht von ruhebedürftigen Anwohnern unterbrochen werden, organisiert die Jugendbürgerstiftung Sindelfingen neuerdings eine „Silent Disco“, bei der die Gäste die Musik nicht über Lautsprecher, sondern über Kopfhörer hören, und zusammen tanzen.

Die Idee hatten junge Frauen aus Stuttgart mitgebracht. In der Jugendbürgerstiftung konnten sie sie ausprobieren. Beim dritten Abend fanden sich schon hundert junge Leute ein. Zweimal im Jahr soll das Event stattfinden. Schöner Nebeneffekt: Es sind über die Disco – und auch über andere Events – neue junge Leute auf die Jugendbürgerstiftung aufmerksam geworden und ihr beigetreten. 26 Köpfe zwischen 16 und 29 Jahren zählt jetzt das Team, und sie engagieren sich hier für das, was die Älteren allzu oft übersehen, die Interessen junger Menschen.

Eigenes Budget

Genau dafür hatte die Bürgerstiftung Sindelfingen 2013 die Jugendbürgerstiftung ins Leben gerufen: Um junge Leute zum Mitmachen zu bewegen – aber vor allem, um sie machen zu lassen. Mit einem Budget von 3000 Euro im Jahr können sie eigene Projekte planen und umsetzen oder andere Initiativen fördern. Bei Letzterem helfen die Mitglieder der Jugendbürgerstiftung entweder selbst, etwa, indem sie bei Veranstaltungen von Vereinen den Getränkeausschank übernehmen. Oder sie unterstützen finanziell, etwa das Planspiel „MUNOG “ am Goldberg Gymnasium, bei dem Schülerinnen und Schüler in die Rollen von Staaten in der UNO-Vollversammlung schlüpfen. Manchmal helfen sie auch bei Projekten der Bürgerstiftung Sindelfingen aus. Zum Beispiel, wenn Sindelfinger Schulen in der „Schlau-Schau“ im Einkaufzentrum naturwissenschaftliche Projekte präsentieren.

Patrick Schmid, der aktuelle Vorstandsvorsitzende der Jugendbürgerstiftung (im Foto mit seiner Vorstandkollegin Nicola Koroll), ist seit dreieinhalb Jahren dabei. Ihn habe die breite Palette der Möglichkeiten von Sport über Kultur bis zu sozialen Themen angezogen: „Jeder kann ein Projekt finden, das zu ihm passt“, sagt er. „Die Bürgerstiftung lässt uns unsere Erfahrungen machen, wir werden nie gebremst. Bei uns dürfen auch 16-Jährige ihre Euphorie ausleben. Für uns ist es toll, dass wir so ein Vertrauen genießen.“

„Wir beraten, aber wir lassen sie selbst entscheiden“, sagt Heike Stahl, eine von zwei Vorständen der Bürgerstiftung, die für die Jugend zuständig sind. Manchmal gehört etwas Nervenstärke dazu sich zurückzuhalten, etwa, wenn man selbst schon längst mit einer Planung anfangen würde und die Jugendlichen erst auf den letzten Drücker aktiv werden. „Sie planen halt kurzfristiger“, sagt Stahl.

Hybrid gegen Fluktuation

Der Zulauf gibt aktuell jedenfalls dem Konzept „Machen lassen“ recht. Um die Fluktuation gering zu halten, die automatisch durch das Ende der Schulzeit, Ortwechsel wegen Studium oder Ausbildung entsteht, kommuniziert die Jugendbürgerstiftung hybrid – so können auch die Mitglieder mitreden, die für ein paar Jahre nach Berlin oder anderswohin gegangen sind.

Jedenfalls, bis sie 30 sind. Dann ist in der Jugendbürgerstiftung Schluss – aber das soll nicht das Ende sein: Die Bürgerstiftung hofft, dass sich der Nachwuchs dann in der Bürgerstiftung weiter engagiert. Für den 28-jährigen Patrick Schmid ist das auf jeden Fall eine Option. Was auf ihn zukäme, weiß er schon, denn als Vertreter der Jugendbürgerstiftung ist er regelmäßig bei den Vorstandssitzungen der Bürgerstiftung dabei – und sorgt dafür, dass der Blick der Jugend auf die Projekte nicht zu kurz kommt.

Text: Gudrun Sonnenberg

Zur Jugendbürgerstiftung Sindelfingen
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„Manche bleiben“

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Im Gast-Haus in Dortmund kümmern sich ehrenamtlich Engagierte um Menschen in Not, Obdachlosigkeit und prekären Lebenslagen. Der Verein setzt bei der Suche nach Helfern auch auf die Zusammenarbeit mit Schulen.

„Es ist wichtig, junge Menschen für Armut zu sensibilisieren und ihnen zu zeigen, dass nicht immer alles Plan läuft im Leben“, sagt Eva Bahr, Ehrenamtskoordinatorin beim Gast-Haus e.V. Doch nicht nur wegen des Abbaus von Vorurteilen gegenüber seinen hilfsbedürftigen Gästen schätzt das Gast-Haus, wenn Schülerinnen und Schüler sich hier engagieren. Es gilt auch, immer wieder neue Mitstreiter zu finden. Um jüngere Menschen auf sich aufmerksam zu machen, kommuniziert das Gast-Haus in den sozialen Medien und öffnet seine Türen gerne für Schulprojekte wie beispielsweise den „Sozialgenial-Projektkurs“ des Reinoldus- und Schiller-Gymnasiums in Dortmund. Dessen Schülerinnen und Schüler engagieren sich im Rahmen des Programms sozialgenial der Stiftung Aktive Bürgerschaft für die Einrichtung, indem sie Handtücher aus dem nahegelegenen Solebad herbeischaffen, die dort vergessen und gereinigt wurden. Sie werden den Menschen zur Verfügung gestellt, die das Gast-Haus aufsuchen.

Nach dem Schulprojekt geht es weiter

Schülerinnen und Schüler aus den Dortmunder Schulen absolvieren auch Praktika im Gast-Haus. „Manche bleiben danach bei uns“, freut sich Eva Bahr, „sie machen nach dem Schulprojekt oder Praktikum weiter. Einer unserer ehrenamtlichen Zahnärzte kommt sogar ursprünglich aus einem Schulprojekt.“

Das Gast-Haus startete vor 27 Jahren rein ehrenamtsbasiert mit 15 Engagierten. Man bot zweimal Frühstück für Menschen in Armut an. Inzwischen gibt es jeden Tag Frühstück, nachmittags Suppe, außerdem Duschmöglichkeiten, eine Kleiderkammer, ärztliche Versorgung, Beratung und vieles mehr. Mit dem Wachstum konnten viele Ehrenamtliche gewonnen werden, 350 Freiwillige sind inzwischen im Pool. Eine beeindruckende Zahl, doch es gibt ja auch viel zu tun: Allein sieben Teams braucht es, um das tägliche Frühstück zu gewährleisten. Und es haben nicht alle Ehrenamtlichen gerade dann Zeit, wenn sie gebraucht werden, manche müssen ausscheiden, andere bekommen Kinder, wechseln den Beruf oder können nur punktuell helfen.

Offenheit lohnt sich

So braucht es immer wieder Neu-Einsteiger, die das Gast-Haus auch über seine Kommunikation in den Sozialen Medien gewinnt. Die Offenheit für junge Leute lohnt sich. Die Schulen kommen von sich aus mit ihren Projekten auf das Gast-Haus zu, es ist bekannt. Und natürlich trägt zur erfolgreichen Gewinnung Ehrenamtlicher auch die Sache selbst bei: „Armut ist ein großes Problem, und es wird leider immer größer“, sagt Eva Bahr, „es beschäftigt viele Menschen.“

Text: Gudrun Sonnenberg

Zum Gast-Haus
Zum sozialgenial-Projekt

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Extraangebote für die Jugend

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Große Organisationen versuchen, mit eigenen Jugendorganisationen den jungen Menschen Räume zu eröffnen. Niedrigschwellige Angebote zielen darauf ab, den Einstieg zu erleichtern. Drei Beispiele:

Die Caritas steht vermutlich nicht an erster Stelle der Aufmerksamkeit junger Menschen, die sich engagieren möchten. Deshalb wendet sich die traditionelle Wohlfahrtsorganisation seit 2013 mit der „youngcaritas“ explizit an Menschen zwischen 13 und 27 Jahren. Das Konzept wurde aus Österreich und der Schweiz adaptiert. Die Angebote bemühen sich um Niedrigschwelligkeit. Sie reichen vom Workshop zum Thema „Armut“ in Hamburg mit anschließender „Sozialaktion“ über die Mitwirkung in einer Smartphone-Sprechstunde für Seniorinnen und Senioren in München, einem Sprachcafé und Upcycling-Workshops in Mannheim bis zu Kochen für wohnungslose Menschen in Berlin.

Eine extra Jugendorganisation hat auch der Naturschutzbund Deutschland (NABU) mit der NAJU – Naturschutzjugend. Nach eigenen Angaben gibt es mehr als 1000 NAJU-Gruppen in Deutschland, die mit Mitmachaktionen 13- bis 27-Jährige ansprechen wollen. Angeboten werden Mitmachaktionen wie etwa ein „Ostereinsatz“ im Spreewald samt Müllsammelaktion, aber auch Wettbewerbe, Workshops und Qualifikationen etwa zum Jugendleiter. Die NAJU hat darüber hinaus auch eigene Delegierte zur Weltklimakonferenz entsendet.

Mit publikumswirksamen Aktionen machen auch immer wieder Feuerwehren auf ihren Bedarf an jungen Mitstreitern aufmerksam. So gewann im Mai 2023 die Freiwillige Feuerwehr Waischenberg einen Sonderpreis „Ehrenamt und Nachwuchs“ des Bayerischen Demografiepreises, weil sie eines ihrer Feuerwehrfahrzeuge originalgetreu in Kindergröße nachbaute. Mit extra Kinderfeuerwehren versuchen offenbar zahlreiche Freiwillige Feuerwehren, den Nachwuchs in ihre Organisation zu integrieren. 2022 waren laut Bundesverband Deutsche Jugendfeuerwehr 76.700 Kinder unter 10 Jahren erfasst, deutlich mehr als noch vier Jahre zuvor (42.700).

Youngcaritas
Naju
Jugendfeuerwehr
Feuerwehr Waischenberg

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„Kompetenzerwerb stärker thematisieren“

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Die Politikwissenschaftlerin Annette Zimmer, Seniorprofessorin an der Universität Münster, spricht im Interview mit bürgerAktiv über Nachwuchsprobleme gemeinnütziger Organisationen und über Strategien, um junge Menschen zum Mitmachen zu gewinnen.

Wie entwickelt sich die Bereitschaft zum Engagement bei jungen Menschen?

Das Engagement entwickelt sich im Lebensverlauf. Es hängt zunächst, im Kindesalter, von den Eltern ab, etwa, wenn diese ihre Kinder an Kultur heranführen oder im Sportverein anmelden. Jugendliche wenden sich eher eigenen Themen zu, das haben wir zum Beispiel bei dem enormen Zulauf der Klimaproteste von Fridays for Future gesehen. Besorgniserregend ist, dass sich vor allem Jugendliche aus gebildeten, sozial besser gestellten Elternhäusern engagieren und andere gar nicht.

Wo fehlt der Nachwuchs besonders?

Viele etablierte Vereine, aber inzwischen auch Umweltorganisationen haben Probleme, junge Menschen zu gewinnen. Und einer traditionell ganz wichtigen Einrichtung, um junge Menschen für gemeinnütziges Engagement zu gewinnen, ist in den letzten Jahrzehnten in Deutschland und Europa der Nachwuchs weitgehend weggebrochen: den Kirchen. Sie verzeichnen darüber hinaus auch drastische Rückgänge bei den Spenden.

Woran liegt es, wenn gemeinnützige Organisationen junge Menschen nicht für sich begeistern können?

Ich sehe zwei wichtige Ursachen: Zum einen haben junge Menschen an Souveränität über ihr Zeitmanagement eingebüßt. Die Ganztagsschulen lassen viel weniger Freiraum, sich regelmäßig und verbindlich etwa bei einem Verein zu engagieren. Auch Studiengänge an den Hochschulen sind heute sehr verplant. Zum anderen bemühen sich viele Organisationen nicht ernsthaft um junge Menschen. Es gibt Vereine, da kennen sich die Aktiven lange, fühlen sich miteinander wohl, werden zusammen alt und schrecken mit „Vereinsmeierei“ nicht nur junge Interessenten ab. Von Offenheit für neue Engagierte kann in solchen Organisationen keine Rede sein; man bleibt lieber unter sich. In unseren Studien beobachten wir, dass im Zweifel eher Frauen bereit sind, junge Leute zu integrieren.

Welche Strategien sind erfolgreich, um junge Leute zum Mitmachen zu gewinnen?

Manche Organisationen, zum Beispiel Sportvereine, versuchen, in den Ganztagsschulen Angebote zu machen. Vielleicht ist das eine Möglichkeit, junge Menschen an Vereine heranzuführen. In jedem Fall braucht es die richtige Haltung: Man muss transparent sein und die neuen Mitglieder auch mal was machen lassen. In einer Studie hat eine meiner Kolleginnen Heimatvereine untersucht und festgestellt, dass es den Frauen dort gelungen ist, junge Menschen in ihre Projekte zu integrieren.
Wenn junge Menschen sich im Ehrenamt engagieren, erwerben sie auch Kompetenzen, die sie im Beruf gebrauchen können. Leadership, Teamfähigkeit. Ich wundere mich, dass dies von den werbenden Nonprofit-Organisationen nicht stärker herausgestellt wird.

Gibt es Länder, in denen Nachwuchsgewinnung besser funktioniert?

Wo die Kirchen stark sind, zeigt sich ein anderes Bild. In Europa ist das allerdings nicht der Fall. Leider muss man sagen, dass es rechte Parteien und Organisationen sind, denen es gelingt, junge Menschen zu binden. Sei es der Weg über rechte Rockgruppen oder über Angebote in entvölkerten ländlichen Räumen in Ostdeutschland, wo junge Männer angesprochen werden. Die machen dann bei den Rechten mit, fahren aber auch die Seniorin zum Arzt. Eine unglückselige Allianz ist das. Und eine Folge der Sparsamkeit am falschen Ende: Wenn man Jugendeinrichtungen schließt und die Angebote beendet, wo sollen sich die jungen Menschen dann treffen?

Interview: Gudrun Sonnenberg

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Fokus Januar 2024: Service Learning – Wie sollen Schüler heute lernen und was?

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Große Leistungsunterschiede, abgehängte Schülerinnen und Schüler, elternhausabhängige Erfolge: Die Bildung in Deutschland kommt aus ihrer Schieflage nicht heraus. Die jüngste PISA-Studie, im Dezember 2023 veröffentlicht, hat das erneut bestätigt. Für bessere Lernerfolge braucht es jedoch nicht nur mehr Ressourcen, sondern auch andere Konzepte. Service Learning verbindet Bildungs- und Demokratieförderung und gibt Antwort auf die Frage, wie eine zukunftsfähige Bildung aussehen kann. Im Programm sozialgenial der Stiftung Aktive Bürgerschaft erproben bereits mehr als 1000 Schulen Service Learning in der Praxis. Im Fokus berichten Praktiker aus den Projekten, wie Service Learning wirkt, wie es funktioniert und wie es noch mehr bringen könnte.

Lesen Sie dazu diese Fokusbeiträge:

Drei Schulen, drei Fächer, eine Methode

In Service-Learning-Projekten engagieren sich Schülerinnen und Schüler für die Gemeinschaft und wenden dabei an, was sie im Fachunterricht der Schule gelernt haben. Drei Beispiele zeigen, wie das praktisch umgesetzt wird und wie die Projekte in den Schulalltag eingebunden werden können.
WWW.AKTIVE-BUERGERSCHAFT.DE/DREI-SCHULEN-DREI-FAECHER-EINE-METHODE/

„Mehr eigene Projekte, mehr Selbstwirksamkeit, andere Erfahrungen“

Lehrkräfte und Schulsozialarbeiterinnen, die sozialgenial-Projekte umsetzen, erleben motiviertere Schülerinnen und Schüler, die von Selbstwirksamkeit profitieren und Erfahrungen machen, die der normale Unterricht nicht ermöglicht. Doch das bestehende System der Wissensvermittlung lässt wenig Freiheit für solche Projekte. Drei Lehrkräfte und Sozialarbeiterinnen berichten, wo sie den Raum für sozialgenial finden und warum sich das für sie lohnt.
WWW.AKTIVE-BUERGERSCHAFT.DE/MEHR-EIGENE-PROJEKTE-MEHR-SELBSTWIRKSAMKEIT-ANDERE-ERFAHRUNGEN/

„Wir prüfen zu viel“

Die PISA-Studie förderte Ende 2023 bedrückend schlechte Leistungen der deutschen Schülerinnen und Schüler sowie große Unterschiede zutage. Birgit Wenninghoff, Leiterin der Mathilde Anneke Gesamtschule in Münster, wünscht sich flexiblere Prüfungskonzepte und mehr Zeit für individuellen Unterricht und neue Formate.

www.aktive-buergerschaft.de/wir-pruefen-zu-viel

Auszubildende mit Teamfähigkeit und Sozialkompetenz gesucht – und bei sozialgenial gefunden

Technik verstehen, gut kommunizieren und einsatzbereit sein: Das ist eine dringend gesuchte Kombination bei der „Auf den Punkt Veranstaltungstechnik GmbH“ in Soest. Umso erfreuter war Geschäftsführer Hubertus Neuhaus, als ihn im März 2023 bei einer sozialgenial-Veranstaltung ein junger Mann ansprach und sein Interesse an einem Ausbildungsplatz als Veranstaltungstechniker bekundete.
www.aktive-buergerschaft.de/auszubildende-mit-teamfaehigkeit-und-sozialkompetenz-gesucht-und-bei-sozialgenial-gefunden/

Mehr zum Thema

Alles über sozialgenial:
www.sozialgenial.de
sozialgenial-Projektbeispiele und Zahlen:
www.sozialgenial.de/praxisbeispiele
Geschichten aus den Projekten, Erfahrungen, Hintergrund zum Programm: bürgerAktiv Magazin 2023/24 der Stiftung Aktive Bürgerschaft
www.aktive-buergerschaft.de/wp-content/uploads/2023/09/buergerAktivMagazin2023.pdf

 

Drei Schulen, drei Fächer, eine Methode

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Service Learning verbindet Bildung mit Engagement: Schülerinnen und Schüler engagieren sich für die Gemeinschaft und wenden dabei an, was sie im Fachunterricht der Schule gelernt haben. Drei Beispiele zeigen, wie es geht und wie die Projekte in den Schulunterricht eingebunden werden können.

„Die Welt belohnt uns nicht mehr allein für das, was wir wissen – Google weiß ja schon alles –, sondern für das, was wir mit dem, was wir wissen, tun können.“ So beschreibt Andreas Schleicher, Bildungsdirektor bei der OECD und „Vater der PISA-Studie“ die Herausforderung zu entscheiden, was und wie junge Menschen heute lernen müssen. Nur wer gelernt hat, sein Wissen in unterschiedlichen Situationen zur Problemlösung anzuwenden, wer weiß, dass er sein Lebensumfeld mitgestalten kann und wer Verständnis und Empathie für seine Mitmenschen und ihre individuellen Lebensweisen entwickelt, kann gute Lösungen für die komplexen Probleme unserer Zeit finden.

Service Learning ist ein didaktisches Konzept, das Bildungs- und Demokratieförderung verbindet und eine Antwort sein kann auf die Frage, wie eine zukunftsfähige Bildung aussehen kann.

Was kannst du gut, was anderen nützt? Unter diesem Motto entwickeln Schülerinnen und Schüler im Unterricht Engagementprojekte, die eng mit Inhalten aus dem Lehrplan verknüpft sind. Sie engagieren sich in sozialen Einrichtungen, für Klimaschutz und Demokratie, für Integration und vieles mehr. Dabei arbeiten sie mit außerschulischen Partnern wie Vereinen, Stadtteilinitiativen oder gemeinnützigen Organisationen zusammen, können fachliches Wissen aus dem Unterricht in der Praxis anwenden, um an der Lösung realer gesellschaftlicher Probleme mitzuwirken, und stärken Schlüsselkompetenzen wie Kommunikations- und Teamfähigkeit, kritisches Denken und soziales Verantwortungsbewusstsein.

Service-Learning-Projekte dienen zum einen dazu, Lernziele zu erreichen und die fachlichen, sozialen und persönlichen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler zu fördern. Sie lernen hier praxisnah und anwendungsorientiert und können einen konkreten Bezug der schulischen Inhalte zu ihrer eigenen Lebenswelt herstellen.

Zum anderen werden junge Menschen schon früh in ihrem Leben ermutigt, sich für ihr unmittelbares Lebensumfeld zu engagieren, sich mit realen gesellschaftlichen Problemen zu beschäftigen und an ihrer Lösung mitzuwirken und Verantwortung für sich und andere zu übernehmen. Die Frage „Was kannst du gut?“ zielt darauf ab, sich ihre individuellen Stärken, Interessen und Neigungen bewusst zu machen und diese in die Projekte einzubringen. So erleben sie ganz direkt, dass sie mit ihren Kompetenzen einen wirkungsvollen Beitrag in der Gesellschaft leisten können.

Mit ihrem Programm sozialgenial fördert die Stiftung Aktive Bürgerschaft Service Learning an Schulen, damit junge Menschen fürs Leben lernen und frühzeitig und herkunftsunabhängig an ehrenamtliches Engagement herangeführt werden. Wie Lehrkräfte und Schulsozialarbeiter ihren Unterricht mit Service Learning gestalten und was die Schülerinnen und Schüler in ihren Projekten lernen, zeigen Beispiele aus drei sozialgenial-Mitgliedschulen.

 

Religion: Lebenserfahrung im „Café Kränzchen“

Ein Café – ausgerechnet auf einem Friedhof? Gerade da, denn ein Friedhof sollte kein trauriger Ort sein, so dachten Schülerinnen und Schüler der Hannah-Arendt-Gesamtschule in Soest. Ihre Idee im Religionsunterricht: einen Raum für Begegnungen und Gespräche zu schaffen, ein Café auf dem Osthofenfriedhof.

Die Idee der Schüler passte wunderbar zu den Plänen der Soesterin Martina Brennecke, die ein Friedhofscafé eröffnen wollte. Das „Café Kränzchen“ ist ihr Projekt, und sie kann dabei auf die Mithilfe der Jugendlichen zählen.

Über die Stadt Soest kam der Kontakt zwischen ihr und den Schülern zustande, die Eröffnung des Café Kränzchen im April 2022 wurde von den Schülern tatkräftig unterstützt. Sie machten mit selbst entworfenen Flyern Werbung, besorgten Blumen für die Tischdeko und schenkten Café aus, vor allem aber schafften sie eine Gelegenheit für Gespräche mit den Besucherinnen und Besuchern des Friedhofs. Beide Seiten profitieren, findet Nils, einer der Schüler: „Die älteren Leute erzählen viel aus ihrem Leben, das höre ich mir gerne an, denn von ihren Erfahrungen können wir Jungen profitieren. Im Gegenzug können wir ihnen aber auch mit unserer Erfahrung zum Beispiel im Umgang mit Handys helfen.“

Alle zwei Wochen hat das Café nun mittwochs von 15 bis 17 Uhr geöffnet. „Durch die Kontakte mit den älteren Menschen lernen wir unfassbar viel fürs Leben“, berichtet die Schülerin Lucy. „Wir kommen mit den unterschiedlichsten Menschen ins Gespräch, die wir in der Schule nie treffen würden. Man lernt dabei super viel über den Umgang miteinander: Wertschätzendes Verhalten, ohne Vorbehalte jemandem gegenübertreten und dass Äußerlichkeiten nicht immer alles sind.“

Das Projekt geht weiter, für einen reibungslosen Übergang an den nachfolgenden Jahrgang ist gesorgt: Die Schule hat den Religionsunterricht mittwochs in die Randstunden gelegt. Jetzt liegen der Religionsunterricht und die Café-Öffnungszeiten parallel und die Schüler sind alle zwei Wochen statt in der Schule im Café.

 

BWL: „Rheine Rockt“ – ein Festival organisieren

„Rheine Rockt“ ist ein eintägiges Musikfestival, umsonst und draußen, mit lokalen Newcomer-Bands und seit der Erstausgabe 2016 aus dem lokalen Veranstaltungskalender nicht mehr wegzudenken. Wer hat’s erfunden? Schülerinnen und Schüler der Kaufmännischen Schulen Rheine.

„Think big!“ war die Ansage von Lehrer Claus Schrichten, als er vor einigen Jahren vor seinen Schülerinnen und Schülern stand und die Marschrichtung für das Schuljahr vorgab. Projekte sollten sie sich überlegen, in denen sie sich sozial engagieren konnten. Einige Schülerinnen hatten daraufhin die Idee, ein Rockfestival zu veranstalten, um Spenden für soziale Zwecke zu generieren. „Rheine Rockt“ war geboren. Es war gleich in der Erstausgabe ein Erfolg und wird seitdem in jedem Jahr im SozialGenial-Kurs am Beruflichen Gymnasium der Kaufmännischen Schulen Rheine organisiert. In dem Wahlpflichtkurs können und sollen die Schülerinnen und Schüler sich für andere engagieren und dabei ihr BWL-Wissen speziell zum Projektmanagement anwenden. Inzwischen ist der Kurs so beliebt, dass unter den Interessenten ausgelost werden muss, wer teilnehmen darf.

Bei der Organisation von „Rheine Rockt“ können die Schülerinnen und Schüler ihre fachlichen Kompetenzen aus den Fächern BWL, Mathematik und Deutsch in der Praxis anwenden. Der Aufgabenkatalog, den sie abarbeiten, steht dem eines professionellen Veranstalters in nichts nach: Sie kalkulieren Budgets und Preise, treffen Absprachen mit der Stadt, werben Sponsorengelder ein, verhandeln Angebote und beauftragen Dienstleister für Bühne, Licht und Ton, Sanitäranlagen, Sicherheit und Ordnung, buchen die Bands, machen Pressearbeit und Werbung, koordinieren die Abläufe am Tag der Veranstaltung.

Zum Schluss wird abgerechnet und dann bleibt – wenn die Kalkulation aufgegangen ist – ein ordentlicher Gewinn aus dem Getränkeverkauf übrig. 2023 konnten die Schülerinnen und Schüler 2500 Euro an roterkeil.net spenden, eine regionale Institution, die sich gegen Kindesmissbrauch und Kinderprostitution einsetzt. Ebenso besteht eine Kooperation mit dem Kinderschutzbund Rheine e.V., der über das Thema „Gewalt gegen Kinder“ vor Ort in der Schule aufklärt.

2023 konnte erstmals eine Betroffene gewonnen werden, die bei dem von den Schülerinnen und Schülern organisierten Event live auf der Bühne über ihre Erlebnisse sprach. Der Auftritt bewirkte, dass sich drei weitere Betroffene aus der Zuschauerschaft meldeten und über „Rheine Rockt“ Erstkontakt zu den benannten Hilfsorganisationen aufbauten. Die Betroffene informierte im Nachgang auch in der Schule über die schwerwiegenden Folgen von sexualisierter Gewalt gegen Kinder.

Die Planungen für „Rheine Rockt“ 2024 laufen bereits auf Hochtouren.

 

Wahlpflicht: Belastungen erkennen und bewältigen

Die Corona-Pandemie war eine anstrengende Zeit und hat besonders bei Kindern und Jugendlichen Spuren hinterlassen. Schülerinnen und Schüler der Jahrgänge 9 und 10 der Heinrich-Heine-Gesamtschule Dreieich (Hessen) wollten in ihrem sozialgenial-Projekt herausfinden, wie ihre Mitschüler diese Zeit erlebt haben, was sie besonders belastet hat und wie sie mit den Belastungen umgegangen sind. Ebenso wichtig war ihnen, mehr Verständnis und Empathie seitens der Lehrkräfte zu gewinnen.

Angesiedelt war das Projekt im Wahlpflichtkurs „Service Learning – Lernen durch Engagement“, in dem sich die Schüler mit Problemen und Herausforderungen in ihrem Umfeld beschäftigen und sich für Verbesserungen einsetzen. Neben der Engagementerfahrung soll der Kurs soziale und methodische Kompetenzen vermitteln.

Die Kursteilnehmer entwickelten einen passgenauen Fragebogen, um zu erfahren, welche Probleme ihren Mitschülerinnen und Mitschülern auf dem Herzen lagen. Um Schulöffentlichkeit herzustellen, konnten sie zudem bei der Aktion „Briefewand“ ihre persönlichen Geschichten anonym einreichen. Die Beiträge wurden thematisch sortiert ausgestellt: So erkannten die Schülerinnen und Schüler, dass sie nicht allein waren mit ihrem Kummer, zudem wurden Lösungsstrategien gezeigt und über Hilfsangebote und Ansprechpartner informiert.

Das Projekt endete mit einem Aktionstag, an dem vier Workshops zu den Themen „Umgang mit Traumata“, „Prüfungsangst“, „Stressmanagement“ und „Gesund und fit durch den Schulalltag“ angeboten wurden.

Die engagierten Schülerinnen und Schüler erfuhren auch durch das Feedback der Schulgemeinde, dass sie etwas bewegen konnten: „Sie übernehmen Verantwortung, sehen, was für eine Wirkung sie haben in der Gesellschaft, das ist eine ganz wichtige Erfahrung“, bilanzierte Kursleiterin und Schulsozialarbeiterin Nicole Bondaug.

Weil die Schülerinnen und Schüler mit ihrem Projekt einen Nerv getroffen hatten, führten sie die Workshops zu Stressmanagement und Prüfungsangst im folgenden Schuljahr gleich noch einmal durch.

Text: Sonja Beckmann, Caroline Deilmann, Stiftung Aktive Bürgerschaft

Der Beitrag ist Teil des Fokus Service Learning – Wie sollen Schüler lernen und was? der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte der Stiftung Aktive Bürgerschaft. Zum Fokus Service Learning – Wie sollen Schüler heute lernen und was?

„Mehr eigene Projekte, mehr Selbstwirksamkeit, andere Erfahrungen“

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Lehrkräfte und Schulsozialarbeiterinnen, die sozialgenial-Projekte umsetzen, erleben motiviertere Schülerinnen und Schüler, die von Selbstwirksamkeit profitieren und Erfahrungen machen, die der normale Unterricht nicht ermöglicht. Doch das bestehende System der Wissensvermittlung lässt wenig Freiheit für solche Projekte. Drei Lehrkräfte und Sozialarbeiterinnen berichten, wo sie den Raum für sozialgenial finden und warum sich das für sie lohnt.

 

„Wegkommen von starren Lehrplänen“

Eike Garlichs ist Lehrer für Wirtschaftswissenschaften und Sport an den Kaufmännischen Schulen Rheine. Mit seinem Kollegen Claus Schrichten leitet er die zwei sozialgenial-Kurse am Beruflichen Gymnasium.

Was ist für Sie das Besondere am Service Learning, wo liegt für Sie der Mehrwert gegenüber anderen Unterrichtskonzepten?

Der größte Mehrwert besteht darin, dass die Schülerinnen und Schüler Projekte umsetzen können, die sie wirklich interessieren – irrelevant, ob es aktuell im Lehrplan steht oder nicht. Dadurch sind sie intrinsisch motiviert. Das geht über den normalen Fachunterricht hinaus und führt dazu, dass sie sich sozial engagieren und etwas für sich und die Gesellschaft tun.

Sie nutzen den Wahlpflichtbereich, um Service Learning umzusetzen. Was hindert Sie daran, Service Learning direkt im Fachunterricht umzusetzen?

An unserer Schule werden im Wahlpflichtbereich für die Engagementprojekte keine Noten vergeben. Die Schülerinnen und Schüler wissen: Das ist etwas für mich selbst und die Gesellschaft. Ich gestalte das Projekt so, wie ich es gern möchte. Das ist ein ganz entscheidender Punkt und deshalb finde ich es sinnvoll, Service Learning im Wahlpflichtbereich anzubieten. Der Fachunterricht hingegen ist zeitlich sehr eng getaktet, sodass sozialgenial nicht ausreichend Raum gegeben werden könnte.

Wie müsste sich Schule verändern, damit Service Learning zur Selbstverständlichkeit wird?

Eine Idee könnte sein, das starre Festhalten an Lehr- und Stundenplänen ein wenig zu lockern. Es wäre zu visionär und revolutionär gedacht, dieses in seiner Gesamtheit ganz aufzulösen, aber wenn die Schülerinnen und Schüler beispielsweise einen Tag in der Woche hätten, an dem sie Projekte umsetzten könnten, zu denen sie Lust haben – mit leichten Impulsen von uns Lehrkräften in Richtung Service Learning –, könnte ich mir vorstellen, dass es selbstverständlicher wird. Unsere Schule macht da schon viel und unsere Schülerinnen und Schüler sind sehr aktiv. Daher sind soziale Projekte im Leitbild unserer Schule als Beispiel für soziales Handeln verankert und viele Lehrkräfte unterstützen das.

 

„Das Beste ist, dass alle profitieren“

Nicole Bondaug ist Schulsozialarbeiterin an der Heinrich-Heine-Gesamtschule in Dreieich-Sprendlingen in Hessen. Zusätzlich unterrichtet sie den Kurs „Service Learning – Lernen durch Engagement“.

Was ist für Sie das Besondere am Service Learning, wo liegt für Sie der Mehrwert gegenüber anderen Unterrichtskonzepten?

Für mich ist das Beste am Service Learning, dass alle davon profitieren: Schülerinnen, Schüler und auch die außerschulischen Partner, für die die Projekte gemacht sind. Es ist eine Bereicherung für alle. Sich zu engagieren macht selbstsicher: Die Schülerinnen und Schüler lernen sich sehr gut kennen und bewältigen Herausforderungen, die sie im schulischen Alltag nicht haben. Natürlich sind gute Noten auch ein Lob und eine Anerkennung für das Lernen, aber beim Service Learning geht es um die menschliche Ebene, das konkrete Feedback, etwas Sinnvolles für die Gesellschaft zu tun und wertgeschätzt zu werden, das ist was ganz anderes. Die außerschulischen Partner profitieren von sozialgenial, weil die Schülerinnen und Schüler Themen recherchieren, für die es einen Bedarf gibt. Deshalb freuen sie sich über das Engagement. Auch die Schulleitung findet das toll, weil es den Ruf der Schule noch mal verbessert.

Sie nutzen den Wahlpflichtbereich, um Service Learning umzusetzen. Was hindert Sie daran, Service Learning direkt im Fachunterricht umzusetzen?

Mich persönlich hindert mein Beruf daran, ich bin Sozialpädagogin. Für mich ist Service Learning ideal, denn es vereint soziale Arbeit und Beziehungsarbeit. Es gibt aber auch Kollegen, die das im Fachunterricht machen, zum Beispiel im Religionsunterricht. Die Frage ist, ob der Lehrplan da noch Raum lässt.

Wie müsste sich Schule verändern, damit Service Learning zur Selbstverständlichkeit wird?

Es müsste weniger um Wissensvermittlung, sondern eher um Erfahrungslernen und Selbstwirksamkeit gehen, das sollte eine viel größere Rolle spielen im schulischen Konzept. Reformen sind nötig, die Digitalisierung und die aktuellen Entwicklungen in der Welt stellen gewaltige Herausforderungen dar, für die wir andere Konzepte brauchen. Es wäre wichtig, dass mehr Wert auf Demokratiebildung gelegt wird und dass mehr Schülerinnen und Schüler Erfahrungen im bürgerschaftlichen Engagement sammeln.

 

„Den Stundenplan entsprechend gestalten“

Sarah Menne unterrichtet Englisch und evangelische Religionslehre an der Hannah-Arendt-Gesamtschule in Soest. Ihre Schülerinnen und Schüler engagieren sich direkt aus dem Fachunterricht heraus.

Was ist für Sie das Besondere am Service Learning, wo liegt für Sie der Mehrwert gegenüber anderen Unterrichtskonzepten?

Die Hannah-Arendt-Gesamtschule Soest setzt auf Projektarbeit. In sozialgenial-Projekten können die Schülerinnen und Schüler theoretisch erworbene Fähigkeiten lebensnah umsetzen. So gewinnt das Erlernte Bedeutung für die eigene Lebenswelt. Zu einer reformpädagogisch orientierten Gesamtschule zählt das Lernen mit Kopf, Herz und Hand. Diesen Leitsatz unterstützt Service Learning auf ganzer Linie. In einem Verbund engagierter Kolleginnen und Kollegen führen wir bei sozialgenial die Schülerinnen und Schüler herkunftsunabhängig an soziales Engagement heran und begleiten sie dabei.

Sie setzen Service Learning im Fachunterricht um, wie gelingt es Ihnen, die dafür nötigen zeitlichen Freiräume zu finden?

Möglich ist dies durch die Unterstützung derer, die den Stundenplan gestalten: Mein Kurs, der evangelische Religionsunterricht, findet nachmittags statt, sodass sich die Schülerinnen und Schüler in der Unterrichtszeit bei außerschulischen Partnern wie dem Café Kränzchen engagieren können. Hervorheben möchte ich die Unterstützung der Schulleitung, die die Lernenden und Fachlehrerinnen produktiv und aufrichtig bei den organisatorischen Herausforderungen berät.

Wie müsste sich Schule verändern, damit Service Learning zur Selbstverständlichkeit wird?

Das System Schule sollte Schülerinnen und Schüler bestmöglich dabei unterstützen, autonom ihre Wege zu gehen. Aber nicht nur das Verfolgen eigener (schulischer) Ziele sollte Berücksichtigung finden, sondern auch das Wahrnehmen sozialer Pflichten – und das so früh wie möglich. Ich bin sehr dankbar und stolz, dass unserer Schulgemeinschaft dies gelingt, indem durch das Service Learning im Fachunterricht Projekten wie dem Café Kränzchen in Soest Raum und Zeit gegeben wird.

Interviews: Sonja Beckmann, Stiftung Aktive Bürgerschaft

Der Beitrag ist Teil des Fokus Service Learning – Wie sollen Schüler lernen und was? der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte der Stiftung Aktive Bürgerschaft. Zum Fokus Service Learning – Wie sollen Schüler heute lernen und was?

„Wir prüfen zu viel“

1024 847 Stiftung Aktive Bürgerschaft

Die Pisa-Studie förderte Ende 2023 bedrückend schlechte Leistungen der deutschen Schülerinnen und Schüler sowie große Unterschiede zutage. Birgit Wenninghoff, Leiterin der Mathilde Anneke Gesamtschule in Münster, wünscht sich flexiblere Prüfungskonzepte und mehr Zeit für individuellen Unterricht und neue Formate.

Finden Sie Ihre Schule in den schlechten Pisa-Ergebnissen wieder?

Die PISA-Ergebnisse haben mich nicht überrascht. Aus meiner Sicht sind diese Entwicklungen eine Folge der Selektion in unserem Schulsystem, das die Schülerinnen und Schüler nach der Grundschule in unterschiedliche Schultypen sortiert. Wenn etwa Schülerinnen und Schüler mit Sprachschwierigkeiten unter sich bleiben, kommen sie natürlich nicht so gut weiter. Bei uns auf der Gesamtschule können alle Schüler gemeinsam lernen und profitieren voneinander.

Woran liegen die Mängel? Zu wenig Ressourcen, falsch qualifizierte Lehrkräfte, fehlende Konzepte?

Neben mehr gut qualifiziertem Personal fehlen uns vor allem Freiräume. Das Problem ist unsere Prüfungskultur! Wir prüfen zu viel. Vor allem in der Oberstufe, in der alles auf das Abitur hinausläuft. Es bleibt keine Zeit, um das zu tun, worauf es ankommt, nämlich individuelle Rückstände aufzuholen. Wenn jemand in Englisch eine Fünf schreibt, arbeite ich doch sinnvollerweise mit diesem Schüler den Lernstoff nach, anstatt ihn mitsamt seinen Lücken in die nächste Prüfung zu schicken. Aber für solche auf die Individuen bezogenen Ansätze ist wenig Raum.

Wie geht es besser?

Wir müssen uns fragen, ob unsere Konzepte noch zeitgemäß sind. Wir brauchen alternative Formate und müssen kreativer und problemlösungsorientierter arbeiten. Die OECD hat für zukunftsfähige Bildung vier Kompetenzen definiert, die Schülerinnen und Schüler erwerben sollten: Kreativität, Kommunikationsfähigkeit, Teamfähigkeit und Kritisches Denken. Diese Ziele werden bei uns im Service Learning adressiert. Die Kinder engagieren sich in sozialgenial-Projekten in der 7. und in der 11. Jahrgangsstufe. Sie müssen mit Einrichtungen außerhalb der Schule kommunizieren, müssen Entscheidungen treffen und machen viele neue Erfahrungen. Sie erleben, dass es Spaß macht, sich für andere einzusetzen.

Welche Rolle kann das Service Learning für das Lernen insgesamt spielen?

In den sozialgenial-Projekten findet viel informelles Lernen statt. Das ist wichtig. Die Projekte zu ermöglichen steht und fällt mit dem Engagement der Lehrkräfte, die aus den genannten Gründen zuweilen ziemlich kreativ sein müssen, um die nötigen Freiräume zu finden. Insgesamt bräuchten Lehrerinnen und Lehrer vor allem mehr Zeit. Offiziell vier Stunden pro Woche nur für Konzeption: Das wäre mein Traum!

Interview: Gudrun Sonnenberg, Stiftung Aktive Bürgerschaft

Der Beitrag ist Teil des Fokus Service Learning – Wie sollen Schüler lernen und was? der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte der Stiftung Aktive Bürgerschaft. Zum Fokus Service Learning – Wie sollen Schüler heute lernen und was?

Auszubildende mit Teamfähigkeit und Sozialkompetenz gesucht – und bei sozialgenial gefunden

1024 768 Stiftung Aktive Bürgerschaft

Technik verstehen, gut kommunizieren und einsatzbereit sein: Das ist eine dringend gesuchte Kombination bei der „Auf den Punkt Veranstaltungstechnik GmbH“ in Soest. Umso erfreuter war Geschäftsführer Hubertus Neuhaus, als ihn im März 2023 bei einer sozialgenial-Veranstaltung ein junger Mann ansprach und sein Interesse an einem Ausbildungsplatz als Veranstaltungstechniker bekundete.

Denn der Schüler, der kurz vor dem Abitur stand, war nicht nur technikaffin, sondern konnte auch sein Anliegen in wohlgesetzten Worten mitteilen. Und nicht zuletzt hat er den Mut, mich anzusprechen, dachte Neuhaus.

Die Begegnung fand bei einer Veranstaltung der Volksbank Hellweg und der Stiftung Aktive Bürgerschaft statt. Unter dem Titel „Fürs Leben lernen mit sozialgenial“ hatten sie Schulen, die am Service-Learning-Programm sozialgenial der Aktiven Bürgerschaft teilnehmen, eingeladen, ihre Projekte vorzustellen. Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Schulsozialarbeiter sowie Vertreter aus Wirtschaft und Politik vernetzten sich und tauschten sich in Podiumsdiskussionen über die Erfahrungen mit dem Programm aus. Neuhaus steuerte in so einer Runde seine Perspektive als Arbeitgeber bei und berichtete, wie wichtig es ist, teamfähigen Nachwuchs zu finden.

Lauritz hatte gut zugehört

Lauritz Lichtwark, Schüler an der Hannah-Arendt-Gesamtschule und sozialgenial-Teilnehmer, hatte gut zugehört und war, direkt als Neuhaus vom Podium herunterstieg, auf ihn zugetreten. Neuhaus freut sich bis heute. Er sagt: „Von der Ansprache, die heute bei jungen Auszubildenden schon meist nicht in ganzen Sätzen formuliert werden kann, war ich bei ihm schon positiv überrascht und sagte sofort zu. Die in meinem Statement auf der Bühne beschriebene Sozialkompetenz war auf den ersten Blick auf jeden Fall schon einmal gegeben!“

Es sei zwar einfach, Interessenten zu finden für Veranstaltungstechnik, so Neuhaus. Die Branche suggeriere Ruhm und Party. Aber die Arbeitszeiten seien unregelmäßig und in der Realität müsse man zupacken können: „Wer bei null Grad und Regen die Hände in die Taschen steckt, wenn die Kollegen die Bühne vom Weihnachtsmarkt abbauen, ist fehl am Platz.“ So manche interessierten Jugendlichen stellen das im Praktikum fest. Anderen fehle das Gespür für Kunden, die beispielsweise nicht alle mit dem Wissen geboren sind, wie man in ein Mikro spricht. Man muss auch vernünftige E-Mails schreiben und Zentimeter in Meter umrechnen können.

„Lauritz hat die richtige Kombination von Kompetenzen. Ich habe tatsächlich noch nie so viel positive Rückmeldung von Kollegen, Geschäftspartnern und Kunden über einen Auszubildenden bekommen. Inzwischen ist er gar nicht mehr aus dem Team wegzudenken und hat sich super integriert“, sagt Neuhaus. „Das Programm sozialgenial scheint also genau an der richtigen Stelle anzusetzen oder ist zumindest ein guter Indikator für junge Menschen mit ausgeprägten sozialen Kompetenzen und verstärkt diese noch mal. Ich habe auch schon einigen Unternehmerkollegen von meinen Erfahrungen berichten können, denn es sorgt ja schon für Aufsehen, wenn man noch relativ knapp vor Ausbildungsstart einen so guten Azubi verpflichten kann.“

Text: Gudrun Sonnenberg, Stiftung Aktive Bürgerschaft

Der Beitrag ist Teil des Fokus Service Learning – Wie sollen Schüler lernen und was? der bürgerAktiv – Nachrichten für Engagierte der Stiftung Aktive Bürgerschaft. Zum Fokus Service Learning – Wie sollen Schüler heute lernen und was?